Im Herbst 2023 stand Simon Seidl nach dem Aufstieg mit Blau-Weiß Linz noch komplett im Abseits: Zehn Bundesliga-Spieltage lang schaffte es der 22-Jährige nicht einmal in den Kader.
Doch der Glaube an sich selbst sowie starke Trainings- und Testspielleistungen brachten den Offensivspieler nicht nur auf die Bühne der ADMIRAL Bundesliga, sondern auch ins U21-Nationalteam. Heute gilt der Kuchler als einer der begehrtesten Kicker vom Donaupark. Nun strebt der ehrgeizige Blau-Weiß-Profi eine Top-5-Liga an.
Im Interview mit 90minuten spricht Simon Seidl unter anderem über seinen bemerkenswerten Aufstieg aus der 1. Klasse ins Profigeschäft, die Vergleiche mit seinem Bruder und Rapid-Kapitän Matthias und seiner Beziehung zum langjährigen U21-Teamchef Werner Gregoritsch.
90minuten: Ihr überwintert in der Meistergruppe als Sechster. Ich nehme an, damit seid ihr sehr zufrieden.
Simon Seidl: Wir sind als Verein sehr zufrieden. Es ist für uns unglaublich gelaufen. Zwischendrin gab es eine Phase, in der wir nicht so viele Punkte geholt haben und mit unserem Spiel nicht zufrieden waren. Am Ende haben wir uns aber gut herausgezogen und wichtige Siege eingefahren. Daran wollen wir anknüpfen.
90minuten: Wie zufrieden bist du mit dir selbst?
Seidl: Für mich persönlich war es ein gutes Halbjahr. Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten, meine Leistungen auf den Platz zu bringen, aber das hat sich mit der Zeit gebessert. Ich gebe in jedem Spiel alles für die Mannschaft, und das hat ganz gut funktioniert – auch mit dem U21-Nationalteam.
90minuten: Ihr verbringt Weihnachten vor dem LASK. Wie gut tut es, den Stadtrivalen hinter sich zu haben?
Seidl: Vor allem für die Fans ist das etwas Besonderes. Auch mir bedeutet es etwas. Es ist schön, die Nummer eins in Linz zu sein, aber so viele Punkte Unterschied sind es auch nicht. Wir müssen dranbleiben und weiter Gas geben.
90minuten: Im Grunddurchgang stehen noch sechs Spiele aus. Lautet das Ziel jetzt Meistergruppe?
Seidl: Natürlich wollen wir in die Meistergruppe. Wir haben 16 von 22 Spielen hinter uns, stehen oben und wollen dort bleiben. Wir schauen aber von Spiel zu Spiel, geben Gas und wollen Punkte sammeln. Dann kann das möglich sein.
90minuten: Mit kleineren Mannschaften hattet ihr immer wieder Probleme. Dafür konntet ihr als einziges Team Rapid besiegen (sogar zweimal) und habt auch die Austria, Salzburg und den LASK geschlagen. Wie erklärst du dir das?
Seidl: Die größeren Mannschaften kommen unserem Spielsystem mehr entgegen. Wir kommen gut ins Anlaufen und finden eine richtig gute Intensität gegen den Ball. Dadurch ist es schwer, gegen uns Tore zu erzielen. Durch hohe Ballgewinne können wir uns auch einfacher Torchancen herausspielen. Das ist wahrscheinlich der Hauptgrund, warum wir gegen die Top-Teams gut abschneiden.
90minuten: Lass uns noch einmal auf das Gastspiel bei Rapid zurückblicken. Im Duell gegen deinen Bruder Matthias hast du den Assist zum entscheidenden 1:0 gegeben.
Seidl: Es war Wahnsinn. Es hat richtig Spaß gemacht, auf dem Platz zu stehen. Wir haben von Anfang an gespürt, dass wir da sind und Gas geben. Oft spürt man in der Mannschaft, dass ein richtiges Feuer entsteht und wir die Zweikämpfe gewinnen. Wir haben uns gegenseitig gepusht, dann spielt man einfach besser. Mit dem Assist für Ronivaldo war es natürlich umso schöner. Das bleibt in Erinnerung, bringt uns aber wenig, wenn wir im Frühjahr nicht anknüpfen.
