Thomas Silberberger: "Die 2. Liga ist eigentlich eine Geldvernichtungsliga" [Exklusiv-Interview]
Seit 2013 ist Thomas Silberberger für die sportlichen Geschicke der WSG Tirol verantwortlich. Im Exklusiv-Interview mit 90minuten.at erklärt er ausführlich, wie sich der finanziell schmal aufgestellte Klub auf dem Transfermarkt bewegt - und warum es eigentlich einen Investor braucht, um nachhaltig zu arbeiten.
Man fängt im Sommer mit Spielphilosophie und -idee eigentlich immer bei null an.
Wirtschaftlich ist es zwar in Tirol schwierig, aber alle Wintersportler haben den Schriftzug Tirol am Kragen oder Helm – die Sommersportarten werden vom Land mehr oder weniger stiefmütterlich behandelt.
Die Punkteteilung ist ein Brandbeschleuniger für Vereine wie uns. Ich gehe jetzt davon aus, dass das mittlerweile viele Vereine so sehen.
+ + 90minuten.at PLUS - Das Gespräch führte Georg Sohler + +
Als Thomas Silberberger im Juli 2013 seinen Job bei der damals noch WSG Wattens antrat, war die Welt noch eine ganz andere und somit auch Fußballösterreich. Die Wattener kickten in der Regionalliga, Marcel Koller war Fußballteamchef, der Meister hieß Austria Wien und die Champions League kannte Red Bull Salzburg nur vom Hörensagen. Silberberger fürhte die WSG nach 15 Jahren wieder zurück in die zweithöchste Spielstufe und schaffte zur Saison 2019/20 den Bundesliga-Aufstieg.
2020/21 trat der Klub sensationell in der Meistergruppe an. Ein besonderes Asset des kleinen Vereins ist die Spielerentwickung. Nemanja Celic, Leon Klassen, Kelvin Yeboah und Nik Prelec wurden verkauft, die beiden letzteren um siebenstellige Beträge. Andere Geliehene, wie etwa Nikolai Baden Frederiksen oder Giacomo Vrioni, entwickelten sich prächtig. Was viele eint, sind schwierige Lebensläufe. Wer aber bei der WSG Tirol nicht funktioniert, wird es kaum woanders tun. Und weil das Budget klein ist, ist der Trainer Jahr für Jahr darauf angewiesen, wieder bei quasi Null anzufangen. Das, so Silberberger im 90minuten.at-Interview, werde sich auch nur ändern, wenn ein Investor das Stadion in Wattens inklusive moderner Infrastruktur wie Trainingspläzte und vor allem eine Akademie ermöglicht. Sonst sieht die Zukunft finster aus.
90minuten.at: Herr Silberberger. Wir haben redaktionsintern überlegt, ob wir mit Ihnen sprechen. Einerseits haben wir das schon seit 2021 nicht gemacht, andererseits war die Frage, ob sich bei Ihnen und der WSG Tirol genug Neues tut. Was hat sich denn getan?
Thomas Silberberger: Von den Spielern her haben wir aber fast jedes Jahr eine neue Mannschaft. Der Trainer ist noch immer derselbe, das ist ein Alleinstellungsmerkmal und passiert nicht so oft – in Österreich sowieso nicht.
90minuten.at: Das Gespräch erschien damals auch als Podcast, der Titel dort „Überraschend erfolgreicher Wattener Wenger“. Arsène Wenger war fast zweieinhalb Jahrzehnte Trainer der Gunners, da fehlt Ihnen noch immer ein bisschen. Wie oft hat der Trainerstuhl in den letzten Jahren gewackelt, wie oft vom Verein aus, wie oft von Ihnen aus?
Silberberger: Also von mir weiß ich, dass das nie der Fall war, weil ich hier gestalten und mich entfalten kann. Es ist eh schon x-Mal geschrieben worden: Wir sind von der Regional- in die Bundesliga gekommen, sind das fünfte Jahr ganz oben mit dabei. Wenn es Überlegungen von Vereinsseite her gegeben hätte, wüsste ich es auch. Wir haben sehr kurze Wege, vom Präsidium über den sportlichen Leiter bis zu mir.
90minuten.at: Damals meinten Sie, wenn Sie gehen, dann nach Amerika. Wie geht’s dem Wunschziel „Leben in Amerika“?
