Dominik Thalhammer: "Haben uns für radikale Änderung der Spielweise entschieden"
Der Teamchef der ÖFB-Frauen fiebert jetzt schon den Duellen mit Frankreich entgegen. Es geht in der EM-Quali um die Bestätigung des sensationellen EM-Halbfinales 2017 - mit einem vollkommen neuen, fußballerischen Ansatz.
Es war schon die Überlegung, was wir im Erfolg machen. Muss man da Dinge verändern? Wie weit kann und muss ich gehen? Was lassen die Spielerinnen zu? Sind sie dafür überhaupt offen?
Viele Spielerinnen überlegen, wo man bessere Entwicklungsmöglichkeiten hat. Darum geht es für viele ins Ausland. Es geht aber auch anders. Das sieht man bei Julia Hickelsberger-Füller.
+ + 90minuten.at Exklusiv + + Das Gespräch führte Georg Sander
Seit 2011 leitet Dominik Thalhammer das Frauen-Nationalteam als Chefbetreuer. Der größte Erfolg ist mit Sicherheit das Erreichen des EM-Halbfinales 2017. Das gelang mit einem guten Defensivkonzept. Nun schießt das Team plötzlich Tore, wie etwa beim 9:0 gegen die Kasachinnen. Thalhammer hat aus der sicher verteidigenden Truppe von 2017 mittlerweile ein Team geformt, das einen offensiven Fußball spielt. Das war keine leichte Aufgabe, viel Überzeugungsarbeit war notwendig. Im Interview mit 90minuten.at spricht der Teamchef über diese Umsetzung des neuen Spielstils, die 2020 anstehenden Duelle mit den Weltklassekickerinnen aus Frankreich und Ideen, wie der Frauenfußball in Österreich besser gefördert werden kann. Etwa, dass die Bundesligisten im Herrenfußball, die kein Frauenteam haben, nur dann lizensiert werden, wenn sie eines haben.
90minuten.at: Österreich ist Gruppenerster, Frankreich hat noch nicht alle Spiele absolviert. 16:0 Tore, unlängst der Kegelabend gegen die Kasachinnen. Wie zufrieden sind Sie?
Dominik Thalhammer: Unser Weg stimmt aktuell ganz gut. Der große Decission Point war nach dem Erfolg bei der Europameisterschaft 2017. Wir haben darüber nachgedacht, wie es weiter gehen kann. Wir haben uns für eine radikalte Änderung der Spielweise entschlossen, zur Überraschung vieler. Wir waren damals in der Defensive sehr flexibel und im Bereich der Systeme. In der Offensive haben wir eher lange Bälle gespielt. Die Frage war, ob wir mit dieser Spielweise auch 2019, 2020 und 2021 erfolgreich sein können. Es gab die Entscheidung, einen anderen Weg zu gehen. Nach der Euro haben wir nachgedacht, ob es der richtige Weg ist. Da war das eine oder andere Ergebnis nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Nun sind wir aber zufrieden mit dem Weg, den wir gegangen sind.
90minuten.at: Ins EM-Halbfinale kam man ohne Offensivfeuerwerk, dafür mit einem sehr strukturierten Defensivkonzept – so kann man das zusammenfassen.
Thalhammer: Es gab offensiv schon verschiedene Systeme. Wir haben tief im Block in einem 5-4-1 verteidigt, dann hoch in einem 4-4-2 angepresst und waren im Ballbesitz in einem 4-2-3-1. Das waren schon Systemswitches, aber das Offensivspiel war schon sehr einfach.
90minuten.at: Wobei das sowieso jeder Vereinstrainer macht: Er stabilisiert die Defensive. Nun sind die ÖFB-Frauen in der erweiterten Europaspitze angekommen. Es ist ja leichter, wenn man zunächst keine Tore kassiert, oder?
Thalhammer: Auf jeden Fall. Es geht ja noch fünf, sechs Jahre weiter zurück. Alss wir begonnen haben, haben wir auch mal nur versucht, in einem 4-4-2 kompakt zu stehen. Das hat sich dann bis hin zu einem sehr aggressiven Angriffspressing entwickelt, aber mit der Felxibilität, in einem Spiel situativ tiefer zu verteidigen. Das stellt den Gegner vor andere Herausforderungen, er findet ganz andere Räume vor oder nicht. Wir wollten dem Gegner immer wieder Probleme bereiten, welche Räume er bespielen kann. Natürlich auch durch unterschiedliche Grundordnungen. Diese führen dazu, dass andere Räume bespielt werden können. Diese Flexibilität haben viele Gegner nicht. So haben wir erfolgreich bei der EM 2017 gespielt. Bis zum Semifinale haben wir nur ein Tor in der reinen Spielzeit bekommen.