90minuten: Dein Bruder Matthias hat euch nach der Partie bei "Sky" als "sehr dreckige Mannschaft" bezeichnet. Seid ihr das?
Seidl: Damit hat er unsere extreme Aggressivität gemeint. "Dreckig" kann man schon sagen. Darum geht es auch. Man darf den Gegner nicht stark werden lassen und muss richtig in die Zweikämpfe hineinfahren. Das brauchst du, um Spiele zu gewinnen.
"Die Vergleiche gab es immer schon. Ich finde es gut, dass er Rapid-Kapitän und im Nationalteam ist. Ich kann zu ihm aufschauen und sehe, was möglich ist. Ziele kann man hochstecken. Mich stört es nicht, dass er mein Bruder ist."
90minuten: Du giltst als sehr variabler Spieler in der Offensive. Gibt es eine Lieblingsposition?
Seidl: Das Wichtigste ist, dass ich spiele. Ich spiele gerne im Sturm, auf der Acht oder im Mittelfeld. Ich komme auch gerne über den Flügel. Mir ist es egal.
90minuten: Gerald Scheiblehner betreut dich bereits seit zweieinhalb Jahren. Mit ihm seid ihr 2023 aufgestiegen. Welche Rolle spielt er?
Seidl: Eine sehr große Rolle. Mit seiner richtig guten Taktik – gegen und mit dem Ball – haben wir gute Abläufe entwickelt. Dadurch gewinnen wir Spiele.
90minuten: Dein älterer Bruder ist Rapid-Kapitän und spielt im A-Nationalteam. Stören dich die Vergleiche manchmal?
Seidl: Die Vergleiche gab es immer schon. Ich finde es gut, dass er Rapid-Kapitän und im Nationalteam ist. Ich kann zu ihm aufschauen und sehe, was möglich ist. Ziele kann man hochstecken. Mich stört es nicht, dass er mein Bruder ist.
90minuten: Matthias hat sich gegenüber der "Heute" enthalten, als es um die Frage ging, wer mehr Talent hat. Was sagst du?
Seidl: Da enthalte ich mich auch. Das werden wir früher oder später sehen, wer der Bessere wird.
"Wenn du deine Leistung im Training auf den Platz bringst und in einem Testspiel in der Länderspielpause richtig gut spielst, kommt der Trainer irgendwann nicht mehr an dir vorbei."
90minuten: 2020 bist du mit 18 Jahren noch in der 1. Klasse für die 1b des SV Kuchl aufgelaufen. Über die Kampfmannschaft von Kuchl (damals Regionalliga Salzburg) gelang dir 2022 der Sprung zu Blau-Weiß Linz. In deinem ersten Jahr seid ihr in die Bundesliga aufgestiegen. Hast du dir diesen steilen Aufstieg erträumt?
Seidl: Ich habe immer daran geglaubt. Ich wusste, dass ich etwas habe, das andere Spieler nicht haben. Deswegen war mir meistens klar, dass ich den Weg gehen will. Sicher gibt es Tage, an denen du denkst: "Poah, es ist schwierig." Aber wenn du den Weg unbedingt gehen willst, schaffst du es auch. Das Wichtigste ist, dass ich an mich geglaubt habe. Ich werde von Tag zu Tag stärker. Das ist mein Geheimrezept.
90minuten: In deiner Profikarriere ist es nicht immer bergauf gegangen. In der vergangenen Saison warst du an den ersten zehn Bundesliga-Spieltagen nicht einmal im Kader. Wie ist es dir damals ergangen?
