"Wo ist der große Aufschrei bei homophoben Beschimpfungen?"
Vor einem Jahr wurde die Ombudsstelle gegen Homophobie geschaffen. Oliver Egger leitet sie und zieht über das letzte Jahr eine für Österreich durchaus positive Bilanz.
Ich würde sagen, dass 95 Prozent von ihnen noch nicht bereit sind auch im Fußball offen leben können. Sie sind vielleicht im privaten Umfeld oder vor Freunden geoutet, für sie ist es vielleicht nicht möglich, im Sport offen schwul zu sein.
+ + 90minuten.at Exklusiv ++ Von Georg Sander
Die Ombudsstelle gegen Homophobie gilt als eines der Vorzeigeprojekte der Bundesliga. Oliver Egger leitet diese und gibt einen Einblick in seine tägliche Arbeit. Im Interview mit 90minuten.at spricht er zudem über Symbolpolitik, Doppelmoral und dass es in Österreich offenbar langsam besser wird.
90minuten.at: Braucht es neben der Ombudsstelle gegen Homophobie noch mehr Aktionen?
Oliver Egger: Natürlich. Die Frage ist auch, was die Klubs von sich aus machen. Es gehört noch viel mehr gemacht. Symbolpolitik ist wichtig und sinnvoll, für mich ist der Einsatz gegen Homophobie nicht damit abgeschlossen, dass es einmal im Jahr eine Regenbogenkapitänsbinde gibt oder ein Taferl in die Kamera gehalten wird. Das ist wichtig, aber wirkliches Engagement geht für mich darüber hinaus, indem man sich ganzjährig für die Sache einbringt. Das fängt schon mit Interviews an. Wenn es beispielsweise bei einem Spiel homophobe Vorfälle gibt, sollen die auch vor der Kamera verurteilt werden. Oftmals wird das stillschweigend hingenommen. Wenn wie in Deutschland ein Dietmar Hopp mit Fadenkreuz gezeigt wird, ist das natürlich nicht ok, aber wo ist der große Aufschrei bei homophoben Beschimpfungen? Oder bei Rassismus? Da orte ich oft Doppelmoral.
90minuten.at: Derzeit gibt es durch das Thema Rassismus viele Aktionen von Spielern. Was bringen Symbole von beispielsweise Vereinen im Allgemeinen?
Egger: Das bringt Sichtbarkeit. Das ist für mich ein großes und wichtiges Thema. Nicht nur fußballspezifisch, sondern gesamtgesellschaftlich. So lange man sich noch immer verstecken muss, mit seinem Partner nicht händchenhaltend spazieren gehen kann oder zu einem Fußballspiel, ist das eigene Leben eingeschränkt. Dann kann man nicht leben, wie man ist. Das ist kein selbstbestimmtes Leben. Diese Aktionen geben Empowerment. Die Vereine denken an 'uns', sie machen sich Gedanken und unterstützen und – auch wenn sie 'nur' ihr Profibild mit einem Regenbogen markieren. Wir in der LGBTQI+-Community sind auf die Straight Allies (Anm.: heterosexuelle Menschen, die sich für die Rechte der LGBTQI+-Rechte einsetzen) bis zu einem gewissen Teil angewiesen, vor allem im Fußball. Wenn ich keine Unterstützung der Mitspieler und des Vereins hätte, stünde ich bald alleine da.
90minuten.at: Über den Fußball erreicht man viele Menschen, die sich mit manchen Themen nicht auseinandersetzen.
Egger: Mit Sicherheit. Das ist nicht nur im Amateurbereich so, sondern auch ganz sicher im Profibereich. Menschen werden mit Themen konfrontiert, von denen sie keinen Tau haben. Darum ist es wichtig, dass man die Themen immer wieder anspricht, Aktuelles dazu macht, um die Sensibilität zu schüren. Das fehlt im Fußball meiner Meinung nach gänzlich.
90minuten.at: Wer wendet sich nun konkret an die Ombudsstelle?
