Sturm-Gruabn: "Sie ist die Identifikationsfigur im Verein"
Im 90minuten.at Exklusiv-Interview sprechen mit Benjamin Sikora und Josef Schuster zwei der drei Gründer der Initiative zum Erhalt der "Gruabn"-Holztribüne über deren großen Erfolg. Außerdem erzählen sie von Highlights und Herausforderungen, aber auch welche Bedeutung die „Gruabn" für den SK Sturm Graz hat - und warum sich Tradition und moderner Fußball nicht unbedingt ausschließen.
Die Holztribüne ist keine spezielle Konstruktion, die schützenswert wäre. Wahrscheinlich ist es rational gar nicht erklärbar – genauso wie die Liebe zum Fußball selbst.
Du stehst in den neuen Stadien beim Buffet und kannst dich zwischen mexikanischen Tapas, japanischem Sushi oder etwas Veganem entscheiden. Dann gehst du auf die Tribüne und kannst die Frage nicht beantworten: ‚Stehe ich jetzt in der Friends-Arena in Stockholm oder im Borussia-Park in Mönchengladbach?‘
+ + 90minuten.at Exklusiv - Das Gespräch führte Valentin Berghammer + +
Die Freude über die Nachricht vom Bundesdenkmalamt war groß. Seit 2016 kämpfen die drei Sturm-Fans Benjamin Sikora, Josef Schuster und Markus Hatzl mit ihrer Initiative um den Erhalt der legendären „Gruabn“-Holztribüne, vor der von 1919 bis 1997 der SK Sturm Graz seine Heimspiele ausgetragen hat. Am 9. Mai dieses Jahres jubelten wohl nicht nur Sikora, Schuster und Hatzl, sondern alle Sturm-Fans in Österreich und darüber hinaus: Es konnte vermeldet werden, dass nicht nur die alte Holztribüne, sondern die gesamte „Gruabn" unter Denkmalschutz gestellt wird.
Darüber und vieles mehr hat sich 90minuten.at mit Benjamin Sikora und Josef Schuster, zwei der drei Gründer der Initiative, unterhalten:
90minuten.at: Herr Sikora, Herr Schuster, wie fiel Ihre Reaktion aus, als das Bundesdenkmalamt grünes Licht für den Erhalt der „Gruabn" gab?
Benjamin Sikora: Als ich die Nachricht erhielt, konnte ich es gar nicht erst glauben. Eigentlich war die Grundabsprache, dass wir zuerst die Renovierung der Tribüne durchführen und dann den Denkmalschutz angehen. Wir wollten dadurch Komplikationen vermeiden.
Josef Schuster: Ich musste mich erstmal hinsetzen. Es war einfach unglaublich. Wie Benjamin gesagt hat: Unser kurzfristiges Ziel war, die „Gruabn" mit Renovierungen wieder in ihren Ur-Zustand zu bringen. Der Denkmalschutz war das langfristige Ziel. Dass wir das jetzt als erstes erreichen, ist überwältigend.
90minuten.at: Wie und wann kam es zur Gründung der Initiative zur Erhaltung der „Gruabn"-Holztribüne?
Sikora: Angefangen hat alles im Frühjahr 2016, als ich Jugendtrainer beim Grazer Sportclub war, der ja bis heute in der „Gruabn" spielt. Dort habe ich mitbekommen, dass man mit der alten Holztribüne aus dem Jahr 1934 nicht mehr zufrieden ist und überlegt diese abzureißen. Ich bin von klein auf Sturm-Fan und in der Fanszene tief verwurzelt, daher wollte ich einen möglichen Abriss unbedingt verhindern. Die „Gruabn" ist schließlich die Heimat von Sturm Graz. Also habe ich begonnen eine Facebook-Gruppe zum Erhalt der „Gruabn"-Holztribüne zu erstellen, die auch schnell von vielen Leuten unterstützt wurde. Unter anderem dann auch von meinen Kollegen Markus Hatzl und Josef Schuster, die mit mir die Leitung der Initiative übernommen haben.
Schuster: Unser Vorbild war dabei Carl Zeiss Jena, wo Fans mittels Crowdfunding den Erhalt ihrer Südtribüne erreicht haben. Daher haben auch wir begonnen, auf einer Plattform zusätzlich ein Crowdfunding-Projekt zu starten. Aufgrund meiner politischen Tätigkeiten war es aber zu Beginn vor allem meine Aufgabe, Kontakt zur Grazer Stadtpolitik zu knüpfen.
90minuten.at: Wie waren die ersten Reaktionen?
Schuster: Das erste Gespräch mit der Stadt war zugegeben nicht sehr erfolgsversprechend. Das Verständnis für unser Anliegen war nicht sehr groß. Aber ich habe immer wieder betont, dass es schließlich um einen ikonenhaften Bau geht, der ein tragendes Element für den Verein und somit für die Stadt darstellt.
