Saudi-Legionär Thomas Murg: "Die Meinung anderer ist mir egal"
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Saudi-Legionär Thomas Murg: "Die Meinung anderer ist mir egal"

Training um 21:30 Uhr, "Kulturschock" Ramadan, Duelle mit CR7 und eine ungewisse Zukunft: 90minuten hat mit Thomas Murg nach seinen ersten Wochen in Saudi-Arabien gesprochen.

Seit Ende Jänner hat Österreich seinen ersten Legionär in der wohl kontroversesten Fußball-Liga der Welt.

Zum Ende des vergangenen Transfer-Winters verließ Thomas Murg PAOK Thessaloniki nach rund viereinhalb Jahren und schloss sich Al-Khaleej aus der Saudi Pro League an.

Von seiner neu gewonnenen Heimat Griechenland nach Khobar, in die Wüste Saudi-Arabiens - ein Wechsel, der den 30-jährigen Steirer nicht nur sportlich, sondern auch privat in eine völlig neue Welt katapultiert. Und eine Entscheidung, die Fragen aufwirft.

Mit 90minuten spricht Thomas Murg nun nach seinen ersten Wochen bei seinem neuen Verein über die Umstände seines Abschieds von der Ägäis, seinen "Kulturschock", Duelle mit CR7 und seine sportlichen Ambitionen.


90minuten: Du hast deine ersten Wochen in Khobar hinter dir, hast bereits deine ersten Trainings und Spiele in den Beinen. Wie geht es dir aktuell?

Thomas Murg: Grundsätzlich geht es mir gut. Ich hatte schon ein paar Spiele, habe nur eine Partie aufgrund einer leichten Verletzung im Knie verpasst. Ansonsten bin ich fit. Die ersten Tage nach meiner Ankunft waren sehr, sehr stressig. Man muss die Leute und die Gegend kennenlernen. Ich habe schon ein paar Spiele über 90 Minuten bestreiten können, also komme ich gut in den Rhythmus.

90minuten: Auf deinen ersten Sieg im Trikot von Al-Khaleej musst du nach wie vor warten, dafür habt ihr gegen Top-Mannschaften wie Al-Ittihad und Al-Ahli Unentschieden geholt. Wie steht es aktuell um die sportliche Lage bei deinem neuen Klub?

Murg: Der Verein ist mit dem ganz klaren Ziel in die Saison gegangen, die Liga zu halten. Dieses Thema sollte eigentlich erledigt sein - wir sind jetzt Zehnter, liegen eigentlich im gesicherten Mittelfeld. Natürlich haben unser griechisches Trainerteam und wir Spieler die Ambition, dass wir die Saison weiter oben beenden wollen. Seit ich hier bin ist es tatsächlich so, dass wir gegen die kleineren Mannschaften auslassen und gegen die Größeren wie Al-Ittihad und Al-Ahli punkten. Wir dominieren die Spiele über weite Strecken, kommen auch zu sehr, sehr vielen Chancen. Aber es ist dann so, dass wir diese nicht nützen und deswegen auch schon mehrere Spiele in Folge sehr leicht Punkte verschenkt haben.


90minuten: Für dich hat im Winter ein neues Kapitel begonnen. Du warst fast fünf Jahre lang in Griechenland, hast dich zum Ende des Transferfensters noch für einen Wechsel entschieden. Wie kam es so weit?

Murg: Die vergangene Saison war für PAOK und mich persönlich sehr, sehr gut. Wir wurden Meister, ich habe den Großteil der Partien absolviert und war Stammspieler. Im Februar letzten Jahres habe ich meinen Vertrag für zwei weitere Jahre verlängert. Dann ging es in die neue Saison und für PAOK lief nichts nach Plan. Wir sind in der Champions-League-Quali gegen Malmö gescheitert, waren dann in der Europa League. Dann kam der Schock, weil ich für den Europapokal nicht auf die Kaderliste gesetzt wurde. Der Verein hat im Sommer viele neue Spieler geholt und mir wurde mitgeteilt, dass ich deshalb keinen Platz hab. Das war ehrlich gesagt nicht einfach. Auch, weil es nicht direkt eine sportliche Entscheidung war. Wir haben dann einen schwachen Herbst gespielt, woraufhin der Verein im Jänner wieder fünf, sechs neue Spieler geholt hat. Mir wurde dann einfach mitgeteilt, dass ich den Verein verlassen soll, wenn ich Spielzeit haben will. So ist das im Fußball.