90minuten.at: Ist mit ein Grund für die Umstellung, dass viele der Spielerinnen, die auch schon jahrelang dabei sind, immer weiter in die Topelite des europäischen Klubfußballs vordringen?
Thalhammer: Auch. Aber es war schon die Überlegung, was wir im Erfolg machen. Muss man da Dinge verändern? Wie weit kann und muss ich gehen? Was lassen die Spielerinnen zu? Sind sie dafür überhaupt offen? Immerhin waren wir so im EM-Halbfinale. Das war ja die Antithese, eine Revolution im Offensivspiel. Wir wollen dynamisches Ballbesitzspiel haben. Wenn ich daran denke, dass eine Mannschaft ständig Positionen wechselt: Wir hatten in den letzten Spielen Spielerinnen, die beispielsweise als Außenverteidigerin auf den Positionen sechs oder acht waren. Oder tauchte auf der Zehn auf. Das ist schon eine spannende Spielweise, die auch sehr schwer zu verteidigen ist.
90minuten.at: Wie bringt man den Nationalspielerinnen so etwas bei? Als Auswahltrainer hat man sie ja nur ein paar Mal im Jahr zusammen.
Thalhammer: Es ist eine klassische Überzeugungsarbeit. Wenn man sich Teams wie den LASK ansieht, dann habe ich das Gefühl, dass sie das aus einer großen Überzeugung heraus machen. Das ist eine Funktionslust. Nur dann kann man auch in den Bereichen extrem gut sein. Es hat eine Zeit gebraucht, aber ich sehe, wie Dinge nun mit Freude und Begeisterung am Platz umgesetzt werden. Das ist ein sehr schwieriger Prozess. Man zweifelt auch immer wieder, ob etwas funktionieren kann. In den letzten Jahren haben wir auch oft gegen starke Gegner gespielt, da kam auch von außen die Frage, warum die Ergebnisse nicht so gut sind. Mit Gegnern wie Deutschland können wir uns noch nicht vergleichen.
90minuten.at: Wie geht das konkret?
Thalhammer: Es ist eine Methodenvielfalt gefragt. Man muss viel an der Tafel und mit Videos arbeiten, auch am Platz und dann die Trainings analysieren. Es ist ein ständiger Methodenmix. Vermittlung ist eine der wichtigsten Kompetenzen, die ein Trainer haben muss.
90minuten.at: Das heißt, wie ich Pressingtriggerpunkte vermittle, ist egal. Es muss ankommen?
Thalhammer: Im Nationalteam muss man sehr effizient sein. In der Zeit zwischen den Lehrgängen bekommen die Spielerinnen Videosequenzen. Dann schicken sie diese dokumentiert zurück.
90minuten.at: Im Frühjahr kommen die Duelle mit den Französinnen, einem absoluten Weltklasseteam. Darf man da von einem Gruppensieg träumen?
Thalhammer: Träumen darf und soll man immer. Das hat uns in den letzten Jahren auch ausgezeichnet. Die Realität zeigt aber noch etwas anderes. Frankreich ist eine Topmannschaft, die haben Spielerinnen, die extrem schnell und athletisch topp sind. Umgekehrt denke ich, dass sie als Team nicht so perfekt sind. Sie sind nicht immer auf dem höchsten Level. Das frage ich mich, weil sie bei einer WM nicht den Erfolg haben, den sie haben müssten. Wir brauchen aber einen Toptag und müssen auch weiter an der Physis arbeiten. Gegen einen Gegner wie Frankreich braucht es nicht nur das Spiel gegen den Ball, sondern auch mit dem Ball. Das haben wir jetzt eben adaptiert. Es wird extrem fordernd.
90minuten.at: Rund um das Kasachstanspiel haben Sie gemeint, Österreich wäre nun näher an den Französinnen dran als noch vor Beginn der EM-Quali. Inwiefern?
