Ralf Rangnick bestätigt: "Der FC Bayern hat mich kontaktiert"

Ralf Rangnick bestätigt: "Der FC Bayern hat mich kontaktiert"

Im Exklusiv-Interview mit 90minuten.at bestätigt ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick die Kontaktaufnahme durch den FC Bayern München. Ob er dem ÖFB über die Euro 2024 hinaus erhalten bleibt, ist vollkommen offen. Dazu spricht er über seine Verantwortung als Nationaltrainer, Rückschlüsse aus dem Rapid-Homophobie-Skandal, Pläne für den ÖFB, "Fußball-Beamte" und Teamspieler, die bei der Taktik mitreden.

In dem Moment, wo die Bayern sagen würden: Wir wollen Sie. Und dann muss ich mich fragen: Will ich das überhaupt?

Ralf Rangnick

Gegen Italien hatten wir anfangs keine Zugriff. David kam dann raus und sagte: Trainer, so kriegen wir sie nicht. Wir sagten: Ja, aber das liegt da und da dran. Den Einfluss von Trainern darf man nicht überbewerten, aber auch nicht unterschätzen.

Ralf Rangnick

Ich kann nur Möglichkeiten aufzeigen, die Umsetzung sehe ich nicht als meine Aufgabe. Es muss erlaubt sein, darüber nachzudenken: Dürfen im Verband nicht auch Trainer tätig sein, die bei einem Klub Cheftrainer sind? Macht man das nicht, produziert man Fußball-Beamte.

Ralf Rangnick

++ 90minuten.at PLUS – ein Exklusiv-Interview von Michael Fiala und Gerald Gossmann ++

 

Ralf Rangnick, 65, sitzt entspannt in der Lobby eines Wiener Nobelhotels. Er bestellt eine Tasse Tee und wirkt gut gelaunt. Dabei sind es turbulente Tage für ihn – jedenfalls hinter den Kulissen. Vor wenigen Tagen waren es bloß Gerüchte, nun gibt es eine offizielle Bestätigung: „Es gab eine Kontaktaufnahme von Bayern München“, bestätigt Ralf Rangnick im Exklusiv-Interview mit 90minuten.at. Im schwarzen Langarmshirt sitzt Rangnick in einem feudalen Sessel, nippt an seiner Tasse Tee, er wirkt wach, konzentriert, immer Körperspannung. Das Interview, das bereits Anfang März vereinbart wurde und durch die aktuellen Berichte rund um den FC Bayern besondere Brisanz bekommen hat, handelt von der Zukunft Rangnicks – aber vielmehr noch von jener des österreichischen Fußballs.

 

90minuten: Das Nationalteam hat zuletzt Kaliber wie Italien oder Deutschland geschlagen. Und dabei offensiv und begeisternd agiert. Wie erklären Sie den Aufschwung?

Ralf Rangnick: Für mich ist das nicht überraschend. Das haben wir uns vorgenommen. Wir gehen die Spiele jetzt anders an. Gegen Frankreich oder Holland sagen wir nicht: Oh, da müssen wir vorsichtiger agieren.

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90minuten.at: Vor ihrer Zeit als Teamchef hieß es von ÖFB-Verantwortlichen: Hohes Pressing ist im Nationalteam nicht umzusetzen. Jetzt klappt es doch.

Rangnick: Diese Vermutung, die damals geäußert wurde, hat für mich keine logische Basis. Warum sollte das so sein? Natürlich geht es. Ich habe deutlich weniger Zeit. Aber den anderen Mannschaften geht es ja genauso. Ein Lehrgang ist ein Crashkurs – da muss ich Dinge in fünf Tagen hinbekommen, für die ich im Verein fünf Wochen  Zeit habe. Aber es geht trotzdem.

 

90minuten.at: Österreich hat eine gut geschmierte RB-Fußball-Achse: Laimer, Seiwald, Sabitzer, Baumgartner, Schlager. Ist das ein entscheidender Vorteil, um ihren Stil umzusetzen?