Sikora: Aber auch bei einer Präsidiumssitzung von Sturm selbst hat man anfangs wenig Sinn hinter der ganzen Aktion gesehen. Und unter den Fans gab es auch viele - vor allem unter den Alteingesessenen - die der Meinung waren, dass die „Gruabn" Geschichte sei.
Schuster: Wir sind an den Spieltagen auch immer vorm Stadion gestanden und haben um Spenden für unser Crowdfunding-Projekt gebeten. Eigentlich müsstest du bei 10.000-15.000 Zusehern schnell eine ordentliche Summe zusammenbekommen. Aber viele Fans hatten einfach mit der „Gruabn" schon abgeschlossen.
90minuten.at: Wann hat sich das Blatt zu wenden begonnen?
Schuster: Der Turnaround war mit Sicherheit der Legendentag am 1. Mai 2017. Das war die erste große Veranstaltung, die auch vom Verein mitgetragen wurde. Es gab einen gemeinsamen Fan-Marsch zur „Gruabn". Das Highlight war aber ein Match zwischen einem Crowdfunding-Team, in das man sich mit einem gewissen Betrag „einkaufen" konnte, und der legendären 98-er Mannschaft, die als erste die Meisterschaft für Sturm holte. Die sind damals mit der vollen Kapelle angetreten, das war überwältigend. Aber nicht nur das: Der Andrang war an diesem Tag enorm, die „Gruabn" war gestopft voll. Uns sind mehrmals Bier und Essen ausgegangen, das war ein Wahnsinn.
Sikora: Der mitunter größte Erfolg dabei war aber, dass wir es geschafft haben, die „Gruabn" wieder in die Köpfe der Fans zurückzuholen. Durch den Verkauf 2005 ist ein Bruch entstanden. Unserer Initiative ist es gelungen, der „Gruabn“ wieder den Stellenwert zu geben, den sie verdient hat. Dieser ideelle Wert ist sogar noch wichtiger als die finanziellen Beiträge, die wir dadurch lukrieren konnten.
90minuten.at: Von 1919 bis 1997, also fast 80 Jahre, hat Sturm in der „Gruabn" gespielt. Welche Bedeutung hat die „Gruabn" für die Fans von Sturm Graz heute noch?
Schuster: Die „Gruabn" war unser erstes Stadion. Dort wurden die ersten Erfolge gefeiert. Und dieser Platz ist bis heute vollständig erhalten. Welcher aktuelle österreichische Bundesligist kann das noch von sich behaupten? In der „Gruabn" stehen zum Teil noch dieselben Provisorien wie vor 100 Jahren. Das ist vermutlich nicht nur in Österreich, sondern auch in Europa ein Alleinstellungsmerkmal.
Sikora: Seitdem die „Gruabn" 2005 verkauft wurde, sind wir Fans in emotionaler Hinsicht heimatlos. Natürlich fühlen wir uns in der Merkur-Arena in Graz-Liebenau wohl, auch aufgrund der großen Erfolge, die wir auch dort schon erlebt haben. Trotzdem sind wir nur Mieter und es ist nicht die Heimat. Umso wichtiger ist es eben, die „Gruabn" zu erhalten. Sie ist die tatsächliche Identifikationsfigur im Verein. Es gibt momentan so viele Unbeständigkeiten und Veränderungen im Fußball, nur weniges bleibt. Und das ist bei Sturm, neben dem Namen und den Farben, eben vor allem die „Gruabn".
90minuten.at: Ihre Leidenschaft und Ihr Engagement scheint wirklich groß zu sein. Aber wie erklären Sie beispielsweise einem Anti-Fußball-Fan, dass es für einen österreichischen Top-Klub wie Sturm und seine Anhänger relevant ist, eine alte Holztribüne vor dem Abriss zu schützen?
Sikora: Wenn man den Bau alleine betrachtet, ist es an sich nichts Besonderes. Die Holztribüne ist keine spezielle Konstruktion, die schützenswert wäre. Vielmehr geht es aber um den ideellen Wert. Die Verankerung und Anerkennung in der Stadt, die die „Gruabn" genießt. Die absolute Identifikation. Das ist nicht von der Hand zu weisen und wurde jetzt auch offiziell vom Bundesdenkmalamt in Wien bestätigt. Wahrscheinlich ist es rational gar nicht erklärbar – genauso wie die Liebe zum Fußball selbst.
90minuten.at: Ihre Pläne sehen ja vor, die Holztribüne nicht so zu lassen, wie sie momentan in der „Gruabn" steht. Was genau wollen Sie verändern und wann wollen Sie damit starten?
Schuster: Uns ist es wichtig, dass die Tribüne im Ur-Zustand geschützt wird. Über die Jahrzehnte wurden zahlreiche Provisorien angebracht, wie beispielsweise ein Holzsteg unter dem Dach für die Medienvertreter oder der VIP-Bereich. Die müssen aber nicht erhalten bleiben für den Denkmalschutz.
