Thomas Silberberger hat die Bundesliga viele Jahre mitgeprägt, seit er die WSG Tirol 2019 ins Oberhaus führte und sie fünf Jahre lang dort hielt. Sogar in die Meistergruppe schaffte er es. Im Frühjahr kam dann das Aus. Er wollte einen neuen Reiz.
In früheren Interviews hatte er stets die USA als Sehnsuchtsort ausgegeben. Hollywood ist Maria Enzersdorf zwar nicht gerade, ein bisschen US-Vorstadt umweht aber Einfamilienhäuser und Einkaufszentrum. Die ersten Monate in der ADMIRAL 2. Liga bei Admira Wacker waren nun so erfolgreich, dass Silberberger vielleicht schon im kommenden Frühjahr in die Bundesliga zurückkehren kann.
Im 90minuten-Interview spricht er über diese Entwicklungen. Aber nicht nur, denn er macht sich auch Gedanken über den Fußball an sich, Manager und Transfers.
90minuten: Wie viel USA steckt in der Südstadt? Es sieht hier schon ein bisschen aus, wie um amerikanische Städte.
Thomas Silberberger: (lacht) Naja, hier ist rundherum noch Industrie, also stimmt das nicht ganz so. Zu meiner Sehnsucht nach den USA kann ich nur sagen, dass ich in zweieinhalb Wochen im Flieger dorthin sitze.
90minuten: War das dein erster Umzug?
Silberberger: Als Spieler habe ich ja ein Jahr bei Austria Salzburg und dem GAK gespielt. Vor 25 Jahren hat man nach Salzburg noch pendeln können. Das geht heute nicht mehr, weil viel mehr Verkehr ist. Damals ging das in einer Stunde, heute mit Glück eineinhalb.
90minuten: Das heißt, der erste Umzug war 1996/97 nach Graz. Ich meinte ohnehin als Trainer. Wie fühlt es sich an?
Silberberger: Es war kein Problem. Ich wollte einen neuen Impuls in meinem Leben haben, also habe ich mich damals entschlossen, etwas anderes zu suchen.
90minuten: "Am Ende des Tages habe ich gespürt, dass der Verein einen neuen Impuls auf dem Trainerstuhl braucht." Mit diesen Worten hast du dich von Wattens verabschiedet. Wie sah der Plan B aus?
Silberberger: Den gab es nicht. Ich habe im März vor meinem Rücktritt Sky-Chef Uwe König angerufen und gemeint: Exklusive Meldung, ich trete morgen zurück. Dann wollte er wissen, was ich vorhabe. Ich sagte, dass ich eben keinen Plan B habe. Er wiederum erwiderte, dass ich keinen brauche, weil Sky der Plan ist. Teil des Expertenteams zu sein, hat mich voll gereizt. Als Experte ist es möglich, einen Zweitligisten zu trainieren.
Das ist wichtig, weil nur um als Experte am Wochenende zu arbeiten, hätte ich meinen Wohnsitz nicht nach Wien verlegt. Damals im März habe ich scherzhalber gemeint, dass ich dann eigentlich nur Trainer von Vienna oder Admira werden kann, weil sich das andere nicht ausgeht. Etwas später hat sich Peter Stöger gemeldet, wir haben uns getroffen und es war recht schnell klar, dass ich das machen will, was ich jetzt tue. Ich war also schon Sky-Experte, bevor ich Admira-Trainer war, wir haben es nur erst später verkündet.
90minuten: Wie hat das Umfeld reagiert? Die WSG hat vor sehr leeren Rängen gespielt, die Admira nennt man auch "graue Maus".
Silberberger: Alle, mit denen ich zu tun hatte, haben gemeint, dass die Admira als Traditionsverein eigentlich in die Bundesliga gehört. Jetzt haben sie zwei bescheidene Jahre hinter sich. Aber Leute in meinem Alter redet sagen: Wow, die waren Vizemeister (Anm.: 1988/89) und haben im Europacup gespielt (Anm.: u.a. Cup der Cupsieger-Viertelfinale 1989/90).
Ich brauche ja nicht meinen Lebensmittelpunkt von Tirol nach Wien verlegen, um in der 2. Liga um Platz fünf oder sieben zu spielen.
