Michael Wimmer: "Ich kann nicht coachen, dass man sich hinten hineinstellt" [Exklusiv-Interview]
Foto © GEPA

Michael Wimmer: "Ich kann nicht coachen, dass man sich hinten hineinstellt" [Exklusiv-Interview]

Michael Wimmer hat keine einfache Aufgabe: Ein großer Name, viel Geschichte, frenetische Fans - und gefühlt kein Geld. Der 43-Jährige gibt sein Bestes und spricht im 90minuten.at-Exklusiv-Interview offen und ehrlich über die aktuellen Herausforderungen.

Jeder will einen Harry Kane, aber ich weiß, wo ich bin. Ich habe mitbekommen, was wir versucht haben.

Michael Wimmer

Dass ein Verein mit der Tradition und den Fans in die Meisterguppe gehört, darüber brauchen wir nicht diskutieren.

Michael Wimmer

+ + 90minuten.at PLUS - Das Gespräch führte Georg Sohler + +

 

Für Außenstehende kam es überraschend, dass Vereinslegende Manfred Schmid vor die Tür gesetzt wurde und Michael Wimmer übernommen hatte. Doch der Deutsche, der zuvor nur 2022 ein paar Spiele als Stuttgart-Interimstrainer ganz oben in der ersten Reihe stand, vermochte es, der Austria schnell ein anderes Gesicht zu geben. Die Umstände sind denkbar schwierig, schleppen die Veilchen doch einerseits einen finanziellen Rucksack mit und sind andererseits eigentlich ein prädestinierter Topklub. Als ob das nicht noch genug wäre, versucht man einen proaktiven Fußballstil zu implementieren. Zumindest das funktioniert und kommt bei den Fans gut an, sie kommen in Scharen. Zu allen anderen Themen - Saisonstart, Transfermarkt, Finanzen und Co.  - nimmt Michael Wimmer im 90minuten.at-Exklusiv-Interivew Stellung.

 

90minuten.at: Fangen wir mit dem Saisonstart an, in der Bundesliga gelang erst ein Sieg. Einfach gefragt: Warum? 

Michael Wimmer: (lacht) Die Frage habe ich schon öfters beantwortet. Ich denke, dass wir vor dem Klagenfurt-Spiel zwei Punkte neben dem Soll waren. Das war der verpasste Heimsieg gegen den WAC, da müssen wir gewinnen. Nichtsdestoweniger hätten wir uns auch gegen die anderen Punkte erhofft, aber die hatte ich nicht mit einberechnet. Bei den Kärntner Teams ist es ja schon auch so, dass sie wie wir um den Einzug in die Meistergruppe spielen, da heißt es nicht immer, dass wir daheim drüber fahren. Austria Klagenfurt ist noch immer ungeschlagen, nicht ohne Grund. Klar hätten wir gerne neun Punkte am Konto – jetzt gilt es zu punkten.

Foto ©

90minuten.at: Die großen Brocken sind einmal vorbei, aber nur auf den ersten Blick. Nach der Länderspielpause geht es gegen Hartberg, Altach und Rapid, gegenwärtig direkte Konkurrenz um die Top6, von denen 2, eher 3 Plätze ohnehin schon vergeben sind ... Wie viele Punkte müssen es sein?

Wimmer: Das Beste wären neun Punkte, aber man kann es nicht immer so pauschal sagen. Wenn wir jetzt nicht bald anschreiben, wird die Distanz immer größer. Dennoch: Das Wort „müssen“ verwende ich eigentlich nicht gerne. Wir wollen in Hartberg, gegen Altach und im Derby punkten, aber was ich will, ist, dass wir gut spielen und an unsere Leistungsgrenze gehen, vom läuferischen und vom fußballerischen her. Wenn wir das schaffen, werden wir auch Punkte einfahren und wenn nicht, dann nicht.

 

90minuten.at: Kommen wir noch kurz zum Europacup: Ich stelle die These auf: Wenn man in Q3 einem Gegner fünf Tore einschenkt, müsste man weiter kommen. Warum passierte das und was kann/soll/muss man unbedingt verbessern, Stichwort Defensive?

Wimmer: Die Frage habe ich auch schon oft gehört … einmal hakt es defensiv, einmal offensiv. Aber ich gebe Ihnen recht: Wenn man in Warschau 2:1 gewinnt und zu Hause drei Tore macht, sollte das in Summe reichen. Nichtsdestoweniger mag ich das nicht so trennen. Die Defensive fängt vorne an, unsere Spielidee ist ja so, dass wir Druck auf den Ball ausüben und lange Bälle passieren. Wenn einer durchgeht, sieht es immer einfach aus. Aber der Abwehrspieler ist der vorletzte im Glied und es heißt: Die Defensive ist schlecht. Wir machen aber zu viele individuelle Fehler, bekommen wie zuletzt Slapstick-Tore. Mit mehr Konsequenz könnten wir da schon weiter vorne viel verhindern. Beim 1:1 gegen Klagenfurt darf der Ball auch einmal weg geschossen werden. In gewissen Szenen muss man eben kompromissloser sein – allerdings fordere ich von meinen Jungs schon auch immer, so zu klären, dass wir auch weiter Fußball spielen können. Da fehlt die Balance ein bisschen.

