Salzburg-Coach Roger Schmidt: 'Ich kann nur beeinflussen, wie viele Chancen wir uns erspielen'

Roger Schmidt kam überraschend nach Salzburg, ebenso überraschend kam das Ausscheiden gegen Düdelingen. Doch das ist Vergangenheit, genauso auch ein Großteil der Mannschaft, die das Double gewonnen hat. Im ausführlichen Interview mit 90minuten.at spricht

100_4449Roger Schmidt kam überraschend nach Salzburg, ebenso überraschend kam das Ausscheiden gegen Düdelingen. Doch das ist Vergangenheit, genauso auch ein Großteil der Mannschaft, die das Double gewonnen hat. Im ausführlichen Interview mit 90minuten.at spricht der Deutsche darüber, wie er das neue Team zusammengestellt hat und wie er an seiner Vorstellung von Fußball arbeitet. Darüber hinaus gibt er zu, Valon Berisha nicht gekannt zu haben und weiß: „Man wird nie das Ziel erreichen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Besser werden oder schlechter werden."

 Das Interview führte Georg Sander


90minuten.at: Red Bull Salzburg holte unter Ihrem Vorgänger Ricardo Moniz das Double, nicht immer agierte man souverän. Moniz schmiss hin, Sie kamen dann für viele überraschend nach Salzburg. Warum wurde das Team aber so umgekrempelt? Muss das so sein?

Roger Schmidt: Die Grundüberlegung, warum ich hierhergekommen bin, war, trotz der Kurzfristritgkeit, bei Red Bull um die österreichische Meisterschaft zu spielen. Wir wollten auch international mitspielen und eine gewisse Art von Fußball spielen. Ralf Rangnick wählte mich wohl aus, weil wir beide dieselbe Art von Fußball schätzen. Diesen Fußball kann man einer Mannschaft antrainieren, aber man muss, um das zu beschleunigen, ein gewisses Spielermaterial haben. Ich bin hier angetreten und habe versucht, das so umzusetzen. Das war für alle schwierig, weil wir innerhalb von zwei Wochen in die Champions League-Qualifikation mussten. Wir haben versucht, vieles mit der Mannschaft umzusetzen und eine Spielanlage zu entwickeln, mussten dann aber feststellen, dass wir die Entwicklung teilweise nicht so schnell vorantreiben konnten. Uns war klar: Wir wollen eine andere Spielweise, müssen aber sofort erfolgreich sein.

 


Die Kunst besteht ja darin, die Spieler in dem Moment zu kennen, wenn sie anfangen, gut zu werden. Sonst wird es für uns schwierig, weil wir das Handicap – unter Anführungszeichen, das soll nicht respektlos klingen – in der österreichischen Liga zu spielen, viele denken, dass das nicht der richtige Schritt ist, um weiterzukommen.


Wie läuft diese Suche genau ab? Früher holte Red Bull mit Alexander Zickler oder Thomas Linke Stars, dann war, wie etwa bei Rasmus Lindgren, der Verein bekannt (Anm.: Ajax Amsterdam). Isaac Vorsah und Rodnei sind bekannt, Kevin Kampl war Insidern ein Begriff, Valon Berisha und Harvard Nielsen werden Sie ja wohl auch nicht gekannt haben...

Bei der Auswahl der Spieler stand zunächst im Vordergrund, dass es Spieler sind, die zu dem Fußball passen, den wir spielen wollen. Dynamische und extrem motivierte Männer, die Bereitschaft zeigen, im Spiel viel zu investieren. Auch gegen den Ball! Dann sollten sie sich bei Red Bull Salzburg weiter entwickeln wollen, um eventuell zu noch größeren Vereinen wechseln zu können, um auch entsprechende Transfererlöse erzielen zu können. Die haben wir gesucht und das sind dann – meistens – auch junge Spieler. Ralf Rangnick und ich haben uns permanent ausgetauscht, aber der Sportdirektor ist dafür mit seinem Team verantwortlich, die zu finden. Ich war immer involviert und war immer am neuesten Stand, muss aber nicht in jeden Schritt eingebunden sein. Ich habe mir von allen Spieler, die gekommen, selber ein Bild machen können. Zum Teil durch direkte Beobachtung oder zumindest durch Videomaterial, auf jeden Fall aber in persönlichen Gesprächen. Die Transfers passierten mit meinem Einverständnis.


