Alfred Tatar: 'Das ist eine Verseuchung durch die Playstation'

Wenn es etwas gibt, was Vienna-Trainer Alfred Tatar im 90minuten.at-Gespräch nicht getan hat, ist es, sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Er spricht über die Zusammenstellung des neuen Kaders, erklärt den Unterschied zwischen Profi- und Spieleralter un

Wenn es etwas gibt, was Vienna-Trainer Alfred Tatar im 90minuten.at-Gespräch nicht getan hat, ist es, sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Er spricht über die Zusammenstellung des neuen Kaders, erklärt den Unterschied zwischen Profi- und Spieleralter und meint, dass die Playstation daran schuld ist, dass alle glauben, Barcelona sein zu müssen. Denn Catenaccio sei auch schön…

Das Gespräch führte Georg Sander

alfred_tatar_firstviennafc90minuten.at: Im Endeffekt wurde der gesamte Kader abgegeben. Beschreiben Sie die Vorgängen bei der Kaderzusammenstellung und warum dies notwendig war!

Alfred Tatar: Die Gründe für diese Restrukturierung sind vielfältig. Bei einigen Spielern hatte die Trennung sportliche Gründe, manchen Spielern haben wir Verträge für die neue Saison angeboten, wie z.B. Marcel Toth, die aber nicht angenommen wurden. Marco Salvatore bekam ein gutes Angebot aus Horn und ist eben dorthin gegangen, weil er dort finanziell besser dasteht. Wir mussten den Kader also neu zusammenstellen und legten das Hauptaugenmerk auf Spieler, die von ihrem Grundnaturell zu uns passen. Offene, erfolgsorientierte Spieler, die etwas erreichen wollen, die Ziele haben und die Erreichung dieser Ziele auch mit vollem Einsatz anstreben. Die aktuelle Mischung ist interessant.

Im Tor haben wir mit Thomas Mandl einen Spieler, der schon sehr routiniert ist, verglichen mit seinem Vorgänger Thomas Dau. In der Verteidigung steht Ernst Dospel als Kapitän für Routine, Andreas Dober ist kein Unbekannter, Markus Speiser hat in der Ersten Liga schon viele Spiele gemacht und auch Andrei Lebedev ist trotz seines jungen biologischen Alters von 21 bereits ein solider und erfahrener Spieler.

Auch im Mittelfeld gibt es eine gute Mischung. Jochen Fallmann ist der Leitwolf, dann gibt es den jungen Jasmin Fejzic von den Amateuren, Mirnes Becirovic, der in St. Pölten viele Spiele gemacht hat, den schnellen Mathias Perktold und Lukas Hinterseer, der bei Lustenau Spielpraxis in der Ersten Liga gesammelt hat. Dazu Mesut Dogan, der große technische Fähigkeiten hat. Vorne haben wir Markus Pink, der in seinen ersten beiden Pflichtspielen gleich drei Mal getroffen hat. Ich glaube, dass es eine sehr spannende Mannschaft ist, die uns noch einiges an Freude bereiten wird.

 

War es wichtig, weil man ja bis zum Sommer immer gegen den Abstieg spielte, einmal aufzuräumen und Spieler, die schon sehr auf den Abstiegskampf eingestellt sind, austauscht und neue holt? Spieler, die unbefangen sind?

Das kommt noch dazu, diesen Rucksack haben wir nicht mehr. Viele haben den fast drei Jahre mit sich herum getragen, jetzt ist er entsorgt. Ich hoffe, dass es in dieser Saison in eine andere Richtung geht, nicht wieder gegen den Abstieg.

 

Wie schwierig ist es bei einem neu zusammengewürfelten Team, die Ideen umzusetzen?

Es müssen sich beide Seiten dran gewöhnen: Die Spieler an die Trainer, die Trainer an die Spieler. Man muss sehen, wo die Stärken und wo die Schwächen sind und die Spieler dann dementsprechend einsetzen. Die Frage des Teambuilding ist eine alte, aber immer wieder neu zu lösende.

 

Walter Schachner ging immer in den Klettergarten.

Es gibt vier Phasen, wie sich ein Team bildet. Zuerst wird es zusammengestellt, man beginnt zu arbeiten. Dann kommt es zu Problemen und erst danach kommt die wirkliche Arbeitsphase. Forming, storming, norming und performing, im Fachjargon. Wir sind gerade in der Phase, in der wir uns kennenlernen, in der wir die Stormingphase überwinden und uns hoffentlich schnell in die Arbeitsphase weiterentwickeln.

 


Hat man deshalb auch die routinierten Spieler geholt? St. Pölten hat sich, zum Teil zu Gunsten der Vienna, verjüngt.

