Leopold Querfeld (21) lebt den Traum vieler Fußballer. Als 8-Jähriger wechselte der Wiener zum SK Rapid, schaffte es dort zu den Profis und bis ins A-Nationalteam.
Im Sommer erfüllte er sich mit Union Berlin den Traum der Deutschen Bundesliga, stellte sich in seiner Heimatstadt mit dem EM-Debüt für Österreich gegen die Niederlande (3:2) vor.
Dabei ist sein Weg alles andere als gewöhnlich, Querfeld stammt aus einer wohlhabenden Familie und hat sich mit viel Ehrgeiz und Disziplin im harten Geschäft des Profifußballs durchgesetzt.
Im ausführlichen Interview mit 90minuten spricht er unter anderem über Hallenturniere als Goalie, wie Rapid Meister werden könnte, den harten Konkurrenzkampf in Berlin und Rangnicks Stellenwert für den österreichischen Fußball.
90minuten: Im Sommer bist du erstmals aus deinem Elternhaus in Wien ausgezogen. Wie hast du dich in Berlin eingewöhnt?
Leopold Querfeld: Das stimmt. Ich habe bis zuletzt bei meinen Eltern gewohnt. Der Umzug von einer Hauptstadt in die andere war eine Umstellung, aber die Eingewöhnung läuft gut. Ich bin mit meiner Freundin hierhergezogen, daher bin ich nicht ganz allein.
90minuten: Union ist wie Rapid ein Traditionsklub. Wie erlebst du die Fans an der Alten Försterei?
Querfeld: Das ist ein Verein mit einer unglaublichen Stimmung. Es gibt fast nur Stehtribünen im Stadion, was es besonders macht. Alles ist sehr nah am Spielfeld, das erinnert mich an das alte Hanappi-Stadion. Der Support ist unglaublich, auch auswärts. Was in Deutschland normal ist, ist in Österreich eine Ausnahme.
90minuten: Und sportlich? Wie groß ist der Niveauunterschied im Vergleich zu Rapid?
Querfeld: Es ist definitiv ein weiterer Schritt nach vorne. Auch unter der Woche im Training ist die Qualität sehr hoch. Das fordert mich jeden Tag, meine maximale Leistung zu bringen. Ich merke, dass alles schneller ist und Fehler noch härter bestraft werden.
90minuten: Mit Christopher Trimmel spielst du mit einem weiteren Österreicher zusammen. Ist das ein Vorteil?
Querfeld: Die Frage ist, ob es entscheidend ist, dass er Österreicher ist. Vor Union kannte ich ihn nur aus dem Fernsehen. Er hilft der Mannschaft mit seiner Erfahrung. Durch die Österreich-Connection gibt es natürlich Gespräche über die österreichische Bundesliga oder Rapid. Aber er ist für alle Spieler eine Stütze und ein sehr guter Kapitän, der das Team zusammenhält.
90minuten: In Wien warst du am Ende ein Schlüsselspieler. Bei Union Berlin dauerte es bis Anfang November, bis du dein Startelfdebüt gegeben hast. Wie ist es dir mit der Jokerrolle ergangen?
Querfeld: Wenn man es anders gewohnt ist, ist das natürlich nicht einfach. In Deutschland ist der Konkurrenzkampf noch größer, aber ich habe mich dieser Herausforderung gestellt. Als Joker habe ich in meine Chancen bekommen. Gegen Bayern und Leverkusen durfte ich dann von Beginn an spielen. Als Kind wäre ich sehr stolz gewesen, wenn ich gewusst hätte, dass ich einmal in der Allianz Arena gegen Bayern spielen würde. Jetzt gilt es, weiter Gas zu geben und mich durchzusetzen.
90minuten: Vor dem Spiel gegen Mainz konntet ihr in der Bundesliga elf Spiele in Folge nicht gewinnen. Wie geht man mit so einer Situation um?