Rangnick: Das war sicher einer der Gründe. Ich kannte die Achse und konnte mir gut vorstellen, dass das funktioniert.

 

90minuten.at: Das muss doch der perfekte Platz für Sie sein: Ein Haufen Spieler, die mit Rangnick-Fußball aufgewachsen sind.

Rangnick: Sonst wäre ich ja nicht hierhergekommen. Es war für mich klar, dass das zusammenpasst. Bei einer Nationalmannschaft ist so eine Achse ein Vorteil. Und: Es gibt keine Sprachprobleme. Außer es spricht jemand starken Dialekt. Wenn sich zwei Vorarlberger oder zwei Wiener unterhalten, muss ich mich schon sehr konzentrieren.

 

90minuten.at: Die Menschen im Land glauben an Sie und ihre Mannschaft. Spüren Sie als Nationaltrainer eine größere Verantwortung als bei einem Klub?

Rangnick: Verantwortung hast du als Cheftrainer immer. Als Nationaltrainer hast du noch eine wichtigere Rolle. Ich werde hier auf der Straße erkannt und angesprochen. Viele freuen sich und gönnen uns den Erfolg. Ich war am Tag nach dem Deutschland-Spiel in einem Bio-Laden, da war ein älteres Ehepaar. Die Frau sprach mich an der Kassa an und sagte: „Mein Mann und ich saßen gestern vor dem Fernseher und wir waren noch nie so begeistert von einem Spiel. Wir waren keine großen Fußballfans, erst seit Sie da sind.“ Das freut einen schon sehr.

90minuten.at: Sie könnten dem ÖFB abhandenkommen. Derzeit gibt es ein konkretes Interesse des FC Bayern München. Man hätte Sie gerne als Trainer.

Rangnick: Es gab eine Kontaktaufnahme von Bayern München, darüber habe ich auch den ÖFB informiert. Wir haben ein sehr vertrauensvolles Verhältnis. Mein Fokus liegt auf der österreichischen Nationalmannschaft. Wir konzentrieren uns vollkommen auf die Europameisterschaft. Ich fühle mich hier sehr wohl. Im Moment gibt es keinen Grund, mich intensiv und konkret damit zu beschäftigen.

 

90minuten.at: Wann gäbe es Grund dazu?

Rangnick: In dem Moment, wo die Bayern sagen würden: Wir wollen Sie. Und dann muss ich mich fragen: Will ich das überhaupt?

 

90minuten.at: Hätte ein Bayern-Engagement Einfluss auf die Europameisterschaft?

Rangnick: Wir wollen diese Mannschaft so optimal wie möglich betreuen – und so gut wie möglich abschneiden. Ich habe ein enges und vertrauensvolles Verhältnis zu meinem Team. Es wird nicht deshalb besser spielen, nur weil ich sage: Ich bin noch definitiv die nächsten vier Jahre hier.

 

90minuten.at: Sie haben beim ÖFB bis 2026 Vertrag. Werden Sie diesen erfüllen?

Rangnick: Falls ich etwas anderes machen will, werde ich das zu allererst mit dem ÖFB besprechen.

 

90minuten.at: Ist es auch eine finanzielle Frage?

Rangnick: Nein, das spielt für mich überhaupt keine Rolle. Für mich geht es um andere Dinge: Kann ich etwas bewegen? Kann ich etwas bewirken? Besteht die Chance, eine Mannschaft  zu entwickeln und erfolgreich zu sein? Das treibt mich an. Wenn mich das einmal nicht mehr antreibt, ist es Zeit, in Rente zu gehen.

 

90minuten.at: Die Stimmung im Nationalteam hat sich seit ihrem Amtsantritt deutlich verbessert – auch, weil Sie ihren Spielern Freiheiten geben. Ist das Ihre Philosophie?

Rangnick: Wir behandeln sie wie mündige, erwachsene Spieler. Das sind schlaue Jungs. Dass Fußballer nicht die hellsten Kerzen auf dem Kuchen sind, stimmt schon lange nicht mehr.

