Korkmaz: "Wir Österreicher stehen zurecht dort, wo wir sind"
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Korkmaz: "Wir Österreicher stehen zurecht dort, wo wir sind"

Der Ex-ÖFB-Teamspieler hat sowohl Einblick in das österreichische, als auch das türkische EM-Team. Über Yusuf Demir, warum Österreich (nicht) Europameister wird und warum die Türkei für ihn nie eine Option war.

90Minuten: Am Dienstag steht das Achtelfinale zwischen Österreich und der Türkei an, was erwartest du dir von dem Spiel?

Ümit Korkmaz: Jeder wartet auf das Spiel. Auch in der türkischen Community und überall, wo ich mich aufhalte, ist eine sehr große Vorfreude da. Und egal wer weiterkommt, die Auslosung meint es gut.

90Minuten: Von daher kann es für beide Seiten sehr weit gehen, oder wie siehst du das?

Korkmaz: Ja, auf jeden Fall, die Möglichkeit ist da. Der nächste Gegner wird halt, ich will jetzt nicht sagen leichter, denn es ist natürlich die erste Europameisterschaft, aber die Auslosung ist vielleicht einfacher. Das heißt jedoch nicht, dass es auch die Spiele sind.

90Minuten: Du wirst es ja wahrscheinlich mitverfolgen: Wie sind die Erwartungen in der Türkei vor diesem Spiel?

Korkmaz: Ja, ich habe mit ein paar Jungs vom türkischen Nationalteam Kontakt gehabt. Ich habe unter anderem Cenk Tosun zum Weiterkommen gratuliert und er hat mir auch gesagt, dass Österreich eine robuste Mannschaft hat, die sehr spielstark ist. Er hat gemeint: 'Es wird schwer, aber wir werden unser Bestes geben'.

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Im Märze setzte es für die Türken in Wien ein herbe 1:6-Niederlage

90Minuten: Inwiefern hat die türkische Mannschaft ihr Gesicht seit dem 1:6 im März gegen Österreich verändert?

Korkmaz: Ehrlich gesagt, nach den bisherigen Spielen, die sie jetzt gespielt haben bei der Europameisterschaft, habe ich den Eindruck, da geht viel mehr. Natürlich sind die einzelnen Spieler gut, der eine spielt bei Inter, der andere bei Real Madrid - die individuelle Qualität ist sehr hoch. Trotz allem ist Fußball ein Mannschaftssport. Österreich ist das beste Beispiel dafür. Wir (Österreich, Anm.) haben bis jetzt gegen jeden Gegner gut mitgespielt. Wir haben, außer gegen Frankreich, immer drei Tore geschossen. Und das zeigt, wie kompakt und wie gut die österreichische Mannschaft ist. Das ist das Wichtige, denn es ist ja kein Einzelsport, wir spielen ja nicht Tennis oder Schach.

90Minuten: Woran liegt es, dass das bei den Türken noch nicht so klappt?

Korkmaz: Manchmal habe ich das Gefühl, dass es vielleicht auch die Müdigkeit durch die lange Saison ist und da ein wenig die Kraft fehlt.

90Minuten: Ich kann mir aber gut vorstellen, dass der Aufstieg ins Achtelfinale gegen Österreich nochmal neue, frische Energie bringt, oder wie siehst du das?

Korkmaz: Natürlich, das kann jetzt die Revanche für das 1:6 werden, da hat man jetzt die Chance, sich zu beweisen. Bei einer EM ist es dazu nochmal ernster und härter. Es ist kein Freundschaftsspiel, das macht auch nochmal einen Unterschied. Die Frage wird sein: Wie weit sind sie dann, wenn es wirklich drauf ankommt?

"Da sieht man: Es passt einfach alles. Das sind Klassespieler, fast jeder davon spielt bei einem richtig guten Klub. Wir Österreicher stehen zurecht dort, wo wir sind."

Korkmaz über das ÖFB-Team

90Minuten: Und wie denkt man in der Türkei über das ÖFB-Team? Was hat man da für einen Eindruck?

