Marco Grüll: "Ich scheiße mich vor nichts an" [Interview]
Aus dem Unterhaus in die weite Fußballwelt. Marco Grüll ging andere Wege als die meisten seiner Kollegen - im Gespräch mit 90minuten.at erklärt er seinen Werdegang.
Ich glaube, es ist ein Vorteil, wenn du nicht sofort dein Geld mit Fußball verdienst. Du bist im Nachhinein dankbar, dass du den Beruf überhaupt machen kannst.
In dem Jahr, in dem ich zu Ried gewechselt bin, habe ich mir gesagt: ‚Jetzt probiere ich es noch einmal, wenn es nicht funktioniert konzentriere ich mich eher auf mein Berufsleben.
In St. Johann habe ich mit meinen Freunden gespielt und dann auf einmal mit einem, der bei den Bayern mit den Profis trainiert
In der Regionalliga wird man doch zu einem anderen Spielertyp. Ich scheiße mich vor nichts an, diese Mentalität kommt schon von dort.
++ 90minuten.at PLUS- das Gespräch führte Daniel Sauer ++
SC Pfarrwerfen, TSV St. Johann, SV Ried, Rapid Wien. Marco Grüll geht seinen eigenen Weg, der wohl noch lange nicht am Ende ist. Erst mit 20 Jahren gelang der Sprung in den Profifußball, obwohl es schon früher möglich gewesen wäre - dafür trug er als Regionalliga-Kicker das U21-Nationalteam-Trikot. Im Gespräch mit 90minuten.at erklärt der 24-Jährige seinen Werdegang.
90minuten.at: Du hast deine Karriere ohne Akademieerfahrung begonnen, bist einen anderen Weg gegangen als die meisten Profis. Wie hat sich das ergeben, hättest du Angebote gehabt?
Marco Grüll: Ich hätte schon in eine Akademie gehen können. Linz und – ich glaube – Klagenfurt wären Optionen gewesen, in Graz hätte ich noch ein Probetraining gehabt. Ich habe mir dann aber mit 13 gedacht, dass ich eigentlich noch nicht so weit weg will. Es hätte später auch Sachen gegeben wie Liefering mit 17 oder 18, das hat für mich aber damals noch nicht gepasst.
90minuten.at: Stattdessen ist es für dich recht schnell im Erwachsenenfußball weitergegangen. Zuerst in der Landesliga, dann bei St. Johann in der Regionalliga.
Grüll: Mit 14 Jahren habe ich bei Erwachsenen in der Kampfmannschaft mittrainiert, das hat mir schon Spaß gemacht. Man wird im Kopf glaube ich auch ein bisschen schneller erwachsen, denkt über Sachen anders nach. In der Regionalliga habe ich dann mit Ex-Profis zusammengespielt, man lernt einfach andere Dinge als in der Akademie.
90minuten.at: Du wirst in Medien immer wieder als bodenständig beschrieben. Hat das in dem Fall auch mit deinem Weg zu tun?
Grüll: Ich glaube, es ist schon ein Vorteil, wenn du nicht sofort dein Geld mit Fußball verdienst. Du bist im Nachhinein dankbar, dass du den Beruf überhaupt machen kannst. Man weiß einfach, dass es nicht immer schön ist, wenn man um sechs aufstehen muss, bis Nachmittag arbeitet und dann zum Training fährt.
90minuten.at: Du hast den Sprung von der Landesliga in die Regionalliga gemacht, war das für dich auch vom Stellenwert etwas anderes?
Grüll: Natürlich war das für mich ein größerer Unterschied. Auch in der Landesliga will man immer gewinnen, da steht aber noch mehr der Spaß im Vordergrund. In der Regionalliga geht es dann schon um ein bisschen mehr. Der Umstieg ist mir nicht so schwergefallen, natürlich werden auch deine Mitspieler immer besser.
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90minuten.at: Du hast neben dem Fußballspielen auch zeitweise schon gearbeitet, wie hat das bei dir funktioniert?
