Wie denkt man in Frankreich über das ÖFB-Team?
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Wie denkt man in Frankreich über das ÖFB-Team?

Ist nur David Alaba gut genug für Frankreichs Startelf? Ein Fußball-Experte in Frankreich liefert die Perspektive des Gruppengegners auf das ÖFB-Team.

Der britische Journalist Luke Entwistle ist Chefredakteur des englischsprachigen Portals 'Get French Football News' und berichtet aus Nizza über den französischen Fußball. Gegenüber 90minuten ordnet er wichtige Fragen vor der Euro ein:

...über die französische Perspektive auf Österreichs Kader. Wie stark ist der ÖFB im Vergleich zu Frankreich?: "Nur wenige österreichische Spieler verdienen ihr Geld in der Ligue 1, viele Fans kennen den Kader deshalb nicht allzu gut. Einige Ausnahmen gibt es aber: Kevin Danso von Lens hat sich einen Ruf als einer der verlässlichsten Innenverteidiger der Liga erarbeitet. Auch Muhammed Cham war in letzter Zeit immer wieder Teil des Teams. Ihm wurde die insgesamt schwache Saison von Clermont zum Verhängnis, der Verein ist in die Ligue 2 abgestiegen. Der grundsätzliche Eindruck ist, dass bei Österreich zwar Spieler wie Konrad Laimer, Marcel Sabitzer und der verletzte David Alaba positiv herausstechen, die individuelle Qualität und Tiefe im Kader aber fehlt. Ein Team aus Ersatzspielern der französischen Auswahl könnten im Turnier wahrscheinlich weit kommen. Österreich ist im Kollektiv stark, im ersten Spiel des Turniers rechnen "Les Bleus" mit einem intensiven Duell in Düsseldorf."

...über die Qualität des österreichischen Teamchefs, auch im Vergleich zum französischen Gegenüber Didier Deschamps: "Ralf Rangnick ist bekannt für seine Fähigkeiten in übergeordneten Rollen - über den Trainer Rangnick weiß man weniger. Bei Manchester United ist er nicht als Einziger im letzten Jahrzehnt gescheitert. In der Vergangenheit wurde ihm die Rolle als einer der Architekten des modernen Fußballs zugeschrieben, er hat das 'Gegenpressing' mitentwickelt, das inzwischen den Kontinent erobert hat. Strukturen im internationalen Fußball zu implementieren, ohne viel Zeit mit der Mannschaft verbringen zu können, ist aber keine einfache Aufgabe. Didier Deschamps hat sich in diesem Bereich zum Experten entwickelt, eine konservative Struktur und eine Philosophie etabliert, die bei vergangenen Turnieren viel Erfolg gebracht hat."

...über Österreichs stärkste Spieler oder Positionsgruppe in Abwesenheit David Alabas: "Bei Österreich sticht vor allem das Mittelfeld heraus - Sabitzer und Laimer sind zwei Spieler, die in der Bundesliga oben mitspielen."

...über österreichische Spieler, die es in Frankreichs Startelf schaffen könnten: "Ein fitter David Alaba könnte neben Lucas oder Theo Hernández mit Sicherheit ein Wort um die Rolle als Linksverteidiger mitreden. Er ist aber wahrscheinlich der einzige Spieler, der es ins Team schaffen würde."



...über die Qualität der österreichischen Bundesliga und Parallelen zur Ligue 1: "Ich kenne die österreichische Bundesliga nicht allzu gut. Die Präsenz eines Red-Bull-Teams bringt mehr Aufmerksamkeit, weil viele Spieler oder Trainer - oft erfolgreich - in andere Länder "exportiert" werden. In diesem Punkt gibt es Ähnlichkeiten zur Ligue 1, die ebenfalls viele große Talente abgibt. Während die Verkäufe von RB Salzburg das Resultat des intelligenten Recruitments sind, gelten die meisten Talente der Ligue 1 als Eigengewächse aus dem prestigeträchtigen Akademiesystem."

...über Überraschungen im französischen EM-Kader: "N'Golo Kantés Nominierung war eine große Überraschung. Er hat seit knapp zwei Jahren nicht mehr für Frankreich gespielt, bevor er vor einer Woche sein Comeback gegen Luxemburg gegeben hat. Da er inzwischen bei Al-Ittihad in Saudi-Arabien aktiv ist wurde allgemein angenommen, dass seine Nationalteam-Karriere beendet ist. Auch mit Bradley Barcola wurde nicht unbedingt gerechnet. Der Flügelspieler von PSG konnte in den letzten Monaten wirklich überzeugen, üblicherweise nimmt Deschamps aber keine Debütanten zu Turnieren mit. Bei Barcola hat er eine Ausnahme gemacht."

...über die Chancen von Österreich bei der EM: "Allgemein wird erwartet, dass Frankreich und die Niederlande sich in der Gruppe D durchsetzen werden. Eine Überraschung ist aber nicht ausgeschlossen. Polen und Österreich haben beide ihre Stärken und sind in der Lage, einen der beiden Favoriten auszustechen. In Frankreich rechnet man aber eher damit, dass das Turnier für Österreich in der Gruppenphase endet."

...über die Chancen von Frankreich bei der EM: "Das Ziel der Franzosen ist der Titel. Die Weltmeister von 2018 haben es bis ins Finale der WM 2022 geschafft, im Großen und Ganzen ist das Team unverändert. Acht oder neun Spieler, die das Finale gegen Argentinien bestritten haben, werden es auch in Deutschland in die Startelf schaffen. Die Erwartungen sind demnach hoch - alles andere als ein Einzug ins Halbfinale wäre eine Enttäuschung."

...über das, was am meisten mit Österreichs Fußball assoziiert wird: "Marko Arnautović ist aktuell wohl das größte Aushängeschild für den österreichischen Fußball. Er ist viel herumgekommen, hat in vielen europäischen Top-Ligen gespielt und sich überall - positiv wie negativ - einen Namen erarbeitet.

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