Opferschutz-Expertin zu ÖFB: "Klarheit ermutigt andere, sich zu melden"
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Opferschutz-Expertin zu ÖFB: "Klarheit ermutigt andere, sich zu melden"

Wenige Wochen vor der ersten Teilnahme an einer U20-Frauen-WM trennt sich der ÖFB wegen "aufklärungsbedürftigen Vorkommnissen“ vom Trainer. Opferschutz-Expertin Hedwig Wölf ordnet den Umgang mit Grenzverletzungen im 90minuten-Interview ein.

Als am Montag die Nachricht in den Mailboxen aufpoppte, dass der ÖFB den Teamchef des U20 Frauen-Nationalteams vollumfänglich von seinen Aufgaben entbindet, ging es rund. Der Name von Hannes Spilka wurde da nicht genannt, war aber unschwer zu eruieren. Der ÖFB in Person von Peter Schöttel bat gegenüber 90minuten um Verständnis, dass über die Medieninfo hinaus keine Angaben über weitere Details gemacht werden würden. Die Spekulationen gingen los, die Vermutung, dass es um sexuelle Belästigung gehen soll, druckte der 'Kurier' ab.

Der ÖFB behandelte die Vorfälle diskret. Der Lehrgang wurde verschoben, eine interne Aufarbeitung mit externen Expert:innen des Vereins "100% Sport" sowie mit Jurist:innen wurde unbemerkt von der Öffentlichkeit gemacht. Was genau alles vorgefallen ist, ist nach wie vor nicht öffentlich bekannt, die Verfehlungen, die zur Entlassung führten, dürften einerseits für ebendiese gesprochen haben, laut 'Kurier' hätten aber nicht alle Personen aus dem Betreuerstab derartiges wahrgenommen.

Spilka hat sich bislang nicht dazu geäußert, für ihn gilt die Unschuldsvermutung. Was auch immer vorgefallen ist, es hat den Fußballbund wenige Wochen vor der U20-Weltmeisterschaft zu diesem Schritt bewegt. Wichtig sei in derartigen Fällen generell, dass eine konsequente Haltung gezeigt wird. Davon ist Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin und fachliche Leitung der Kinderschutzeinrichtung "Die Möwe", überzeugt. Im Interview mit 90minuten spricht sie anlässlich des Vorfalls darüber, wie Vereine, Verbände und Medien mit "aufklärungsbedürftigen Vorkommnissen im Umfeld" von Sportvereinen umgehen sollen.

Der Sport birgt besondere Risiken, weil er viel mit Körper und Körperlichkeit zu tun hat. Im Leistungssport verschärft sich das.

Hedwig Wölfl

90minuten: Frau Wölfl, Sie wissen über den konkreten Fall nicht mehr als alle anderen, haben aber fast 20 Jahre lang Erfahrung im Umgang mit Opfern von psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt. Wie oft kommen aufklärungsbedürftige Vorkommnisse, die zur Entlassung von Trainer:innen führen, vor?

Hedwig Wölfl: Dazu gibt es keine seriösen Zahlen. Allgemein erfährt rund ein Drittel der Kinder irgendwann im Laufe der Kindheit Gewalt, bis zum Alter von zwölf Jahren eher im familiären Kontext. Allerdings: Je genauer man nachfragt, desto eher erinnern sich Menschen daran. Wenn wir eintausend Personen, die für die österreichische Bevölkerung repräsentativ sind, fragen, ob sie Gewalt erlebt haben, ist ein eindeutiges Ja selten. Fragt man konkret nach beispielsweise Demütigungen, unter Druck setzen, Ohrfeigen, sexueller Belästigung, dann steigen die Zahlen.

90minuten: Wie sieht es konkret im Sport aus?

Wölfl: Hier gibt es noch einmal ganz eigene Dynamiken, allgemein sprechen wir in der Regel von außerfamiliären Täter:innen. Im Leistungssport kommt durch die hohe Trainingsintensität eine sehr starke psychische Bindung oder auch Abhängigkeit dazu, die verschiedene Formen von Gewalt begünstigt bzw. das Risiko erhöht. Sportler:innen haben sowohl psychisch als auch körperlich ein besonderes Naheverhältnis zu Trainer:innen und dem gesamten Beteuer:innenstab. Im Leistungssport geht es zudem darum, das Beste aus dem Körper herauszuholen. Permanentes, bewusstes Übertraining kann körperliche Gewalt bedeuten. Massiver psychischer Druck ist schädlich, es gibt Athlet:innen, insbesondere Kinder und Jugendliche, die daran zerbrechen. Das ist in der Dynamik nicht immer so leicht feststellbar, was für den einen noch motivierend ist, kann dem anderen schon schaden. Deswegen ist es wichtig, dass es Vereine wie "100% Sport" gibt.

90minuten: Ist der Sport anfälliger als beispielsweise Schule, Freizeiteinrichtungen oder Kunst und Kultur?