Silberberger: Ich müsste mir ein Management suchen, das mir ermöglicht, in den USA zu arbeiten. Das habe ich bis dato nicht gemacht, weil ich eigentlich sehr ausgelastet und zufrieden bin. Am Ende des Tages bleibt es ein Ziel, es ist aber nicht zwingend an einen Job gebunden. Es kann auch nach meiner Karriere im Fußball sein. Ich finde das Land, seit ich ein Kind bin, einfach genial.
90minuten.at: Wie funktioniert das Werkeln ohne Manager eigentlich?
Silberberger: (lacht) Ich habe hier einen Vertrag und biete mich nirgends an. Das wird medial von Managern geschürt – und weil ich keinen habe, wird man das von mir auch nicht lesen. Bis jetzt habe eben keinen gebraucht. Wenn man sich verändern will, dann braucht es aber einen. Weil, wann gibt es Trainerwechsel? Während der Saison. Und ich bin eigentlich seit dem Beginn meiner Trainerlaufbahn 2007 in Kufstein nie am Markt. Also müsste schon etwas passieren, wie vor elf Jahren, also sich die WSG entschieden hat, mich aus einem laufenden Vertrag raus zu kaufen.
90minuten.at: Aber fehlt Ihnen dieses Wissen von der Zusammenarbeit mit einem Manager nicht bei Gesprächen mit Spielern, um sie von einem Transfer zu überzeugen?
Silberberger: Stefan Köck und ich machen viel gemeinsam, er ist zudem sehr gut vernetzt. Wir haben dann immer Wunschspieler 1, 2 und 3. Darüber hinaus werden auch sehr viele Spieler angeboten. Ein Neuzugang muss allerdings in unseren Budgetrahmen hineinpassen. Damit er das tut, muss er eine Vorgeschichte haben. Wir würden einen Luca Kronberger beispielsweise nie bekommen, wenn er bei Sturm durch die Decke gegangen wäre. Er hatte dann eine schlechte Zeit bei der SV Ried. Bevor so ein Spieler zu uns kommt, muss also irgendwas massiv schiefgegangen sein. Unsere Aufgabe ist es, diese, die bei ihrer vorangegangenen Station keine Rolle spielten, so hinzubekommen, dass sie wichtige Spieler sind. Wenn sich Kronberger oder alle anderen Leihspieler bei uns auch nicht durchsetzen, wird es für die Kicker selbst schwierig. Es gibt schon einige Beispiele. Etwa Nemanja Celic, der bei uns überragend funktioniert hat, seitdem ist es überschaubar. David Schnegg war super bei uns, hatte eine schwierige Zeit in Italien und ist jetzt Nationalspieler. Valentino Müller wäre auch ein positives Beispiel. Wir müssen eben mit jenen arbeiten, die einen Karriereknick hatten, den wir bestmöglich ausbügeln. Das ist unsere Hauptchallenge, weil wir wären in akuten Nöten, wenn wir das nicht schaffen. Es gibt wenige Ausnahmen, die bei uns nicht funktioniert haben.
90minuten.at: Die Fluktuation ist dadurch aber eben groß.
Silberberger: Man fängt im Sommer mit Spielphilosophie und -idee eigentlich immer bei null an. Darum ist es für uns schwierig, etwas jahrelang zu entwickeln. Das liegt eben einerseits an den Leihgeschäften, andererseits daran, dass die, die bei uns sehr gut sind, für andere Klubs interessant sind – um eine überschaubare Ablöse. Aber das ist unser Weg und ich glaube auch, dass ich deshalb als Langzeittrainer funktioniere. Im vergangenen Sommer mussten wir wieder sechs Stammspieler integrieren, es war dieses Jahr etwas zäher als erwartet. Manchmal ist es eben einfacher, manchmal schwieriger.
90minuten.at: Jetzt will natürlich jeder Verein eine Nachwuchsakademie, wo schon im Nachwuchs der Stil der Kampfmannschaft geübt wird. Wie weit ist die WSG davon aktuell entfernt?
Silberberger: Zunächst: Die Tiroler Akademie ist fest in Händen des Landesverbands und verfolgt andere Ziele als wir. Sie bilden aus, wir müssen in der Bundesliga bestehen. Man muss sich nur unser Budget ansehen, da sprechen wir von maximal 4,4 Millionen Euro. Um da noch eine Million für eine Akademie herauszubekommen, müsste man eigentlich zaubern. Und solange wir diese zusätzliche Million nicht haben... Wir sollten auch dringend das Gernot-Langes-Stadion renovieren. Fakt ist: Wenn wir uns auf Sicht nicht für einen Investor oder strategischen Partner öffnen, werden wir so weiter arbeiten wie jetzt. Wenn wir da einen finden, der sich über Jahre committet, Millionen zuzuschießen, wäre mein Ablauf: Akademie, Stadion in Wattens, Investitionen in die Kampfmannschaft.
