Ried-Manager Stefan Reiter: 'Die Philosophie niederzuschreiben und irgendwo aufzuhängen wäre ein Fehler'
Stefan Reiter, Manager der SV Ried, gibt im Interview mit 90minuten.at Einblicke in die Kaderplanung und die Saisonziele, erklärt die Philosophie des Europacupstarters sowie das Anforderungsprofil, das Heinz Fuchsbichler erfüllt. Das Interview führte G
Stefan Reiter, Manager der SV Ried, gibt im Interview mit 90minuten.at Einblicke in die Kaderplanung und die Saisonziele, erklärt die Philosophie des Europacupstarters sowie das Anforderungsprofil, das Heinz Fuchsbichler erfüllt.
Das Interview führte Georg Sander
90minuten.at: Herr Reiter, wird es noch Veränderungen geben oder geht man mit dem jetztigen Kader in die Saison?
Stefan Reiter: Die Saison beginnt für uns in drei Bewerben und wir haben versucht, zum Trainingsstart die meisten Spieler bereits unter Vertrag zu haben. Das ist uns fast gelungen. Wir haben aus der letzten Saison noch zwei Spieler, die langzeitverletzt sind. Markus Hammerer wird Ende August, Anfang September einsatzbereit sein, bei Maximilian Karner schaut es schlecht aus für den Herbst. Ivan Carril ist auch noch nicht fit, das bereitet uns Sorgen. Wir hoffen aber, dass er im Juli noch einsatzfähig sein wird. Und dann gibt es noch Gernot Trauner, den wir verletzt gekauft haben. Das ist kein Problem, wir rechnen ab Herbst mit ihm. Sollte es so sein, dass wir noch Handlungsbedarf sehen, dann werden wir noch jemanden verpflichten. Wenn wir aber jetzt jemanden dazu nehmen, dann hat es nur Sinn, wenn er uns auch sofort helfen kann. Er muss im Trainings- und Spielbetrieb tätig sein, dadurch grenzt sich die Auswahl ein.
Kontakte, zum Beispiel in die deutsche Bundesliga, würden derzeit demnach wenig Sinn machen, da die Liga deutlich später startet?
Das ist richtig. Es gibt zwar in alle Richtungen Kontakte, auch in Österreich, aber wir schauen uns einmal den Start an und entscheiden dann, ob wir noch etwas machen.
Wird man noch weitere Kicker verlieren, so wie im vergangenen Jahr? Immerhin kann es ja durch das Pacult'sche „zwei Mal mit dem Hintern wackeln" vor allem durch gute Europacup-Auftritte recht schnell gehen.
Jein, weil man ist vor so etwas in Ried nie gefeit. Die Aufmerksamkeit ist, wenn man Erfolg hat, immer sehr hoch. Wenn wir erfolgreich sind, denken die Leute eben, dass wir wieder einen außergewöhnlichen Spieler haben. Es gibt zwar derzeit weder Kontakte noch das Vorhaben, jemanden abzugeben, aber zwischen Wollen und Müssen ist ein Unterschied. Wenn es für einen Spieler die Möglichkeit gibt, ins Ausland zu wechseln, dann ist das schwer zu verhindern.
Innerhalb der Bundesliga würde man dann auch eine Summe verlangen, bei der man weiß, dass der anfragende Verein nicht mit kann?
Innerhalb der Liga wurde bis jetzt keine Ablöse bezahlt, wahrscheinlich sind keine Budgets da. Das wird in der nächsten Zeit auch so sein. National kann ich mir das nicht vorstellen.
Manchmal beschleicht einen das Gefühl, als „schwierig" bekannte Kicker tun sich in Ried leichter. Was macht die SV anders als die anderen Vereine?