 

90minuten.at: Eine Begebenheit sorgte zuletzt für ordentlich Wirbel: die homophoben Gesänge der Rapid-Spieler. Sie mahnten sie öffentlich ab, beriefen sie nicht in den Teamkader. Bei Rapid fand man Ihre Worte zu hart. Wie sehen Sie das mit ein paar Wochen Abstand?

Rangnick: Die Spieler waren zum Zeitpunkt der Länderspiele in ihren Vereinen gesperrt. Es wäre zu Recht kritisiert worden, wenn ich dieses Urteil nicht berücksichtigt hätte. Dazu kam kurz danach ein neues Video raus. Aus dem VIP-Raum, da waren Grüll und Hedl die Vorsänger. Als ich das gesehen habe, war klar: Hier gibt es keine mildernden Umstände.

 

90minuten.at: Ist für diese Spieler die Tür zur Euro wieder offen?

Rangnick: Sie ist zumindest nicht mehr zu.

90minuten.at: David Alaba hat sich schwer verletzt. Wie realistisch ist es, dass er bei der Euro spielt?

Rangnick: Es ist unwahrscheinlich – und käme einem Wunder gleich.

 

90minuten.at: Wie sehr hängt die Entscheidung auch von seinem Klub Real Madrid ab?

Rangnick: Wir sind in einem sehr engen Austausch. Beim David ist der Fall relativ einfach: So lange er auf dem Trainingsplatz nicht irgendwas mit dem Ball macht, brauchen wir nicht darüber nachdenken. David ist 31 Jahre alt und will noch ein paar Jahre auf höchstem Niveau spielen. So wichtig die Euro ist, sie ist nicht das letzte Event seiner Karriere. Mit der Hauruck-Methode geht es nicht – das würden wir niemals machen.

 

90minuten.at: Würden Sie ihn mitnehmen, wenn er im Laufe der Euro einsatzfähig sein könnte?

Rangnick: Er wäre gerne dabei und wir hätten ihn auch gerne mit dabei. Aber die vier Wochen müssten bestmöglich für seine Reha genützt werden. Da müsste man Gespräche führen. Davids Rolle innerhalb der Mannschaft ist extrem wichtig.

 

90minuten.at: Ist Alaba Ihr verlängerter Arm in die Mannschaft?

Rangnick: Er ist in jederlei Hinsicht ein wunderbarer Mensch. Bescheiden, keinerlei Allüren. David ist ein Kapitän, wie man ihn sich nicht schöner malen könnte.

 

90minuten.at: Bringen sich Ihre Spieler ein, was den Matchplan, die taktische Ausrichtung betrifft?

Rangnick: Wenn von der Mannschaft was kommt, dann das: Bitte lass uns attackieren! Die Jungs wollen, dass wir sie von der Leine lassen.

 

90minuten.at: Das heißt: Sie müssen ihr Team einbremsen?

Rangnick: Dazu tendiere ich nicht.

 

90minuten.at: Unter ihrem Vorgänger haben Spieler den Matchplan auf dem Feld gelegentlich verändert – und spielten offensiver, als es ihrem Trainer lieb war. Machen sie das unter Ihrer Führung auch?

Rangnick: Es gab schon Spiele, wo wir kurz diskutiert haben. Gegen Italien hatten wir anfangs keine Zugriff. David kam dann raus und sagte: Trainer, so kriegen wir sie nicht. Wir sagten: Ja, aber das liegt da und da dran. Den Einfluss von Trainern darf man nicht überbewerten, aber auch nicht unterschätzen. Bei Nationaltrainern heißt es oft: Die müssen die Jungs nur bei Laune halten. Das ist nicht definitiv so.

 

90minuten.at: Sie waren ja nie nur Trainer, sondern ein Architekt von Vereinen. Beim ÖFB hat man das gleich registriert und gesagt: Rangnick soll sich alles im Verband genau anschauen. Konnten Sie schon einiges verändern?

