Ried-Trainer Maximilian Senft: Das "Gallische Dorf" gibt es nicht mehr [Exklusiv-Interview]
Maximilian Senft übernahm die SV Ried, um den Abstieg zu vermeiden. Das gelang nicht, er blieb. Nun will er die Innviertler wieder in die Admiral Bundesliga führen, gegenwärtig fehlen acht Punkte auf den GAK. Allerdings gibt es einen Zweijahresplan. Was dieser umfasst, erklärt er im 90minuten.at-Exklusiv-Interview.
Wir haben schon in der Kaderplanung mit dem 3-4-3 eine Grundordnung gegen den Ball entwickelt. Das ist der Eckpfeiler, mit dem wir Profile erstellen.
Dass die SV Ried am heimischen Transfermarkt kreativ sein muss, ist, denke ich, ganz logisch.
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90minuten.at: Man bekommt nicht unendlich viele Chancen als Bundesliga-Trainer – was haben Sie sich mit ihren 33 Jahren im Juni dieses Jahres gedacht, als der Abstieg besiegelt war? So manch anderer scheiterte jung und konnte sich dann nicht mehr wirklich als Cheftrainer etablieren.
Maximilian Senft: Das war eine große persönliche Niederlage und eine bittere Enttäuschung für alle im Verein. Bis heute hat es aber eigentlich sehr wenig Zeit gegeben, das ausführlich zu reflektieren. Mit der Vertragsverlängerung ging es sofort in die Kaderplanung für die nächste Saison. Ich bin jedoch ein Mensch, der versucht, an schwierigen Momenten zu reifen.
90minuten.at: Ist es eigentlich ihr Karriereplan gewesen, so früh schon Cheftrainer zu sein?
Senft: Ich durfte mit dem WAC und Barnsley internationale Erfahrung sammeln und war auf meinem damaligen Höhepunkt als Co-Trainer angekommen. Trotzdem habe ich mich dann zu dem unkonventionellen Schritt entschieden, in der vierten österreichischen Liga als Cheftrainer zu arbeiten. Ich versuche meine tiefsten Überzeugungen in Taten umzusetzen und dementsprechend war für mich klar, dass ich schwierige Aufgaben als Cheftrainer suchen und annehmen werde.
90minuten.at: Verein und Mannschaft waren am Boden, dennoch entschied man sich, Sie zu halten. Ist ihnen da auch entgegengekommen, dass die SV Ried gewissermaßen sehr, sehr viele Trainerwechsel hatte? Gerald Baumgartner war lange da, aber das war 2019/2020. Dann muss man zurück zu Lassaad Chabbi ins Jahr 2017/18, um einen Coach zu finden, der annähernd lange da war.
Senft: Diese Frage können Ihnen unsere Entscheidungsträger besser beantworten. Der Verein hat mir jedenfalls kommuniziert, dass er mir die Verantwortung für unseren Neuanfang und Zweijahresplan als Cheftrainer geben möchte. Mittlerweile arbeiten wir seit einem halben Jahr tagtäglich mit Herzblut an der Umsetzung von diesem.
90minuten.at. Wissen Sie eigentlich, warum die Innviertler als Benchmark des „Dorfklubs“ den Anschluss gewissermaßen verpasst haben?
Senft: Da müsste ich jetzt in eine retrospektive Analyse gehen, damit tue ich mir aber schwer. Das würde meine Kompetenz überschreiten. Ich glaube, dass das Alleinstellungsmerkmal „Gallisches Dorf“, das die SV Ried einmal hatte, nicht mehr gegeben ist. Jetzt verfolgt man einen langfristigen Plan, um nachhaltig erfolgreich zu sein.
90minuten.at: Als Sie die Mannschaft im Frühjahr übernommen hat, hat er sich dazu entschlossen, einen (Spiel-)Stil durchzuziehen, wofür die Mannschaft offensichtlich nicht geeignet war. Rückwirkend gesehen, wäre es besser gewesen, das pragmatischer umzusetzen?
Senft: Der Abstieg hat viele Gründe, den Spielstil zähle ich nicht dazu. Ein großes Thema, das ich auch mir ankreide, war, die Schlüsselspieler fit zu halten. Nutz, Plavotic und Pomer haben sich verletzt, dann kam ein Coronacluster in der Länderspielpause. Auch das Thema Chancenverwertung war offensichtlich. Der Spielstil hatte Elemente unseres jetzigen Spielstils, wobei in der Kurzfristigkeit eben nur Elemente umzusetzen waren.
90minuten.at: War das mit Wolfgang Fiala so abgestimmt, dass man das jetzt durchzieht, egal was passiert?
Senft: Es war klar, mit welcher Idee wir die 13 Spiele bestreiten wollen.
90minuten.at: Jetzt aber zum Sommer bzw. ins Hier und Jetzt. Wie definieren Sie Ihre Spielidee?
Senft: Ich würde es in zwei Dimensionen einteilen. Mir ist erstens ganz wichtig, dass wir als Mannschaft unseren eigenen, speziellen Charakter entwickeln, der im Stadion spürbar ist. Das hat mit Taktik weniger zu tun. Unsere Fans haben ja auch ein gutes Gespür, wie sich die Mannschaft verhält. Zwei Beispiele: Wie unterstützen die Auswechselspieler die Startelf beim Aufwärmen? Oder wie leidenschaftlich verteidigt man, wenn man 5:0 führt?
