Irene Fuhrmann: "Dann haben wir Chancen, große Stadien zu füllen"
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Irene Fuhrmann: "Dann haben wir Chancen, große Stadien zu füllen"

Seit 2020 ist Irene Fuhrmann Cheftrainerin des Frauen-Nationalteams. Im ausführlichen 90minuten-Exklusiv-Interview spricht sie über die gute sportliche Lage und den Kaderumbruch.

90minuten.at: Wir treffen uns in einem Cafe beim Riesenrad. Können Sie als Frauen-Teamchefin noch völlig unerkannt herum gehen?

Irene Fuhrmann: Ich kann mich sehr gut frei bewegen, aber es ist tatsächlich so, dass der Wiedererkennungswert und die mediale Aufmerksamkeit mittlerweile hoch ist, vor allem seit der Euro 2022. Es verwundert mich immer ein bisschen, wenn ich erkannt werde. Im Kontext Fußballplatz ist es ja logisch, aber wenn ich auf der Mariahilfer Straße ein Eis essen bin und jemand ein Foto machen möchte, ist das anders. Die meisten Menschen haben aber ein gutes G'spür dafür, ob sie einen ansprechen können oder nicht.

90minuten.at: Österreich steht vor zwei Duellen gegen die Isländerinnen, wohl der Gegner um die Euro 2025. Was erwarten Sie sich von diesen zwei Spielen?

Fuhrmann: Natürlich ist es schade, dass wir gegen Deutschland nicht mit zumindest einem Punkt überraschen konnten. Das hätten wir uns verdient gehabt. Wir sind mit der knappen Niederlage gegen Deutschland und drei Punkten gegen Polen aber voll im Plan. Die Spiele gegen Island werden richtungsweisend, mit vier bis sechs Punkten haben wir es selbst in der Hand, wie wir uns gegen Polen präsentieren. Unterschätzen dürfen wir sie auf keinen Fall nicht. Es ist ja wie immer bei uns: Wir haben zwar einen breiteren Kader, es ist aber noch immer eng. Es macht nach wie vor viel aus, ob wir alle zur Verfügung haben und wie fit alle sind.

Es ist eigentlich ein Wahnsinn, wo wir mit der Spitze stehen und aus welchem Reservoir von vielleicht 3.000 Erwachsenen wir schöpfen. Aktuell spielen ja nur 12- 13.000 Kickerinnen.

Irene Fuhrmann

90minuten.at: Die letzten Spiele gegen Polen und Deutschland sind im Juli, ein eher unbeliebter Termin.

Fuhrmann: Es ist eigentlich Urlaubszeit und stellt uns Nationalverbände und die Vereine vor große Herausforderungen. Deutschland hat hingegen den Vorteil, dass sie nachher bei Olympia spielen und fitter sein werden.

90minuten.at: Sprechen wir gleich über das Format. Die Euro-Quali ist anders, sie läuft mehr oder weniger ab wie die Nations League und begünstigt Topnationen, die ersten zwei der Liga A sind fix in der Schweiz, auch der dritt- und viertplatzierte hat noch Chancen. Wie stehen Sie zum Modus?

Fuhrmann: Die Quali verändert sich ständig. Wir sind nur in dieser glücklichen Lage, weil wir in der erstmals ausgetragenen UEFA Women's Nations League gegen Frankreich, Norwegen und Portugal die Klasse gehalten haben. Nur dadurch haben wir diese große Chance auf das direkte Ticket. Deutschland ist Favorit, Island ist in der Weltrangliste aber auch vor uns. Im letzten Juli haben wir gegen Island in Wiener Neustadt mit 0:1 verloren. Sie spielen sehr vertikal und robust. Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir diese Gegnerinnen schlagen können.

90minuten.at: Ist die Quali nun aber schwieriger oder leichter?

Fuhrmann: Insgesamt schwieriger. Mit unserer Gruppe hatten wir in dem Sinn Glück, dass wir als Topf 2-Team Schweden aus Topf 3 bekommen hätten können. Die Spiele gegen Island und Polen sind Duelle auf Augenhöhe. In der Liga B wäre es noch deutlich schwieriger. Die Ausgangssituation haben wir uns aber erspielt und wenn wir es nicht direkt schaffen, gibt es zwei Playoffrunden im Herbst. Im Vergleich zum WM-Playoff damals gegen die Schotten gibt es zwei Spiele, wir mussten noch dazu auswärts antreten. Als Vertreter der Liga A hat man in der ersten Playoffrunde eine Nation aus der Liga C, in der zwieten Play Off Runde braucht es Losglück. Das wollen wir vermeiden.