Ohne Erfahrung geht es gar nicht. Aber ich denke, man muss zwischen Alter und Spielalter unterscheiden. Ein Sadovic ist kein junger Spieler, Popp oder Rödl auch nicht. Die sind reich an Erfahrung, spielen wie Sadovic seit sechs, sieben Jahren auf diesem Niveau. Das heißt, man muss berücksichtigen, ob es das biologische oder Profialter ist. Ohne Profialter wird es nicht gehen.

St. Pölten ist – auch was das biologische Alter vieler Spieler angeht – insofern besser aufgestellt, weil sie eine Akademie haben, die Jahr für Jahr Spieler raus bringt. Das haben wir nicht. Wir müssen uns anders orientieren, da wir mit unserem Nachwuchs von der Kapazität her nicht wie Rapid, Austria oder auch St. Pölten arbeiten können.

Um also Spieler zu bekommen, die uns weiterbringen, die uns helfen können, muss man zum einen Argumente haben, zum anderen Geld. Von letzterem haben wir aber nicht so viel, also müssen wir Argumente bringen, die jenseits von Geld sind.

 

alfred_tatar2_firstviennafcWenn man wie bisher gegen den Abstieg spielt, muss man als Trainer zu Mitteln greifen, die nicht die schönsten sind. Nun soll es in eine gestalterischere Richtung gehen. Entspricht ihr Spiel mit einem Sechser, zwei Spielgestaltern und starken Außenbahnen nun ihren Vorstellungen? Würden Sie so überall spielen lassen? Ist das Ihre Trainerphilosophie?

Trainerphilosophie ist ein hochtrabendes Wort. Es werden immer die gefragt, die gerade Erfolg haben. Die haben die Philosophie, die die richtige ist, denn die Sieger haben immer recht. Meine Philosophie – unter Anführungszeichen – orientiert sich an meinen eigenen Möglichkeiten und gegen wen ich antrete. Das ist unabhängig von der Frage nach einem 4-3-3 oder 4-4-2. Die Systemfrage wird teilweise zu hoch bewertet. Entscheidender ist die Spielanlage und die Art, wie die Spieler sie umsetzen.

Ich will körperbetontes, druckvolles Spiel. Druckvoll heißt schnörkellos mit wenigen Berührungen, Strafraumsituationen erzwingen. Ein Herumgeschiebe wie bei Barcelona wird es nicht geben, weil wir die Spieler nicht haben und weil das nur Barcelona kann. Daher werden wir uns daran nicht orientieren.

 

Trainiert man dann auch so, dass man Kreativspielern sagt: "Du kannst sieben Übersteiger, du machst aber maximal einen!"?

Nein, das geht nicht, das ist eine oberflächliche Form der Ansicht von Fußball. Ich bin froh, wenn wir ein gutes Passspiel haben. Ich brauch keine Schnörkel oder Übersteiger. Wenn wir die Grundelemente des Fußballs – Ballannahme, Ballmitnahme und Zuspiel – im Griff haben, bin ich schon sehr zufrieden. Wenn wer mehr kann und das innerhalb meiner Vorgaben umzusetzen vermag – gut.

 

Stichwort Trainerphilosophie: „Moderne Trainer“ - Was macht diese ihrer Ansicht nach aus?

Gewinnen. Das ist ein rückbezüglicher Kreislauf, die Henne und das Ei.



„In der Öffentlichkeit gilt: The winner takes it all."

 

Es ist also wurscht, wie man spielt?

In der Öffentlichkeit gilt: The winner takes it all. Wer interessiert sich für die Sechst- oder Viertplatzierten? Kennen Sie Trainer Leonid Slutsky? Wenn ich alle User, die das lesen, frage, wissen das 99 Prozent nicht, ohne nachzuschauen. Er ist aktueller Trainer von ZSKA Moskau und war im Viertelfinale der Champions League. Warum redet niemand über ihn?

 

Wobei man sagen muss, dass die Russen immer eine gewisse Stärke hatten. Sie waren in den letzten 20 Jahren immer über Österreich, aber nicht dort, wo die bekannten Größen waren.

Reden wir über moderne Trainer, reden wir über Guardiola, Wenger, Löw, Del Bosque – aber ist Slutsky kein moderner Trainer? Interessiert sich niemand dafür, wie Luciano Spalletti bei Zenit St. Petersburg spielen lässt? Sind das keine modernen Trainer? Das ist eine gelenkte Aufmerksamkeitszentrierung, immer auf dieselben Leute hin, etwa Mourinho. Es gibt so viele Trainer, die gut arbeiten und Erfolge haben, aber für die interessiert sich niemand. Also, was ist ein moderner Trainer? Der, der ganz oben am Podest steht.

