Harald Lechner vor Bundesliga-Start als VAR: "Es beginnt ein neues Zeitalter"
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Harald Lechner vor Bundesliga-Start als VAR: "Es beginnt ein neues Zeitalter"

Der 38-jährige Wiener wird heute der erste VAR in der Geschichte der österreichischen Bundesliga sein. Im 90minuten.at Exklusiv-Interview spricht er über die Herausforderungen und die (begrenzten) Möglichkeiten des Videoschiedsrichters. Denn, es ist nicht immer alles so einfach, wie man denkt.

Der VAR empfiehlt dem Schiedsrichter am Platz nur sich Situationen nochmal anzusehen. Die endgültige Entscheidung bleibt bei ihm am Spielfeld.

Harald Lechner, erster VAR der Saison

+ + 90minuten.at Exklusiv - Das Gespräch führte Michael Fiala + +

Heute um 20:30 Uhr pfeift Walter Altmann in der Grazer Merkur Arena das Eröffnungsspiel der neuen Bundesliga-Saison zwischen Sturm Graz und Meister Red Bull Salzburg an. Mit ihm am Platz laufen wie seit Jahren und Jahrzehnten gewohnt zwei Assistenten und ein vierter Offizieller auf. Erstmals erhält Altmann in der Geschichte der österreichischen Bundesliga aber weitere Hilfe von außen: Harald Lechner, langjähriger und erfahrener Bundesliga-Schiedsrichter, wird in Wien sitzen und das Spiel am Bildschirm verfolgen. Mit dem Start in die neue Spielzeit feiert auch in Österreich der Videoschiedsrichter seine Premiere. 90minuten.at-Chefredakteur Michael Fiala hat sich mit Lechner im Vorfeld des Auftakts unterhalten. Was hält er von der Einführung? Welche Grenzen gibt es für den VAR? Und vor allem: Was wird sich ändern?

 

90minuten.at: Mit dem Videoschiedsrichter bricht eine neue Ära an. Man hat in den letzten Jahren international schon gesehen was er kann, aber auch was er nicht kann. Wie würden Sie diese Einführung nach der Vorbereitung beurteilen?

Harald Lechner:
Es beginnt ein neues Zeitalter, Schiedsrichter 2.0 quasi. Es wird schon stressig und fordernd, hinter dem Bildschirm zu sitzen und in der Schnelligkeit auch den richtigen Kamerawinkel zu finden, um eine Situation richtig beurteilen zu können. Entscheidend ist auch die sogenannte "Interventionsschwelle", also wann greife ich ein oder wann ist es offensichtlich. Außerdem wird es sicher interessant zu schauen: Was hat der Schiedsrichter gesehen und wie hat er es am Platz wahrgenommen? Andererseits dann die Frage: Was habe ich am Bildschirm gesehen?

 

90minuten.at: Gibt es dabei Situationen und Bereiche, wo das Regelwerk einen Spielraum für die Schiedsrichter offen lässt?

Lechner: Nein, das ist ganz klar vorgegeben. Man muss sich rigoros an das Schiedsrichterprotokoll der IFAB (International Football Association Board, Anm.) von der FIFA halten. Aber es wird auf jeden Fall schwierig, bei Situationen nicht einzugreifen, obwohl du am Bildschirm erkennst, dass das eine klare Fehlentscheidung war. Beispielsweise bei einer Eckballentscheidung, die falsch ist und wo darauf anschließend ein Tor fällt. Hier dürfen wir nicht eingreifen, weil es das Protokoll so vorsieht. Es werden zwar dann wieder die Diskussionen losgehen, aber man darf nicht vergessen: Fußball bleibt ein Graubereich. Es treffen nach wie vor Menschen die Entscheidungen. Auch was beispielsweise die Ziehung der kalibrierten Abseitslinie betrifft.

 

90minuten.at: Welche schlussendlich auch nur ein optisches Hilfsmittel für den Zuseher ist. Das ist ja keine Linie, die mathematisch bzw. geometrisch perfekt ist.

Lechner: Man muss dabei beachten, dass diese Linie nur mit der "Sechzehner-Hochkamera" gezeichnet werden kann. Diese Linie wird aus einem schrägen Kamerawinkel gezogen und der Videoschiedsrichter muss sich Anhaltspunkte suchen. Wo hat der Spieler seine Körperteile, die für eine Abseitsentscheidung relevant sind? Ist das Knie oder die Schulter vorne? Im Fernsehen schaut das immer recht schön aus, aber der Weg zu dieser Entscheidung ist sehr anstrengend. Auch, weil man im VAR-Raum wirklich unter Zeitdruck steht.