90minuten.at: Es gibt immer mehr Bewerbsspiele. Wird das zu viel?

Fuhrmann: Die inhaltliche Arbeit im Frauennationalteam hat sich total verändert. Es gibt keine Lehrgänge mehr, mit nur einem Spiel, da konnten wir mehr trainieren bzw. entwickeln. Es gibt jetzt immer zwei Spiele, einmal daheim, einmal auswärts, d.h. zusätzliche Reisestrapazen. Dazu kommt, dass jene Spielerinnen, die es in die Gruppenphase der UEFA Women's Champions League schaffen oder darüber hinaus, extrem hoch belastet sind. Der Kader des Frauen-Nationalteams ist zwar breiter, wir sind aber natürlich von unseren Besten abhängig. Sie haben dann vor den Lehrgängen zwei englische Wochen, kommen zu uns und danach geht es mit englischen Wochen weiter. In Summe sind die vielen Bewerbsspiele zwar cool, aber die Rahmenbedingungen verändern sich zu schnell, die Strukturen bei den Vereinen sind da nicht mitgekommen. Da geht es um medizinische Betreuung, Regeneration und so weiter.

Ich vermeide Vergleiche zu den Männern eigentlich, aber die Herren-Bundesliga ist auch nicht so schnell wie die deutsche Bundesliga oder die Premier League.

Irene Fuhrmann

90minuten.at: In Österreich sind ja auch nicht alle Profis, sind UEFA und FIFA nicht zu schnell?

Fuhrmann: Man muss das differenzieren. Es gibt in jeder Liga Topvereine, die in allen Belangen super aufgestellt sind. In England sind die Bedingungen auf die ganze Liga gesehen her am besten. Bei Hoffenheim oder Frankfurt hat man gesehen, dass die Kader breiter aufgestellt sein sollten, um die UWCL Gruppenphase gut bewältigen zu können.

90minuten.at: Die Entwicklung ist nicht organisch, was zu Verwerfungen führen kann. Wie kann da reagiert werden?

Fuhrmann: Die Initiativen der Verbände sind gut und richtig, aber es braucht Entwicklungszeit. Wenn die Männer-Bundesligaklubs sich jetzt engagieren, dann ist das die einzige Möglichkeit in Österreich nachhaltig etwas zu verbessern. Es steht grundsätzlich andere Infrastruktur zur Verfügung, es gibt mehr Personal. Aber die Klubs können ja nicht alles von heute auf morgen ändern.

90minuten.at: Österreich ist insgesamt ein bisschen ein Sonderfall. Halbfinale 2017, Viertelfinale 2022, wir haben eine sehr gute Spitze, aber sehr, sehr wenig Breite.

Fuhrmann: Es ist eigentlich ein Wahnsinn, wo wir mit der Spitze stehen und aus welchem Reservoir von vielleicht 3.000 Erwachsenen wir schöpfen. Aktuell spielen ja nur 12- 13.000 Kickerinnen. Mit der Installierung der Frauen-Akademie im Jahr 2011 hat der ÖFB damit begonnen, den Spitzenbereich im Frauenfußball zu fördern, so haben wir die besten Nachwuchsspielerinnen an einem Ort und können sie ganz anders ausbilden. Mittlerweile gibt es mehrere Möglichkeiten, die Mädchen können dann bei Sturm, dem LASK oder der Austria bleiben. Unser Anliegen wird weiterhin sein, dies Besten an einem Ort zu haben, es ist aber positiv, dass es mehrere Alternativen gibt. Es wird wohl noch länger dauern, bis wir bei den Mädchen auch eine eigene Akademiemeisterschaft haben. Dann haben wir vielleicht so viel Breite, dass es die ÖFB-Frauenakademie gar nicht mehr braucht. Wesentlich ist es, dass wir diese Breite bekommen. Dazu braucht es mehr Bewusstsein und Überzeugungsarbeit an der Basis. Die Mädchen und Frauen haben nicht dieselben Chancen wie die Burschen. Nicht jedes Mädchen hat in jeder Region die Möglichkeit, Fußball zu spielen.

90minuten.at: Ich will keine unangebrachten und schon sehr lang zurückliegenden Vergleiche anstellen, aber die Herren-WM 2007 der U20 unter Paul Gludovatz hat wohl vielen die Augen geöffnet, wie gut der rot-weiß-rote Nachwuchs sein kann. Vielleicht ist das mit der U20-WM der Frauen nun auch so?