Querfeld: Es ist nicht nur der Einfluss aus der Kabine, sondern auch von außen prasselt einiges auf dich ein. Trotzdem versucht man, intern fokussiert zu bleiben. Jeder in der Mannschaft weiß, dass unsere Qualität zu hoch ist für so eine Misere. Das bewirkt auch, dass wir immer an uns glauben. Wenn ich an unseren Charakter als Team denke, bin ich mir sicher, dass wir den schwierigen Weg gemeinsam bewältigen werden. Einfach ist es aber nicht, denn auch die anderen Mannschaften haben Qualität und Ziele.
"Es ist ein komischer Moment, wenn ein neuer Trainer auf einen wartet. Gleichzeitig bringt das neuen Schwung, weil manche Spieler neue Chancen sehen. Ein gewisser Trainereffekt ist erkennbar."
90minuten: Bei Rapid warst du eine Viererkette gewohnt, bei Union hast du sowohl unter Svensson als auch unter Baumgart in einer Dreierkette gespielt. Wie geht es dir mit der Umstellung?
Querfeld: Bei Rapid habe ich fast ausschließlich in der Viererkette gespielt. In der U21 habe ich aber auch schon in einer Dreierkette agiert. Ich kann in beiden Systemen meine Stärken einbringen. Es gehört dazu, dass man sich nicht auf ein einziges System festlegt. Es gibt Unterschiede, aber ich fühle mich in beiden wohl.
90minuten: Im Sommer hat dich der Verein unter Bo Svensson verpflichtet. Ende Dezember wurde der Däne entlassen. Wie gehst du als Spieler damit um?
Querfeld: Es ist eine unangenehme Situation, wenn ein Trainerwechsel erfolgt. Aber es gehört leider zum Fußball dazu, ich habe das auch schon bei Rapid erlebt. Es ist ein komischer Moment, wenn ein neuer Trainer auf einen wartet. Gleichzeitig bringt das neuen Schwung, weil manche Spieler neue Chancen sehen. Ein gewisser Trainereffekt ist erkennbar.
90minuten: Svensson und Baumgart gelten als unterschiedliche Typen. Wie siehst du das?
Querfeld: Es ist schwer zu sagen, ob sie sich so sehr unterscheiden. Ich habe mit Bo Svensson sehr gerne zusammengearbeitet, aber das gilt auch für den neuen Trainer. Beide legen großen Wert auf intensives Spiel gegen den Ball und schnelles Umschaltspiel. Baumgart ist an der Seitenlinie noch einmal wesentlich lauter, aber da ich 40 Meter entfernt stehe, bekomme ich davon weniger mit als die Außenspieler.
"Sie haben mir geholfen, als Person zu reifen. Man macht Fehler nicht, die die älteren Geschwister vielleicht gemacht haben. Sie haben mir Werte mitgegeben und waren sportliche Vorbilder. Im Rudern braucht es eine extreme Disziplin, um an der Weltspitze mitzuspielen. Das hat mir gezeigt, dass man mehr erreichen kann, als man denkt."
90minuten: Du giltst als sehr gläubig und betest vor jedem Spiel. Wie wichtig ist dir das?
Querfeld: Das ist ein sehr wichtiger Teil meines Lebens. Es gibt mir Kraft, aber auch Demut und Dankbarkeit. Das sind Werte, die nicht nur im Sport wichtig sind.
90minuten: Du lebst sehr gesund und diszipliniert. Dein Vater hat einmal gesagt, dass du dem Fortgehen fernbleibst und auf deine Ernährung achtest. Wie wichtig ist das als Profi?
Querfeld: Gesunde Ernährung, zusätzliches Training und gesunder Schlaf sind mir wichtig. Ich bin überzeugt, dass das ein Grund ist, warum ich es bisher so weit geschafft habe. Es hilft mir, mich wohlzufühlen. Ich möchte das Beste aus meiner Karriere herausholen und bin bereit, viel zu investieren. Andere Spieler fragen mich: Warum trainierst du schon wieder? Warum isst du das nicht? Aber ich lebe diesen Lebensstil gerne, wenn ich dafür in der Deutschen Bundesliga spielen darf.
90minuten: Du hast zwei ältere Brüder, beide waren Leistungssportler im Rudern. Wie sehr hat dich das beeinflusst?