 

90minuten.at: Es obliegt ja dem VAR ob er schlussendlich eingreift oder nicht. Wurde zuletzt bei der Europameisterschaft häufiger eingegriffen, als beispielsweise bei der deutschen Bundesliga?

Lechner: Da muss man immer unterscheiden: Es wurde zwar viel gecheckt, aber nicht eingegriffen. Der VAR empfiehlt dem Schiedsrichter am Platz nur sich Situationen nochmal anzusehen. Die endgültige Entscheidung bleibt bei ihm am Spielfeld.

 

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Seit 13 Jahren leitet Lechner Partien in der Bundesliga.

90minuten.at: Aber es ist kein Muss für den Schiedsrichter am Platz sich die Situation nochmal anzusehen. Er kann auch auf Basis der Empfehlung entscheiden.

Lechner: Auch hier muss man wieder differenzieren: Es gibt Situationen, die sind faktisch und welche, die subjektiv sind. Zu den faktischen zählt zum Beispiel eine weite Flanke auf den Stürmer, der schießt ein Tor – steht aber im Abseits. Das ist Fakt. Bei den subjektiven Situationen hingegen ist es nicht so einfach. War das Verhalten schon eine strafbare Handlung, ist der Kontakt ausreichend, verstellt jemand in Abseitsposition dem Torhüter die Sicht. Solche Konstellationen müssen immer am Feld vom Schiedsrichter gecheckt werden. In der Fachsprache nennt man das den "On-Field-Review".

 

90minuten.at: Ein Streitpunkt bei der Euro war oft auch das Anzeigen der Abseitsentscheidung. Da wurde oftmals sehr spät erst die Fahne gehoben. Wie handhabt das die Bundesliga?

Lechner: Da gibt es auch wieder einen englischen Fachbegriff, der sich "Delay", also Verspätung, nennt. Der Assistent weiß zwar schon, dass es Abseits ist, lässt aber bewusst weiterlaufen. Warum? Würde er es schon vorzeitig anzeigen und der Schiedsrichter abpfeifen, wäre die Situation abgeschlossen und nicht mehr korrigierbar. Lässt man das Spiel aber weiterlaufen und es fällt im Anschluss ein Tor, kann man sich die Situation immer noch ansehen und dann entscheiden. Ich kann mir schon vorstellen, dass es für die Spieler unangenehm ist, weil dabei oft Laufwege absolviert werden, die umsonst sind.

 

90minuten.at: Die Entwicklung im internationalen Fußball geht immer mehr in Richtung Technik, die das Spiel fairer und somit besser machen soll. Aber man hat als Zuseher mittlerweile das Gefühl, dass der Spielfluss stark unter diesen angesprochenen Verzögerungen leidet.

Lechner: Man darf hier nicht vergessen, dass der Weg zu einer Entscheidung oft ein sehr langer ist. Bei einem Tor oder bei einer Strafraumsituation, muss auch der Weg dorthin analysiert werden. Es kann ja durchaus sein, dass dem Ganzen vorher schon eine strafbare Handlung vorausgegangen ist. Das dauert seine Zeit. Und jetzt, wo alles neu ist, muss man wohl sowieso damit rechnen, dass es zu längeren Verzögerungen kommt. Es wird aber versucht, alle Beteiligte so gut wie möglich zu informieren. In den Stadion wird auch an den Bildschirmen angezeigt, was gerade gecheckt wird. Das wird hoffentlich für etwas Ruhe sorgen.

90minuten.at: Wie kann man sich das "VAR-Studio" vorstellen? Wie viele Leute sind da an einem Spiel beteiligt?

Lechner: Grundsätzlich hat jedes Spiel einen eigenen Videoschiedsrichter und einen zusätzlichen Assistenten. Muss eine potenziell strafbare Handlung gecheckt werden, macht das der Videoschiedsrichter, während der Assistent weiterhin das Spiel verfolgt. Außerdem gibt es pro Match einen Operator von der Firma 'Hawk-Eye', der uns die Bilder zuspielt. Diese sind auch komplett live, da reden wir nur von Millisekunden Verzögerung.

 

90minuten.at: Inwieweit hat man auch Spieler und Trainer auf diese Neuheit vorbereitet?

Lechner: Es haben alle Vereine noch eine Schulung erhalten vor der Saison, um auch die ganzen Begriffe, sowie den Ablauf und damit die Verzögerungen verstehen zu können. Was am Anfang sicher ungewohnt sein wird, ist die längere Nachspielzeit. Da kann es bei zwei oder drei Checks plus den fünf möglichen Auswechslungen schon zu einer beträchtlichen Verlängerung kommen.

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