Thomas Murg war bei PAOK nicht immer gesetzt
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Thomas Murg war bei PAOK nicht immer gesetzt

90minuten: Wie schwierig war es für dich, mit dieser Situation umzugehen?

Murg: Für mich war es keine einfache Lage. Das habe ich dem Verein auch mitgeteilt, ich habe ja auch die Kinder. Es war auch nicht mehr lange Zeit, das Transferfenster hatte noch circa zehn Tage offen. Es kamen die ersten Angebote aus der Türkei, die ich aber abgelehnt habe. Und dann kam eben das Angebot aus Saudi-Arabien. Wie gesagt, es war nicht mehr viel Zeit. Ich hatte diese Situation bei PAOK vor zwei Jahren schon einmal, wo ich teilweise nicht mehr mit der Mannschaft trainiert habe und es Differenzen gab. Ich bin trotzdem geblieben. Es gibt immer die Chance, zu kämpfen und sich zu zeigen. Für mich war klar, dass ich jetzt nicht all das, was ich mir erarbeitet und aufgebaut habe, einfach so stehen und liegen lasse und gehe. Ich bin keine 20 mehr.

90minuten: Wieso ist aus einem möglichen Türkei-Transfer nichts geworden? Welche Gründe haben den Ausschlag für Saudi-Arabien gegeben?

Murg: Ganz ehrlich: die Türkei hat mich einfach nicht gereizt. Es waren Klubs aus dem totalen Abstiegskampf. Da muss man auch die sportliche Perspektive sehen - Wie spielt die Mannschaft? Wie steht sie in der Tabelle, wie viele Tore hat sie gemacht?  Das Gesamtpaket hat nicht gestimmt. Für Saudi-Arabien hat dann einiges gesprochen. In erster Linie hatte ich zwei sehr intensive Gespräche mit dem Trainer. Ich kenne die griechische Mentalität gut. Er wusste, was für ein Spielertyp ich bin, was er von mir verlangen wird. Das Gefühl, dass man einfach gebraucht wird, hat mir zu meiner Entscheidung verholfen.

Für mich war klar, dass ich jetzt nicht all das, was ich mir erarbeitet und aufgebaut habe, einfach so stehen und liegen lasse. Ich bin keine 20 mehr.

Murg über die schwierige Entscheidung, PAOK im Winter zu verlassen.

90minuten: Saudi-Arabien hat sich in den letzten Jahren zu einer populären Transfer-Destination für Fußballer entwickelt. Viele sehen das kritisch, Spielern wird oft Geldgier nachgesagt. Haben dich diese Umstände zum Grübeln gebracht?

Murg: Ganz ehrlich, nein. Ich habe meine Leute, mit denen ich spreche. Die Meinung anderer ist mir echt egal. Es ist immer leicht, von außen zu urteilen. Man muss das Angebot am Tisch liegen haben, um sich da hineinversetzen zu können. Geld spielt einfach auch eine gewisse Rolle. Man hat nicht hunderte Jahre, um Fußball zu spielen. Die Zeit ist begrenzt. Für mich waren der Hauptgrund aber ganz klar die Gespräche mit dem Trainer. Ich habe mit einem Spieler bei PAOK zusammengespielt, der Al-Khaleej erst in diesem Winter verlassen hat. Mit ihm habe ich sehr lange gesprochen, ihn viele Sachen gefragt. Natürlich macht man sich schlau, es ist ja wichtig sich wohlzufühlen. Ich bin der Meinung, man muss die Dinge selbst erleben und sehen, bevor man sich ein Urteil bilden kann.

90minuten: PAOK war die erste Auslandsstation deiner Karriere. Nach viereinhalb Jahren Griechenland hast du nun die ersten Wochen Saudi-Arabien hinter dir. Welche Eindrücke hast du von Land und Gesellschaft bisher sammeln können?