Wölfl: Der Sport birgt besondere Risiken, weil er viel mit Körper und Körperlichkeit zu tun hat. Im Leistungssport verschärft sich das durch die Themen Ehrgeiz, Konkurrenz und enge Athlet:innen-Trainer:innen-Beziehungen. Aber überall, wo es Abhängigkeiten gibt, also auch im Kultur- oder Freizeitbereich, besteht dieses Risiko.

Die einen wollen es unter den Tisch kehren, manchmal werden die verdächtigten Personen verteidigt. Beides ist Victim-blaming und bedeutet Opfer-Täter-Umkehr.

Hedwig Wölfl

90minuten: Ich halte noch einmal fest, dass ich nicht über den konkreten Fall spreche. Aber ist die Rechtslage nicht eindeutig? Es müsste ja klar sein, dass psychische, physische und sexualisierte Gewalt verboten sind.

Wölfl: Was im Leistungssport, also auch bei Auswahlmannschaft, hochrelevant ist, ist der Paragraf 212 StGb, der Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses. Dies betrifft nicht nur sexualisierte, sondern auch psychische und physische Gewalt. Das gilt auch bei Personen über 18 Jahren in Abhängigkeit einer Autoritätsperson. Dabei geht es primär um körperliche, sexualisierte Berührungen, aber auch um verbale Ankündigungen oder die Androhung solcher Handlungen.

90minuten: Wir bräuchten keine Normen, wenn sie nicht übertreten würden. Leider. Was kann man dagegen tun?

Wölfl: Im Sport geht es nicht darum, dass es gar keinen Körperkontakt oder Trainingslager geben soll, sondern um einen angemessenen Umgang. Das Verhalten muss für die konkrete Sportart und das Alter passend sein. Es geht um Verhaltensregeln, die das Risiko von Übergriffen, Mobbing, Abwertung minimieren. Einrichtungen wie "100% Sport" bemühen sich um Genderkompetenz. Es geht um einen athlet:innenzentrierten Ansatz. Das bedeutet, dass man das Bewusstsein schärft, dass auch schon psychische Abwertungen und Beschämung wie "Pass auf, dass du nicht fett wirst" nicht in Ordnung sind. Oft sind die Reaktionen auf Vorfälle extrem.

Die einen wollen es unter den Tisch kehren, Nicola Werdeniggs Vorwürfe wurden auch von anderen Sportlerinnen bagatellisiert. Manchmal werden auch die verdächtigten Personen als "armer, unschuldig beschuldigter Trainer" in Schutz genommen und verteidigt. Beides ist Victim-blaming und bedeutet Opfer-Täter-Umkehr. Die andere Seite ist auch alarmierend, wir haben das im Fall eines Burgschauspielers gesehen, wo extrem nach Rache und Bestrafung gerufen wurde. Im Opferschutz geht es aber um einen gesamten Kulturwandel, um Sachlichkeit und faire Justiz.

Es wird besser verstanden, dass Frauen im Sinne der sexuellen und körperlichen Selbstbestimmung selber über ihren Körper und seine Darstellung entscheiden können müssen.

Hedwig Wölfl

90minuten: Hat sich das in den letzten 20 Jahren verbessert?

Wölfl: Enorm. Gewalt an Kindern, sexuelle Übergriffe oder Belästigung gegenüber Frauen und Kindern wurden stark enttabuisiert, sicher auch durch #metoo. Allerdings tun sich Angehörige älterer Generationen mit der Selbstmedialisierung junger Menschen auf TikTok und Instagram schwer. Sei es im Sport oder privaten Bereich, da stellen sich junge Menschen oft in sexualisierten Posen dar. Aber es ist ein Unterschied, ob sie das selbstbestimmt und gewollt machen oder ob es verlangt wird. Damit es da nicht zu Verwechslungen kommt, braucht es nach wie vor viel Bewusstseinsbildung. Gerade in den letzten fünf, sechs Jahren hat sich aber noch einmal viel getan. Es wird besser verstanden, dass Frauen im Sinne der sexuellen und körperlichen Selbstbestimmung selber über ihren Körper und seine Darstellung entscheiden können müssen.

90minuten: Ein Thema ist auch immer der mediale Umgang, da nicht jede Berichterstattung hilfreich ist. Im Fall von Suizidberichterstattung mahnen Expert:innen Vorsicht ein, da die Berichterstattung zu Nachahmer:innen führen kann. Welche Rolle spielen Medien in der Aufarbeitung?

Wölfl: Eine ambivalente. Es ist aus Opferschutzsicht wichtig für Aufklärung und Bewusstseinsbildung zu berichten, weswegen ich insofern "froh" bin, dass wir über diese Themen ein Interview machen. Es hat sich aber auch in diesem Bereich viel getan. Vor 15 Jahren musste ich immer dazu sagen, dass entsprechende Hilfseinrichtung bei diesen sensiblen Themen angefügt werden sollen. Das ist heute selbstverständlich. Man nimmt das Thema heutzutage ernst, vor vielen Jahren war es eher so, dass auch Medien nicht "glauben" konnten, dass ein Lehrer oder Trainer derartige Übergriffe überhaupt setzt.

