Sturm-Präsident Christian Jauk: "Wir haben die Besten immer verloren"

Sturm-Präsident Christian Jauk spricht bei 90minuten.at exklusiv über die vielen Abgänge, die sein Verein hinnehmen musste und warum das zugleich eine Chance sein kann.

Das Interview führte Jürgen Pucher

 

Wie immer nimmt der Banker Christian Jauk vor einem Gespräch über „seine Leidenschaft“ SK Sturm die Krawatte ab. Trotz der Niederlage in Amsterdam strahlt der 52-Jährige vor dem Rückspiel demonstrativ Zuversicht aus. Nur manchmal im Gespräch bemerkt man eine leichte Ungewissheit, weil auch er, wie die Fans der Grazer, noch nicht genau einschätzen kann, wohin die Reise in dieser Saison für die Blackys gehen wird. Christian Jauk nimmt bei 90minuten.at zu den vielen Abgänge Stellung und erklärt, warum das auch eine Chance sein kann. Außerdem erzählt der Boss der Schwarz-Weißen, was sein Klub finanziell übermächtigen Gegnern entgegenhalten kann, wie die Zusammenarbeit der Klubs in der Liga funktioniert, warum die Gespräche mit der Stadtpolitik zum Stadion sehr mühselig sind, welche Rolle der GAK dabei spielt und was er mit Edwin van der Sar in Amsterdam besprochen hat.

Was können wir tun? Red Bull lockt mit mehr Geld und mit der dreistufigen Möglichkeit Liefering, Salzburg, Leipzig.

Sturm will sich für den Nachwuchs etwas einfallen lassen

90minuten.at: Im April 2018 haben Sie gesagt, nach der Saison werden es nicht mehr als sechs Abgänge sein, die der SK Sturm verkraften wird müssen. Das ist sich nicht ganz ausgegangen.

Christian Jauk: Ja, aber da gehört dazugesagt, dass da auch Karriereenden und Leute dabei waren, die wir bewusst abgegeben haben. Aber generell wird Fluktuation ein immer wesentlicherer Bestandteil im Fußball. Das ist nicht nur in Graz so.

 

90minuten.at: Es gibt Abgänge, wo man sagt: ok, das muss man so akzeptieren. Und es gibt solche, wie jene von James Jeggo oder Deni Alar, wo es wenig Verständnis gibt, wenn man sich die Vorgeschichte und die Umstände ansieht. Stichwort „in Österreich nur Sturm“ oder dergleichen. Wie sehen Sie das? Ist das Teil des Geschäfts? Oder denkt man sich schon auch manchmal, diese Entwicklung gefällt mir eigentlich nicht mehr?

Jauk: In der Emotion des Erfolges gibt es immer und überall viele Treueparolen. Der Elchtest ist dann die Transferzeit. Die Vereinstreue liegt heutzutage selten bei den Spielern, sondern in erster Linie bei den Fans. Obwohl ich betonen möchte, es gibt auch unter den Spielern noch immer einige, die bei uns für nicht so viel Geld wie anderswo alles geben und mit Herz und Leidenschaft auf dem Platz stehen. Mittlerweile sollte man aber generell ein wenig davon abgehen, moralische Wertungen vorzunehmen, sonst würde man am Fußball manchmal zu zweifeln beginnen. Es ist eben auch das Leben, wie es überall stattfindet, mit seinen Tücken und Täuschungen. Wir müssen den Blick nach vorne richten, wir orientieren uns an dem was uns Freude macht, was identitätsstiftend ist.

 

90minuten.at: Stichwort Identifikation: Was bedeutet es für die Fans und das identitätsstiftende Element, wenn der Kapitän zum Erzrivalen wechselt, als würde er nur die Straßenseite wechseln?

Jauk: Sie sprechen das emotional heikelste Thema an. Wir legen auf Tradition und Emotion großen Wert. So wollen wir uns von anderen unterscheiden. Bei solchen Transfers kommen dann schon die Sinnfragen hoch, die auch ich schwer beantworten kann. Ein großes Maß an Enttäuschung bleibt bei den Fans in jedem Fall zurück. Aber diese Transfers sind jetzt abgeschlossen und es bringt nichts diese weiter zu kommentieren. Außerdem ist es zugleich eine Chance, durch die empfundene Ungerechtigkeit als „Sturmfamilie“ wieder stärker zusammenzurücken und die Identifikation mit den Werten des Vereins noch stärker zu betonen.