Thalhammer: Weil wir das, was wir uns jetzt erarbeitet haben, immer mehr umsetzen. Auch gegen Schweden und England hatten wir in Teilaspekten Phasen, in denen gewisse Dinge gut umgesetzt wurden. Es fehlt noch die hohe Frequenz, das konnten wir damals nicht. Wir waren nicht stabil. Ich stelle eine These auf: Wir sind jetzt stabiler. Den Beweis kann ich natürlich nicht antreten, weil Gegner wie Kasachstan oder Nordmazedonien einen in der Defensive überhaupt nicht fordern.
90minuten.at: Dennoch muss man neben dem Können auch den Willen haben, einem unterlegenen Gegner neun Tore zu schießen. Das sieht man ja immer wieder.
Thalhammer: Es waren Welten. Für uns war es für die Außenwirkung wichtig, dass wir so hoch gewinnen. Wir haben auch die Spiele gegen Nordmazedonien nicht so schlecht gesehen, es waren einfach zu wenige Tore. Ich verstehe es, wenn Leute von außen höhere Siege einfordern. Wir haben die Spiele aber analysiert, wie die Prozesse im Spiel sind, schauen weniger auf das Ergebnis.
90minuten.at: Die drei besten Gruppenzweiten fahren hin. Ein Muss?
Thalhammer: Ja, aber ich finde es schade, dass der Modus verändert wurde, zulasten von Teams wie Österreich, die gerade an der europäischen Spitze andocken. Das läuft zugunsten schwächerer Länder ab. Frankreich ist da schon ein Nachteil, es gibt leichtere Gruppenköpfe.
90minuten.at: Aber das ist jetzt nun einmal so.
Thalhammer: Wir nehmen es eh an. Man muss da immer auch die anderen Gruppen im Auge haben, es kann aber natürlich auch sein, dass die Spiele gegen die anderen Teams drei bis fünf ausreichend sind, wenn wir sie gewinnen. Es kann aber auch sein, dass wir einen Punkt gegen Frankreich brauchen und das macht die Sache schwierig.
90minuten.at: Jetzt habe ich auf die Kasachinnen hingehauen. In Österreich haben wir eine Amateurliga, der Zuschauerschnitt ist in den letzten Jahren um 30 angestiegen. Die Leistungsträgerinnen spielen im Ausland. Wie stehen Sie als Teamchef zu den Unterschieden, wünschen Sie sich eine Vollprofiliga?
Thalhammer: Das muss man step by step angehen. Ich bin seit 2011 im Frauenfußball tätig. Es gibt jetzt schon eine höhere Qualität als damals. Die Kompetenzen der Trainer, die aktuell in der Liga arbeiten, sind höher. Am Ende des Tages haben wir einfach zu wenig Spielerinnen. Da ist es schwierig, zehn Teams in der Liga zu haben, die alle gut ausgebildete Spielerinnen haben. Aber es ist viel. Dennoch müssen sich viele Spielerinnen überlegen, wo man bessere Entwicklungsmöglichkeiten hat. Darum geht es für viele ins Ausland. Es geht aber auch anders. Das sieht man bei Julia Hickelsberger-Füller.
90minuten.at: Es mischen auch Marken mit. Die Austria, Sturm, Wacker Innsbruck, natürlich SKN St. Pölten. In der zweiten Liga gibt es noch die Vienna und den Wiener Sport-Club. Braucht es Rapid, Red Bull Salzburg, den LASK, als Marken?
Thalhammer: Ich bin mir ganz sicher, dass es ein wesentlicher Schritt wäre. Ich weiß nicht, ob es sich von selber entwickeln wird oder ob es nicht von der Lizenzierung her irgendwann notwendig wäre, dass ein Bundesligaverein auch eine Frauenmannschaft hat. Ich denke, das wäre notwendig und es wäre ein richtiges Bekenntnis. Im Frauenfußball wartet man immer darauf, dass sich etwas von alleine ändert und es hängt stark von den handelnden Personen ab, ob sie dem Frauenfußball positiv gesonnen sind. Das geht von der Bundesliga bis runter in die Landesverbände. Es gibt viele tolle Leute, andere engagieren sich nicht. Ein bisschen Nachdruck wäre gut, wenn man in Österreich glaubt, dass es sich von alleine entwickelt, wird es nicht funktionieren. Das habe ich schon einige Male deponiert. Natürlich würde ich mir wünschen, dass Vereine wie Red Bull Salzburg aufspringen und das Potential erkennen, weil man auch ein anderes Klientel anspricht als jene, die zum Männerfußball gehen.