Für den Einen oder Anderen ist es oft die letzte Chance. Bei Daniel Beichler mussten wir handeln, da Royer gegangen war. Wir wählen die Spieler nach sportlichen Kriterien aus, aber auch der Charakter ist wichtig. Von ihm hatten wir in Gesprächen einen guten Eindruck und er hat uns nicht enttäuscht. Er hatte zwar körperliche Defizite, das wusste er und wir haben daran gearbeitet. Mit ihm waren wir zufrieden. Zu Rene Gartler möchte ich mal etwas sagen: Da werden alte Geschichten aufgewärmt, ihm wird etwas angedichtet. Ich kenne kaum einen Menschen oder Profifußballer, der nicht etwas länger im Lokal sitzt und ihn haben sie einmal erwischt. Rene ist ein ganz netter, angenehmer Mensch, der bei Rapid aber das Problem hatte, dass der Druck sehr hoch ist, er bekam auch immer einen „Star" vorgesetzt. Seine Qualitäten sind aber unbestritten und nun ist er zum ersten Mal in der Bundesliga mit einem Fast-Fixplatz ausgestattet und wurde als absoluter Wunschspieler geholt. Zu ihm gibt es eine liebe Geschichte: Vor zwei Wochen gab es schwere Gewitter im Innviertel und unser Büro drohte überschwemmt zu werden. Während wir alle beim Stadion waren und versucht haben, dass zu verhindern, haben wir einen Anruf von der Feuerwehr gekriegt. In einem Wohnviertel sein eines unserer Autos ebenfalls gefährdet. Es war Gartlers Auto und wir sind hingefahren und er stand mit Kübeln und drei Frauen im Keller, half mit – es war seine erste Nacht im Haus gewesen, er kannte sie nicht. Das fand ich beeindruckend.
Kaderplanung im Lichte der Philosophie: Was sind nun die Kriterien, nach denen die Spieler ausgewählt werden? Ergibt sich diese Linie durch die Personen, die im Verein sind oder wird das besprochen?
Bei uns gibt es seit Jahren eine Philosophie. Wir hinterfragen das auch immer. Ried hat sich nach Jahren als Fixabsteiger in der Liga etabliert. Nach dem Abstieg haben wir uns sportlich neu aufgestellt und eine Philosophie erarbeitet.
Fassen Sie die Philosophie bitte kurz zusammen!
Es gibt eine sportliche Konzeption, die im Wesentlichen von mir vorgegeben wird. Die Eckpfeiler sind: Wir sind Rieder, sind aus einer kleinen Stadt bzw. Region. Die wirtschaftliche Kraft ist begrenzt. Wir wollen der Jugend ein Vorbild sein, der eigenen Fußballjugend und der gesamten auch. Wir wollen jungen Spielern eine echte Chance im Profifußball geben. Wir wollen zuhause für Fans und Sponsoren schön und erfolgreichen Fußball spielen, müssen aber nicht Meister werden oder in den Europapokal. Wir möchten, müssen aber nicht. Diese Sachen sind nicht abänderbar. Das sind wir. Das Gerüst wird aus eigenen und fremden Spielern gebaut, mit unserem Personal bis zur medizinischen Abteilung und den Mitarbeitern im Verein. Die Philosophie ergibt sich aus den Gegebenheiten. Wir wissen, dass die Spieler, die wir unserem Augenmerk nach entwickeln und einen Teil ihrer Karriere begleiten, nicht ewig bei uns bleiben. Das ist legitim.
Die Philosophie wird also durch eine Analyse der Vergangenheit und des Status Quo erarbeitet?
Ja, aber die Eckpfeiler können wir nicht ändern. Ried ist eine Stadt mit 12.000 Einwohnern, wir werden in der Region nie einen Zuschauerschnitt von 25.000 erreichen. Das Einzugsgebiet ist mit 500.000 Menschen schon groß, aber es sind je 40 Minuten nach Salzburg und Linz. Wir sind nicht in der Mitte Österreichs und das Gebiet endet eben auch für die Menschen nach wie vor an der Grenze. Wir schauen über die Grenze, haben auch Deutsche im Nachwuchs, weil es solche Ausbildungsstätten wie in Ried bis München eigentlich nicht gibt.
Hat man da auch das Fanbild der Wikinger, das beim ersten Bundesliga-Aufstieg mit Klaus Roitinger in der 90ern entstand, auch bedacht? Ein „kleines Dorf", das durch Österreich reist und aus wenig viel macht?
Nicht unbedingt. Wir wollen ja nicht gegen den österreichischen Fußball kämpfen, sind uns unserer Verantwortung bewusst. Das ist mir wichtig. Der Nachwuchsbereich, der die tragende Säule unseres Vereins ist, wird immer weiter verbessert. Ohne dem würde es keinen Profifußball geben. Wir wollen der Jugend eine echte Chance geben, haben eine duale Ausbildung (Schule und Fußball, Anm.) hinter der wir massivst stehen. In unserem aktuellen Kader sind sehr viele Spieler, die aus unserer Akademie kommen.