90minuten: Bosman hat die Admira dann zerrissen. Der viel zu früh verstorbene Gerhard Rodax ging 1990 noch direkt von der Admira als Torschützenkönig zu Atlético Madrid.
Silberberger: Es war generell eine Talenteschmiede mit großartigen Spielern wie Manfred Zsak oder Dietmar Kühaber und Trainern wie Siegfried Held und Didi Constantini.
90minuten: Kommen wir im heute an. Wie fühlt sich Titelkampf nach etlichen Jahren Existenzkampf mit der WSG Tirol an?
Silberberger: Das ist eine coole G'schicht, die ich zuletzt vor sechs Jahren mit Wattens in der 2. Liga erlebt habe. Davon habe ich auch meinen Spielern neulich erzählt bzw. die jetzige Situation angesprochen: Du bist vier Wochen Tabellenführer, vielleicht sogar über die Winterpause, dann ist das eventuell schnell ein halbes Jahr. Das macht etwas mit einem. Aber es ist wesentlich angenehmer, als wenn du als Letzter oder im Mittelfeld überwinterst.
90minuten: Die Trauben hat man aber auch hochgehängt, die Admira sollte aufsteigen.
Silberberger: Als ich mit Peter und Ralf (Anm.: Muhr) das erste Mal zusammen gesessen sind, habe ich deutlich gesagt: Eines ist klar, nämlich dass ich nicht komme, um Fünfter zu werden. Ich brauche ja nicht meinen Lebensmittelpunkt von Tirol nach Wien verlegen, um in der 2. Liga um Platz fünf oder sieben zu spielen. Da habe ich schon den Anspruch an mich selbst.
90minuten: Auch bei der Kaderzusammenstellung ...
Silberberger: (unterbricht) Da war ich gar nicht involviert, als ich Trainer wurde, war die Kaderplanung schon weit fortgeschritten. Ich habe auch zu diesem Punkt klipp und klar gesagt, dass ich von ihnen nichts zu den Spielern wissen will. Ich wollte mir meine eigene Meinung bilden. Wir haben uns auch nicht von Anfang an auf einen Fußball festgelegt, weil ich mir auch das in Ruhe ansehen wollte.
90minuten: Peter Stöger ist ja auch kein unerfahrener Mann, insofern kann man seiner Arbeit schon vertrauen. Aber der Kader ist doch relativ alt. Nur vier der meisteingesetzten Spieler sind 20 und jünger. Bei den Kollegen im Innviertel laufen übrigens auch keine zehn 19-Jährigen herum. Will man oben mitspielen, braucht es diese Routine?
Silberberger: Ohne die hat man im Titelkampf keine guten Karten. Damals mit der WSG haben wir den Titel mit Dober (damals 33), Cabrera (33), Walch (31) und Mader (36) eingefahren. Vor allem: Wann wird der Titelkampf entschieden? Nicht im Oktober, sondern im Mai. Wenn es hart auf hart geht, dann brauche ich die Routiniers. Mit Wattens waren wir sechs Spieltage vor Schluss plötzlich hinter Ried, nachdem wir monatelang Tabellenführer gewesen sind. Wir wussten, dass wir alle Spiele gewinnen müssen. Die Spiele waren alle extrem knapp, aber wer ging voran? Eben die, von denen ich erzählt habe.
90minuten: Ried ist ja als erklärter Favorit in die Saison gegangen. Habt ihr damit gerechnet, dass es so schnell geht?
Silberberger: Von dem träumt man natürlich. Bei einer Teamsitzung vor der Saison war unsere Zielsetzung so, dass wir mit unseren Quartalszielen in der Winterpause noch an Ried dran sind. Die Ziele, die wir uns für die vier Quartale gesetzt haben, haben wir übrigens alle erreicht! Dass es jetzt so ist, wie es ist, ist eine coole Entwicklung von Mannschaft und Verein. Noch ein Fakt: Wir haben ab der 78. Minute noch kein einziges Gegentor bekommen. Das ist eine Benchmark, weil wann werden Spiele entschieden?
