Lienhart: "Bleibt ein Leben lang in schmerzhafter Erinnerung"
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Lienhart: "Bleibt ein Leben lang in schmerzhafter Erinnerung"

Der ÖFB-Star spielte bei der EURO stark auf, erlebte das herbe Aus gegen die Türkei hautnah. Mit etwas Abstand spricht er über die Punktlandung, die ihn nach der Verletzung zur EM brachte, mögliche Ziele wie die WM 2026 und die Champions League.

Von Lilienfeld in die große Fußballwelt, so könnte man Philipp Lienhart beschreiben. Der seit kurzem 28 Jahre alte Innenverteidiger aus Niederösterreich kam 2007 in die Rapid-Jugend. Niemand geringerer als Real Madrid nahm ihn 2014 unter Vertrag. Im Oktober 2015 stand er sogar einmal im Kader.

Zwei Jahre später lieh ihn der SC Freiburg aus und verpflichtete ihn ein Jahr später fix. Seitdem gehört er, wenn fit, zum Stamminventar beim deutschen Bundesligisten und wenig später auch beim ÖFB-Nationalteam. 90minuten hat ihn zum Interview gebeten. Zu besprechen gibt es viel:

Sind alle Verletzungen, die einen Euro-Start verhindern hätten können, verheilt? Wie viele schlaflose Nächte bereitete ihm das Out gegen die Türkei? Wäre da mehr gegangen? Wie ist es nun mit dem Nachfolger von Christian Streich?

90minuten: Bevor wir uns mit der Zukunft beschäftigen, schauen wir einmal zurück. Die Saison 2024/25 hat gut angefangen, dann haben Adduktorenbeschwerden, eine Leistenoperation viele Einsätze verhindert, am 26. Spieltag ging es nach einer halben Stunde mit einer Knieverletzung raus. Wie ist es dir da gegangen, hast du um die Europameisterschaftsteilnahme gebangt?

Philipp Lienhart: Es hat gut angefangen, ich habe auch in der Europa League viel Spielzeit bekommen. Im Winter sind die ersten Probleme aufgetreten. Am Anfang denkt man sich noch, dass bis zur EM noch viel Zeit ist und es sich ausgehen muss. Dann ist es immer knapper geworden. Mein persönlicher Anspruch war es aber nicht nur, für die EM fit zu werden, sondern auch meinem Verein in der Bundesliga zu helfen. Die Leiste hat gebraucht, dann sind die Knieprobleme dazu gekommen und es war recht eng und eigentlich eine Punktlandung.

Das Spiel bleibt das ganze Leben lang in schmerzhafter Erinnerung. Es hat mich danach schon noch die eine oder andere schlaflose Nacht gekostet

Philipp Lienhart

90minuten: Wie sehr hast du den Traum von der Euro schon aufgegeben gehabt?

Lienhart: Diese Sorge hatte ich schon. Als die Knieprobleme hartnäckiger waren als gedacht, habe ich mir schon überlegt, dass der Teamchef sagen könnte, dass er mich nicht mitnimmt. Ich bin sehr dankbar, dass Ralf Rangnick mir ohne Spiele im Klub diese Möglichkeit gegeben hat.

90minuten: Wie geht es dir aktuell? Alle Probleme ausgestanden?

Lienhart: Ja, ich habe mich schon bei der EM gut gefühlt und durch die vielen intensiven Einheiten in der Vorbereitung gewinnt man auch noch an Sicherheit, merkt, dass alles hält und keine Beschwerden auftreten. Ich hoffe und glaube, dass ich die Probleme überwunden habe.

90minuten: Bleiben wir noch beim Sommer. Es ist Mitte August, das 1:2 gegen die Türkei ist schon wieder eineinhalb Monate her. Wir haben uns wohl alle gefragt, wie das Spiel so ausgehen konnte. Wie war es am Feld? Ist es schon verarbeitet?

Lienhart: Ich glaube, das Spiel bleibt das ganze Leben lang in schmerzhafter Erinnerung. Es hat mich danach schon noch die eine oder andere schlaflose Nacht gekostet, weil die Stimmung in der Mannschaft so gut war, wir davor daran geglaubt haben, dass wir gewinnen werden und auch währenddessen nie den Glauben daran verloren, das Spiel noch zu drehen. Es sah dann auch wieder ganz gut aus und am Ende hat der Tormann überragend gehalten. Das war für uns alle sehr, sehr bitter.

