Manuel Ortlechner kommt aus der Austria-Kabine. Es ist das letzte Mal in diesem Jahr, dass er zur Mannschaft gesprochen hat.
Nach dem 3:0-Heimsieg gegen den SCR Altach treten die Spieler des FK Austria Wien ihren Urlaub an. Am 4. Jänner startet die Vorbereitung.
Die Veilchen überwintern sensationell als Zweiter, haben zuletzt acht Bundesliga-Spiele in Folge gewonnen.
Seine wohl längste Ansprache in dieser Saison hat Ortlechner nach der ersten Runde gehalten, damals sprach er fast eine Stunde mit den Spielern. Die Austria hatte das Spiel mit 0:1 gegen Blau-Weiß Linz verloren, davor scheiterte sie in der Conference-League-Quali am finnischen Vertreter Tampere.
Im 90minuten-Interview lässt der Sportdirektor der Violetten den Herbst Revue passieren.
90minuten: Wie viele Welten lagen zwischen dem Gefühl, mit dem Sie nach dem 0:1 gegen Blau-Weiß Linz in der ersten Runde vor die Mannschaft getreten sind, und jenem, das Sie heute nach dem 3:0 gegen Altach hatten?
Manuel Ortlechner: Von außen mehr als von innen. Die Gruppe ist praktisch dieselbe wie damals. Ich habe mir und ihnen gewünscht, dass sie den Respekt, den sie verdient hätten, weil sie sehr viel investieren, sukzessive wieder zurückgewinnen. Sie haben davor sehr viel auf die Fresse gekriegt. Wenn ich mir denke, wie sie jetzt dastehen...
Ich habe immer gesagt: Alles weird gut. Weil manchmal ist diese Austria-Welt etwas weird.
90minuten: In der Saison 1990/91 gab es zum letzten Mal so eine Siegesserie in der Meisterschaft.
Ortlechner: Das ist irre, was die Mannschaft derzeit leistet! Wir haben nicht nur eine Gruppe von sehr guten Fußballern, sondern auch eine Gruppe von sehr guten Menschen und Charakteren. Sie sind der fleischgewordene Beweis, dass man mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. Auch Kapitän Manfred Fischer hat tolle Worte gefunden, und Trainer Stephan Helm sowieso, der ein grandioser Mensch ist. Die Leute vergessen ja etwas.
90minuten: Was denn?
Ortlechner: Dass wir im Sommer ein komplett neu zusammengewürfelter Haufen waren. Ein neuer Trainer, ein neuer Co-Trainer, ein neuer Analyst, ein neuer Athletiktrainer, sieben, acht neue Spieler. Natürlich waren wir nach Tampere alle enttäuscht. Und trotz dieses Drucks, der von außen und phasenweise auch von innen, was ich bis heute nicht verstehen kann, aufgebaut wurde, sind wir sehr, sehr ruhig geblieben. Ich freue mich am meisten für die Spieler, die in den letzten ein, zwei Jahren – ziemlich oft auch zu unrecht – auf die Fresse gekriegt haben.
90minuten: Macht Sie das stolz, dass es gelungen ist, das als Gruppe zu drehen?
Ortlechner: Als Philanthrop, ja. Als das würde ich mich bezeichnen. Ich bin der Meinung, am Ende gewinnt immer das Gute. Ich habe immer gesagt: Alles weird gut. Weil manchmal ist diese Austria-Welt etwas weird. Ich finde es auch strange, dass Stephan Helm mit so einem Malus gestartet ist. Umso mehr freut es mich, dass er nach dem letzten Spieltag des Herbstes von den Fans auch endlich mal vor die Bühne gezogen wurde und seinen verdienten Applaus bekommen hat.
90minuten: Gab es im Herbst einen Knackpunkt?
Ortlechner: Es waren gefühlt einige Spiele, in denen es geheißen hat: Wenn wir heute nicht gewinnen, wird es richtig unangenehm. Da habe ich mir gedacht: Warum wird es unangenehm? Manchmal ist es paradox – die Gruppe investiert, und manchmal geht der Ball rein oder raus. Wenn uns ein Wort beschreibt, ist es Stabilität. Das hat sich die Mannschaft Spiel um Spiel erarbeitet. Wissen Sie, was ich bei dieser langen Ansprache damals auch gesagt habe?