90minuten: Moment. 13 Spiele, 10 Siege, ein Unentschieden, 31 Punkte – welche Leistung wurde bitteschön von den Riedern erwartet, wenn man mit eurer Bilanz gerechnet hat, aber eben nur damit, in Schlagdistanz zu sein?
Silberberger: Dieses Ziel ist eben intern herausgekommen, aber wir haben gesagt, dass wir mit zehn Prozent weniger Punkten dort sind, wo man uns erwartet. Wir wussten aber schon, dass Ried der Favorit ist.
Man muss dann ein G'spür für die Mannschaft haben. Einer verträgt die härtere Ansprache und man kann ihn vor Mannschaft zamschneiden.
90minuten: Man muss eh aufpassen. Austria Lustenau war in der Winterpause 2012/13 weit vorne, da lag man weit vor Grödig, stieg nicht auf.
Silberberger: Wir waren 2018/19 in der Winterpause sechs Punkte vor Ried, dann verliert man den Rückrundenauftakt, spielt unentschieden und schon waren sie wieder dran. Wir wissen also, dass das passieren kann.
90minuten: Wie erklärt man das den Spielern, wie damit umzugehen ist?
Silberberger: Das ist eben Trainerarbeit. Ohne überheblich wirken zu wollen, glaube ich, dass meine Stärken im Leadership liegen, da habe ich gute Ansätze. Ich sage auch meinen Teams immer, dass ich jede Situation kenne. Sei es der Stammspieler, Ersatzspieler, Siegtorschütze vom letzten Wochenende oder der, der nach einer Verletzung auf der Tribüne sitzt. All das habe ich miterlebt und diesen Erfahrungsschatz gebe ich weiter, weil ich mich sehr gut in die Gedankenwelt der Spieler reinversetzen kann.
90minuten: Machen wir es konkret. Ein Team zaubert, führt aber nur 1:0. Oder man spielt super im Europacup, ist aber in der Liga schlecht. Oder der Starstürmer spielt nur noch mit der Ferse – wie geht man in solchen Situationen damit um? Ich würde ja auszucken.
Silberberger: Du musst ab und zu auch auszucken. Man muss dann ein G'spür für die Mannschaft haben. Einer verträgt die härtere Ansprache und man kann ihn vor Mannschaft zamschneiden. Oder man muss anders kommunizieren, muss ihm vorher sagen, dass man ihn vor der Mannschaft zurechtweisen wird. Man kann nicht alle gleich behandeln, das ist die große Kunst des Trainerdaseins.
90minuten: Wahrscheinlich auch ein Punkt, wie man so lange wie in Wattens Trainer bleiben kann?
Silberberger: Technisch-taktisch gibt es im Fußball sehr viele Möglichkeiten, da gibt es kein falsch und richtig. Für mich ist entscheidend: Wie führe ich eine Mannschaft? Es gibt ja nicht immer nur "Gewinner", manche Spieler fühlen sich als "Loser" und die dritte Gruppe ist die dazwischen. Das sind die gefährlichen, die Kadernummern 13 bis 18. Der, der mit seiner Situation unzufrieden ist, versucht die Spieler, auf seine Seite zu holen. Die Stammspieler versuchen das aber auch. Diese gruppendynamischen Prozesse sind "Kabine" - das ist meine Arbeit.
90minuten: Die Admira hat eine – teure – Akademie. Der Einbau junger Spieler scheint immer schwieriger zu werden. Wie viel will man da jährlich einbauen?
Silberberger: Schau, die Admira hat im Sommer David Puczka und Jakob Schöller verkauft. Geht noch mehr, als einen zu Juventus und einen zu Rapid zu verkaufen? Kaum spielen die ein paar Spiele bei der Admira, sind die 18-Jährigen wegen der Manager weg.
90minuten: Muss das so sein? Die, die es wie Soumah, Baden Frederiksen oder Vrioni nicht bei Juve schaffen, wechseln dann nach Wattens.
Silberberger: Genau, man dockt da am globalen Markt an. Die haben dutzende Leihspieler und wenn einer durch die Decke geht, können sie wieder mehr holen. Und eines muss auch klar sein: Man kann nicht nur mit Akademiespielern um den Titel mitspielen.