90minuten: Der Kreis derer, die schon einmal ein Fußballeuropameisterschaftsachtelfinale gespielt haben, ist sehr klein, derer, die dort Innenverteidiger waren, noch kleiner. Was geht einem durch den Kopf, wenn man den Gegner in der Vorbereitung 6:1 nach Hause schickt und dann steht es quasi mit Anpfiff 0:1?

Lienhart: Das Spiel in Wien haben wir komplett ausgeblendet, der Rahmen bei der Europameisterschaft war ein ganz anderer. Die Medien schreiben dann ja schon, dass wir 6:1 gewonnen hatten, aber das haben wir nicht an uns rankommen gelassen. Der schlechte Start ins Spiel und dann das 2:0 in einer unserer Druckphasen, das waren sehr ungünstige Zeitpunkte, die Tore zu bekommen. Trotzdem wollten wir das Spiel drehen.


90minuten: Wie ist das dann als Innenverteidiger, der ja dann zuschauen muss, wie die vorne treffen sollten?

Lienhart: Fußball ist ein Mannschaftssport, der eine hilft dem anderen. Wenn man ein Gegentor bekommt, ist nicht nur die Verteidigung schuld, wenn wir eines schießen, war es nicht nur der Sturm. Wir machen das alles gemeinsam und wenn ein Fehler passiert, wollen den alle ausbügeln.

90minuten: Die Ansprüche waren schon 2016 groß, wie vergleichst du die EM 2024 mit jener vor drei Jahren?

Lienhart: Vom Gefühl her war es komplett anders. Deutschland ist ein gutes Gastgeberland, man hat die Euphorie gemerkt. Das war 2021 anders, als wir durch Europa geflogen sind, einmal dort und einmal da gespielt haben. Insgesamt war es cooler. Wenn ich die Turniere vergleiche, war auch die Euphorie in Österreich eine andere, vielleicht aufgrund der vergangenen Spiele: Wir haben gegen die Türkei hoch gewonnen, Italien und Deutschland geschlagen. Die Mannschaft war sehr gut drauf, eine Einheit und die Fans haben sich auch sehr darauf gefreut.

90minuten: Die Kaderbreite und -tiefe hat schon zugenommen. Welche Rolle hat Ralf Rangnick gespielt?

Lienhart: Man merkt, dass wir eine extreme Einheit waren und zusammengehalten haben. Den Fußball haben wir auch offensiver gestaltet. Das ist ein sehr attraktiver Fußball. Die Herangehensweise von Ralf Rangnick ist Offensivfußball, mit hohem Anzulaufen, Aggressivität und schnellem umschalten. Das sind Dinge, die die Mannschaft verkörpert und wir haben Spieler, die das gut umsetzen können. Viele haben Red Bull-Vergangenheit und sie kennen die Idee dahinter. Die, die es nicht gekannt haben, haben sich nahtlos eingefügt.

90minuten: Der Fußball macht aber kaum halt. Auch im Nationalteam geht es Schlag auf Schlag. Nun geht es in der Nations League gegen Norwegen, Slowenien und Kasachstan. Ist ein Aufstieg Pflicht?

Lienhart: Pflicht ist das falsche Wort, aber es ist auf jeden Fall unser Ziel. Norwegen ist keine schlechte Mannschaft, sie haben gute Einzelspieler, für Slowenien gilt dasselbe. Es ist eine schöne und coole Herausforderung und wir wollen als Mannschaft weiter reifen, gute Leistungen zeigen und den Aufstieg schaffen.

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Bei Freiburg ist Philipp Lienhart im Grunde nicht wegzudenken

90minuten: Gehört Österreich in die Liga A?

Lienhart: Ich denke schon. Wenn wir unsere Leistung bringen, haben wir in den letzten beiden Jahren gezeigt, dass wir mit diesen Nationen mehr als nur mithalten können.

90minuten: Unabhängig vom Nationalteam oder sogar der Sportart Fußball fällt manchmal auf, dass der große Wurf in den letzten Jahren – bei euch wäre das das Viertelfinale – nicht gelingen will. Fehlt der Killerinstinkt? Wir denken uns halt oft: "Es wäre noch mehr gegangen".