Sikora: Die „Gruabn" ist geschützt, so wie sie jetzt da steht. Aber das Bundesdenkmalamt ist mit einem etwaigen Rückbau in den Ur-Zustand ebenso einverstanden. Wir könnten zwar jetzt schon erste Arbeiten durchführen, aber wir wollen versuchen noch mehr Geld zu sammeln, um die Arbeiten größer anlegen zu können. Ich bin positiv, dass uns auch das gelingt. Vor allem nach dem medialen Echo in den letzten Wochen.
90minuten.at: Die „Gruabn" ist ein legendäres Stadion, eines vom alten Schlag. Was halten Sie von den neuen, modernen Fußball-Arenen? Vor allem im Hinblick darauf, dass auch bei Sturm ein Stadionneubau immer wieder im Raum steht.
Schuster: Es stimmt schon, dass die neueren Stadien alle austauschbar sind. Du stehst beim Buffet und kannst dich zwischen mexikanischen Tapas, japanischem Sushi oder etwas Veganem entscheiden. Dann gehst du auf die Tribüne und kannst – überspitzt gesagt – die Frage nicht beantworten: ‚Stehe ich jetzt in der Friends-Arena in Stockholm oder im Borussia-Park in Mönchengladbach?‘. Trotzdem ist ein Neubau natürlich eine enorme wirtschaftliche Möglichkeit. Solange ich als Klub nicht auf alles pfeif', was die Fans wollen.
Sikora: Man muss einen Mittelweg finden, der zu deinem Verein passt. Eine Identifikation bekommst du mit der Zeit auch in einem neuen Stadion. Natürlich schwingt Wehmut mit, wenn man das alte Stadion verlassen muss. Wenn es aber auf eine vereinseigene, charmante Art und Weise angegangen wird, dann könnten auch wir auf jeden Fall damit leben.
90minuten.at: Die Pläne für eine Super-League, eine WM in Katar im Dezember. Wie wichtig sind eingefleischte Fans, wie Sie beide, noch im modernen Fußball?
Schuster: Aus Vereinssicht ist der sogenannte „Klatschpappen-Fan" natürlich der angenehmere. Der jammert nicht und findet sowieso alles super. Irgendwann werden die richtigen Fans halt in die unteren Ligen zum Amateurfußball gehen, wenn sich die Entwicklung nicht ändert. Es gibt ja auch bei uns traurige Beispiele von Fans, die früher aktiv waren und denen es heute relativ egal ist, dass Sturm spielt. Ich frage mich schon: Was ist da passiert, dass diese Emotion völlig verloren geht? Für mich wäre es eine Horror-Vorstellung, wenn mir dasselbe passiert.
Sikora: Ich glaube trotzdem, dass wir Fans vor allem in Traditionsvereinen wichtig sind. Natürlich werden wir es sportlich schwer haben in den nächsten Jahren Meister zu werden, aber umso wichtiger ist es, uns als Verein ordentlich Gehör zu verschaffen. Und das können nur wir Fans. Es hat ja einen Grund warum in normalen Zeiten 10.000 Leute ins Stadion nach Liebenau kommen. In Wahrheit müssen uns diese Entwicklungen gar nicht kümmern, solange wir uns selber treu bleiben, solange wir Sturm bleiben.
90minuten.at: Wie viele andere Traditionsvereine steht aber auch Sturm vor der Herausforderung, auf der einen Seite den Erhalt der Tradition zu sichern und auf der anderen Seite den Anschluss an den modernen Fußball nicht zu verlieren. Wie sehen Sie das? Lieber mehr Tradition und weniger Erfolg oder anders herum?
Sikora: Also das Eine schließt ja das Andere nicht aus. Es ist schön in die Vergangenheit zu schauen und dabei aber auch nicht zu vergessen, die negativen Seiten hervorzuheben. Mit einer vernünftigen Herangehensweise ist der Spagat zwischen Tradition und modernen Fußball sicher möglich. Solange man sich nicht von einer Person abhängig macht, ist das in Ordnung. Aber da sind wir bei Sturm auch ein bisschen gebrandmarkt.
Schuster: Ich unterstütze Sturm lieber als Mitgliederverein in der Regionalliga, als mit einem Investor international zu spielen. Es ist auch im Leitbild verankert, dass wir ein Mitgliederverein sind. Das zeichnet Sturm aus. Auch, dass es uns gelingt gut zu wirtschaften, ohne uns verkaufen zu müssen. Und ich finde Sturm-Präsident Christian Jauk hat es bezüglich der „Gruabn" zuletzt genau richtig gesagt: „Das Zeugnis der Geschichte bleibt bestehen, jetzt muss sich der Fokus auch auf unsere Zukunft richten." Dem ist nichts hinzuzufügen.
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