Geht sich das Zusammenfassen der Philosophie in drei Wörtern aus? Hängt diese auf Motivationsplakaten an der Wand?
Die ist ja nicht in Stein gemeißelt. Man muss diese auch immer weiterentwickeln. Der größte Fehler wäre es, die Philosophie niederzuschreiben und irgendwo aufzuhängen. Man ist von äußeren Einflüßen abhängig und muss sich anpassen.
Was am Feld passiert, ist der Ausdruck der Philosophie. Wie groß ist der Anteil Paul Gludovatz' an der derzeitigen Philosophie. War seine Verpflichtung der nächste 'Kick', der richtige Mosaikstein zur rechten Zeit?
Man darf nicht vergessen, dass es eine Zeit vor Paul Gludovatz gab. Paul kam ja kurz vor der Saison, die Vorbereitung machten Zellhofer/Schweitzer. Das 3-3-3-1 entstand auch, weil wir einfach nicht die richtigen Spieler für eine Viererkette hatten. Daraus entwickelte sich dieses System, welches eine Fünferkette aufweist. Im Spiel muss man es aber immer anpassen, die Elastizität ist wichtig. Sich mit einem veralterten Systeme mit einer statischen Viererkette und einer zweiten zum Zumachen reinzuschwindeln, wollen wir nicht. Auch unter Gludovatz/Schweitzer konnten wir schon in ein 4-2-3-1 wechseln. Ich kann einem Trainer kein Spielsystem vorschreiben, aber Flexibilität muss her, wenn man mit dem einen System gegen einen Gegner nicht weiterkommt. An dem wurde gearbeitet.
Kommen wir zur Trennung von Paul Gludovatz.
Er hat ein Angebot von Sturm Graz bekommen und ich dachte Anfangs, dass er als Trainer wechselt. Ich war dann überrascht, dass er einerseits als Sportdirektor und andererseits noch unter der Meisterschaft wechseln wollte. Das konnte ich einfacher akzeptieren als als Trainer, da es ja noch Meisterschafts-entscheidende Spiele gab. Wenn einer das Gefühl hat, sich zu verbessern, kann ich ja niemanden zwingen zu bleiben. Das gilt für Spieler und Trainer. Er wollte dorthin. Und es passt zur Philosophie, denn wir wollen auch Trainer entwickeln, haben noch keinen einzigen Trainerstar nach Ried geholt. Die, die gekommen sind, waren nicht so im Fokus wie dann, als sie gegangen sind.
Wie konkret war das Interesse an Gerhard Schweitzer?
Es war Gludovatz' Wunsch ihn mitzunehmen, in welcher Funktion auch immer. Für Schweitzer war das keine Option.
Hat man ihn nach der Saison versucht zu überreden, als Cheftrainer zu arbeiten?
Er hat auch schon vor einigen Jahren ein Angebot als Cheftrainer gekriegt, aber er wollte das nicht. Wir haben Verträge immer sehr spät verhandelt, Gludovatz hatte einen unbefristeten Vertrag, den er zu jedem Monatsletzten kündigen hätte können. Das war sein Wunsch, ist aber ungewöhnlich. Aber Gerhard wollte das nicht. Er ist sehr loyal und das passt auch.
Wie ist man auf Heinz Fuchsbichler gekommen?
Wir haben ein Anforderungsprofil erstellt. Man will bei jedem Punkt so nah wie möglich hinkommen. Ein Beispiel: Akademieerfahrung. Das heißt aber nicht, dass einer dann nicht in Frage kommt, wenn er alle anderen Kriterien erfüllt. Da muss man vorsichtig sein. Aber Erfahrungen in der Akademie sind wichtig, weil wir eben viele junge Spieler haben. Der Cheftrainer muss ein Entwickler sein, eine sehr gute Persönlichkeitsstruktur haben, er darf kein Selbstdarsteller sein. Es darf nicht um ihn gehen, er ist Angestellter des Vereins und es geht immer um den Verein. Des Weiteren muss er fachlich am neuesten Stand und für alle modernen Dinge im Fußball offen sein, auch bei Sportpsychologie, Medienarbeit oder Medizin. Wir müssen das Gefühl haben, dass er sich selbst weiterentwickeln will.