Also kannten sie nicht alle Spieler?

(grinst) Berisha zum Beispiel kannte ich nicht. Die Kunst besteht ja darin, die Spieler in dem Moment zu kennen, wenn sie anfangen, gut zu werden. Sonst wird es für uns schwierig, weil wir das Handicap – unter Anführungszeichen, das soll nicht respektlos klingen – in der österreichischen Liga zu spielen, haben. Viele denken, dass das nicht der richtige Schritt ist, um weiterzukommen. Deshalb muss man früh genug dran sein, dass sich der Wechsel nach Salzburg so rentiert, dass man sich hier weiter entwickelt. Es ist wichtig, den Spielern eine entsprechende sportliche und persönliche Perspektive zu bieten.

 


Ich würde eine Profikarriere nicht als Kriterium hernehmen, ob einer ein guter Trainer wird oder nicht. Es kommt letztendlich immer auf die Persönlichkeit an.

 


RW Lüdenscheid, TuS Plettenberg, TuS Paderborn-Neuhaus, SC Verl, SC Paderborn 07, SV Lippstadt 08, Delbrücker SC - muss ein moderner Trainer kein Bundesliga-Profi gewesen sein? Auch in Österreich ist dieser Trend zu beobachten, zum Beispiel Andreas Moriggl bei Hartberg. Grödig-Coach Adi Hütter sagte: „Wer glaubt, dass es für das Trainergeschäft ein Vorteil ist, Profi gewesen zu sein, denkt in die falsche Richtung."

Ich würde eine Profikarriere nicht als Kriterium hernehmen, ob einer ein guter Trainer wird oder nicht. Es kommt letztendlich immer auf die Persönlichkeit an. Es gibt Trainer, die auf höchstem Niveau gespielt haben und viel mit genommen haben und immer schon im inneren Trainer waren. Genauso gibt es die, die wie ich auf niedrigerer Ebene gespielt haben, sich viel angelesen haben, über die Lehrgänge sich trainiert haben. Ich glaube, es gibt beide Varianten, aber entscheidend ist eben die Persönlichkeit. Es ist nicht ausschlaggebend, wie hoch man gespielt hat. Natürlich sollte man ein gewisses Niveau gehabt haben, um gewisse Dinge richtig einschätzen zu können und es ist auch in der täglichen Trainingsarbeit wichtig. Auch in der Mannschaftsführung ist es wichtig, um sich in die Spieler rein zu versetzen, weil man selber in ähnlichen Situationen war. Da ist es von Vorteil, wenn man selber auch ein bisschen Fußball spielen kann.

 


Man kann eine Mannschaft nicht mehr in defensive und offensive Spieler unterteilen, sondern komplett in offensives und defensives Verhalten.

 


„Alle Spieler müssen verinnerlichen, dass sie gleichermaßen Verantwortung für die Offensive haben. Das fängt schon in der Innenverteidigung und im defensiven Mittelfeld an", sagten sie deutschen Journalisten-Kollegen. Beschreiben Sie uns bitte Ihre Philosophie von Fußball ...

In diesem Zitat steckt schon viel drinnen. Man kann eine Mannschaft nicht mehr in defensive und offensive Spieler unterteilen, sondern komplett in offensives und defensives Verhalten. Etwa auf Positionen bezogen: Für den Innenverteidiger heißt das nicht mehr, einfach nur einen Mann auszuschalten. Der Anspruch ist ein ganz anderer geworden. Das ist seine Kernaufgabe, aber insbesondere das Umschalten von Defensive auf Offensive nach dem gewonnen Zweikampf ist ausschlaggebend, ob er ein höheres Niveau hat als ein anderer. Wenn ich einen Zweikampf gewonnen habe, dann muss es im Prinzip mein Anspruch sein, den nicht geordneten Gegner sofort zu fordern und in die Tiefe zu spielen und das Spiel anzukurbeln. Der gute Innenverteidiger fängt einen Pass ab, bevor er ankommt, und spielt mit dem zweiten Kontakt einen Pass in die Tiefe auf den eigenen Stürmer. Das ist das ideale Verhalten. Natürlich wird ein Spieler daran gemessen, Tore zu schießen, aber was passiert, wenn er vorne den Ball verliert? Da ist es genau so wichtig – wie beim erwähnten Beispiel des Innenverteidigers, dass er die Möglichkeit der Balleroberung sofort ergreift. Er muss ohne Zeitverzögerung damit anfangen. Er ist im Prinzip dafür verantwortlich, dass wir gute Voraussetzungen haben, den Ball sehr weit weg vom eigenen Tor wieder zurück zu bekommen.

