Was halten Sie vom VAR, Herr Pacult?
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Was halten Sie vom VAR, Herr Pacult?

Austria-Klagenfurt-Trainer Peter Pacult ist ein alter Hase im Trainergeschäft. Wie schätzt der meinungsstarke und wortgewaltige Coach den VAR ein?

Peter Pacult hat im Fußball so gut wie alles gesehen. Der gelernte Bürokaufmann trug noch Briefe aus, als er Anfang der 80er beim Wiener Sportclub und im Nationalteam kickte. Jede Regeländerung seit den 80ern hat er als Spieler oder Trainer mitgemacht. Ein Beispiel: Bis 1992 durfte der Tormann noch einen Pass vom eigenen Verteidiger mit der Hand aufnehmen, was zu Zeitspiel geführt hatte.

Pacult zierte sich zunächst, über die Schiedsrichterei zu sprechen. "Du könntest ihn auf jeden Fall mal anrufen und dann hört er es sich an", meinte die Pressestelle. Gesagt, getan, ein paar Worte der Überzeugung waren notwendig, aber dann wurde über den VAR gesprochen.

"Wir leben jetzt und was früher war, war früher - und das wird nicht mehr kommen. Ich schaue nicht nach hinten und denke, dass es früher besser war", stellt er im Laufe des Gesprächs klar. Alles super findet er beim Videoassistent Referee aber auch nicht.

Früher war es... anders

Wie war es nun aber vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren? "Es war früher dasselbe wie heute. Es gab Fehlentscheidungen und es wurde über Tore, Fouls und Abseits diskutiert", erinnert er sich, "Aber damals mussten die Schiedsrichter alles alleine entscheiden, heute gibt es die sogenannte Hilfe durch den VAR." 

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1995 war der VAR noch Zukunftsmusik, als hier Manfred Schmid, Peter Pacult und Toni Pfeffer jubelten (v.l.).

Er konkretisiert das 'Sogenannte': "Ich glaube nicht, dass die Schiedsrichter heute so befreit pfeifen können wie vor dem VAR." Damit trifft er mit Sicherheit einen Punkt. Die Schiedsrichter stehen mit den dutzenden TV-Kameras und vor allem bei den On-Field-Reviews mit mehreren Einstellungen ein und derselben Szene, die mehrmals gezeigt wird, unter noch mehr Beobachtung.

Zudem war die Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit ja auch, dass quasi keine Fehler mehr passieren. Die Verantwortlichen beim ÖFB haben dies zwar stets bestritten, aber viele Fans dachten eben, dass der VAR alle Fehler korrigiert. Und hatten umgekehrt davor Angst, dass dem Kick dadurch ein gewisser Zauber genommen wird.

"Als der VAR kam, haben alle gefürchtet, dass es nichts mehr zum Diskutieren gibt. Jetzt gibt es noch mehr Diskussionen", meint er mit einem Lachen. Die Frage, ob die Videobilder den Kick fairer gemacht haben, nennt er eine "schwierige Frage", die nun geklärt werden soll.

Das begrüßt er

Eine Sache überzeugt ihn: die Überprüfung des Abseits. "Früher sind noch mehr Tore gefallen, obwohl es Abseits war", spricht er das Offensichtliche an. Allerdings gibt es hier ein paar Abstriche. Denn nicht immer ist die Frage on-/offside eindeutig, denkt er. "Manches sieht man dann nur mit den Linien, die aber schon einmal komisch gezogen werden." 

Es kommt ja dann auch noch drauf an, wann das Bild gestoppt wird, wenn das eine hundertstel Sekunde später ist, sieht es wieder anders aus.

Peter Pacult

Die Lösung aus seiner Sicht: Entscheidungen, wo es nur um sehr wenige Millimeter geht oder eine eindeutige Auflösung nicht möglich ist, sollten im Zweifel zugunsten der angreifenden Mannschaft entschieden werden.

Denn: "Es kommt ja dann auch noch drauf an, wann das Bild gestoppt wird, wenn das eine hundertstel Sekunde später ist, sieht es wieder anders aus." Was nicht klar ersichtlich ist, kann eben auch kein Vergehen sein. Dieser Gedanke ist nachvollziehbar.

