Sturms Weg an die Spitze: "Er hat das Chaos perfekt gemacht"

Sturms Weg an die Spitze: "Er hat das Chaos perfekt gemacht"

90minuten-Kolumnist Jürgen Pucher hat das Buch "Der SK Sturm ist wieder da" veröffentlicht. Ein Gespräch über sein Werk und dessen Protagonisten.

Jürgen Puchers Kompetenz in Sachen SK Sturm ist unbestritten. Der Steirer begleitet die Grazer praktisch schon sein ganzes Leben lang.

Als Fan, als Mitgründer des Fanmediums Sturm12.at, als Teil des Podcast-Kollektivs BlackFM, das sich regelmäßig, qualitativ hochwertig und eingehend mit dem Klub beschäftigt, und nicht zuletzt als Schreiber der Kolumne 12 Meter bei 90minuten.

Am (heutigen) Donnerstag erscheint sein Buch "Der SK Sturm ist wieder da" im Styria Verlag. Es trägt den selbsterklärenden Untertitel "Von der Ära Osim bis zum Gewinn der Meisterschaft". Zur Bestellung >>>

Die Präsentation findet am 11. September, um 18:30 Uhr, in der Nordkurve des Liebenauer Stadions statt. Auch Trainer Christian Ilzer und Klub-Legende Günther Neukirchner werden dabei sein. Der Eintritt ist frei.

Auf 176 Seiten beschreibt Pucher übersichtlich und kenntnisreich, wie sich der aktuelle Doublesieger in den vergangenen 22 Jahren entwickelt hat, inwiefern Jahrhunderttrainer Osim auch die Gegenwart noch prägt und wie sich der Klub nach chaotischen Zeiten nach und nach professionalisiert hat.

Es ist eine wilde Reise, die Pucher nachzeichnet. Seine Gesprächspartner, Fan-Capo Oliver Parfi, Sportchef Andreas Schicker, Ex-Geschäftsführer Christopher Houben, Benjamin Sikora von der "Gruabn"-Initiative und einige mehr, gewähren spannende Einblicke.

Im Interview mit 90minuten erzählt Jürgen Pucher über die Entstehungsgeschichte des Buchs, seine persönlichen Beziehungen zu einigen Protagonisten, die Fanszene in Graz und weitere Buch-Ideen.

90minuten: Für wen ist dieses Buch?

Jürgen Pucher: Im Promo-Text steht: Für Sturm-Fans und alle, die es werden wollen. Ich würde mal davon ausgehen, das jene, die schon Sturm-Fans waren, Interesse haben. Durch die aktuellen Ereignisse hat sich der Kreis an Mitgliedern erweitert, die können das Buch als guten Einsteig nutzen, um die letzten 20 Jahre Sturm ein bisschen nachzulernen, wenn sie sie noch nicht im Detail kennen.

90minuten: Wie ist es, ein Buch zu schreiben, ohne zu wissen, ob es ein Happy End haben wird?

Pucher: Es war für den 1. Mai, den 115. Geburtstag Sturms, geplant. Als sich im Laufe der Saison abgezeichnet hat, dass sie erfolgreich werden könnte, habe ich dem Styria Verlag gesagt: "Das Buch kann nicht am 1. Mai erscheinen, wenn wir danach Meister und eventuell Cupsieger werden. Dann habe ich ein Buch geschrieben, in dem die wichtigste Information nicht drinnen steht." Ich habe das Buch schon so gebaut, dass es passiert. Keine Ahnung, was ich gemacht hätte, wäre es nicht passiert. Speziell Andi Schicker war sehr kooperativ, er hat mit mir am Tag nach der Meisterfeier telefoniert, damit ich das alles abbilden kann. Für mich war die Saison ein Geschenk.

90minuten: Wie viel hast du im Laufe der Recherche von der Grundidee des Buchs verworfen?

Pucher: Viel. Die Grundidee war, es viel mehr auf Ivica Osim und die Nachwirkung seines Schaffens zu konzentrieren. Das ist zu einem großen Teil so geblieben. Aber durch die aktuelle Entwicklung war es sehr interessant, das gegenüberzustellen, wie patschert das danach eigentlich gelaufen ist bis hin zu aktuell höchst professionellen sportliche Leitung. Es ist eine Zeitleiste hin von einer großen Ära zu fast kaputt bis hin zum Wiederaufstieg. Der Weg zurück an die Spitze war der Hauptfaden.