 



roger_schmidt_mit_mannschaft_trainingBei wie viel Prozent der Entwicklung sehen Sie Ihr Team, wie viel konnten Sie schon umsetzen?

Das ist schwer zu sagen, denn es ist eine Entwicklung. Man wird ja nie das Ziel erreichen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Besser werden oder schlechter werden. Von daher muss ich immer beobachten, in jedem Training und Spiel, welcher Punkt notwendig ist, verbessert zu werden. Man kann nie zufrieden sein und sagen: „Jetzt lassen wir alles laufen!" Der Anspruch muss immer sein, die Mannschaft weiterentwickeln.


"Mit der Zahl der erfolgreichen Spiele steigt das Selbstvertrauen, aber da steckt harte Arbeit dahinter." - ein weiteres Zitat. Zwar hat man in der Liga, die für das Ziel "Champions League" extrem wichtig ist, erst eine Niederlage gegen Rapid erlitten, aber doch auch drei Unentschieden auf dem Konto. Zunächst zur Defensive, etwa beim 4:4 in der Südstadt. Wo muss man ansetzen?

Sie sprechen das Spiel gegen Admira Wacker an. Da hatten wir ja Probleme, sobald wir selber den Ball hatten, wenn wir selber das Spiel nach vorne tragen wollten. Unser Gegner positionierte sich kompakt und wir haben versucht, trotzdem unser vertikales Spiel durchzuziehen. Leider haben wir Fehler gemacht. Wenn man die erste Linie des Gegners nicht überspielt, sondern ihnen auf den Fuß spielt, hoch steht und sehr weit aufgerückte Außenverteidiger hat, dann hat der Gegner ein Riesenfeld, das er bespielen kann. Man hat durch das Umschaltspiel Unterzahl im Defensivverhalten und das hat der Gegner damals ausgenutzt. Wir haben brutale individuelle Fehler gemacht und so ist das dann entstanden. Aber, wie gesagt, das ist eine Entwicklung. Wenn man vorher mit langen Bällen von hinten raus operiert hat, ist das eine große Umstellung, wenn man es durch gutes und hartes Passspiel durch schmale Türen versuchen soll, den Gegner zu überspielen. Wenn man das machen will, passieren solche Spiele. Wir analysieren das und versuchen alles beim nächsten Mal besser zu machen. Das sieht man jetzt, wir haben daraus gelernt. Wir spielen besser nach vorne und haben ein besseres Absicherungsverhalten. Durch gutes Gegenpressing und sauberes taktisches Verhalten kompensieren wir das.

 


Die Bereitschaft, den Fehler nicht als solchen zu sehen, sondern als Chance, den Ball wieder zurück zu gewinnen wollen wir reinkriegen.

 


Sie wollen durch gruppentaktische Überlegungen individuelle Fehler minimieren?

Ich habe das damals von den Spielern gefordert. Wenn er einen falschen Pass spielt, hat er eine falsche Entscheidung getroffen, aber das heißt ja noch lange nicht, dass wir das Tor kriegen müssen. Diese Bereitschaft, den Fehler nicht als solchen zu sehen, sondern als Chance, den Ball wieder zurück zu gewinnen wollen wir reinkriegen. Das war auch das Problem in der Champions League-Quali. Aber wir haben uns weiter entwickelt. Klar, individuelle Fehler werden immer passieren, die Frage ist nur, wie ich damit umgehe und wie akzeptiert die Mannschaft diese. Ich muss mich dieser Situation stellen, das ist das Wichtigste.


