Christoph Schößwendter: "Zuerst abgeschrieben, jetzt reden Leute von den Top 6" [Exklusiv-Interview]
Seit Sommer leitet der ehemalige Verteidiger die sportlichen Geschicke des Bundesliga-Aufsteigers. Der direkte Umstieg in die zweite Karriere ist damit gelungen, inzwischen arbeitet Christoph Schößwendter intensiv an den nächsten Entwicklungsschritten seines Vereins. Im Exklusiv-Interview spricht er über Scouting, Kaderplanung und seinen Werdegang.
Bei uns laufen stand jetzt 14 Verträge aus, der Sommer ist schon ein großes Thema.
Bei Blau-Weiß ist bis jetzt de facto nichts da gewesen. Das Ziel ist, im Winter einen Chefscout zu installieren.
Die Leute, die uns nach drei oder vier Spieltagen abgeschrieben haben, sind teilweise dieselben, die jetzt von den Top 6 reden.
+ + 90minuten.at PLUS – Das Gespräch führte Daniel Sauer + +
90minuten.at: Herr Schößwendter, gerade rund um das Linzer Derby gegen den LASK war die grundsätzlich gute Stimmung um den Verein besonders greifbar. Dass das neue, größere Stadion konstant so gut gefüllt ist, haben nicht viele erwartet. Wie wichtig ist der Zusammenhalt, auch für Sie persönlich in einer neuen Position?
Christoph Schößwendter: Extrem wichtig. Blau-Weiß war nicht immer der große Fan-Magnet, es gibt aber einen unglaublich guten, harten Kern. Auf der Verbandsanlage (Anm. d. Red.: Ausweichstadion während Neubau) war der Andrang über die letzten Saisonen schon größer, aber auf tausend Plätze limitiert. Wir lügen uns aber nicht an, wir haben absolut nicht damit gerechnet, so einen guten Zuschauerschnitt von 4.900 halten zu können – einige der großen Teams kommen ja erst zu uns. Es gibt zwei Gründe für die Entwicklung: Natürlich das neue, moderne Stadion und der Bundesligafußball. Für die ganze Stadt und den Verein, aber vor allem für die Spieler ist der Support unglaublich. Ich merke das wöchentlich bei den Trainings, wie viel Freude das der Mannschaft bereitet - wir wissen einfach, dass wir alle zwei Wochen ein Heimspiel haben, mit einem richtig guten Lärmpegel und einer guten Atmosphäre.
90minuten.at: Hilft Ihnen das vielleicht auch direkt bei der Arbeit? Neuzugänge sprechen im Allgemeinen gerne davon, dass für sie Fans oder Infrastruktur ein Entscheidungsfaktor waren.
Schößwendter: Da bin ich ganz ehrlich: Im Sommer bei den Vertragsgesprächen war das für viele ein großes Thema und eine Extramotivation. Erstens kommt man in einen Verein, in dem die sportliche Entwicklung der letzten Jahre gut war und der in die Bundesliga aufsteigt. Zweitens haben wir ein nagelneues Stadion mit echt guten Fans. Im Vergleich zu einigen Vereinen in der Liga, die mit uns auf Augenhöhe sind, ist das ein Bonus. Zum Beispiel bei Conor Noß und Mehmet Ibrahimi, die aus Deutschland gekommen sind. Beim ersten persönlichen Gespräch mit Conor haben wir uns im Stadion getroffen, das hat ihm richtig getaugt. Auch wirtschaftlich ist es ein Sprung, Firmen und Business-Partner merken, dass bei uns ein richtiges Feuer da ist.
90minuten.at: Auf das Derby folgte jetzt die nächste Länderspielpause und immerhin ein freies Wochenende. Was ist für die Tage geplant? Wie viel Zeit bleibt für die Familie, wie viel wird gearbeitet?
Schößwendter: Es wird sehr viel gearbeitet. Die letzten Wochen waren durch die Geburt meiner Tochter ruhiger, da war es mir wichtig Zeit zu investieren. Inzwischen hat sich das gut eingependelt. Unsere Themen für die Länderspielpause sind die Weiterentwicklung der Scouting-Abteilung und der eigene Kader. Wir haben einige junge Spieler, die nicht so viel Spielzeit bekommen, wie sie und wir es gerne hätten. Bei uns laufen stand jetzt 14 Verträge aus, auch der Sommer ist schon ein großes Thema.
90minuten.at: Das ist natürlich ein großer Teil des Kaders, bei dem es aktuell keine langfristige Planungssicherheit gibt. Es geht um Spieler wie Fabio Strauss, Manuel Maranda, Tobias Koch, Simon Pirkl – im Prinzip einen Großteil der Startelf. Wann soll es in diesem Punkt mehr Klarheit geben?
Schößwendter: Bei einigen Spielern gibt es Optionen im Vertrag, die wir bis Mitte April ziehen können. Wir haben aber auch drei, vier absolute Leistungsträger, deren Verträge auslaufen. Dazu laufen schon seit Mitte September Gespräche mit den Spielern und Beratern, weil wir so früh wie möglich Klarheit schaffen wollen. Teilweise laufen die Verhandlungen schon sehr positiv, es schaut gut aus, dass wir hier zu guten Lösungen kommen können. Ich möchte das Risiko eigentlich nicht eingehen, bis März oder April zu warten, weil es dann sicher schwieriger wird.