Foto © GEPA
Sturms Jahrhunderttrainer Ivica Osim

90minuten: Unmittelbar nach der Aufarbeitung des Doubles folgt die Geschichte vom 1. Mai 2022.

Pucher: Das war lange das erste Kapitel. Es war ein surrealer Tag. Es herrschte eine fast dystopische Stimmung, schlechtes Wetter am 1. Mai, eigenartige Atmosphäre, und dann platzt mitten in diese Geburtstagsfeier des SK Sturm der Tod von Ivica Osim. Das war ein sehr bleibender Moment.

90minuten: Osim ist die Klammer des Buchs und die prägende Figur der jüngeren Vergangenheit des SK Sturm. Stimmst du der Beobachtung zu, dass er trotzdem nie so dieser Übervater geworden ist, an dem sich neue Trainer messen mussten? So wie es etwa Alex Ferguson bei Manchester United wurde. Bei Sturm wurde nie auf den nächsten Trainer mit dem Finger gezeigt und festgestellt, dass er halt kein Osim ist.

Pucher: Indirekt stimme ich zu, weil dieser Vergleich nie so gezogen wurde. Niemand hat gesagt, dass etwa Darko Milanic nicht wie Osim und deswegen ein schlechter Trainer ist. Osim hat aber die Wahrnehmung von Sturm komplett verändert. Daran wurden seine Nachfolger schon gemessen, es war nicht mehr genug, nur zu gewinnen und zu fighten, es war auch wichtig, wie Sturm spielt. Die Akzeptanz des aktuellen Erfolgs hat viel damit zu tun, dass Sturm attraktiv daherkommt. Franco Foda war auch erfolgreich, aber er war nicht attraktiv – weder als Persönlichkeit noch als Trainer vom Spielstil her. Das hat ihn nie so populär werden lassen wie jetzt Christian Ilzer.

90minuten: Wer ist deine Lieblingsfigur aus den letzten 22 Jahren?

Pucher: Es gibt sehr viele Figuren, die mich sehr lange beschäftigt haben, Franco Foda zum Beispiel. Eine meiner Lieblingsfiguren war Hans Fedl. Und eine der interessantesten war Hans Rinner. Wir hatten überhaupt keinen guten Start, er hat das überhaupt nicht verstanden, dass es da mit Sturm12 ein Fanmedium gibt, das kritisch ist. Wir hatten im Laufe der Zeit aber einen sehr regelmäßigen, sehr interessanten Austausch, er war ein sehr gescheiter, interessanter Mensch. Dem ist es tatsächlich sehr am Herzen gelegen, was da bei Sturm passiert. In der Übertragung der ganzen Sache war er aber oft ungeschickt.

Gludovatz war ein Grandseigneur des österreichischen Fußballs, alle haben gedacht, er bringt einen Schub Professionalität und das Gegenteil war der Fall.

Autor Jürgen Pucher

90minuten: Die große Konstante ist Christian Jauk.

Pucher: Seit ich mich damit beschäftige, ist es tatsächlich so. Mit ihm war der Austausch immer gut, er war am Weg zurück in den Verein, hat die Präsidentschaft angestrebt und die Fanmedien sehr gut bedient, weil das ein guter Katalysator war. Der Kontakt hat sich intensiv etabliert und ist immer geblieben.

90minuten: 2012: Jauk wird Präsident, Christopher Houben wechselt vom Fanmedium Sturm12 in die Geschäftsführung des Vereins, Peter Hyballa wird Trainer...

Pucher: ...und die Geschichte rund um Paul Gludovatz. Er war ein Grandseigneur des österreichischen Fußballs, alle haben gedacht, er bringt einen Schub Professionalität und das Gegenteil war der Fall. Er hat das Chaos erst perfekt gemacht.

90minuten: Dass Sturm diese Zeit nicht nur unbeschadet überstanden hat, sondern eigentlich als Start in diese Ära, die nun im Double gegipfelt ist, genutzt hat, ist erstaunlich.

Pucher: Rückblickend schon. Wenn man es auseinanderdividiert aber gar nicht so sehr. Bei aller Kritik, die man an Jauk üben muss, gab es seit seiner Präsidentschaft eine gewisse finanzielle Stabilität. Man hatte immer einen Spielraum, um zu üben. Dass die damals entworfene Vereinsstruktur lange mit vielen Kandidaten nicht befüllt werden konnte, ist erstaunlich. Andererseits ist es vielleicht einfach ein Prozess. Es braucht vielleicht einfach zehn Jahre, um einen Verein so zu professionalisieren.

