Markus Schopp: "Wir wissen, wo der TSV in der Nahrungskette ist" [Exklusiv-Interview]
Der TSV Hartberg ist gut in die Saison gestartet. Seit Winter ist Markus Schopp wieder Trainer und noch mehr. Er gestaltet das Projekt in der Oststeiermark. Und dieses findet er überzeugend, aus vielen Perspektiven.
Wir wissen, wo der TSV in der Nahrungskette ist und anhand unserer Profile kann man erkennen, wie sich die Mannschaft im Sommer verändert hat.
Die Idee mit dem Pressing stammt ja auch nicht von RB. Durch Rangnick ist es in Österreich eben erst spürbar geworden. Um dagegen zu bestehen, muss es Lösungen geben.
Alle Beteiligten wissen, dass es mit der Saison 25/26 ein klares Reglement gibt, wer an der Bundesliga teilnehmen kann und wer nicht. Wir haben das Projekt hier vor mittlerweile sechs Jahren begonnen.
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Vielleicht ähneln sich ja die Kicker- und Trainerkarrieren von Markus Schopp. Als Kicker verließ er in jungen Jahren den SK Sturm, um beim Hamburger SV zu spielen, kam wieder zurück und spielte an der Seite von Pep Guardiola bei Brescia. Als Trainer schaffte er beim TSV Hartberg den Durchbruch und konnte dank guter Leistungen Barnsley coachen. Nun ist er seit Winter wieder zurück. Nicht mehr nur als Trainer, sondern mit weitreichenden Kompetenzen, ähnlich dem englischen Manager. Im Interview mit 90minuten.at spricht er über die aktuelle Situation beim TSV Hartberg und legt dar, was seine Vision für die Oststeirer ist.
90minuten.at: Acht Punkte nach sechs Spielen. Hätten Sie das bei der Auslosung auf jeden Fall gerne so genommen?
Markus Schopp: Ich bin extrem happy, es gab viel Veränderungen im Sommer. Da tut jeder Punkt gut, den man auf der Reise mitnimmt. Kein Punkt ist selbstverständlich und wir sind in manchen Bereichen der Entwicklung auch weiter als wir vermutet haben. Deshalb sind wir mit der Punkteausbeute zufrieden. Wir wissen, dass Fehler passieren, aber wir wollen unsere Spieler aus ihrer Komfortzone herausholen.
90minuten.at: Können Sie das mit der Komfortzone näher beschreiben?
Schopp: Es ist an der Zeit, dass wir mehr als TSV Hartberg wollen. Wir wollen eben auch im technisch-taktischen Bereich Dinge tun, die wir uns früher nicht zugetraut haben. Wenn man es richtig bespielt, führt es aber zum Erfolg. Wie schaffe ich es, sie für Neues zu begeistern, das früher als kritisch eingestuft wurde? Man bekommt von der Ausbildung über alle Profistationen immer Input. Es ist immer die Frage, inwieweit man sich damit wohlfühlt und dann bereit ist, Dinge zu machen, die man bis dato nicht getan hat oder machen will. Es geht aber mehr darum, inwieweit wir detailliert versuchen, die Spieler mit Informationen zu versorgen, damit sie im richtigen Moment die richtige Entscheidung treffen. Unser Weg ist es, die Gefahr richtig zu definieren und an den Details zu arbeiten, um erfolgreich zu sein.
90minuten.at: Ich versuche es an einem Beispiel festzumachen, das heißt, ich hole jetzt – Hausnummer - einen Innenverteidiger, der, der viele defensive, gute Aufgaben erledigt, dem sage ich: „Ich glaube, dass du auch gut in der Spieleröffnung bist.“
Schopp: Es geht darum, Spielern auf allen Positionen Lösungen zu vermitteln. Sie sollten aus dem ursprünglichen Muster ausbrechen. Sie brauchen an ihre Qualität angepasste Lösungen in Ballbesitz und gegen den Ball. Wir stellen uns folgende Fragen: Wo wollen wir mit wem Bälle erobern, welche Spieler haben wir dafür in gewissen Positionen? Wo haben wir Räume, die wir bespielen wollen? Da kann man sie entweder walten lassen oder versucht, ihnen Pläne mitzugeben, an die sie sich zu halten haben. Manchmal halten sie sich aus irgendeinem Grund nicht daran; ich will es nicht extra zum Thema machen, aber es ist schon auch der Tatsache geschuldet, dass es auf gewissen Positionen eine sehr junge und unerfahrene Mannschaft ist. Die Jungs sollten all das schnell lernen, weil es einfach eine riesengroße Chance für sie ist, in der Bundesliga nicht nur Einsatzzeiten zu haben, sondern sich wirklich gut entwickeln zu können.