Seidl: Das war eine sehr lehrreiche Zeit. Ich habe mir eigentlich gedacht, dass ich bereit bin zu spielen. Ich musste mich über Umwege durchsetzen, habe aber weiter an meine Fähigkeiten geglaubt und die Taktik des Trainers umgesetzt. Wenn du deine Leistung im Training auf den Platz bringst und in einem Testspiel in der Länderspielpause richtig gut spielst, kommt der Trainer irgendwann nicht mehr an dir vorbei. Dann heißt es, da zu sein und die Chance zu nutzen. Das habe ich gemacht, und ich bin froh, jetzt regelmäßig von Anfang an spielen zu können.
"Ich habe mich mit Werner Gregoritsch sehr gut verstanden. Er hat mich so spielen lassen, wie ich wollte, und meinen Spielstil geliebt."
90minuten: Mit starken Leistungen hast du dich auch ins U21-Nationalteam gespielt. Im Herbst habt ihr die EM-Qualifikation verpasst. Wie bitter ist das?
Seidl: Sehr bitter. Ich denke, dass wir mit dieser Mannschaft viel hätten erreichen können. Wir hatten viel Qualität. Mit dem Unentschieden gegen Zypern haben wir uns keinen Gefallen getan. Für mich war es aber eine unglaublich schöne Zeit. Es hat richtig Spaß gemacht, mit dem Trainer und der Mannschaft zu arbeiten. Wir waren ein richtig gutes Team und hatten im Training jede Menge Gaudi. Sicher gab es Höhen und Tiefen, aber im Großen und Ganzen war es eine unvergessliche Zeit.
90minuten: Du warst bei den letzten Lehrgängen des langjährigen U21-Teamchefs Werner Gregoritsch dabei. Wie hast du ihn erlebt?
Seidl: Ich habe mich mit Werner Gregoritsch sehr gut verstanden. Er hat mich so spielen lassen, wie ich wollte, und meinen Spielstil geliebt. Es hat Spaß gemacht, unter ihm zu spielen. Es gab nicht viele Vorgaben, wir hatten viele Freiheiten. Er hat mir auch viel Vertrauen geschenkt. Ich bin ihm sehr dankbar für die Zeit und das, was er mir beigebracht hat.
90minuten: Der nächste Schritt wäre das A-Nationalteam. Wie sehr steht das schon im Fokus?
Seidl: Das ist seit meiner Kindheit ein Riesentraum. U21 ist gut und schön, aber das A-Team ist noch einmal eine andere Nummer. Das ist das große Ziel. Ziele hören nie auf. Es ist ambitioniert, aber das A-Team ist nicht so weit weg. Wenn man die Leistungen auf den Platz bringt, wird man sehen, was die Zeit bringt.
90minuten: Neben deinem Bruder Matthias spielt mit Nicolas Seiwald ein weiterer Kuchler im ÖFB-Team. Es gibt einige Profis, die vom SV Kuchl abstammen. Was ist das Erfolgsgeheimnis?
Seidl: Der Verein pflegt gute Werte, aber das allein ist es nicht. Die Einstellung ist oft das Ausschlaggebende. Wir wollen uns stetig verbessern und machen mehr als andere. Wir haben einen unbedingten Siegeswillen. Früher oder später setzt sich das durch.
"Ich will in eine Top-5-Liga. Das ist der Traum. Wenn man seine Aufgaben erledigt, wird das auch möglich sein."
90minuten: Du giltst als einer der begehrtesten Spieler im Dress von Blau-Weiß Linz. Matthias hat mal gesagt: "Rapid wäre ein guter Verein für Simon." Bist du bereit für den nächsten Schritt?
Seidl: Ich konzentriere mich auf Blau-Weiß. Man wird sehen, was die Zeit bringt. Ich will besser werden, Tore und Assists machen, Zweikämpfe gewinnen. Der Rest kommt dann von alleine.
90minuten: Würde dich das Ausland reizen?
Seidl: Definitiv. Das Ausland ist ein großes Ziel. Ich will in eine Top-5-Liga. Das ist der Traum. Wenn man seine Aufgaben erledigt, wird das auch möglich sein.