Die zweite Dimension ist die fußballerische Identität, bei der für mich Dynamik und Dynamikwechsel ausschlaggebend sind. Wir wollen den Ball mit Blick zum gegnerischen Tor im Vorwärtsverteidigen erobern und uns diesen dynamischen Vorteil in unserem Umschaltspiel zunutze machen. Unser Dynamikwechsel ist entscheidend, wenn wir den Ball in unseren Reihen haben. Gerade in der 2. Liga verteidigen viele Teams sehr passiv gegen uns und warten auf unsere Fehler. Da gilt es Angriffe geduldig vorzubereiten, aber immer den möglichen Moment des Dynamikwechsels zu erkennen und dann eiskalt zuzuschlagen, indem wir zielstrebig Richtung Tor spielen.
90minuten.at: Ob das im 4-4-2 ist oder 3-4-3 ist, ist egal?
Senft: Wir haben schon in der Kaderplanung mit dem 3-4-3 eine Grundordnung gegen den Ball entwickelt. Das ist der Eckpfeiler, mit dem wir Profile erstellen. Im Ballbesitz kann das dann schon anders aussehen. Das war dann auch die Basis für die Entwicklung eines Zweijahresplans.
90minuten.at: Welche Rolle spielte dieses Jahr, dass der GAK durch den knappen nicht-Aufstieg genauso wie der SKN eigentlich Aufstiegsfavorit war?
Senft: Seit 27 Jahren ist niemand mehr direkt wieder aufgestiegen (Anm.: FC Linz 1996). Es gab aber schon Druck in Ried. Wer etwas anderes behauptet, sagt nicht die ganze Wahrheit. Im Innviertel will man keine unauffällige Rolle im 2. Liga-Mittelfeld spielen. Wir haben uns deshalb für einen Zweijahresplan entschieden, weil ein Wiederaufstieg eine Herkules-Aufgabe ist. Wie es sich in dieser Saison mit dem SKN und auch dem GAK entwickelt, war ja auch so nicht zu erwarten.
90minuten.at: Hatten Sie nach der Niederlage gegen Stripfing das Gefühl, dass es schiefläuft?
Senft: Aus Trainerperspektive war mir klar – und das sieht auch Wolfgang Fiala so – dass der Start sehr schwierig sein würde. Wir hatten einen riesigen Umbruch, die Mannschaft war erst Mitte September komplettiert, mit der Arbeitsbewilligung von Wilfried Eza. Da waren schon sieben Runden gespielt. Bei einem Abstieg und dem damit verbundenen Umbruch ist es unmöglich ab dem ersten Spiel die Mannschaft zusammenzuhaben. Uns war es in der Anfangsphase der Saison wichtig, ständig zu evaluieren, was es in unserem Kader noch an Charakteren und Qualitäten braucht. Die späten Transfers wie Celic, Eza und Steurer haben uns gutgetan, auch wenn ich jeden Fan verstehe, der die Transfers gerne früher abgeschlossen gesehen hätte. Unseren Fans liegt dieser Verein immerhin seit Jahren und Jahrzehnten am Herzen. Um auf die Niederlage gegen Stripfing zurückzukommen – das war einer der entscheidendsten Phasen des Herbstes. Wichtig war, keinen Millimeter von unserem Weg und unserer Spielidentität abzuweichen.
90minuten.at: Was war dann für Sie der positive Knackpunkt im Herbst? Vielleicht sogar das 0:1 beim GAK, bei dem man die klar bessere Mannschaft war, aber zum ersten Mal das Potenzial der Truppe erkennen konnte?
Senft: Ich glaube, dass das Spiel davor gegen Liefering schon sehr viel gezeigt hat. Die Resultate waren unzufriedenstellend. Wir sind überzeugt geblieben und darf nicht locker lassen. Das sind schon Phasen, wo Spieler in solchen Phasen das eine oder andere zweimal hinterfragen.
90minuten.at: Der GAK ist acht Punkte vor Ried. Muss da ein Angriff ohne Wenn und Aber her? Adi Hütter war mit Grödig damals weiter weg von Lustenau.
Senft: Wenn der GAK dieselbe Ausbeute im Frühjahr wie im Herbst, müssten wir alle 15 Spiele gewinnen, um sie zu überholen – das muss man zum Einordnen dieser acht Punkte schon auch dazu sagen. Gleichzeitig traue ich Mannschaft und Verein bzw. auch den Fans alles zu. Wir müssen mit Vorbereitungsstart unseren eigenen Weg weiter verfolgen.
90minuten.at: Kommen wir noch zum Transferwinter, Stichwort Kaderplanung. Wo ist man in der Nahrungskette als SV Ried eigentlich, was ist geplant?
Senft: Wir haben im Sommer das wichtige Grundgerüst von null auf aufgestellt. Wir haben viele Spieler aus Akademie und 2. Mannschaft hochgezogen. Dadurch, dass ich glaube, dass wir ein ordentliches Grundgerüst erstellt haben, geht es jetzt um punktuelle Verstärkungen. Im Winter ist das immer ganz schwierig. Bei uns geht es um den linken Wingback, weil Philipp Pomer mit der Verletzung noch nicht weiß, wann er uns wieder unterstützen kann. Eventuell machen wir noch etwas im Sturm. Aber viel weiter als jetzt denken wir nicht. Dass die SV Ried am heimischen Transfermarkt kreativ sein muss, ist, denke ich, ganz logisch. Wir brauchen unsere klaren Profile, welche Charaktere wir haben wollen und in weiterer Folge Profile haben, wer in unsere Grundordnung und Spielidentität passt. Wolfgang Fiala ist da federführend.
90minuten.at: Kann man diese angedeutete Finanzschere irgendwie wieder schließen?
Senft: Wir sind nur ein kleines Spiegelbild der Gesellschaft. Ich sehe keine Entwicklung, die auf einer Wiederannäherung schließen lässt. Das sehe ich im Fußball in näherer Zukunft nicht.