90minuten: Wie bewertest du diese Entwicklung?
Silberberger: Du kannst eh nur mitgehen. Ich kenne das aus Wattens. Kaum trifft einer den Ball dreimal richtig, redet er vom nächsten Step. Dann wollen er und der Manager diesen nehmen. Aber: Felix Bacher ist nach Portugal gegangen und wird dort jetzt Bademeister, weil er nicht zum Zug kommt. Nemanja Celic war bei Darmstadt und ist jetzt Ergänzungsspieler bei Ried. Das ist leider so, weil die Manager ihr Geld mit diesen "nächsten" Schrittten verdienen. Aber wenn einer schlecht spielt, kannst du nicht zum Manager sagen, dass er den wegbringen soll, weil dann pocht der auf den Vertrag. Die Manager schauen nur auf ihre Kohle, der Verein ist ihnen wurscht. Diese Transfergeschichten, das ist ein perverses Geschäft.
90minuten: Apropos Geld, du hast die 2. Liga in unserem letzten Interview als "Geldvernichtungsliga" bezeichnet. Wie schätzt du sie jetzt nach einem halben Jahr ein?
Silberberger: Es ist sehr schwierig, diese Liga in ein gutes Format zu bringen. Die Zehnerliga mit Vollprofis war super, die Qualität der Liga war besser, aber es gab jedes Jahr Vereine, die schwere finanzielle Probleme hatten. Alleine der FAC wäre öfters abgestiegen, hat das aber nie "geschafft", weil immer wer anderer runter musste.
90minuten: Wie nah sind die Ligen eins bis drei eigentlich leistungstechnisch beieinander? Sind die höheren Ligen wirklich besser oder gibt’s nur mehr Geld?
Silberberger: Naja, wer im Westen in der Regionalliga spielt, hat in Vorarlberg, Tirol und Salzburg seine Derbys. Die Alternative ist, in der 2. Liga zu spielen und am Donnerstagmittag in den Bus zu steigen, um am Freitagabend in Horn spielen zu können. Wofür entscheidet man sich dann, wenn man weiß, dass es für ganz oben auf Dauer nicht reicht? Wenn ich meinen Job habe und mir mein Hobby gut zahlen lasse, steige ich in der Regionalliga besser aus - und fahre nicht mit dem Bus.
90minuten: Die Aufsteiger in die Bundesliga steigen derzeit nicht sofort wieder ab, mit der Admira, Ried stehen zwei mögliche Aufsteiger bereit, Vienna, Bregenz, da müsste beim Stadion was passieren, St. Pölten und Lustenau sind in einer Findungsphase. Wird es Zeit, die Bundesliga aufzustocken und was heißt das für die 2. Liga?
Silberberger: Wenn man die Bundesliga auf 16 Teams aufstockt, wird der Fernsehgeldkuchen kleiner und da werden einige Vereine aufschreien, vor allem die kleineren. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Österreich ist fast zu klein für eine 16er-Liga, wenn man sich die Erlöse ansieht. Man kann aber auch nicht eine Liga mit Vollprofitum haben und darunter nichts, das ist eine unlösbare Aufgabe.
90minuten: Gibt es für mehr Bundesliga überhaupt ausreichend Spieler?
Silberberger: Die Akademien produzieren genug Fußballer und das am Fließband. Die Topspieler bleiben beim Stammverein, die anderen verteilen sich. Vielleicht könnte man es mit einem Draft-System machen, dass jeder 2. Liga-Verein drei oder vier Akadmieabgänger bekommt. Das wäre spannend. Die sollten nämlich nicht in die Regionalliga gehen.
90minuten: Eine Frage habe ich noch: Wenn wir am 18. November, also heute in einem Jahr, sprechen, ist die Admira mit dir in der Bundesliga?
Silberberger: Da ist natürlich Länderspielpause. Und es wäre ja vermessen, wenn wir Herbstmeister werden und ich dann sage: Puh, schauen wir einmal. Ich muss klare Kante zeigen und sagen, dass wir das so wollen.
90minuten: Wir danken für das Gespräch!