90minuten.at: Bevor wir zur Altersstruktur kommen. Der TSV Hartberg ist nicht die allererste Adresse; das muss man so sagen. Weder in der Steiermark noch in Österreich und international auch nicht. Wenn man eher weiter hinten in der Hackordnung ist, dauert es eben, bis man alle Spieler hat, weil die sich ja mehr erhoffen.
Schopp: Ich glaube, dass dieses Thema jeder Verein hat, egal wo in welcher Liga auch, je nachdem, wo sie in der Nahrungskette stehen. Bevor ich einen Spieler mit dem Qualitätsmerkmal zu mir bekomme, gibt es Vereine, die vorher zugreifen. Der TSV Hartberg ist sicher über die letzten Jahre ein Verein gewesen, der versucht hat Spieler zu finden, die einen regionalen Bezug haben, aber vor allem auch Spieler sind, die vielleicht bei der einen oder anderen Station gescheitert sind oder eventuell irgendwo in einer Entwicklung in ihrer Entwicklung stecken geblieben sind. Diesen Zugang hatten wir in den letzten Jahren und haben ihn nun ein wenig verfeinert.
90minuten.at: Wie habt ihr ihn verfeinert?
Schopp: Wir haben uns im Frühjahr mit meiner Rückkehr dazu entschlossen, ein Profil zu entwickeln, wie wir als TSV Hartberg den Umbruch gestalten müssen. Uns war klar, dass hier Spieler waren, die für den Verein fantastisches geleistet haben – aber wir wollten uns und den Verein weiterentwickeln und vor allem zukunftsfit machen. Dafür definierten wir eine Spielidee und skizzierten dafür auf allen Positionen passende Spielerprofile. Enorm wichtig dabei war unsere im Winter neu implementierte Scoutingabteilung mit Rene Swete und Andi Lienhart. Wir wissen, wo der TSV in der Nahrungskette ist und anhand unserer Profile kann man erkennen, wie sich die Mannschaft im Sommer verändert hat. Wir mussten jünger werden, das ist klar. Unsere Spielidee unterscheidet sich zu jener von Salzburg oder Sturm. Mit Sommer hatten wir schon viel abgehandelt und ab Tag eins der Vorbereitung einen passenden Kader, mit dem bereits sehr inhaltlich gearbeitet werden konnte.
90minuten.at: Wenn man sich jetzt diese Profile anschaut, ist die Verjüngung auffällig, bis in die Kärntner Liga runter
Schopp: Das ist relativ einfach beantwortet. Das eine ist das Müssen, weil, wie du eingangs schon gesagt hast, der TSV Hartberg einfach über begrenzte Mittel verfügt. Wir haben noch keinen Unterbau wie die meisten anderen Teams der österreichischen Bundesliga. Jene Teams schauen in ihre 2. Mannschaft, die U18. Das ist bei uns aktuell noch nicht möglich. Wir haben uns daher über die Landesgrenzen hinweg Spieler angeschaut, die den anderen noch nicht aufgefallen sind, aber Potenzial für unsere Idee haben. Das langfristige Ziel wird es aber auch in Hartberg sein, Jungs aus dem eigenen Nachwuchs vermehrt in die Kampfmannschaft zu integrieren.
90minuten.at: Können Sie die Profile und Spielideen skizzieren? Was müssen die Spieler dann können? Gibt es da, wie es neudeutsch so schön heißt, KPIs, die ein Spieler mitbringen muss?
Schopp: Das ist sehr komplex, weil es ja ganz viele Ideen gibt und am Ende des Tages entscheidet es zumindest im Profibereich der Erfolg oder Misserfolg, ob sie gut oder schlecht ist. Das ist das eine. Das Zweite ist, dass seit 2012/13 eine bestimmte Spielidee auf Österreichs Fußball Einfluss zu nehmen begonnen hat, mit ganz viel Intensität, Vertikalität, Pressing, Gegenpressing und Umschalten. Eine einfach unglaublich interessante Spielidee, die da mit Ralf Rangnick und Roger Schmidt kam und der man sich nicht entziehen kann. Diejenigen, die sich seit zehn Jahren damit beschäftigt haben – mich eingeschlossen - haben sehr, sehr leidvolle Erfahrungen mit dieser Spielidee gemacht .