Und nun zur Offensive: Bis zum Sechzehner sieht das gut aus, den erspielten Chancen fehlt "der letzte Pass". Wie intensiv arbeitet man daran oder ist das eher die Sache eines Knotens, der endlich platzen muss?

Letztendlich kann ich als Trainer nur beeinflussen, wie viele Chancen wir uns herausspielen. Wir haben die meisten Tore geschossen und sehr viele waren so, dass wir uns durchkombiniert haben, den Ball ins leere Tor geschoben haben. Oft auch gegen organisierte Gegner und das ist das schwierigste am Fußball! Wir sind in der Lage, durch gutes, vertikales Spiel und Kombinationen zu Torchancen zu kommen. Das ist Qualität. Darum geht's.


Aber gerade gegen die Austria hat Berisha dann einfach abgezogen...

Jeder Spielzug muss enden, ansonsten kann man sich alles davor sparen. Wir müssen uns beim Abschluss als Mannschaft noch steigern. Aber gerade gegen Ried und die Austria haben wir sehr offensiv gespielt, das Spiel in die Hand genommen und wir haben – das ist außergewöhnlich – wenig zugelassen. Das ist schwer zu erarbeiten und wir sind noch lange nicht fertig.

 


Theoretisch würde die österreichische Nationalmannschaft eine gute Rolle in der heimischen Liga spielen, sicher die Meisterschaft holen.

 


roger_schmidt_gepa_picturesInwiefern könnte die Mannschaft mit mehr Österreichern auch erfolgreich spielen, um die Identifikation mit dem Publikum zu stärken oder geht das nicht. Mit Walke - Ulmer, Hinteregger, Schiemer, Klein - Leitgeb - Kampl, Berisha, Teigl - Nielsen Maierhofer hätte man ja schon einmal sieben Spieler. Dazu gäbe es noch den rekonvaleszenten Stefan Hierländer. Ist das überhaupt möglich?

Das ist eine hypothetische Frage. Theoretisch würde die österreichische Nationalmannschaft eine gute Rolle in der heimischen Liga spielen, sicher die Meisterschaft holen. Da müsste man aber extrem viel Geld in die Hand nehmen, weil die meisten bei deutschen Bundesligisten spielen wollen, wenn sie überhaupt nach Salzburg wollen. Das ist aber nicht unser Anspruch und wird es nie sein. Es wird nie nur Österreicher oder nur Ausländer geben. Wir wollen eine gute Mischung haben und natürlich wollen wir die heimischen Toptalente zu uns holen.


Was erwarten Sie konkret von den Neuzugängen, allen voran von Kevin Kampl?

Bei aller Taktik und Spielerentwicklung braucht man am Ende des Tages auch Spieler, die einen Antritt haben und ein offensives eins gegen eins beherrschen und so Kettenreaktionen erzeugen. Kevin Kampl ist genau so ein Spieler, der das kann. Es geht immer um Überzahlsituationen und er hat eine extrem hohe Handlungsschnelligkeit und ist auch in der Lage, unter Druck die optimale Entscheidung zu treffen. Darüber hinaus ist er ein Spieler, der sehr motiviert ist und Verantwortung übernimmt. Er fordert auch in schwierigen Situationen die Bälle und ist dadurch ein wertvoller Spieler. Er lernt auch schnell. Manchen Spielern kann man viele Sachen 20 Mal sagen, ihm nur einmal.


Gibt es neben Valentino Lazaro noch einige Jugendspieler, die Sie diese Saison einbauen wollen?

Das ist unser Ziel. Wir wollen mit guter Ausbildung eigene Spieler in die erste Mannschaft zu bringen. Aber das braucht Zeit und auch ich brauche Zeit, um gewisse Dinge zu überblicken. Lazaro ist ein Toptalent, das wir so gerade noch im Verein halten konnten. Wir haben ihn überzeugt, dass er sich hier optimal weiter entwickeln kann. Es wäre ein schlechtes Zeichen gewesen, wenn er gegangen wäre. Wir wollen alle fördern, die über eine außergewöhnliche Qualität verfügen. Der Weg im Verein muss stimmig sein. Der ganze Verein würde sich freuen, wenn möglichst viele aus dem eigenen Nachwuchs in der ersten Mannschaft spielen würden.


Wir danken für das Gespräch!

.