90minuten.at: Wobei der Stadionumbau in Wattens, soweit ich weiß, in erster Linie an der Gemeinde scheitert.
Silberberger: An den Anrainern und in weiterer Folge an der Finanzierung. Das Land Tirol will ja auch, dass am Tivoli etwas passiert. Beim FC Wacker dauert es minimum vier Jahre, bis sie wieder im bezahlten Fußball sind. Also sind sie dort darauf bedacht, dass das Stadion bespielt wird. Mir wäre es lieber, im Gernot-Langes-Stadion zu spielen. Die Erfolge mit Regionalliga- und Bundesliga-Aufstieg waren der Heimstärke geschuldet. Als wir in der 2. Liga Meister wurden, haben wir von 15 Heimspielen 13 gewonnen. In der Regionalliga haben wir kein einziges verloren. Mit dem Aufstieg ging der Heimvorteil mit einem Schlag verloren.
90minuten.at: Im Herbst haben Sie schon wachgerüttelt, dass es so in Wattens eigentlich nicht weitergehen kann. Wie nah wären Sie an einem Investor bzw. strategischem Partner dran
Silberberger: Wir waren in Gesprächen mit einem Interessenten. Die wollten die 100-Prozent-Kontrolle, und die würden wir nie hergeben. Wenn man ausländische Investoren aber als Sponsoren sieht, wird es eben schwierig. Bei uns hätte man gleich in der Bundesliga andocken können, aber die WSG ist – Gott sei Dank – nicht dazu bereit, die gesamte Kontrolle abzugeben. Ich weiß aus vertraulicher Quelle auch, dass dieser Investor bei zwei anderen Bundesligisten angeklopft hat und überall diese, unsere Antwort bekommen hat.
90minuten.at: Das Interesse von Politik und Industrie gilt ja gerade in Tirol eher dem Wintersport.
Silberberger: Wir titulieren uns ja als Sportland Tirol, das ist im Sommersport extrem wenig sichtbar. Ich blicke neidisch nach Vorarlberg, mit zwei Bundes- und zwei Zweitligisten. Wirtschaftlich ist es zwar in Tirol schwierig, aber alle Wintersportler haben den Schriftzug Tirol am Kragen oder Helm – die Sommersportarten werden vom Land mehr oder weniger stiefmütterlich behandelt. Die Volleyballer führen ein ähnliches Schattendasein wie wir. Der Fußball liegt seit 20 Jahren brach, den Handballern geht es aktuell ein bisschen besser. Bei uns zählen nur Kitzbühel und das Bergiselspringen.
90minuten.at: Es gibt ja Belege, wie sehr eine Region von einem Fußballklub profitieren kann. Ewig wird man eben nicht vor 2.000 Menschen am Tivoli spielen können.
Silberberger: Ich beneide Blau-Weiß Linz, das habe ich schon öfters gesagt, auch gegenüber deren Trainer. Was dort auf die Beine gestellt wurde, ist sensationell: Mit dem neuen Stadion ist der Zuschauer:innenschnitt von 1.000 auf 4.500 gestiegen. Diese Kraft hätten wir schon auch, aber es muss einmal etwas passieren. Nur ein renoviertes Gernot-Langes-Stadion wird uns den Zuschauer:innenschnitt auch nicht verdoppeln oder -dreifachen. Wenn wir aber ein Stadion für 5.000 Fans hinbauen, kommen dauerhaft über 4.000 Menschen. Und das würde uns und das Land Tirol zufriedenstellen.
90minuten.at: Grödig ging 2016 nach dem Abstieg direkt in die Regionalliga. Ein denkbares Szenario, wenn nichts von dem Erwähnten eintritt?
Silberberger: Das glaube ich schon. Die 2. Liga in dieser Konstellation mit Semiprofitum und 16 Vereinen ist eigentlich eine Geldvernichtungsliga. Da stellt sich dann die Frage, ob wir uns das antun oder nicht und ob wir einen gesunden Verein haben wollen. Drei, vier Jahre 2. Liga tut keinem Verein gut. Ich denke nicht, dass einige Vereine großartig glücklich sind und sehr wohl finanzielle Schwierigkeiten haben, den Spielbetrieb aufrecht zu halten. Wesentlich leichter ist das in der Regionalliga. Über solche Themen denken wir natürlich nach. Da braucht man sich nur ansehen, wer in der zweiten Leistungsstufe ist. GAK, Ried, St. Pölten, Admira - die brauchen im Endeffekt das gleiche Budget, das wir in der Bundesliga haben – ohne Fernsehgeld. Ich wüsste nicht, wo wir das Geld auftreiben sollten, so wieder einen Angriff auf die Bundesliga zu starten. Man bekommt schon eineinhalb, zwei Millionen zusammen, aber damit spielt man nur irgendwo mit, kann aber nicht oben andocken.