Spieler des TSV Hartberg müssen das Potenzial mitbringen, sich unter diesen, von mehreren Teams in der Bundesliga gelebten Rahmenbedingungen, technisch und taktisch weiterentwickeln zu können.
90minuten.at: Und wie geht Hartberg damit um?
Schopp: Als Gegner muss man lösungsorientiert sein. Man ist von der Idee geleitet. Jetzt kann ein Verein wie der TSV Hartberg sagen: Das ist natürlich genau das, was ich auch will. Aber wenn ich das Gleiche bespielen möchte wie Salzburg oder Sturm, werde ich in den meisten Fällen der Verlierer sein. Dementsprechend macht es auch Sinn, sich Gedanken darüber zu machen, wie man gegen diese intensive Spielart alternative Lösungen findet. Nicht nur gegen den Ball, sondern auch im Ballbesitz muss man schauen, dass ihre Mechanismen nicht greifen. Neben Dynamik, Athletik, Robustheit wird es auch handlungsschnelle, technische und taktische Kompetenzen brauchen. Die Antwort kann ja nur sein, dass du Spieler entwickelst, die im Ballbesitz gegen dieses intensive, sehr zweikampfstarke Spiel Lösungen finden. Das ist eine interessante Reise, die für mich unglaublich spannend ist.
90minuten.at: Ist für uns Beobachter:innen wohl auch spannender, als die xte Mannschaft, die die andere niederpresst.
Schopp: Ich liebe den Fußball und ich liebe es zu beobachten, wie sich der Fußball vielfältig entwickelt. Die Idee mit dem Pressing stammt ja auch nicht von RB. Durch Rangnick ist es in Österreich eben erst spürbar geworden. Um dagegen zu bestehen, muss es Lösungen geben. Es geht letztlich darum, mit welcher Energie schafft man es, permanent lösungsorientiert zu arbeiten. Wie schaffst du es, die Fehlerquote so zu reduzieren, dass du am Ende des Tages wirklich gegen Red Bull nicht nur 45 Minuten ebenbürtig, vielleicht sogar besser bist, sondern über 90 Minuten? Man muss diese Prozesse richtig steuern. Es ist wichtig, dass Fehler immer passieren können, aber es braucht Klarheit. So können wir Fehler minimieren und wissen, wo wir das Risiko nicht überstrapazieren.
90minuten.at: Der TSV wird wohl nicht auf das Geld aus dem Ö-Topf verzichten wollen. Ist das schwierig, wenn andere drauf pfeifen?
Schopp: Der TSV Hartberg war immer auf den Österreicher Topf angewiesen, wie viele andere Mannschaften in Österreich auch. Ich wiederhole mich, aber wir sind ein einfacher Verein, der mit sehr limitierten finanziellen Möglichkeiten arbeitet und das ist schon auch ein Auftrag noch kreativ zu sein. Wir haben sechs Legionärs Plätze, die wir mit Qualität und Potenzial besetzen wollen. Das ganze Trainerteam und ich haben das Glück, bei einem Verein tätig zu sein, der uns bei ganz vielen Dingen unterstützt, der versucht, unsere Ideen zu verwirklichen. Sowohl in der Scoutingabteilung als auch in der Analyseabteilung sind wir mittlerweile extrem interessant aufgestellt. Hartberg hat das Glück, super interessante Jungs sowohl im Staff als auch in der Mannschaft zu haben, die den TSV als Einstieg in den Profibereich sehen und versuchen, sich in dem Rahmen zu bewegen und zu entfalten. Es ist sehr spannend zu sehen, wie wir uns in dieser Nische bewegen.
90minuten.at: Was sagen Sie dazu, dass einige Vereine auf den Topf verzichten?