Lienhart: Das liegt einfach daran, dass die anderen Mannschaften auch gut sind, uns fehlt da nichts. Im täglichen Training merke ich nicht, dass die deutschen Spieler eine andere Mentalität hätten als Gregerl, Junior oder ich. Marko Arnautovic hat so viel in seiner Karriere erreicht, David Alaba, Konrad Laimer, die Leipzig-Spieler – Ich glaube nicht, dass es hier ein Mentalitätsproblem gibt.


90minuten: Eine schöne Belohnung wäre die WM 2026. Österreich war 1998 das letzte Mal bei einer Weltmeisterschaft. Was muss konkret passieren, dass ihr hinfahrt?

Lienhart: Wir müssen den eingeschlagenen Weg weiter gehen und dann werden wir uns irgendwann dafür belohnen. Die Qualität der Spieler haben wir, genauso auch als Team. Es wird wichtig sein, in den richtigen Momenten eine Topleistung abzurufen, dass wir kein Verletzungspech haben. Es ist noch ein langer Weg bis dahin, aber wenn das passiert, bin ich davon überzeugt, dass wir es schaffen.

90minuten: Teamkollege Adamu könnte da helfen, weil er sich aufs Toreschießen versteht. Wie ist es ihm im letzten Jahr gegangen, als es nicht so gut lief?

Lienhart: Es ist nicht ganz glücklich gelaufen, er hatte eine Verletzung und große Teile der Vorbereitung verpasst. Dann ist es nie leicht, die Fitness aufzuholen und sich in die Mannschaft zu spielen. Er hat aber nie aufgehört daran zu glauben. Er hat gute Arbeit geleistet und sich mit zwei Toren im Pokal belohnt. Er ist am richtigen Weg, bringt viel Qualität mit, versteht durch die Red Bull-Schule, wie man gegen den Ball spielt.

Die Champions League ist für jeden Fußballer ein Kindheitstraum, es ist aber nicht so leicht, zu einem solchen Verein zu kommen.

Philipp Lienhart

90minuten: Damit sind wir schon einmal beim Sportclub. Das letzte Streich-Jahr endete mit Platz 10. Was wollt ihr dieses Jahr erreichen? Um den Meistertitel wird Freiburg eher nicht mitspielen.

Lienhart: Der Titel wird schwer, stimmt (lacht). Na, wir haben ein neues Trainerteam, die Vorbereitung war gut, der Saisonstart auch. Ziele setzen ist schwierig, wir spielen jetzt gegen Stuttgart und Bayern, wollen aber so gut wie möglich in die Saison starten und die Vorgaben des Trainers gut umsetzen. Wenn wir zusammenwachsen können wir schauen, wo der Weg hinführt.

90minuten: Wie ist es, wenn man so viele Jahre unter einem Trainer spielt. Muss man es dem neuen Trainer da gerade als Routinier leicht machen? Die Fußstapfen sind ja sehr groß.

Lienhart: Wir wollen Julian Schuster die Arbeit erleichtern. Aber ich habe ja auch noch mit ihm gespielt und er hat als Bundesligaspieler alle Situationen miterlebt, weiß, wie es sich für Spieler anfühlt. Er hat auch einen guten Umgang mit den Spielern, die Spielidee ist auch cool – jetzt liegt es an uns, das optimal umzusetzen.

90minuten: Europa League hast du schon gespielt. Champions League wird mit Freiburg schwierig, du bist jüngst 28 Jahre alt geworden. Steht die Königsklasse noch auf deinem Zettel, eventuell bei einem anderen Verein?

Lienhart: Die Champions League ist für jeden Fußballer ein Kindheitstraum, es ist aber nicht so leicht, zu einem solchen Verein zu kommen. Die Europa League-Nächte waren hier schon sehr schön und für mich persönlich ist es aber wichtig, dass nicht nur ich, sondern auch meine Frau sich wohlfühlt. Schauen wir einmal. Wenn ich am Ende kein Champions League-Spiel absolviert haben werde, war es trotzdem eine gute Karriere.

90minuten: Wir danken für das Gespräch!

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