90minuten: Was denn?
Ortlechner: Dass ich oft nicht weiß, was sie uns anbieten, wenn sie aufs Feld rausgehen. Die Leistungen waren zu volatil. In den letzten Wochen ist aus dieser Volatilität sehr viel Stabilität geworden. Wenn man sich die Ergebnisse in der Liga Woche für Woche ansieht, reicht es, wenn man eine gewisse Stabilität ausstrahlt. Wir sind Woche für Woche vorne gefährlich, manche Spieler haben eine super Form aufgebaut, und dann steht man so da. Im Nachhinein klingt das immer so einfach. Aber keiner von uns flippt jetzt aus. Alle sind sehr demütig und bescheiden.
90minuten: Die Austria überwintert als Zweiter, mit drei Punkten Rückstand auf Doublesieger Sturm und fünf Punkten Vorsprung auf den drittplatierten SK Rapid. Wie schwer ist es, die Top 6 weiterhin authentisch als Ziel auszugeben?
Ortlechner: Das ist unser großes Etappenziel, erst wenn das eingetütet ist, muss man sich neue Ziele stecken. Ich kann nicht von etwas anderem sprechen, wenn ich weiß, woher wir kommen, mit welchem Budget wir gestartet sind. Es ist wirtschaftlich schwierig, in diesem Umfeld sportlich zu arbeiten – das hat sich in den letzten drei Monaten ja nicht geändert. Es sind aber gute Dinge eingeleitet worden, wo ich hoffe, dass sich endlich mal große Entspannung am Verteilerkreis einstellt.
Das ist die kleine, graue Wolke, die seit Wochen über der ganzen Gruppe schwebt. Auch wenn immer gesagt wird, das darf die Spieler nicht beschäftigen, das beschäftigt sie.
90minuten: Wenn eine Mannschaft so einen Siegeslauf hat, steigen normalerweise Begehrlichkeiten von anderen Klubs. Ist es das Ziel und wenn ja, ist es möglich, den Erfolgslauf im Winter zu monetarisieren?
Ortlechner: Es ist schwierig, das abzuschätzen. Es gibt Interessenten für den einen oder anderen Spieler, aber das große Ziel ist, die funktionierende Truppe zusammenzuhalten. Man darf aber nicht vergessen: Wo viel Licht, ist auch viel Schatten. Der eine oder andere Spieler kam auf wenige Minuten, da gab es schon Gespräche in Richtung Veränderung. Es wird in der Transferzeit sicher die eine oder andere Veränderung geben. Aber das große Ziel ist, den Drive und Spirit ins Frühjahr zu transportieren.
90minuten: Das heißt, es ist nicht das Ziel, ein, zwei Leistungsträger für Millionenbeträge zu verkaufen?
Ortlechner: Man muss zuerst mal wirklich Angebote am Tisch haben, nicht nur Interessensbekundungen, das gibt es ja oft. Wenn etwas am Tisch ist, muss man sich damit auseinandersetzen.
90minuten: Stichwort Stadionverkauf und Investoren: Wie spannend wird die nächste Woche?
Ortlechner: Das ist die kleine, graue Wolke, die seit Wochen über der ganzen Gruppe schwebt. Auch wenn immer gesagt wird, das darf die Spieler nicht beschäftigen, das beschäftigt sie. Wir würden gerne in der Konstellation, in der wir zusammenarbeiten, weiter tun. Alle Teile spielen gut zusammen. Das ist die große Unbekannte aktuell, die diese Wolke darstellt.
90minuten: Für wie realistisch halten Sie es, dass diese Gruppe so zusammenbleibt?
Ortlechner: Das kann ich nicht abschätzen. Ich kann nur den Wunsch der Mannschaft weitergeben, dass sie will, dass wir so weiter tun.