Murg:  Griechenland, Thessaloniki und auch die Menschen dort sind wunderbar. Es ist hier natürlich etwas ganz anderes. Mit 1. März hat der Ramadan begonnen. Jetzt ist es hier so, dass der Tag zur Nacht wird. Die Leute bleiben tagsüber zu Hause und in der Nacht ist dann draußen die Hölle los.  Ich bin eher ein Mensch, der früh aufsteht, aber jetzt wird es dann auch 10, 11:00 Uhr, weil es halt einfach so spät ins Bett geht. Shopping Malls sind zwar geöffnet, aber Restaurants sind tagsüber geschlossen oder bieten nur Takeaway an.


90minuten: Dein Tagesrhythmus dürfte sich ziemlich auf den Kopf gestellt haben…

Murg: Wir trainieren um 21:30 Uhr, das ist natürlich auch etwas völlig anderes. Die einheimischen Spieler fasten, deshalb wird das Training natürlich auch zeitlich angepasst. Die Spiele sind um 22:00 Uhr am Abend. Ein normaler Tag sieht so aus, dass ich dann erst um Mitternacht oder um 1:00 Uhr nach Hause komme, dann auch noch was essen muss und dann ja natürlich auch nicht sofort schlafen kann. Das heißt, du gehst um 3:00, 4:00 Uhr erst ins Bett. Aber wie gesagt, man ist jetzt einfach in dem Land und man muss das respektieren.

90minuten: Wie vertreibst du dir die Zeit abseits des Fußballplatzes?

Murg: Mit Konstantinos Fortounis und Dimitrios Kourbelis kenne ich zwei Mitspieler aus meiner Zeit in Griechenland sehr gut. Da kam man schnell in Kontakt. Wir gehen gemeinsam zum Brunchen, schauen abends Fußball oder fahren gemeinsam zu den Trainings. Es gibt auch einen Basketballplatz. Ansonsten telefoniere ich natürlich sehr viel mit Familie und Freunden.

Riyad Mahrez hat Eindruck hinterlassen bei Thomas Murg
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Riyad Mahrez hat Eindruck hinterlassen bei Thomas Murg

90minuten: Cristiano Ronaldo attestiert der Saudi Pro League mehr Qualität als der französischen Ligue 1. Wie hoch ist das fußballerische Niveau hier wirklich?

Murg: Besser als die Ligue 1…. (denkt nach).  Es gibt in fast jedem Verein Spieler, die einfach den Unterschied machen können. Vor allem in den Topmannschaften sind das ein Sadio Mane, Ronaldo, Mahrez, Firmino, Benzema. Die machen hier genauso den Unterschied, wie sie es bei Real Madrid gemacht haben. Die Saudis sind technisch sehr gut, können alle kicken. In Sachen Taktik und Defensivarbeit gibt es aber noch einiges aufzuholen. Es ist schon so, dass das Tempo deutlich langsamer ist, das Spiel sehr offen ist und es teilweise schon verrückt hin und her geht. Es kann jedes Team jeden Gegner schlagen, man kriegt auch gegen Teams wie Ittihad oder Al-Ahli seine Chancen. Das ist extrem spannend.

90minuten: Hat es in deinen bisherigen Duellen einen Spieler gegeben, der dich wirklich nachhaltig beeindruckt hat? 

Murg: Das war Riyad Mahrez im Spiel gegen Al-Ahli.  Da sieht man einfach diese unglaubliche Technik, wo jeder Ballkontakt, jede Annahme einfach sitzt. Er ist ein Spielertyp, den ich sehr mag, der auch Linksfuß ist. Auch sein Spielverständnis und sein Dribbling sind sehr gut. Da war ich schon sehr beeindruckt, dass halt tatsächlich alles Hand und Fuß hat, was der auf dem Platz macht.

90minuten: Wie groß ist deine Vorfreude auf Duelle mit Cristiano Ronaldo und anderen Superstars?

 Murg: Natürlich riesig. Das Stadion ist voll, wenn wir zu Hause gegen die Großen spielen. Wie oft hat man die Chance, gegen Cristiano Ronaldo zu spielen? Er ist einer der besten Fußballer, die es je gab und ist auch hier noch ständig für Tore gut. Ich bin aber kein Spieler, der dann staunt oder Angst hat. Für mich geht es in jedem Spiel darum, zu gewinnen. Ich war bei Rapid und bei PAOK, wo man fast jedes Spiel gewinnen muss. Hier ist es etwas anders, an meiner Mentalität ändert das aber nichts.