Rangnick: Wir haben uns überlegt: Was braucht es, um in Zukunft eine gute Nationalmannschaft zu haben? Das hat auch mit der Trainerentwicklung zu tun. Die Qualität der Trainerausbildung ist beim ÖFB richtig gut. Aber an Stellschrauben kann man schon drehen – so dass aus einem „Sehr gut“ ein „Herausragend“ wird.

 

90minuten.at: Die Arbeit bei den Nachwuchs-Nationalteams verfolgen Mitarbeiter aus ihrem Trainerstab. Warum?

Rangnick: Uns ist wichtig, dass in diesen Mannschaften nicht etwas völlig anderes gespielt wird.

 

90minuten.at: Zsak, Gregoritsch, Scherb, Lederer – die Nachwuchs-Teamchefs sind sehr unterschiedliche Trainertypen. Kann jeder die gewünschte Philosophie umsetzen?

Rangnick: Ich bin da nicht der richtige Ansprechpartner. Für mich ist logisch, dass alle eine ähnliche Spielidee verfolgen sollten wie das A-Team. Und nicht etwas ganz anderes.

 

90minuten.at: Aber können es die Trainer umsetzen, die derzeit in ihren Ämtern sind?

Rangnick: Das sollten sie tun, ja klar. Warum nicht?

90minuten.at: Onur Cinel, ihr Co-Trainer, wurde letzte Woche Cheftrainer bei RB Salzburg. Andreas Herzog sprach beim TV-Sender Sky von einer Unvereinbarkeit.

Rangnick: Wenn wir im Verband Top-Trainer-Talente entwickeln wollen, musst du ihnen auch die Chance geben, sich zu entwickeln. Sie müssen den nächsten Schritt machen können. Das war eines der großen Erfolgsgeheimnisse von Red Bull. Schauen Sie sich die ganzen Trainer, die wir entwickelt haben, an. Die kriege ich nicht mehr auf eine A4-Seite. Alle machten den nächsten Schritt. Entscheidend ist: Über die Trainerausbildung müssen die nächsten schon in der Pipeline sein.

 

90minuten.at: Dringen Sie damit durch im Verband?

Rangnick: Ich kann nur Möglichkeiten aufzeigen, die Umsetzung sehe ich nicht als meine Aufgabe. Es muss erlaubt sein, darüber nachzudenken: Dürfen im Verband nicht auch Trainer tätig sein, die bei einem Klub Cheftrainer sind? Macht man das nicht, produziert man Fußball-Beamte.

 

90minuten.at: Die Stadionthematik ist Ihnen auch ein großes Anliegen für die Zukunft des österreichischen Fußballs. Das Ernst-Happel-Stadion soll aber nur umgebaut werden. Eine befriedigende Lösung?

Rangnick: Es gibt auch die Möglichkeit, eine moderne Event-Arena zu machen. Ich war bei zwei Gesprächen dabei – und da wurde konkret darüber gesprochen, wie so etwas aussehen könnte.

 

90minuten.at: Sie würden so etwas präferieren, oder?

Rangnick: Wien ist die zweitgrößte deutschsprachige Stadt mit über zwei Millionen Einwohnern. Viele Menschen kommen und schauen sich Wien an. Ich finde es schade, dass es hier keine moderne Event-Arena gibt. Das würde die Stadt deutlich attraktiver machen.

 

90minuten.at: Nun steht erstmal die Europameisterschaft vor der Tür. Eine Hammergruppe wartet auf Österreich: Frankreich, Holland, Polen. Sie haben eine große Erwartungshaltung geweckt. Eine zu große?

Rangnick: Wir haben alle den Ehrgeiz und die Fantasie, gut abzuschneiden bei der Euro. Dazu müssen wir in der schwersten Gruppe weiterkommen. Wenn das gelingt, brauchen wir uns vor niemandem fürchten.

 

90minuten.at: Gibt es ein Ziel?

Wir wollen so weit wie möglich kommen.

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