“Muslic hat sich bei seiner Antrittspressekonferenz die Latte hoch gelegt”
Thomas Streif, Journalist bei den 'Oberösterreichischen Nachrichten' und SV Ried-Insider, spricht im Vorfeld des Derbys gegen den LASK über die aktuelle Lage bei den Innviertlern.
Mit zwei Niederlagen wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu halten sein. Dann könnte wohl wieder einmal der Name Gerhard Schweitzer ins Spiel kommen.
+ + 90minuten.at Exklusiv - Das Gespräch führte Gerald Emprechtinger + +
90minuten.at: Als Lokalredakteur im Innviertel begleitest du die SV Ried seit vielen Jahren durch den Ligaalltag und sprichst auch regelmäßig mit Vereinsverantwortlichen. Wie angespannt war die Lage nach dem 0-4 gegen den WAC wirklich?
Thomas Streif: Schon sehr angespannt, weil man nach den zuletzt absolvierten Spielen das Gefühl hatte, zumindest in der Defensive halbwegs stabil zu stehen. Davon war gegen Wolfsberg dann nicht viel zu sehen. Und, dass man im Profifußball nach acht sieglosen Spielen angezählt ist, ist das normalste der Welt. In den Tagen danach hat es sicher mehrere Gespräche – auch mit Muslic und der Mannschaft – gegeben. Die Mannschaft steht hinter dem Trainer, jetzt muss das Team in den zwei noch verbleibenden Spielen des Grunddurchgangs liefern, sonst wird Muslic wohl nicht mehr zu halten sein.
90minuten.at: Miron Muslic hat keine Erfahrung als Cheftrainer in der Bundesliga und war mit Ausnahme der Halbsaison beim FAC auch noch nirgendwo Cheftrainer bei einer Profimannschaft. Hat man diesen Faktor bei seiner Bestellung zum Cheftrainer unterschätzt?
Streif: Ob man es unterschätzt hat, weiß ich nicht. Fakt ist, dass er wohl nicht der erste Wunschkandidat war. Dass dann einige andere Kandidaten, mit denen offenbar Gespräche geführt wurden, auftauchten, war nicht sonderlich glücklich, lässt sich im Fußballgeschäft aber nicht immer vermeiden. Muslic hat sich bei seiner Antrittspressekonferenz die Latte halt schon sehr hoch gelegt. Die Rede war von mutigem Angriffsfußball (Stichwort Pressing), davon war in den vergangenen Wochen nicht sehr viel zu sehen. Ein Spielsystem, das unter Baumgartner vor allem auf eine möglichst stabile Defensive ausgerichtet war, so schnell umzustellen, funktioniert nicht von heute auf morgen. Es ist wieder einmal der Faktor Zeit, der in Ried fehlt. Kein Wunder, eigentlich ist man seit zirka fünf Saisonen im Dauerstress (Abstiegskampf, Aufstiegskampf, Abstiegskampf), da bleibt wenig Zeit für Visionen und neue Wege. Wobei der Ansatz, in Ried mit Spielern aus der eigenen Akademie einen jungen Weg gehen zu wollen, völlig richtig ist, Stichwort Identifikation. Die Umsetzung ist halt alles andere als leicht.
90minuten.at: Worin siehst du die Hauptgründe, dass Miron Muslic nach acht Spielen als SVR-Trainer noch immer sieglos ist?
Streif: Man hat nach vorne ganz einfach viel zu wenig Durchschlagskraft. Was auch fehlt ist ein echter Torjäger. Eigentlich wollte man in der Transferphase einen großen Mittelstürmer holen, geworden ist es dann Patrick Schmidt, der sicher seine Qualitäten hat, aber der Stürmer, den man vorne mit langen Bällen anspielen kann und die Bälle dort hält, ist er auch nicht. Aber es nur daran festzumachen, wäre zu einfach. Grundsätzlich, das war vor der Saison klar, kann es für Ried als Aufsteiger nur ein Ziel geben: den Klassenerhalt. Da ist man, so komisch das nach dieser Negativserie auch klingt, noch immer auf Kurs. Drei Jahre zweite Liga haben Spuren hinterlassen. Die Zeiten, in denen der Aufsteiger euphorisch um die Europacupplätze mitspielen kann, sind wohl vorbei. Zu groß ist der Unterschied zwischen den Ligen. Sollte Ried den Klassenerhalt schaffen, scheint die Meisterrunde auch in den kommenden Jahren fast unerreichbar zu sein.
90minuten.at: Glaubst du persönlich noch an eine Trendwende unter Miron Muslic? Wenn man ihm jetzt noch zumindest bis Ende des Grunddurchgangs Zeit geben will, dann muss er vermutlich im Derby und/oder bei Altach punkten. Verzögert man damit nur das Unausweichliche?
Streif: Mit zwei Niederlagen wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu halten sein. Ich glaube, dass er diese beiden Spiele noch erhält, dann wird man die Situation erneut bewerten und, falls nötig, sehr rasch handeln müssen. Dann könnte wohl wieder einmal der Name Gerhard Schweitzer ins Spiel kommen.
90minuten.at: Zum anstehenden OÖ-Derby - was muss passieren, dass der LASK am Sonntag nicht zum ersten Mal seit 22 Jahren ein Ligaspiel in Ried gewinnt? Anders gefragt, was muss bei der SV Ried alles klappen, dass man nicht auf der Verliererseite landet?
Streif: Man sollte es auf alle Fälle nicht so anlegen wie auswärts. Dort hat sich Ried im eigenen Strafraum gestaffelt und auf ein Wunder gehofft. Ein Punktgewinn wäre ohne Frage eine große Überraschung. Eine Führung und guter Spielverlauf könnte vielleicht dazu beitragen, dass sich die Blockaden und Unsicherheiten bei den Spielern in dieser sportlichen Krise lösen. Aber dass der LASK haushoher Favorit ist, das steht freilich außer Frage.
90minuten.at: Was würde ein erneuter Abstieg für den Rieder Fußball bedeuten? Müsste man als SVR-Anhänger die Hoffnungen auf eine abermalige Rückkehr in die Bundesliga begraben?
Streif: Ich persönlich glaube nicht, dass man dann erneut sofort in den Kampf um den Wiederaufstieg eingreifen könnte. Das habe ich aber auch nach der zweiten Saison in der Zweiten Liga gedacht – und mich getäuscht. Der Profifußball in Ried ist – Stichwort Trainingszentrum, Akademie – auf die Bundesliga ausgelegt. Möglicherweise müsste man sich bei einem erneuten Abstieg die eine oder andere Saison in der Zweiten Liga „sammeln.“ Aber ob das mit den Ansprüchen im Innviertel tatsächlich funktionieren würde, ist unklar.
Der 90minuten.at-Schwerpunkt zum ungleichen Duell zwischen Ried und dem LASK