Fuhrmann: Jedes Großereignis hilft uns, eben auch die U20-Weltmeisterschaft– einerseits wegen der Erfahrung, die sie sammeln können, andererseits wegen der Sichtbarkeit. Die Frage ist jetzt einmal, zu welchen Uhrzeiten von Kolumbien aus übertragen wird. Wenn man nicht jene am Abend vor den Fernsehern erwischt, die sich noch nicht für Frauenfußball interessieren, wäre es schwierig.

Ich habe in den Medien gelesen, dass sich Stadtrat Hacker wünscht, dass dort Spiele des Frauen-Nationalteams ausgetragen werden. Dasselbe habe ich aber auch schon vom Blau-Weiß Linz-Stadion gelesen.

Irene Fuhrmann

90minuten.at. Sprechen wir über das Nationalteam selbst. Der Umbruch ist im Laufe, wo sehen Sie noch Probleme?

Fuhrmann: Die schwerwiegendsten Abgänge gab es in der Innenverteidigung mit Carina Wenninger und Viktoria Schnaderbeck. Die Beiden und Gini Kirchberger haben uns ein Jahrzehnt lang die Innenverteidigung gestellt. Die zwei haben nun ihre Karriere beendet, Kirchberger ist wieder voll einsatzfähig nach ihrem Schien- und Wadenbeinbruch. Mit Fiorentina-Legionärin Marina Georgieva und Celina Degen von Köln haben wir noch zwei Spielerinnen für die zentrale Abwehr. Wir müssen schauen, wer das im Kader auf Sicht noch spielen kann. Jenny Klein und Claudia Wenger von St. Pölten wären ein Optionen. Auf dieser Position sind wir auf Sicht am gefordersten. Auch auf den Außenverteidigerpositionen gab es zuletzt Probleme. Laura Wienroither hatte einen Kreuzbandriss, Kathi Schiechtl hatte Fußprobleme. Das hat uns immer wieder in die Bredouille gebracht. Im zentralen Mittelfeld haben wir eine gute Mischung, es drängen immer wieder Junge nach wie Annabel Schasching und Marie Höbinger, die sich super entwickelt haben. Mit Puntigam, Feiersinger und Zadrazil haben wir viel Erfahrung, man muss die Mischung aber gut orchestrieren. Auch, weil wir im Sturm nicht diese Breite haben. Ich würde mir, wenn ich so drüber nachdenke, eigentlich überall mehr Back-Ups wünschen.

90minuten.at: Welche Rolle nimmt die Bundesliga derzeit ein? Vor zehn Jahren hätte man schwerer Kickerinnen aus der Frauen-Bundesliga ins A-Team berufen können.

Fuhrmann: Unsere Liga entwickelt sich stetig. In meinen Augen ist es eine Ausbildungsliga und somit ist sie wichtig für unsere jungen Talente. Wenn sich die Akadmie-Abgängerinnen noch nicht bereit für das Ausland fühlen oder es keine Möglichkeiten gibt, ist es die perfekte Liga, um viel zu spielen und sich zu Führungsspielerinnen zu entwickeln. Aber die Liga ist nicht so stark, dass die Jungen nicht irgendwann zum Punkt kommen, den nächsten Schritt nehmen zu müssen.

90minuten.at: Wie sehr gibt es einen Niveauunterschied bei Leistungsindikatoren wie Geschwindigkeit und so weiter?

Fuhrmann: Der ist nicht wegzudiskutieren. Ich vermeide Vergleiche zu den Männern eigentlich, aber die Herren-Bundesliga ist auch nicht so schnell wie die deutsche Bundesliga oder die Premier League. Allerdings sind die Gegebenheiten, um Profi zu sein, gleich. Das ist bei uns Frauen nicht der Fall. Der SKN St. Pölten hat sehr professionelle Strukturen, Altach oder die Austria bauen sie auf. Es gibt noch viel Potenzial in Österreich, das noch nicht ausgeschöpft werden kann.

90minuten.at: Was wünschen Sie sich als ÖFB-Teamchefin, damit die Umstände besser werden?

Fuhrmann: Es braucht eben die Überzeugung an der Basis. Es scheitert ja auch an solchen Fragen wie „Wo ziehen sich die Mädchen um?“, also infrastrukturelle Themen. Wenn wir den nächsten Schritt machen wollen, braucht es die großen Player im Männerfußball. Es braucht den SK Rapid, LASK, irgendwann Red Bull Salzburg. Wenn die Verantwortlichen es wollen, werden sie es so aufziehen, dass wir nur profitieren können. Es gibt für die Spielerinnen dann ganz andere Rahmenbedingungen. Das sieht man auch bei den Zuschauer:innen. Rapid spielt das erste Testspiel im Allianz Stadion und es sind über 3.000 Tausend Fans da. Das sind mehr als wir bei so manchem Qualispiel hatten. Man weiß ja nicht, wie sich das entwickelt, wie viele Fans dann beispielsweise in der Bundesliga kommen, wenn es gegen die Wiener Austria geht.