 

90minuten.at: Haben Sie nach dieser Transferzeit den Eindruck, dass das unter den Sturmfans so passiert ist?

Jauk: Manche haben sich sicher durch die Entwicklungen irritieren lassen. Ich möchte dazusagen, dass die Abgänge bei uns medial sehr intensiv thematisiert wurden, was ich als nicht ganz ausgewogen empfunden habe, wenn man zu anderen Vereinen blickt, wo es auch viele Änderungen gegeben hat. Umgekehrt, schauen Sie sich die Abo-Zahlen an, wir liegen 15 - 20 Prozent über der letzten Saison. Und wenn ich zurückblicke, in meine Kindheit als Sturmfan, wir haben die besten Spieler immer verloren. Ich erinnere an den jungen Heribert Weber, der sehr bald schon bei Rapid gewesen ist. Damals hatte Sturm aber sportlich kaum eine Chance gegen Mannschaften aus Wien. Das hat sich in den letzten Jahren verändert. Auch mit geringeren Mitteln ist es uns immer wieder gelungen vor Rapid oder der Austria zu liegen. Eine Tür geht zu, die andere geht auf. Wer hätte gedacht, dass ein Philipp Hosiner einmal in Graz auflaufen würde? Da freut es mich ganz besonders, dass er im ersten Ligaspiel gleich entscheidend getroffen hat. Auch Lukas Grozurek war von anderen Klubs umworben, hat sich aber für uns entschieden. Es ist ein Wettbewerb, dem sich jeder stellen muss. Wenn es finanzielle Nachteile gibt, dann braucht es andere Argumente. Wir bieten Herz und Leidenschaft.

 

90minuten.at: Und wie sieht es mit der Affinität für Herz und Leidenschaft bei Peter Zulj aus? Wird der noch gehen? Und wie hoch ist dafür die Schmerzgrenze?

Jauk: Ich kommentiere die Causa Peter Zulj in der Öffentlichkeit nicht. Da wird so viel spekuliert. Er hat zugesichert, uns im Europacup noch zu helfen. Wir freuen uns, je länger er bleibt, aber natürlich ist uns bewusst, dass für ihn in dieser Saison ein großer Karriereschritt möglich ist. Im Falle eines Transfers streben wir eine Win-Win-Situation an. Ich werde aber keine Summen nennen.

 

90minuten.at: Peter Zulj war letzte Woche also in Amsterdam noch dabei, konnte eine Niederlage in der Champions League-Qualifikation gegen Ajax aber auch nicht verhindern. War das eine Leistung, die gegen so einen Gegner so zu erwarten war, oder sind Sie doch ein wenig enttäuscht?

Jauk: Die ganze Atmosphäre im Stadion und rund um diesen Verein war beeindruckend. Ich habe das Gefühl gehabt, wir haben uns ein bisschen zu sehr beeindrucken lassen. Im Laufe des Spiels hat sich die Mannschaft gesteigert und ich habe insgesamt eine gute Leistung von Sturm gesehen. Die Tore waren unglücklich, aber international geht es eben um jeden Millimeter und ein gutes Spiel von uns reicht gegen Ajax Amsterdam nicht. Es braucht in solchen Partien eine herausragende Leistung. Das Budget der Holländer beträgt das Siebenfache, einzelne Spieler haben mehr Marktwert als unser ganzer Kader. Nichtsdestotrotz ist mit einer Willensleistung und ein wenig Glück im Rückspiel immer noch eine Sensation möglich. Ich bin als Präsident immer der erste Optimist, obwohl ich natürlich weiß, dass es eine äußerst schwere Aufgabe wird.

 

90minuten.at: Wenn wir eine Stufe tiefer gehen. Auch der Saisonauftakt gegen Hartberg war nicht berauschend, es war offensichtlich, dass die Rädchen noch nicht wirklich ineinandergreifen, auch wenn es am Ende einen knappen Sieg gegeben hat. Wie haben Sie das Spiel erlebt?