Grüll: Früher war ich beim Intersport, dort habe ich eine Lehre gemacht. Nach dem Sprung in die Regionalliga war es zum Beispiel bei Spielen in Vorarlberg schon so, dass man einen ganzen Tag frei gebraucht hat. Das hat eigentlich immer funktioniert, ich habe wegen der Arbeit nie ein Spiel verpasst. Von meinem Chef habe ich oft freibekommen, er war selber fußballbegeistert. Später war ich bei der Post, dort hatte ich gute Arbeitszeiten: Montag bis Freitag von sechs bis zwei. Das war für mich eine Zwischenlösung. In dem Jahr, in dem ich zu Ried gewechselt bin, habe ich mir gesagt: ‚Jetzt probiere ich es noch einmal, wenn es nicht funktioniert konzentriere ich mich eher auf mein Berufsleben'.
90minuten.at: Du warst in deiner Zeit in der Regionalliga auch beim U18-Nationalteam dabei. Auch etwas Besonderes, du warst damals der einzige Regionalligaspieler im Kader. Wie hast du das erlebt?
Grüll: Man kennt keinen, natürlich kommt man als No-Name daher. Wer soll einen jungen Spieler aus der Regionalliga kennen. Die Burschen waren aber schwer in Ordnung. Ich kann mich erinnern - Marco Friedl vom FC Bayern war dabei und du kommst von St. Johann daher. In St. Johann habe ich mit meinen Freunden gespielt und dann auf einmal mit einem, der bei den Bayern mit den Profis trainiert. Es gab natürlich schon auch einen anderen Unterschied: Die Spieler aus den Akademien fahren einfach zu Team, ich musste mir freinehmen und brauche drei Tage Urlaub. Für den Chef war das nicht die einfachste Zeit, er hat mich aber voll unterstützt.
90minuten.at: Ab wann hat sich abgezeichnet, dass es doch noch weiter nach oben gehen kann? Warum hast du noch gewartet?
Grüll: 2018 war ich für ein Probetraining bei Rapid, dort hat es auch durchaus positives Feedback gegeben. Ich wollte damals aber nicht in einer zweiten Mannschaft in der Regionalliga spielen. Ich habe mich dann für Ried entschieden, ein Verein in der 2. Liga mit Ambitionen nach oben.
90minuten.at: Gab es bei dir Momente, in denen du an deinem Plan, Profi zu werden, gezweifelt hast? Hättest du dir auch noch mehr Zeit gegeben?
Grüll: Bei mir ist natürlich super gelaufen. Bei uns hätte es ein paar ältere Spieler gegeben, die den Schritt aus der Regionalliga in die 2. Liga hätten machen können. Sie es nicht gemacht. Ich glaube, der Grund ist, dass man in der 2. Liga um den Kollektivvertrag verdient, der nicht berauschend ist. Mit der normalen Arbeit und dem Fußball nebenbei kommt man dann schnell auf mehr. Wenn du jünger bist, hast du mehr Zeit. Es ist immer möglich, kann auch schnell gehen. Aber wenn du 25 bist, in der 2. Liga nicht zum Spielen kommst, aber deinen Job aufgegeben hast, wird sich wahrscheinlich nicht mehr viel auftun.
90minuten.at: Der vergleichbar sichere Weg hätte ja wahrscheinlich über die Akademie geführt…
Grüll: Wenn du aus der Akademie kommst, bist du noch jünger. Da gibt dir jeder noch Zeit. Mit Anfang 20 ist es dann oft schwieriger - Spieler aus der Regionalliga werden aber immerhin inzwischen ernster genommen. Vielen wird der Sprung aber nicht zugetraut. Es muss aber sowieso immer alles zusammenpassen. Im Fußball gehört Glück dazu, das ist einfach so.
90minuten.at: Gibt es Vorurteile gegenüber Regionalligaspielern? Warum werden sie vielleicht nicht so ernst genommen?
Grüll: Mittlerweile ist es - glaube ich - nicht mehr so schlimm. Es wird auch mehr nach Spielern gesucht, die ihren eigenen Weg gehen. In der Regionalliga muss man öfter improvisieren, da sagt dir oft keiner wie du etwas machen musst. In der Akademie werden Abläufe und Grundtechnik viel mehr trainiert. In der Regionalliga heben wir drei oder vier Mal in der Woche trainiert, die meisten müssen arbeiten. Das geht sich auch einfach nicht aus. Da macht man Sachen individuell anders, wird doch zu einem anderen Spielertyp. Ich scheiße mich vor nichts an, diese Mentalität kommt schon von dort.
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