Querfeld: Sie haben mir geholfen, als Person zu reifen. Man macht Fehler nicht, die die älteren Geschwister vielleicht gemacht haben. Sie haben mir Werte mitgegeben und waren sportliche Vorbilder. Im Rudern braucht es eine extreme Disziplin, um an der Weltspitze mitzuspielen. Das hat mir gezeigt, dass man mehr erreichen kann, als man denkt. Meine Familie und Freundin sind mir generell sehr wichtig. Sie unterstützt mich bei meiner disziplinierten Lebensweise und muntert mich auf, wenn es mir mal nicht so gut geht. Das weiß ich sehr zu schätzen.
90minuten: Als Kind hattest du mit Fabio einen brasilianischen Fußballer als Betreuer. Wie lief das ab?
Querfeld: Meine Eltern waren beruflich viel unterwegs (Querfelds Eltern besitzen mehrere Kaffeehäuser in Wien, darunter das berühmte Cafe Landtmann, Anm.). Daher hatte ich ein "Kindermädchen". Mit elf, zwölf Jahren hatte ich dann einen brasilianischen Fußballer, der bei meinem ursprünglichen Verein Union Mauer gespielt hat. Das war perfekt. Wir konnten uns über Fußball austauschen, und er konnte sehr gut südamerikanisch kochen. Er war nicht nur ein Betreuer, sondern auch ein Freund. Manchmal versuche ich mit Diogo Portugiesisch zu reden, aber allzu viel ist leider nicht hängen geblieben.
90minuten: Im Rapid-Nachwuchs hast du auch einmal das Tor gehütet. Dein Vater meinte, dass Raimund Hedl dich gerne zum Torwart gemacht hätte. Warum kam es anders?
Querfeld: Diese Torwart-Geschichte sollte man nicht zu groß machen. Es ging um ein, zwei Hallenturniere, bei denen ich sehr gut gehalten habe. Mir war aber immer klar, dass ich am Feld bleiben möchte. Wie viele Jungs habe ich im Sturm begonnen. Bei Rapid wurde ich schnell Verteidiger, weil meine Stärken erkannt wurden. In der Akademie habe ich zwei Jahre im Mittelfeld gespielt. Das hat mir rückblickend geholfen, da man das Spiel aus einer anderen Perspektive sieht. Ab der U18 war ich dann fester Innenverteidiger.
90minuten: 2021 hast du dein Profidebüt für Rapid gegeben. Bei deinem Weggang warst du Leistungsträger. Wie blickst du auf die Zeit zurück?
Querfeld: Es ist wunderschön, dass der Traum in Erfüllung gegangen ist. Du spielst im Nachwuchs bei Rapid und willst selbst in diesem Stadion vor diesen Fans spielen. Die ganzen internationalen Spiele, die Derbys, Spiele gegen Salzburg oder Sturm. Es war eine intensive Zeit. Ich durfte viel erleben, sowohl Höhen als auch Tiefen. An diese Zeit denke ich gerne zurück. Dieser Verein hat mich schon geprägt, bevor ich in der Rapid-Jugend war. Ich habe mich sehr wertgeschätzt gefühlt und kann nur Gutes über den Klub sagen.
"Was einen Meister am Ende der Saison ausmacht, ist, dass er konstant gegen die vermeintlich schwächeren punktet. Wenn ihnen das gelingt, sind sie auf jeden Fall ein Meisterkandidat."
90minuten: Du verfolgst Rapid wahrscheinlich nach wie vor. Deine Position wurde sehr gut nachbesetzt. Wie siehst du die Entwicklung im Westen Wiens?
Querfeld: Ich verfolge das sehr eng, bin mit dem ein oder anderen im Austausch. Die Position wurde sehr gut nachbesetzt, auch weil Nenad (Cvetkovic, Anm.) wieder fit ist. Mit Jakob Schöller wurde, wie ich gehört und gesehen habe, ein junger Innenverteidiger mit sehr viel Potenzial geholt. Die Transfers von Rapid sind sehr positiv zu bewerten. Es freut mich, dass es gut gelaufen ist. Das ein oder andere Mal denke ich mir: "Das Spiel hätte ich auch noch gerne gespielt." Ich wünsche den Jungs nur das Beste.
90minuten: Ist Rapid ein Meisterkandidat?