Schopp: Natürlich gibt es Vereine, die andere Möglichkeiten haben und sich ausrechnen, den einen oder anderen Spieler zu holen, um ihn gewinnbringend zu verkaufen. Das ist nicht verwerflich. Das hat ja alles seine Berechtigung. Für uns gibt es dieses Thema nicht, weil wir auf jeden Euro angewiesen sind, den wir generieren können. In den Akademien wird interessant und gut gearbeitet. Wir sehen aber auch, dass die Jungs aus der Akademie nicht zwangsläufig mit 18, 19 schon Bundesligaspieler sein müssen, sondern man kann vielleicht das eine oder andere Jahr mehr in seiner Entwicklung brauchen. Siehe zum Beispiel Christoph Urdl, der erst mit 23 Jahren den Sprung in den Profibereich geschafft hat (Anm.: Urdl ist der Neffe von Markus Schopp). Wir wollen in diesem Segment niemanden übersehen und daran arbeiten wir seit sieben Monaten: Österreicher finden, die vielleicht in der Regional- oder Landesliga sind, aber das Potenzial haben, um Bundesliga zu spielen. Wir sind die zweitjüngste Mannschaft in Österreich. Das bedeutet schon was, weil wir nicht den Unterbau wie andere Mannschaften haben und sehr gut selektieren müssen.
90minuten.at: Wie wichtig ist für Sie als „Manager“ die Entwicklung von Talenten, um sie dann auch gewinnbringend weiterzuverkaufen?
Schopp: Es ist einfach ein Geschäftsmodell. Die Liga hat sich über Red Bull in den letzten Jahren International einen Namen gemacht, junge Spieler zu entdecken und zu entwickeln – RB hat ein Modell entwickelt, das auch für andere Vereine spannend sein muss. Man versucht, über die Spielidee und das Potenzial der Spieler, einen Mehrwert zu generieren, der am Transfermarkt Geld bringt. Das ist ein Modell, dass sich unglaublich entwickelt hat. Als kleiner Verein schaust du dort natürlich auch hin und überlegst, was du für dich mitnehmen kannst
90minuten.at: Wie wichtig wird es in dem Zusammenhang sein, dass die Akademie anläuft?
Schopp: Das ist eine gute Frage, weil die noch sehr jung ist. Die Hartberger Akademie ist Teil des ganzen Projektes. Wir haben jetzt in der Transferperiode, im Winter und aller Wahrscheinlichkeit nach im nächsten Sommer sicher noch nicht die Möglichkeit, hausintern nachzubesetzen.
90minuten.at: Die Stadionthematik ist für die Zukunft überlebenswichtig. Haben Sie ein Update?
Schopp: Die Situation ist ja ziemlich klar und die Politik weiß Bescheid. Alle Beteiligten wissen, dass es mit der Saison 25/26 ein klares Reglement gibt, wer an der Bundesliga teilnehmen kann und wer nicht. Wir haben das Projekt hier vor mittlerweile sechs Jahren begonnen. Das ist die sechste Saison in der Bundesliga gewesen. Zur damaligen Zeit war das eigentlich so ein One-Hit-Wonder, wo alle im Umfeld sich gedacht haben: Lass uns das Jahr genießen. Jetzt ist es anders gekommen und wir wollen ein siebtes, ein achtes. Alle Beteiligten wissen, was zu tun ist. Der nächste Schritt kann nur sein, dass sich der Verein mit einem neuen kleinen, feinen Stadion weiterentwickelt. Wenn du mich nach den Details fragst, kann ich nur sagen, dass alles sehr weit ist, aber noch nicht so, dass man sagen kann, dass es erledigt ist. Und dieses Schicksal teilen auch Sturm und der GAK. Insofern darf man es nicht auf den TSV reduzieren.
90minuten.at: Sie haben schon die große weite Fußballwelt gesehen, dann ging es retour zum kleinen TSV. Grämt sie das? Warum klappte es bei großen nicht?
Schopp: Das ist leicht beantwortbar. Es war für mich als Spieler schon der Reiz, nach Großem zu streben. Ich bin als Junge nach Hamburg gekommen, kam dann wieder zurück nach Graz und ging dann wieder ins Ausland. Auch als Trainer widerfährt mir nun ähnliches. Nach meinem Abenteuer in England habe ich nun die Möglichkeit in Österreich, ein großes Projekt, sportlich mitzugestalten und zu prägen. Dieses gesamte Projekt gibt auch mir die Möglichkeit, mich beruflich und persönlich weiterzuentwickeln. Die Zeit wird zeigen, wo der TSV in Zukunft überall mitspielen wird können. Mit eventuellem Stadionausbau, Akademie, Kooperationen ist es ein umfangreiches Projekt, das mich extrem inspiriert.