90minuten.at: In welchen Bereichen (mit/ohne Ball, offensiv/defensiv, Spezialsituationen) sieht man nach acht Monaten Michael Wimmer schon das Spiel, dass Sie sich vorstellen?

Wimmer: Das Wichtigste sind die Einstellung und Arbeitsmoral der Mannschaft. Sie wollen unbedingt Spiele drehen: Der Charakter ist top. Ansonsten ist es natürlich so, dass wir in der Defensive schon in der ersten Linie beim Anlaufen oft nicht durchlaufen, einen Tick zu spät ankommen, dann schieben wir zu spät nach. Das sind Details und es entsteht eine Fehlerkette. Diese Auslöser müssen wir optimieren. Genauso geht es um die Verteidigung der Box. Wir brauchen Kontakt zum Mann, da lassen wir zu viele Chancen zu. Im eigenen Ballbesitz würde ich mir noch mehr Balance wünschen, es geht um den Moment, wann man angreifen kann, wann Dynamik ausgelöst werden kann oder wann der Ball in Zirkulation bleiben muss, um eben diesen den Moment zu finden. Rein statistisch kommen wir oft ins letzte Drittel, haben viele Abschlüsse. Jetzt geht es um eine bessere Besetzung in der Box und mehr Konsequenz.

 

90minuten.at: Ich habe es angesprochen: Die Defensive erscheint mit die Achillesferse zu sein. Jetzt hat man natürlich ein paar Verletzte (beispielsweise Plavotic, Handl, Holland, Wustinger). Hätte man da noch nachbessern müssen?

Wimmer: Jeder Trainer hat seine Wünsche und will das Maximum. Jeder will einen Harry Kane, aber ich weiß, wo ich bin. Ich habe mitbekommen, was wir versucht haben. Da gibt es viele Spieler, die sehen das Gehalt und wollen nicht kommen. Wenn so viele ausfallen, fällt es einem schwer, alle zu ersetzen und die Trainingsqualität hochzuhalten. Das betrifft aber nicht nur uns. Mit der Dreierkette bin ich zufrieden. Klar, es wurde über Aleksandar Dragović gesprochen, einen gestandenen Spieler, der das Heft in die Hand nimmt. Aber wir haben Kicker, die in die Rolle hineinwachsen können, ich bin zufrieden. Auch bei einem 3-1-Aufbau wünscht man sich einen Sechser, der vor der Abwehr ordnet. Im Mittelfeldzentrum sind wir ordentlich bis gut aufgestellt, aber die Spieler sind ähnlich: Sie sind umtriebig, laufen zwölf Kilometer. Das so zu lösen, dass es passt, ist meine Aufgabe als Trainer.

 

90minuten.at: Ich hatte den Eindruck, man hat eher offensiv gesucht. Täuscht das?

Wimmer: Bei jedem Verein hinterlässt ein 20-Tore-Abgang eine Lücke. Es gilt die Tore aufzubauen und man wünscht sich einen ähnlichen Spielertypen. Man hat es versucht, aber einer, der so oft trifft, kostet Geld, das nicht zur Verfügung steht. Wir haben mit Alex Schmidt und Fisnik Asllani das Profil abgedeckt. Nun liegt es an mir, sie dorthin hinzubringen, dass sie ihre Qualität unter Beweis stellen können. Viele Spieler, die uns qualitativ verbessert hätten, sind nicht zu finanzieren. Bei der jetzt nur noch Zweifach-Belastung stehen sich die Spieler dann sonst auf den Füßen.

 

90minuten.at: Sie haben im Jänner 2023 übernommen, wie viele Transferzeiten braucht es generell, um einen Kader so zu gestalten, wie sich ein Trainer das vorstellt?

Wimmer: Schwierige Frage. Ich habe meine Spielvorstellung genau im Kopf, aber um die geht es nicht. Es geht darum, was die Austria vorhat. Zu der Idee gibt es Möglichkeiten, um Qualitätsspieler per Transfer reinzuholen, das ist aber abhängig von den Finanzen. Aber es dauert schon zwei, drei Transferzeiten, bis man sagt, dass man die entsprechenden Profile auf den jeweiligen Positionen hat. Solange das nicht gegeben ist, ist es die Aufgabe vom Wimmer-Michael, zu versuchen, es mit den Spielern hinzukriegen. Noch einmal: Die Spieler sind gierig, sind lernbereit. Klar ist aber auch, dass wir noch nicht so dastehen, wie wir es uns wünschen.