90minuten: Du bist bis Saisonende an Al-Khaleej ausgeliehen, der Verein hat sich eine Kaufoption gesichert. Dein Vertrag in Thessaloniki läuft noch bis Sommer 2026. Wie weit planst du aktuell in die Zukunft? 

Murg: Kann man nicht. Ganz ehrlich. Ich bin bis Ende Mai ausgeliehen, so lange werde ich hier auch spielen. Natürlich wird sich im April oder Mai mehr herauskristallisieren und ich werde Gespräche mit dem Verein und dem Trainerteam führen. Für mich ist es so, dass ich mir das hier jetzt alles anschauen kann. Es ist schon so, dass ich auch mitentscheiden kann, ob ich bleiben will oder nicht. Mein erster Eindruck ist gut, ich fühle mich wohl. Aber was dann tatsächlich im Sommer passieren wird, steht aktuell noch in den Sternen.

90minuten: Das Kapitel PAOK ist nach all den prägenden und ereignisreichen Jahren also noch nicht abgehakt? 

Murg: Genau. Ich habe ab Sommer noch ein Jahr Vertrag bei PAOK. Wenn ich mich an die Fakten halte, kehre ich zur Vorbereitung zurück und mache die Vorbereitung normal mit. Wenn ich etwas gelernt habe, dann ist das, dass im Fußball nichts fix und nichts ausgeschlossen ist.

90minuten: Welche Rolle spielt Österreich in deinen Zukunftsplänen? 

Murg: Ich denke aktuell nicht daran, nach Österreich zurückzukehren. Ich habe acht oder neun Jahre in der Österreichischen Bundesliga verbracht. Ich bin ein Mensch, der gerne Neues sieht.  Das war damals auch der Grund, warum ich Rapid verlassen wollte. Eine gewisse Stabilität brauche ich aber dennoch, ich möchte nicht ständig den Verein wechseln. Als es vor zwei Jahren das erste Mal Probleme bei PAOK gab, hatte ich Kontakt mit Didi Kühbauer (Anm. d. Red.: damals LASK-Trainer). Das war das einzige Mal, wo ich Kontakt zu einem Verein aus Österreich hatte.

90minuten: Und privat? Hat sich Griechenland für deine Familie und dich zu deinem neuen Lebensmittelpunkt entwickelt? Oder planst du, im Anschluss an deine Fußballkarriere nach Österreich zurückzukehren? 

Murg: Ich würde schon sagen, dass sich der Mittelpunkt nach Griechenland verlegt hat. Wenn ich jetzt frei habe, fliege ich nach Griechenland. Es ist auf keinen Fall so, dass ich eine Österreich-Rückkehr ausschließe. Solange ich Fußball spiele, ist Planung ohnehin schwierig. Aber die Kinder ständig rauszureißen, ist auch nicht der Plan. Wir haben uns in Griechenland sehr wohlgefühlt, für die Kinder hat mit der Schule und dem Drumherum auch immer alles super gepasst. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass wir auch nach meiner Karriere in Griechenland bleiben.

90minuten: Du bist jetzt 30 Jahre alt, fit und in einem guten Fußballeralter. Welche Ziele setzt du dir? 

Murg: Man spielt immer gerne bei einem Klub, der die Chance hat, Titel zu gewinnen. Das ist das, was man als Fußballer will. Es ist das erste Mal für mich, dass ich bei einem Klub bin, der jetzt nicht primär das Ziel hat, Titel zu gewinnen. Ich hatte in letzter Zeit aber auch meine Wehwehchen und will einfach gesund bleiben. Ich will fit sein, mich körperlich gut fühlen. Dann will ich Fußball spielen und vor allem Spaß daran haben. Ich möchte mich wohlfühlen, und mit einem Trainerteam zusammenarbeiten, dass mich schätzt und wo Vertrauen da ist. Das sind die Punkte, die für mich am wichtigsten sind.

90minuten: Vielen Dank und alles Gute!

VIDEO: Die Überläufer von Austria zu Rapid - und umgekehrt

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