Damir Canadi: 'In der Rückwärtsbewegung sollte die Erholungsphase stattfinden'

Eigentlich wollte FC Lustenau-Coach Damir Canadi gar nicht Fußballtrainer werden. Im Interview mit 90minuten.at erklärt er, warum er es trotzdem geworden ist, seinen Weg zur Dreierkette und was Österreich aus seiner Sicht taktisch falsch macht – darüber h

(c) Georg SanderEigentlich wollte FC Lustenau-Coach Damir Canadi gar nicht Fußballtrainer werden. Im Interview mit 90minuten.at erklärt er, warum er es trotzdem geworden ist, seinen Weg zur Dreierkette und was Österreich aus seiner Sicht taktisch falsch macht – darüber hinaus gibt's noch einige starke Ansagen.


Das Interview führte Georg Sander


90minuten.at: Reden wir zunächst über die Kaderzusammenstellung. War diese besonders schwer, durch das Nichtwissen, ob in der Relegation angetreten wird einerseits und andererseits wegen der schwerwiegenden Vorwürfe?

Damir Canadi: Wir finden sehr wohl Spieler, die zum FC passen würden und auch finanzielle Abstriche machen, um bei uns zu spielen. Es war uns aufgrund der Relegation – wir wussten nicht, ob wir dort sind oder nicht – und aufgrund der besonderen Vorkommnisse nicht förderlich, uns in der sportlichen Situation weiterzuhelfen. Aber ich denke, dass wir es gut geschafft haben, den einen oder anderen Spieler zu verpflichten. Wir haben mit Furkan Aydogdu, Arvedin Terzic und Matthias Hopfer, der leider im Vorbereitungsspiel einen Kreuzbandriss erlitt, schon den Spieler dazu verpflichtet, der uns weiterhelfen kann. Dazu haben wir noch Rene Felix und Cem Tosun bekommen und der Kader wird wachsen.


Haben Sie generell eine Meinung zu den Vorwürfen rund um FC-Präsident Dieter Sperger?

Ich kann meine Meinung kundtun. Bis jetzt habe ich keine Stellungnahme abgegeben, denn es ist ja nicht meine Arbeit. Es war leider so, dass uns ein Vereinsinterner angezeigt hat und der hat nicht damit gerechnet, dass so etwas dabei herauskommt. Aufgrund seiner Jugend hat er sicherlich keine glückliche Entscheidung getroffen, den Verein anzuzeigen.


War das in der Arbeit mit den Spielern bzw. bei den Verpflichtung ein Thema?

Grundsätzlich ist es so, dass es, nach dem Beschluss, dass der LASK keine Lizenz bekommen hat, den Medien sehr in die Karten gespielt hat. Dass es Verzögerungen gab ist von Vereinsseite her sicherlich nicht Ordnung, aber es ist auch nicht unüblich im Fußball, dass die Spieler, die gegangen sind, ein bisschen auf die letzten Auszahlungen warten müssen. Der laufende Betrieb hat statt gefunden und die haben auch ihr Geld gekriegt. Es steht aber auch den Spielern zu, zur Gewerkschaft zu gehen, das ist zu 100 Prozent legitim. Aber es hat dem Herrn Zirngast auch medial gut rein gepasst und hat bei uns sehr viel Unmut und negative Presse eingebracht. Der Verein sollte seine Lehren ziehen.


Zum Sportlichen: Man hat im letzten halben Jahr mit einer Dreierkette gespielt. Bei Ried hieß es, man habe keine Außenverteidiger für eine Viererkette, was waren Ihre Beweggründe?

Ich wollte im Winter auf ein 4-2-3-1 umstellen. Leider haben bei uns die Innenverteidiger nicht funktioniert, deshalb habe ich einen dritten Innenverteidiger reingestellt. Dieses System wird vielleicht nur noch in dem einen oder anderen Spiel angewandt, mittlerweile spielen wir nicht mehr im 3-3-3-1. Ich habe, weil die Vorbereitung im Winter nicht so positiv war, im letzten Vorbereitungsspiel auf dieses System umgestellt und es war davor so, dass wir sehr viele Tore bekommen haben. Wir mussten da den Hebel ansetzen und wir konnten aber auch so in jedem Spiel ein Tor schießen – bis auf im letzten Spiel in Hartberg, wo es notwendig war. Wir haben aber trotzdem nicht immer zu Null gespielt, was ja im Abstiegskampf recht wichtig ist. Für mich war die Umstellung etwas Neues, aber es hat in der Vorbereitung mit einer Viererkette nicht funktioniert. Ich habe mitgelernt, habe mit verschiedensten Systemen spielen lassen und bin auch in verschiedensten im Amateurbereich Meister geworden. Ich lasse das spielen, was die Mannschaft braucht.


Das heißt, der Designerleitspruch „Form follows function" wird tragend?

Im Endeffekt war das 3-3-3-1 nicht unerfolgreich, zum Beispiel im Derby gegen Austria Lustenau. Um drei Tore haben wir den Klassenerhalt verpasst und als ich kam, waren wir fünf Punkte hinter der Vienna und drei hinter Hartberg. Aber es hat auch nicht gereicht. Jetzt haben wir umgestellt und werden uns weiterentwickeln.