90minuten: Sturm12 als Fanmedium, danach Sturmnetz, BlackFM, die Gruabn-Initiative, die Initiative "Freiheit für Sturm",... Wie erklärst du dir, dass diese Fanteilhabe bei Sturm wesentlich größer ist als bei anderen Vereinen? Und – bevor du jetzt Rapid sagst – auch anders wahrgenommen wird.

Pucher: Ich wollte jetzt gar nicht Rapid sagen, aber wenn du es schon sagst: Die Kurve in Graz ist ganz anders aufgestellt. Es gibt eine ganz andere Kommunikation zwischen Fans und Verein – das ist viel konstruktiver, weniger Schwanzlängen-Vergleich. Durch die regelmäßigen Jour fixe zwischen Verein und Kurvenführung gibt es eigentlich immer einen konstruktiven Fortgang der Geschehnisse. Das andere ist ein gewisser Zufall, der durch Sturm12 passiert ist.

Foto © GEPA
Christopher Houben: von Sturm12.at in die Sturm-Geschäftsführung

90minuten: Wie meinst du das?

Pucher: Sturm12 war in gewisser Weise ein Vorreiter. Christopher Houben, seine damalige Partnerin und ich haben in Wien gelebt und uns in Sachen Informationen unterversorgt gefühlt, deswegen haben wir das gemacht. Es war Zufall, dass das bei Sturm passiert ist. Die Journalismus-FH in Graz war der nächste Katalysator, daraus kamen all die Menschen, die bei Sturm12 dabei waren – außer uns selbst.

90minuten: Du hast den Sturm-Fans und der Szene recht viel Platz in deinem Buch eingeräumt. Wenn man sich klassische Vereinschroniken ansieht, ist das oft nicht so. Warum war dir das wichtig?

Pucher: Weil ich ein Teil davon bin. Weil die Protagonisten dieser Szene wahnsinnig interessant sind. Weil die Geschichte der Fanszene durch die schwierige Zeit mit Kartnig und danach eine relevante Geschichte der letzten 20 Jahre im Verein ist. Die Fanszene war ein wesentlicher Faktor, dass die Kartnig-Zeit durchgestanden wurde. Danach hat sie es gut genützt, um im und mit dem Verein groß zu werden. Diese Geschichte ist bisher nie konzertiert und strukturiert aufgeschrieben worden. Das gehört zu Geschichte des Vereins einfach dazu.

90minuten: Am Ende des Buchs schreibst du von "einer stabilen wirtschaftlichen Situation ohne Hasardeure oder neureiche Selbstdarsteller", die für die Zukunft ein Fundament bildet, "das Sturm stabil auf dem Boden der Realität stehen lässt." Ist dieses Fazit angesichts des drohenden Falls der 50+1-Regel nicht ein wenig zu optimistisch?

Pucher: Das Fazit gründet auf dem Rückblick der Buch-Geschichte. Die Gefahr ist natürlich immer da, dass das plötzlich jemand anders machen will, wen Christian Jauk nicht mehr Präsident ist. Durch die jetzigen Entwicklungen, wo Sturm vielleicht bald 20.000 Mitglieder hat, und die laut den Statuten den Verein demokratisch bestimmen können, ist es unwahrscheinlich, dass das passiert. Es geht aktuell nicht, dass jemand den Verein kauft und alles anders macht. Das geht erst, wenn man die Statuten ändert.

90minuten: Du hast schon "111 Gründe, den SK Sturm zu lieben", geschrieben, jetzt "Der SK Sturm ist wieder da". Hast du schon ein drittes Sturm-Buch-Projekt im Kopf?

Pucher: Ich habe mehrere Ideen, die man machen kann. Es gibt schon noch einige interessante Aspekte, die man behandeln kann. Es gibt auch weniger populäre Themen, die interessant sind. Es gab mal das Buch über die Aufarbeitung des Nationalsozialismus bei den Grazer Fußballklubs. Da fehlt viel. Es gibt das Werk "Rapid unterm Hakenkreuz", da sieht man, wie man so etwas machen könnte. Man könnte auch personenbezogenere Bücher zu aktuellen Protagonisten wie Andi Schicker und Chris Ilzer, die irgendwann nicht mehr bei Sturm sein werden, machen.

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