90minuten.at: Spürt man in der täglichen Arbeit, auch im Verband, dass das von der UEFA von den Herrenklubs verlangte Engagement im Frauenfußball zu mehr Interesse führt?

Fuhrmann: Da braucht man sich nur ansehen, wie viele Mädchen zu den Sichtungstagen vom LASK oder Rapid gekommen sind. Das soll das Engagement der klassischen Frauenvereine nicht schmälern, aber es ist ja klar, dass diese Clubs eine Magnetwirkung haben. Die Frage ist aber mehr, siehe Cupfinale, ob Fangruppen der Herren auch zu den Frauen gehen. Das war schon eine sehr geile Atmosphäre, wenngleich man auch sehr schnell hört, dass die aus dem Männerfußball kommen. Ich war letzte UWCL-Saison bei Bayern gegen Arsenal in der Allianz Arena, da war der Unterrang komplett voll und die Fans waren da. Auf einmal wurde Arsenal ausgepfiffen – das kennen wir aus dem Frauenfußball eigentlich nicht. In England hat uns bei der Euro in Old Trafford niemand ausgebuht, es war ein Fußballfest. Ich hätte es lieber, wenn es so bleibt. Aber wenn wir nun die Männerklubs für uns gewinnen, nehmen sie ihr Fanverhalten wahrscheinlich unweigerlich mit.

90minuten.at: In so mancherlei Hinsicht solle es eher umgekehrt sein.

Fuhrmann: Ich habe keine Kinder, würde mir aber schon überlegen, ob ich so manches Fußballspiel mit ihnen besuchen würde.

90minuten.at: Der langjährige Dominator SKN St. Pölten restrukturiert sich gerade. Wie bewerten Sie als Teamchefin diese Vorkommnisse?

Fuhrmann: Die Dominanz von den Titeln her ist noch da, allerdings dominieren sie die Spiele nicht mehr so. Das ist sehr positiv, weil engere und attraktivere Spiele entstehen, die man besser verkaufen kann. Das ist ja auch ein wichtiger Faktor. In Österreich haben wir zudem unseren Spielkalender noch nicht nach dem internationalen Bewerb ausgerichtet, Die großen Ligen haben bis kurz vor Weihnachten ihre Meisterschaft gespielt, wir nur bis zum November. Dann mussten der SKN oder auch Zürich dennoch UWCL spielen und waren schon draußen aus dem Meisterschaftsbetrieb. Es folgten hohe Niederlagen gegen Ende der Gruppenphase.

90minuten.at: Infrastruktur ist immer ein großes Thema. Braucht das Nationalteam der Frauen eines, so wie die großen Spiele der Herren eigentlich immer im Happel sind? Ist der WSC-Platz auf Sicht groß genug?

Fuhrmann: Ich habe in den Medien gelesen, dass sich Stadtrat Hacker wünscht, dass dort Spiele des Frauen-Nationalteams ausgetragen werden. Dasselbe habe ich aber auch schon vom Blau-Weiß Linz-Stadion gelesen. Wir freuen uns über jedes Stadion, dass uns willkommen heißt. Aber es wäre cool, beim Sportclub Spiele zu bestreiten, weil sie besonders für Toleranz und Vielfalt stehen. Momentan ist es unsere Strategie, immer wieder woanders zu spielen, um vielen Menschen die Möglichkeit zu geben, uns zu sehen.

90minuten.at: Da gilt eh immer das, was überall gilt: Je attraktiver der Gegner, desto mehr Menschen kommen.

Fuhrmann: Hätten wir nicht gegen Deutschland gespielt, hätten wir in einem anderen Stadion als Linz gespielt. Das muss man stets auch wirtschaftlich betrachten. Die 10.000 in Wien gegen Frankreich waren cool, bei den 7.500 dachte man sich zuerst: Uh, das ist wenig. Aber die Akustik in der Raiffeisen Arena ist sehr gut, das Spiel war mitreißend. Darum war es uns ja auch so wichtig, in der Nations League oben zu bleiben, denn nur wenn man in der Liga A spielt, hat man Gegner wie Frankreich oder Deutschland und nur dann haben wir Chancen große Stadien zu füllen. Mehr können wir dann fast nicht mehr machen.

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