 

Aber bei Chelsea fragte sich auch Jedermann: „Und das soll der moderne Fußball sein?“

Das ist eine Verseuchung durch die Playstation. Da stellt man sich Mannschaften zusammen und spielt wie Barcelona dahin. Man übersieht dabei, dass es viele Wege im Fußball gibt. Ein Catenaccio italienischer Prägung – ich sage das jetzt bewusst provokant – kann etwas Geiles zum Anschauen sein. Im Fußball gibt es genau zwei Ziele: Tore erzielen und Tore verhindern. Diese zwei Ziele sind gleichberechtigt, alles andere ist Beiwerk. Wir staunen immer nur darüber, wie Tore erzielt werden – aber das ist nur ein Teil.

 

Heißt das, dass es letztlich auch egal ist, wie der Trainer im Training arbeitet? Manche Coaches haben ja einen großen Betreuerstab.

Es ist so, dass die Spieler, die schon viele Profijahre am Buckel haben, schon viel erlebt haben, viel mit Routine machen. Das Einwirken des Trainers wird viel zu hoch bewertet. Die Spieler haben sich schon oft genug selbst organisiert.

Leopold Stastny hat völlig recht gehabt, als er vor langer Zeit sagte: „Wenn du Erfolg hast, kannst du sagen 'Im Orsch is' finster und alle wer'n dir zujubeln'. Um zu Erfolg zu kommen gibt es viele Wege und viele Interpretationen dieser Wege. Die Leistung des Trainers ist nicht das Entscheidende, die Spieler sind es.

 

Braucht man das Rundherum, braucht ein Team mehr als einen Trainer, Co-Trainer, Torwarttrainer und Masseur? Wie groß muss das Team sein?

Das ist eine Frage der finanziellen Möglichkeiten. Hat der Verein kein Geld, wird der Trainer seine Wünsche nicht unterbringen. Es ist so, dass große Vereine viele Betreuer haben. Bei Lok Moskau hatten wir 14, 15 Betreuer. Das Kriterium ist ein anderes: Ob die Spieler das, was man sich vorstellt, auch umsetzen können. Und ob die Spieler eine gewisse Hungrigkeit an den Tag legen.

Die Kaderzusammenstellung ist der Meisterbrief des Trainers, nicht die Arbeit auf dem Platz. Die Spieler wissen in einer Vorbereitung, wie gearbeitet werden muss. Das ist Routine. Und während der Spielperiode ergibt sich sowieso eine klare Struktur aus dem Spielplan heraus.

Große Erfindungen gibt es im Fußball nur mehr ganz selten. Die Zusammensetzung des Kaders und eine bestimmte Ausstrahlung, das Charisma, sind es, die besondere Trainer ausmachen. Diese Eigenschaft bewirkt, dass die Spieler auch dann an den Trainer glauben, wenn es einmal nicht läuft. Das zeichnet eine Mannschaft aus, die dann erfolgreich ist.

Gewinnt ein Team über einen längeren Zeitraum, kommt doch immer wieder eine Phase, in der man nicht gewinnt. Dann ist es die Frage, ob ein Team dem Trainer folgt. Solche Phasen muss man gemeinsam überwinden.


 

Sie wirken öfters sehr philosophisch.

Coaching beim Spiel ist eine gewisse nervliche Anspannung. Man hat der Mannschaft einen Spielplan mitgegeben und muss immer schauen, wie es läuft, um später Output zusammenzubringen. Sprich, kurzfristig etwas zu ändern. Ich denke, dass der Einfluss des Trainers in diesem Zusammenhang eher gering ist.

Wenn dann kann man in der Halbzeitpause etwas korrigieren, aber ich habe selten erlebt, dass Mannschaften, die zur Pause 0:1 hinten liegen, das Spiel noch drehen. Zu einem hohen Prozentsatz verliert der Pausenführende nicht.

Ob du also draußen stehst und wild gestikulierst oder mit verschränkten Händen stehst oder auf einer anderen Ebene schwebst, ist völlig nebensächlich. Die Spieler sind in ihrem Tunnel. In dem Moment, wenn der Schiedsrichter anpfeift, sind die Spieler verantwortlich.

Die Zuschauer gehen ins Stadion wegen der Spieler, nicht wegen der Trainer. Die Künstler sind die Spieler, sie sind verantwortlich und interpretieren, was der Trainer sich ausgedacht hat. Die Mannschaft ist der Dirigent, in der Coachingzone steht die Partitur.

 

Wir danken für das Gespräch!

Bilder: First Vienna FC

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