90minuten.at: Es ist vielleicht jetzt nicht der schönste Begriff, aber das "Tafelsilber", also Eigengewächse mit Potential wie Fitz, Braunöder oder Huskovic sind nach wie vor da, haben Sie nach Abgängen wie Tabakovic oder Mühl, ferner Dovedan, Teigl oder Keles, dem Sportchef irgendwann gesagt: So, jetzt ist aber Schluss, sonst spielen wir um den Abstieg? Geld bekam man ja nur für Tabakovic (bzw. Dramé, ich vermute nur, dass das enden wollend viel war), die kolportierten Summen wie für Braunöder (1-2 Millionen) sind wohl weit unter Wert, wenn man sich die Kollegen in der Liga ansieht.

Wimmer: Es wird natürlich diskutiert und ich stelle meine Forderungen. Sie haben ja recht, aber das wissen Manuel Ortlechner und Jürgen Werner ja auch. Vom Abstieg wären wir weit entfernt. Aber mir ist wichtig, dass wir nicht über die Plätze 1-3 oder eventuell vier sprechen, wenn man so viele Abgänge hat. Da geht es dann um realistische Ziele. Es geht darum, die Meistergruppe zu erreichen, das ist schwierig, aber mit dieser Qualität machbar.

 

90minuten.at: Wie überzeugen Sie Spieler, hierherzukommen?

Wimmer: Woanders ist mehr zu verdienen. Man kann ansonsten nur mit der klaren Idee des Vereins überzeugen. Die zeigt man auf, genauso wie die Möglichkeit, sich hier individuell zu entwickeln, da müssen wir uns von anderen Vereinen unterscheiden. Wo wir das schon können, ist der Verein. Die Austria hat eine Riesentradition, megageile Anhänger, spielt die Heimspiele vor 10.000 Fans aufwärts. In fast jedem Auswärtsspiel macht unser Anhang die bombastische Stimmung. Das habe ich teilweise noch nie erlebt. Und die Stadt Wien ist sensationell. Man sieht es ja auch an einem Asllani: Irgendwas muss da sein, sonst komme ich nicht her. Die österreichische Liga ist sehr spannend und interessant, da schauen andere Länder hin. Man sieht es ja bei Tabakovic: Plötzlich geht es auch in dem Alter, sich weiterzuentwickeln.

 

90minuten.at: Ein großes Problem dieser Liga ist: Wenn man im Herbst schlecht ist, verbaut man sich vielleicht schon den nächsten Europacup-Herbst. Wie sehr ist die Meisterguppen-Teilnahme für sie aus verschiedensten Gründen ein Muss?

Wimmer: Es gibt keinen Parameter, der nicht dafür spricht. Dass ein Verein mit der Tradition und den Fans in die Meisterguppe gehört, darüber brauchen wir nicht diskutieren, da gibt es keine Ausrede. Wir wollen da rein und werden es schaffen. Es ist aber kein Selbstläufer, ich will nicht, dass man das falsch versteht. Vor der Trennung war der Vorsprung sehr knapp. Viele Mannschaften haben die Qualität, auch Fünfter oder Sechster zu werden. Es gibt keinen Gegner, zu dem man fährt und einfach gewinnt. Es braucht von uns immer eine Topleistung, sonst nehmen wir keine Punkte mit. Ich messe mich auch an der Frage, ob wir oben rein kommen.

 

90minuten.at: Gibt es für Sie noch weitere Ziele als die Meistergruppe? Einen Millionentransfer beispielsweise?

Wimmer: Ich als Trainer wünsche mir, dass Spieler wie Braunöder, Jukic, Fitz oder Guenouche so entwickelt werden, dass sie die Möglichkeit hätten, um viel Geld zu wechseln. Was für mich auch immer ein Ziel ist, ist der Cup. Das ist der kürzeste Weg, um etwas zu erreichen, sei es der Titel oder Europa. Da kann alles schnell passieren. Weiters soll dieser Weg weiter gegangen werden, man sich von kleinen oder großen Rückschlägen nicht davon abbringen lässt. Denn das ist meine Idee, so Fußball zu spielen. Ich kann nicht coachen, dass man sich hinten hineinstellt.

 

90minuten.at: Und Sie persönlich?

Wimmer: Mir macht der Job tierisch viel Spaß. Ich kenne natürlich die Pros und Contras. Ich habe keinen Karriereplan. Wichtig ist mir, dass, wenn es vorbei ist, die Leute menschlich positiv über mich reden. Auch wenn es sportlich dann nicht mehr passt, soll man sehen, dass ich authentisch und ehrlich meinen Weg gehe.

Gleich weiterhören:

90minuten.at-exklusiv