90minuten: Was soll man keinesfalls tun?

Wölfl: Mir ist bewusst, dass Medien Klicks und Abonennt:innen brauchen und manche sich leicht verführen lassen, durch einen skandalisierenden Ton Themen sensationsgierig aufbereiten und -bauschen. Es ist eine journalistische Kunst, Gewalt beim Namen zu nennen, ohne sensationslüstern und voyeuristisch zu berichten. Ein No-Go ist Victim-Blaming, viele Details zu schreiben oder sich auf die mutmaßlichen Täter:innen zu fokussieren. Das heißt, dass darüber spekuliert wird, was das für deren Schicksal oder Karriere bedeutet. Das ist nicht Opferschutz-orientierte Berichterstattung. Es muss zwischen Hypothesen, Mutmaßungen und Gerüchten auf der einen Seite und Fakten, Sachbeweisen und konkreten Beobachtungen auf der anderen klar unterschieden werden.

Der ÖFB macht klar, dass Grenzverletzungen im Verband nichts verloren haben und es Konsequenzen gibt, auch wenn ein Trainer erfolgreich ist. Diese Klarheit ermutigt andere, sich zu melden.

Hedwig Wölfl

90minuten: Im konkreten Fall ist der Verband mit einer Aussendung an die Öffentlichkeit gegangen, hat nicht einmal den Namen genannt, Maßnahmen eingeleitet, Handlungen ohne Öffentlichkeit gesetzt. Darüber hinaus äußert man sich nicht. Ist das die richtige Vorgehensweise, auch wenn klar ist, dass die Medien dazu recherchieren, weil Menschen wissen wollen, was dazu führte?

Wölfl: Dass sich der ÖFB bemüht, die Thematik diskret abzuhandeln, ist an sich gut. Je nach Vorwurf gibt es ja mehrere Möglichkeiten, von einem Mitarbeiter:innengespräch über Suspendierungen eben bis hin zu Entlassungen. Ich kenne nur den Kurier-Artikel, kann aber sagen: Der ÖFB macht damit klar, dass Grenzverletzungen im Verband nichts verloren haben und es Konsequenzen gibt, auch wenn ein Trainer noch so erfolgreich ist. Diese Klarheit ermutigt andere auch, sich zu melden und ist besser als ein Rumgeeiere oder wenn überhaupt nichts passiert.

90minuten: In diesem Kontext werden auch Vermutungen geäußert, dass Anschuldigungen nur erfunden werden. Das widerspricht dem Forschungsstand.

Wölfl: Das kommt wirklich nur sehr selten vor. Es ist immens oft eher umgekehrt, also dass Opfer sich aus Angst vor Beschämungen, langen Verfahren, der Anzweiflung ihrer Aussagen, Sorgen um die eigene Karriere oder - siehe früher im Skisport - Angst vor mächtigen Männern, gar nicht trauen, sich jemandem anzuvertrauen. Da hat sich aber auch schon viel getan, auch dank seriöser medialer Berichterstattung und einem generell anderen Umgang mit dem Thema, etwa auch in Vereinen oder Verbänden, die einen Verhaltenskodex haben. Schutzkonzepte sehen neben einer ernsthaften Befassung mit dem Thema im Fallmanagement auch eine interne Plausibilitätsprüfung vor. Als Psychologin möchte ich auch festhalten, dass die Grenzverletzungen nicht immer sexualisiert sein müssen, es geht auch um andere Formen wie psychischen Druck, der bei sexualisierter Gewalt auch immer dazu gehört. Am wichtigsten ist es, dass jeder Fall ernst genommen wird.

90minuten: Was möchten Sie Vereinen und Verbänden mitgeben?

Wölfl: All diese Themen sind heikel und komplex. Wichtig ist, Betroffene von Grenzverletzungen ernst zu nehmen und insgesamt aus Vorfällen zu lernen. Ziel muss es sein, sich mit Schutzkonzepten und passgenauen Verhaltenpolicys auseinanderzusetzen und diese auch aktiv zu leben.

90minuten: Danke für das Gespräch!

Hilfe für Gewaltbetroffene gibt es hier:

100% Sport (Mo-Do, 9-14 Uhr, nach Vereinbarung): 03939 / 100 100

Vera* Vertrauensstelle (Di & Do, 10-13 Uhr): 0139 39 / 100

Frauenhelpline (Mo–So, 0–24 Uhr, anonym und kostenlos): 0800 / 222 555

Gewaltschutzzentren (anonym und kostenlos): 0800 / 700 217

Männerberatung (Mo–So, 0–24 Uhr, anonym und kostenlos): 0800 / 400 777

Männernotruf (Mo–So, 0–24 Uhr, anonym und kostenlos): 0800 / 246 247

Telefonseelsorge (Mo–So, 0–24 Uhr, vertraulich und kostenlos): 142

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