Ist er dann eher der „Manager" im englischen Sinne?
Ein Trainer verbringt nicht so viel Zeit am Platz, ist eher ein Beobachter. Diese Entwicklung kam einfach in den letzten Jahren. Früher haben die Trainer die Hütterl noch selber aufgestellt und der Co-Trainer ist daneben gestanden und hat zugeschaut. Heute hat man ein Team, wir haben vier Trainer plus Physiotherapeuten, die massiv im Training eingebunden sind. Das greift alles ineinander und der Cheftrainer beobachtet alles.
Provokant formuliert: Fuchsbichler beobachtet und steht medial im Vordergrund, Schweitzer/Reiter kümmern sich um das weitertragen der Philosophie?
Herr Schweitzer ist wie Michael Angerschmied Assistenztrainer und sicher auch mehr am Platz tätig. Der Cheftrainer ist verantwortlich für die Trainingsgestaltung, -planung, didaktische Überlegungen, Aufstellungen usw. Das ist ja ganz klar seine Aufgabe. Die Philosophie aber ist ja da, da müssen sich alle unterordnen, auch ich. Es ist ja nicht meine Philosophie, sondern die des Vereins. Sie gibt dem Trainer in Wahrheit aber nichts in seiner Arbeit vor.
Im Endeffekt sollte es also egal sein, wer Sportdirektor, Trainer oder Spieler ist.
Diese Aufgabe habe ich mir gestellt und das muss das Ziel sein. Die Funktionalität ist entscheidend und jeder muss ersetzbar sein.
Was ist sportlich drinnen in der Meisterschaft, im Cup, im Europacup?
Wir haben das Glück, dass wir in drei Bewerben sind. Im Cup ist die Zielsetzung durch die letzten beide Jahre das Finale, sonst brauche ich ja nicht mitspielen. Des Weiteren wollen wir im Europacup Punkte für uns und auch für Österreich holen. Es ist uns aber bewusst, dass in der dritten Runde – wir gehen davon aus, die zweite zu schaffen – ein Riesenkaliber wartet. Das zu schaffen und das Playoff zu erreichen wird sehr schwer, aber wir werden alles versuchen. In der Meisterschaft müssen wir mal schauen. Es hängt nicht vom Tabellenplatz ab, denn in der vorigen Saison waren wir Herbstmeister und wurden dann Sechste – es war aber eine erfolgreiche Saison. Wir wollen wieder erfolgreich spielen und es gibt einen Europacup-Platz mehr, aber der ist für alle Vereine in Reichweite. Innsbruck, Mattersburg werden den auch als heimliche Zielsetzung haben. Es hieß immer „Die großen Vier", jetzt gibt es fünf Plätze und da kann man sich hin orientieren.
Was müsste die SV Ried erreichen, dass Sie sagen: „Alles erreicht!"? Als Meister 20XX?
(Überlegt) Grundsätzlich muss sich der Verein selbst erhalten, die wirtschaftliche Basis muss durch langfristige Vereinbarungen und Sicherheiten auf Jahre und Jahrzehnte gesichert sein. Das ist fast nicht möglich. Ein Ziel wäre, dass wir unser Personal selbst entwickeln können. Das ist auch fast unmöglich, aber man muss sich hohe Ziele stecken um Etappen zu erreichen. Das Schönste wäre, wenn der Kader der SV Ried in zehn, fünfzehn Jahren aus Abgängern der Akademie bestehn würde.
Gebe es vielleicht einen Verein, der so interessant wäre, dass sie es ausprobieren wollen?
Fakt ist: Ich muss noch mindestens 14 Jahre arbeiten, das gibt der Gesetzgeber so vor. Ich mache mir darüber keine Gedanken, fühle mich wohl und kann in Ried sehr gestalterisch tätig sein. Das entspricht meiner Mentalität und meinem Arbeitsstil. Ich bin ein Gestalter und so lange ich gebraucht werde, dann bleibe ich in Ried. Wenn ich meine Leistung nicht bringe, muss ich gehen. Das ist in Ordnung. Für mich zählen Fakten und nicht Spekulationen, denn Fußball ist ein Tagesgeschäft.
Wir danken für das Gespräch!
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