Jauk: Der Liga-Auftakt war ok, im Cup sind wir weiter. Die Pflicht ist erfüllt. Aber ja, die Mannschaft hat Abstimmungsprobleme, das Tempo fehlt noch teilweise. Es wird eine Zeitfrage sein. Die neue Mannschaft muss sich erst besser kennenlernen. Ich sehe aber die Stimmung in der Mannschaft, sowie die neuen Spieler und die Einstellung insgesamt bis jetzt extrem positiv. Es geht darum, sich von Spiel zu Spiel zu steigern und am Ende sollte eben das herausschauen, was wir jedes Jahr anstreben: Ein Europacupplatz.

 

90minuten.at: Was muss in der Liga passieren, um Red Bull Salzburg zu gefährden und wie sehen Sie die Chance wieder vor der Konkurrenz aus Wien zu bleiben?

Jauk: Normalerweise musste Red Bull nach dem Sommer mit vielen neuen Spielern fast immer neu beginnen. Heuer haben sie einen großen Teil der Mannschaft zusammengehalten. Wie sie im ersten Spiel gegen den LASK aufgetreten sind, war beeindruckend. Wenn es so weitergeht und sie keine Einbrüche haben, ist relativ klar wer am Ende oben stehen wird. Die Wiener haben investiert, die Austria hat außerdem ein neues Stadion. Aber man wird sehen, bei Rapid hat das sportlich im neuen Stadion auch nicht gleich funktioniert. Ich schätze Rapid dennoch stärker ein als die Austria, aber um eine sinnvolle Analyse vorzunehmen, werden wir ein paar Runden spielen müssen. Aber ich bin positiv für uns gestimmt.

 

90minuten.at: Red Bull Salzburg ist auch im Nachwuchsbereich sehr dominant, erst jetzt sind wieder zwei Spieler aus der Akademie in der Steiermark nach Salzburg gewechselt. Durch die gestiegenen Einnahmen aus den jüngsten Transfers: Planen Sie die Investitionen im Akademiebereich zu erhöhen?

Jauk: Wir waren in den letzten Jahren wirtschaftlich erfolgreich und haben eine Reserve anlegen können. Die kolportierten Transfererlöse sind meistens aber zu hoch gegriffen, das wird medial etwas übertrieben dargestellt und alle möglichen Nebengeräusche bei diesen Deals kommen dort nicht vor. Außerdem haben wir im letzten Jahr in Messendorf zwei neue Trainingsplätze erreichtet. Ohne Unterstützung von Stadt oder Land, zu 100 Prozent aus Eigenmitteln. Das ist in Österreich für einen Bundesligisten wohl einzigartig. Wir denken zudem darüber nach, das Trainingszentrum Gössendorf abzugeben und für Damen und Amateure gemeinsam etwas Neues zu schaffen. Die Akademielösung mit dem steirischen Fußballverband, die wir seit einigen Jahren haben, empfinde ich als Erfolgsgeschichte und wir sind gut ausgestattet. Wir haben aber dort mittlerweile mehr in Personal investiert und werden weiterhin in den Nachwuchs investieren.

 

90minuten.at: Aber wie kann verhindert werden, dass auch im Nachwuchs die besten Leute früh von den finanziell potenteren Konkurrenten abgeworben werden?

Jauk: Ich habe in Amsterdam mit dem Ajax-Geschäftsführer Edwin van der Sar gesprochen. Auch für seinen Klub mit der international sehr guten Reputation hinsichtlich der Ausbildungsmöglichkeiten, wird es immer schwieriger, weil sich 15-jährige Top-Talente nicht mehr langfristig an den Verein binden lassen. So ein Abgang wie gerade jetzt bei uns tut mir im Herzen weh. Was können wir tun? Red Bull lockt mit mehr Geld und mit der dreistufigen Möglichkeit Liefering, Salzburg, Leipzig. Wir bieten ein familiäres Umfeld, eine genauso hervorragende Ausbildung, die fußballerisch und schulisch ebenbürtig ist, und nicht zuletzt die höhere Emotionalität, die Bindung, die Identifikation mit dem Verein und seinem Umfeld. Heuer sollte es außerdem, vor allem wenn Sturm länger im Europacup dabei sein sollte, gute Chancen für junge Spieler geben, die in den Profikader aufgerückt sind. Heiko Vogel ist mit deren Entwicklung sehr zufrieden und sie werden in einer langen Saison ihre Chancen bekommen.

 

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