Klare Regel

Denn während Abseits am Ende doch eine ziemliche, wenn auch knappe, Ja/Nein-Entscheidung ist, offenbaren andere Szenen, wo der VAR eingreift, Schwierigkeiten. Das betrifft beispielsweise Fouls. In der einen Woche, so Pacult, sieht einer Rot, wenn er mit den Stollen auf den Knöchel tritt, in der nächsten Woche nicht. Er räumt aber auch ein: "Fußball ist ein Kontaktsport und es ist ein Unterschied, ob es Absicht ist oder nicht. Aber einmal steigt einer am Knöchel, Rot, beim anderen Gelb."

Auch beim Handspiel sorgen die Videobilder für ihn für Verwirrung. Die gegenwärtige Regel hält er für "Wahnsinn" und verweist etwa auf die Auslegung der Regel bei Dänemark gegen Deutschland, die er komisch fand. Das Handspiel von Cucurella gegen Spanien bewertete sogar die UEFA Monate später als Fehler.

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Pacult verfügt über internationale Erfahrung. Besser sind die Schiris woanders auch nicht, meint er

"Das sind natürliche Bewegungen. Auch bei Kopfbällen, die Trainingslehre sagt ja, dass man Schwung holen soll", berichtet er, "was ist eine natürliche Bewegung, was eine unnatürliche? Früher hieß es, man rutscht im Strafraum nicht. Das macht man heute und stützt sich ab, der Ball geht an die Hand, aber das ist für mich kein Elfmeter." 

Zeitlimit für OFR?

"Um die Schiedsrichter zu schützen, wäre es manchmal gut, eine ganz klare Linie zu haben", bilanziert er als. Jetzt haben diese Regelfragen nicht notwendigerweise etwas mit dem VAR in erster Linie zu tun; allerdings werden diese (Strafaum-)Szenen auf jeden Fall gecheckt, laufen dann über die Fernseher der Nation - also sind sie doch ein VAR-Thema.

Genau hier findet er dann wieder einen Kritikpunkt: die lange Wartezeit nach Toren und vor allem beim On-Field-Review. Die könnten kürzer sein, er regt sogar ein Zeitlimit an.

Das "sorgt auch für Druck. Aber für mich dauert es manchmal schon zu lange, da gibt es immer noch eine Kameraeinstellung und ich glaube, dass, wenn man sich eine Szene eine Minute angeschaut hat, man schon etwas sagen kann."

Wir haben schon unsere FIFA-Schiedsrichter, die haben sich es eigentlich schon verdient, bei solchen Großereignissen dabei zu sein, sie sind um nichts schlechter.

Peter Pacult

Oder eben nicht, siehe Abseits. Denn die Kameraeinstellung ist nicht immer die beste für die Beurteilung der Szene, denn Sky stellt sie in erster Linie auf, um den Menschen vor den Endgeräten ein perfektes Bild zu liefern, nicht notwendigerweise, um das für die Schiedsrichter zu tun. Dann müsse man manchmal eben im Zweifel sagen, dass eine Szene nicht aufgelöst werden könne.

Wie lautet Pacults Fazit?

Manche Themen liegen weit außerhalb dessen, was man in Wien-Meidling überhaupt entscheiden kann. Die Handspielregel, die müsste die IFAB regeln. Eine einheitliche Regelung, wie lange ein Check dauert, könne man schon hierzulande entschieden, genauso wie den Härtegrad.

Eine generelle Kritik an den heimischen Pfeifenmännern will er damit keinesfalls aussprechen. Aus seiner langen Zeit in Deutschland und Osteuropa sieht er wenig Unterschiede, da pfeife letztlich niemand besser oder schlechter.  

Insgesamt stellt er den Schiedsrichtern übrigens ein gutes Zeugnis aus: "In den letzten Jahrzehnten hatten wir eigentlich immer einen Schiedsrichter bei einer EM oder WM. Ich weiß nicht, woran das liegt, dass es nicht mehr so ist. Wir haben schon unsere FIFA-Schiedsrichter, die haben es sich eigentlich schon verdient, bei solchen Großereignissen dabei zu sein, sie sind um nichts schlechter. Vielleicht haben wir keine Lobby in der UEFA. Für mich ist das unverständlich."


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