90minuten.at: Wie sehr hat Sie die Möglichkeit, zu Saisonende vielleicht in die Regionalliga zu müssen, im Herbst beschäftigt?
Silberberger: Ich weiß, dass das über uns schwebt. Für Spieler ist das kein Problem, die ziehen weiter. Im Endeffekt geht es um den Sportdirektor, die Angestellten in der Geschäftsstelle und mich. Aber unsere Mitarbeiter werden schon in anderen Wirtschaftszweigen unterkommen, weil sie sehr gute zuverlässige Arbeiter sind. Das sind aber keine 30 Leute, sondern maximal zehn.
90minuten.at: Kommunizieren Sie das auch gegenüber Spielern?
Silberberger: Ja, klar! Über das Thema sprechen wir relativ oft. Wir sagen: Euch Spielern ist es ja wurscht, ihr zieht weiter. Ich glaube schon, dass der Großteil der Spieler checkt, worum es geht.
90minuten.at: Was die ganze Sache komplizierter macht, ist die umstrittene Punkteteilung nach 22 Runden.
Silberberger: Dieses Thema haben wir schon lange. Die Punkteteilung ist ein Brandbeschleuniger für Vereine wie uns. Ich gehe jetzt davon aus, dass das mittlerweile viele Vereine so sehen. Vielleicht können wir dieses Jahr bei Altach und Blau-Weiß andocken, aber es ist in die andere Richtung gefährlich. Bis jetzt waren wir dadurch immer benachteiligt.
90minuten.at: Welche Parameter sprechen nun dafür, dass sie noch mehr Raum zwischen die WSG und Lustenau bringen?
Silberberger: Unser größtes Problem waren die Ausfälle im Mittelfeld mit Bror Blume und Valentino Müller. Sie sind wichtig für unseren Fußball, sie kommen jetzt zurück wie zwei Neuverpflichtungen. Darum glaube ich, dass das Werk'l langsame wieder rennen wird. Das hat man an den letzten Spieltagen schon gesehen. Da hatten wir eher eine Ergebniskrise. Klagenfurt hat einmal auf's Tor geschossen und gewonnen. Gegen den LASK und Rapid war es extrem knapp, wir hatten viele Chancen. Von den Statistiken her waren wir in allen sechs Spielen vor der Pause auf Augenhöhe. Altach und Blau-Weiß konnten wir schlagen, da können wir andocken.
90minuten.at: Lustenau, WAC, Sturm, Hartberg, Austria Wien – da wird sich die Spreu schnell vom Weizen trennen.
Silberberger: Ein Sieg gegen Lustenau zum Frühjahrsauftakt wäre sehr wichtig. Es ist ja unser Ziel, den Vorsprung auf die Austria auszubauen und den Rückstand auf Blau-Weiß und Altach zu verkürzen. Aber alle Mannschaften haben ein ähnlich schweres Programm mit direkten Duellen und Spielen gegen Teams aus der Meistergruppe. Wenn wir das schaffen, ist es ein Vierkampf gegen den Abstieg. Es macht eine Spur leichter, wenn mehr beteiligt sind.
90minuten.at: Wird aber dennoch ein intensives Frühjahr, weil ja viele Verträge auslaufen. Anscheinend haben nur drei Spieler einen Vertrag über den Sommer hinaus.
Silberberger: Stefan Köck macht das schon ganz gut, welche Vertragslaufzeiten er bekannt gibt. Es sind also schon mehr. Wir werden aber bei Ligaerhalt schon wieder eine komplett neue Mannschaft sehen. Wenn man bei einem 25 Mann-Kader 12-15 neue Spieler kommen, ist das wieder ein großer Umbruch und es stellt sich erneut die Frage, wie schnell sie funktionieren.
90minuten.at: Wobei man das ohnehin als Stärke sehen muss, sich mit den vorher genannten Parametern am Transfermarkt zu bewegen?
Silberberger: Wir haben uns einen super Namen gemacht. Diese Treffer weiterhin zu landen, bleibt eine Herausforderung.