90minuten.at: Die Veränderungen in der Scouting-Abteilung waren auch angesprochen. Wie kann man sich diesen Bereich bei Blau-Weiß aktuell vorstellen? Zwischen den Vereinen variiert die Größe teilweise ziemlich stark.
Schößwendter: An dem Thema sind wir schon den ganzen Herbst dran, da wird es im Winter Änderungen geben. Bei Blau-Weiß ist bis jetzt de facto nichts da gewesen. Der Tino (Anm. d. Redaktion: Tino Wawra) hat das lange überragend gemacht, weil er den Spielermarkt perfekt kennt und ein gutes Auge hat. Im Sommer haben der Scheibi (Anm.: Gerald Scheiblehner), das Trainerteam und ich das Scouting abgedeckt. Ein Argument für meine Verpflichtung war, dass ich durch meine Zeit als Spieler den österreichischen Markt sehr gut kenne. Kurzfristig war das ausreichend – ich habe aber angestoßen, dass sich etwas verändern muss, wenn wir uns als Verein weiterentwickeln wollen. In den letzten Monaten hat es viele Gespräche zur Planung und mit möglichen Kandidaten gegeben und Ziel ist, dass wir im Winter einen Chefscout installieren, der das hauptberuflich bei uns macht. Der soll unser Profil abdecken: Den Akademiebereich, dazu junge Regional- und Zweitligaspieler mit Potenzial und natürlich auch Spieler, die uns sofort weiterhelfen können. Für mich ist es gar nicht möglich, Tag für Tag auf den verschiedensten Sportplätzen unterwegs zu sein, um Spieler zu sichten. Wenn wir eine gute und stabile Rolle in der Bundesliga einnehmen wollen, ist es ein extrem wichtiger Schritt, dass neben mir ein Scouting-Team aufgebaut wird.
90minuten.at: Von möglichen Neuzugängen war jetzt noch keine Rede. Sind Transfer für den Winter geplant?
Schößwendter: Mit Lukas Tursch haben wir einen „Neuzugang“, der nach seinem Kreuzbandriss bald wieder voll fit ist. Er wird für uns sicher eine Verstärkung. Durch die positive Entwicklung der letzten Wochen ist es beispielsweise stand heute auch nicht unbedingt notwendig, jemand Neuen zu holen. Wir haben in den ersten fünf Runden Lehrgeld gezahlt, die Mannschaft gibt inzwischen aber ein ganz anderes Bild ab. Da ziehe ich auch vor dem Trainer den Hut. Der harte Kern in unserem Kader hat jetzt den erhoffen Schritt gemacht, deswegen brauchen wir für den Winter nicht zwanghaft mehrere Verstärkungen.
90minuten.at: Ein Bereich, in dem man im Sommer nach Verstärkungen gesucht hat, ist die Defensive. Mit Stefan Haudum, Erwin Softic, Alem Pasic und Marcel Schantl wurden mehrere Spieler geholt, wirklich festgespielt hat sich aber niemand. Was hat da im Sommer nicht ganz funktioniert?
Schößwendter: Von außen betrachtet wirkt das so, aber es geht ja auch darum, was unsere interne Herangehensweise war. Wir haben nach zwei Schemen gehandelt: Auf der ein oder anderen Position wollten wir Bundesligaerfahrung dazu holen, um der Mannschaft Sicherheit mitzugeben. Außerdem wollten wir Perspektivspieler, die vielleicht nicht innerhalb von einem Monat, aber in der ersten Saison zu Stammspielern werden können. Natürlich wäre es ideal gewesen, wenn sie sofort den Sprung geschafft hätten. Das war aber nicht die Erwartung. Natürlich hätten wir uns auch von dem ein oder anderen noch mehr erhofft, bei Kristijan Dobras war aber zum Beispiel aufgrund von kleineren Verletzungen gar nicht mehr möglich, weil einfach der Trainings-Rhythmus fehlt. Die Spieler sind aber trotzdem sehr wichtig, weil sie in der täglichen Trainingsarbeit ihren Anteil daran haben, wie wir uns entwickeln.
90minuten.at: Die Wahrnehmung von außen war nach dem suboptimalen Saisonbeginn überhaupt eher negativ. Wie gehen Sie als Verantwortlicher, der die internen Gegebenheiten kennt, damit um?
Schößwendter: Entspannt wäre das falsche Wort. Das wichtigste war, dass wir im Verein die Situation richtig einschätzen. Das erstaunliche ist ja: Die Leute, die uns nach drei oder vier Spieltagen – von außen betrachtet vielleicht auch zurecht – abgeschrieben haben, sind teilweise dieselben, die jetzt von den Top 6 reden. Das große Interesse am Fußball ist ja das Schöne am Geschäft, aber für uns selber müssen wir das richtig einordnen. Ich weiß noch, dass wir nach dem Rapid-Spiel die halbe Nacht zusammengesessen sind und überlegt haben, wie es in eine bessere Richtung gehen kann. Man hört sich an, was gesagt wird, aber weder für mich noch für den Trainer war es ein Grund, die Nerven wegzuwerfen.