Sie wollen aber die Kompaktheit im Mittelfeld, die das bisherige System bietet, auch im 4-2-3-1 beibehalten?

Grundsätzlich ist es so, dass die Balance in beide Richtungen stimmen muss. In welchem System gespielt wird, ist mir im Prinzip egal. Für mich muss die Mannschaft eine gute Balance zwischen Rückwärtsbewegung und Offensive haben. Das System ist für mich dazu da um zu sagen: 'Je besser ich verteidige, desto besser kann ich in der Offensive agieren.' Das ist meine Grundphilosophie. Ob das 3-3-3-1, 4-2-3-1, 4-3-3 oder 4-1-4-1 ist, ist mir vollkommen egal.


Wie hoch ist der Anteil an Taktik in der Defensive und wie hoch der der Technik und der Kondition?

Ein System ist dafür da, um eine Grundordnung in der Aufstellung gibt. In der Rückwärtsbewegung sollte die Erholungsphase stattfinden, damit ich in der Offensive die Energie habe. In Österreich haben wir in der Defensive oft nicht die Erholungs- sondern die Belastungsphase. Ich versuche meine Spieler mit Ordnung, Disziplin und der richtigen Einstellung dahingehend auszubilden, dass wir die Defensive gut ordnen und wenig Energie verbrauchen, damit für die Offensivaktionen die nötige Energie und Kraft haben.


Machen die Österreicher da etwas grundlegend falsch?

Das war immer ein Steckenpferd von mir, als ich vor 12 Jahren mit 30, also relativ jung, Trainer geworden bin. Mich hat es beim Fernsehschauen bei Spitzenmannschaften immer fasziniert, wie diese in der Defensive wenig Aufwand betreiben, um viel in der Offensive zu tun. Das habe ich mit Videoanalysen studiert. Aber das ist nicht alles. Fußball ist so komplex, da kommen noch viele andere Dinge dazu.


Sie meinen, 4-4-2 oder 3-5-2 oder 2-1-7 ist etwas für die Fernsehgraphiker?

Man sieht es in ganz Europa! Wir können es durchgehen. Schauen Sie, wer in den verschiedenen Ligen Meister geworden ist. Wie agiert Borussia Dortmund, Real Madrid, Manchester City oder Juventus Turin – für mich persönlich geht es um Flexibilität. Ich spiele nicht stur ein System. Ich bilde meine Spieler für mehrere aus. Es gibt Verletzungen, es gibt verschieden Gegner, die vielleicht immens stark sind und die Mannschaft muss in verschiedenen Systemen wissen, wie sie agiert. Das ist mir wichtig. Sich auf eines festzulegen und das stur zu spielen ist falsch – das 3-3-3-1 war in der Situation das richtige. Es entscheiden auch Standardsituationen die Spiele, die mit dem System gar nichts zu tun haben, so wie es uns oft passiert ist.


Sie sind nun das erste Mal als Cheftrainer im Profibereich tätig, waren auch in der Bundesliga aktiv. Bei manchen Trainern, die vorher Kicker waren, Stichwort '78 und '98, fragt man sich dann als interessierter Zuseher schon manchmal, was los ist. Talent ist also auch für Trainer wichtig?

Mourinho zeigt es, dass man nicht immer eine große Karriere haben musste, um ein guter Trainer zu sein. Es ist aber beim Einstieg förderlich. Sie können mit einer gewissen Karriere höher einsteigen. Ich habe vor 12, 13 Jahren in der zweiten Landesliga angefangen, dann in der Wiener Liga gearbeitet habe und meine Erfahrungen sammeln konnte. Ich wurde mit jeder Mannschaft außer dem FAC, mit dem ich Zweiter wurde, Meister geworden. Heute bin ich durch die lange Tätigkeit, bei der ich auch viel ausprobieren konnte, viel gelernt.


Würde es ehemaligen Nationalteamkickern nicht schaden, weiter unten – im Erwachsenenbereich – anzufangen?

Das muss jeder für sich entscheiden. Mir hat es nicht geschadet, ich habe es von der Pike auf gelernt und verlor den Job nicht. Ich war auch immer erfolgreich, wurscht, was ich ausprobiert habe. Auf das bin ich stolz. Ich habe mir alles selbst erarbeitet, ich brauch zu keinem Menschen „Danke!" sagen.


Wie sind Sie Trainer geworden?

Ich will dazu sagen, dass ich gar nicht Trainer werden wollte. Ich stand kurz vor einer Hüftoperation, wollte nicht mehr spielen. Dann ist ein Obmann zu mir nach Hause gekommen und hat mich überredet, bei ihm zu spielen. Er hat mir ein Angebot als Spielertrainer gemacht, bei dem ich nicht nein sagen konnte und ich habe zugestimmt. Eigentlich wollte ich Physiotherapeut werden. Dann bin ich rein geschlittert, habe bei meiner ersten Trainerstation gleich sechs Mal verloren. Das hat mich erst gierig gemacht, weil ich nicht verlieren kann.


Was ist das Trainertalent?

Das muss sich jeder erarbeiten. Für mich heißt es, authentisch zu sein. Aber was gehört dazu? Wissen, Offenheit, Taktik – das beurteilt jeder Präsident anders.

 

Wir danken für das Gespräch!

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