Egger: Es waren bisher Spieler und Schiedsrichter, die sich bei mir gemeldet haben. Da geht es um die verschiedensten Dinge, viele finden es echt cool, dass es die Stelle gibt und sie fühlen sich ermutigt und bestärkt. Es sei schön zu sehen, dass sie nicht die einzigen sind. Zum Glück war kaum jemand dabei, der einen richtig großen Leidensdruck hatte. Wenn, dann habe ich versucht, mit meinen Erfahrungen zu helfen und ihnen zu sagen: Schau, bei mir war es so. Dann habe ich ihnen immer mit auf den Weg gegeben, dass sie ihren eigenen Weg finden müssen. Nur weil es bei mir so funktioniert hat, heißt das nicht, dass es genauso auch woanders gehen kann.
Daneben habe ich viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht, es gibt nach wie vor viele Interviewanfragen. Das finde ich cool, weil es das Thema präsent hält. Es gab auch einiges an Zusammenarbeit, wir wollten auch Workshops anbieten, das hat sich Corona-bedingt ein bisschen verschoben. Ich war zudem im Februar bei einem Kongress in Dortmund, da ging es um die Rolle von Vereinen und Spielern, wie man den Fußball bunter und diverser machen kann. Da war beispielsweise Leicester City dabei. Das sind andere Sphären. Die machen echt gut Arbeit. In Deutschland soll zudem in den nächsten fünf Jahren ein Projekt für mehr Vielfalt im Stadion aufgebaut werden. Da geht es darum, wie der Zugang ermöglicht wird, etwa durch Gender-neutrale Toiletten. Da stehen wir auch mit Rat und Tat zur Seite.
90minuten.at: Es wenden sich also, um noch einmal darauf zu sprechen zu kommen, queere Menschen aus dem Fußballkontext an die Ombudsstelle?
Egger: Genau. Ich würde sagen, dass 95 Prozent von ihnen noch nicht bereit sind – oder es aus verschiedenen Gründen nicht können – auch im Fußball offen leben können. Sie sind vielleicht im privaten Umfeld oder vor Freunden geoutet, für sie ist es vielleicht nicht möglich, im Sport offen schwul zu sein.
90minuten.at: Rufen auch Menschen an, die Tipps haben wollen, wie sie im Verein mit Schmähungen umgehen sollen?
Egger: Nein, aber wir wollen in Zukunft mit der Männerberatung Wien zusammenarbeiten. Ich habe erfahren, dass sich dort Männer melden, die das in ihrem Verein wahrnehmen. Bei mir hat noch niemand angerufen, dass beispielsweise ein Trainer die ganze Zeit schimpft.
90minuten.at: Gegenwärtig können Fans im Stadion nicht negativ auffallen. Wie blicken Sie auf das letzte Jahr zurück? Gab es mehr oder weniger homophobe Beschimpfungen? Ist etwas in die positive Richtung weiter gegangen?
Egger: Ich finde schon. Wir arbeiten ja mit der Bundesliga zusammen, die dokumentieren homophobe Vorkommnisse. Ich kann mir ja auch nicht jedes Spiel anschauen. Es hält sich eigentlich im Rahmen im Stadion. Ich glaube, dass einiges weiter gegangen ist. Ich hatte beispielsweise mit dem Fanbeauftragten von Sturm zusammen gearbeitet. Der war auch bei dem erwähnten Kongress. Er ist erst seit kurzem bei Sturm, er ist auf mich zugekommen und wollte wissen, wie er das Thema im Verein und bei den Fans angehen könnte. Da haben wir dann etwas ausgearbeitet. Es gab bei einem Heimspiel dann im Fanshop zu jedem Einkauf den Flyer von 'Fußball für alle' dazu. Ich glaube schon, dass mittlerweile bei den Vereinen Personen am Werk sind, die etwas weiter bringen wollen. Natürlich wird es auch immer Ausreißer geben, aber es hat sich schon ein bisschen was geändert.