Querfeld: Das ist aus der Ferne schwieriger zu beantworten. Ich sehe aber sehr viel Qualität. Wenn ich an die Spiele gegen die Topmannschaften denke, ist das ein Ausrufezeichen. Es ist auch geil für die Fans. Was einen Meister am Ende der Saison ausmacht, ist, dass er konstant gegen die vermeintlich schwächeren punktet. Wenn ihnen das gelingt, sind sie auf jeden Fall ein Meisterkandidat. Ich hoffe, dass sie vorne angreifen.
90minuten: Dein Transfer zu Union Berlin wurde inmitten der EM-Vorbereitungen verkündet. War es dir wichtig, vor dem Turnier Klarheit zu haben?
Querfeld: Du sprichst einen guten Punkt an. Ich wollte nicht, dass es mich bei der EURO stört. Einerseits für mich, andererseits wollte ich mir nicht nachsagen lassen, dass ich nicht den Fokus beim Nationalteam habe. Mit Berlin (Ort des ÖFB-Quartiers) hat es sich gut getroffen. Ich durfte wunderschöne erste Momente in meiner neuen Stadt erleben. An freien Nachmittagen konnte ich sie auch ein bisschen kennenlernen.
90minuten: In deiner neuen Stadt hast du dein EM-Debüt gegen die Niederlande gegeben. Am Ende winkte der Gruppensieg.
Querfeld: Wenn man das ausspricht, bekomme ich heute noch Gänsehaut. Die ganze EURO war geil, die Stimmung konnte man auch in Österreich mitfühlen. Die gemeinsame Zeit war von Erfolg gekrönt und wurde leider viel zu schnell beendet. Ich bin unfassbar stolz, dass ich meinen Teil dazu beitragen konnte. Wir konnten vielen Österreichern einen schönen Sommer bescheren. Den hatte ich auch, und jeder einzelne, der Teil dieser Gruppe war.
"Der Teamchef achtet sehr auf Details, die sonst vielleicht keiner beachtet. Er bereitet uns sportlich, taktisch und menschlich gut auf die Spiele vor. Es tut dem österreichischen Fußball gut, so einen Teamchef zu haben."
90minuten: David Alaba war als non-playing Captain mit an Bord. Er spielt auf deiner Position. Was nimmt man von so einer Persönlichkeit mit?
Querfeld: Seine Erfahrung aus Topspielen kann er bei so großen Turnieren weitergeben. Er ist ein cooler Typ, der für gute Stimmung in der Mannschaft sorgt. Ich durfte schon in Lehrgängen mit ihm auf dem Platz stehen. Da kannst du einige Dinge mitnehmen, wie er gewisse Situationen löst.
90minuten: Ralf Rangnick gilt als Vater des Erfolges. Wie erlebst du den Teamchef?
Querfeld: Es ist beeindruckend, was er geschaffen hat. Er ist ein sehr ehrgeiziger Mensch, der viele Dinge umsetzt, die er für wichtig hält. Der Teamchef achtet sehr auf Details, die sonst vielleicht keiner beachtet. Er bereitet uns sportlich, taktisch und menschlich gut auf die Spiele vor. Es tut dem österreichischen Fußball gut, so einen Teamchef zu haben.
90minuten: Im letzten Lehrgang wurdest du nicht einberufen. Hat sich der Teamchef bei dir gemeldet?
Querfeld: Es gab die Kommunikation, das schätze ich sehr wert und das ist nicht selbstverständlich. So habe ich den Teamchef kennengelernt. Er hat mir gesagt, dass ich in den Wochen davor nicht so viel Spielzeit bekommen habe und er sich deshalb für einen anderen entschieden hat.
90minuten: Das nächste Großturnier wäre die WM 2026. Was würde eine Teilnahme für dich bedeuten?
Querfeld: Das ist sehr weit in die Zukunft geblickt. Wenn man an eine Weltmeisterschaft denkt, fehlen mir fast die Worte. Wenn ich über die EURO, Rapid oder die Deutsche Bundesliga rede, sind schon viele Kindheitsträume in Erfüllung gegangen. Das wäre ein weiterer.