Korkmaz: Es ist eine robuste, starke Mannschaft, die auch hart spielt. Man denkt, dass Österreich ein Team ist, dass gerne nach vorne spielt, mit Spielern von hoher individueller Qualität - wie Marko (Arnautovic, Anm.), Baumgartner, Sabitzer oder Laimer, der alles abräumt. Auch Romano Schmid, der kleinste am Platz, der ein Kopfballtor macht. Da sieht man: Es passt einfach alles. Das sind Klassespieler, fast jeder davon spielt bei einem richtig guten Klub. Wir Österreicher stehen zurecht dort, wo wir sind.

90Minuten: Was traust du dem ÖFB-Team im Turnierverlauf noch zu? Viele sehen ja Österreich schon als heimlichen Europameister.

Korkmaz: Naja, realistisch müssen wir schon bleiben. Wenn man jetzt beispielsweise die Spanier sieht, wie sie Fußball spielen, mit was für einer Qualität…aber Fußball ist auch manchmal eine Glückssache. Da muss man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Wie die Griechen 2004.

90Minuten: Was für die türkische Mannschaft ein großer Nachteil ist, ist der Ausfall von Hakan Calhanoglu. Was glaubst du, wer oder wie kann man ihn ersetzen? Kann man das überhaupt?

Korkmaz: Er hat das wichtige Tor gegen die Tschechen gemacht, wo sie 1:0 in Führung gegangen sind. Aber ich glaube, der Kader ist groß und breit genug. Natürlich hat er eine andere Qualität und wird auch von seiner Spielweise her fehlen. Aber es ist eine super Möglichkeit für den Nächsten, der sich auf der Position beweisen kann. Das ist genauso wie wenn uns Sabitzer und Laimer fehlen, da haben wir es auch schwer, sie sind die Motoren, die in der Mitte arbeiten.

"Ich wüsste nicht, was ich gemacht hätte, wenn mich die Türken angerufen hätten."

Korkmaz über die Option, für die Türkei zu spielen

90Minuten: Wie siehst du das eigentlich, Ümit: Bei Österreich fehlen gleich mehrere wichtige Spieler, die zwei Schlagers, David Alaba, Sasa Kalajdzic. Trotzdem merkt man das eigentlich nicht.

Korkmaz: Ich kenne ja David Alaba und für mich ist es natürlich traurig und es tut mir für ihn weh, dass er nicht spielen kann. Aber das ist ja auch etwas Positives, dass er ersetzt werden kann. Und solange das so bleibt, wird auch immer ein Konkurrenzkampf da sein und auch das sorgt mitunter dafür, dass eine Mannschaft so auftritt wie Österreich. Und ich sage dir eins: Vor der EM wusste jeder, wie stark wir sind. Jetzt habe ich die Italiener und die Kroaten gesehen. Früher hat man vor Italien gezittert und heuer sind sie mit Bauchweh noch weiter gekommen. Wir haben auch keine leichten Gegner gehabt, aber wir haben die gegen Holländer souverän gewonnen. Früher, wenn man Holland gehört hat, hat man gesagt: 'Mach mal langsam'.

90Minuten: Du meinst, dass dieses Selbstverständnis bei Österreich ein ganz anderes geworden ist.

Korkmaz: Ja, der Fußball hat sich auch so entwickelt, dass alle Mannschaften jetzt viel näher beisammen sind, von der Kraft, Schnelligkeit, Flinkheit und Ausdauer her. Und da sind wir halt sehr gut.

90Minuten: Lass uns noch ein bisschen über das Nationalteam im Allgemeinen und deine Zeit dort reden. Da war es ja so, dass unter anderen mit dir, Veli Kavlak oder Yasin Pehlivan, viele türkischstämmige Spieler im Nationalteam waren. Das hat sich aber total verändert. Woran, glaubst du, liegt das?

Korkmaz: Vor zwei Monaten habe ich auch mal ein Statement dazu abgegeben. Dadurch, dass sich der Fußball so stark entwickelt hat, haben sich auch die Eltern weiterentwickelt. Ich war zuletzt bei Rapid, da waren fünf, sechs Nationalteamspieler, die für die Türkei gespielt haben (im Nachwuchs, Anm.). Und manchmal kommt es eben so, dass der eine schneller ist als der andere und der Spieler sagt dann zu. Wenn mit 15, 16 Jahren das türkische Nationalteam anruft und Österreich nicht, weil man auf der Position einen besseren oder anderen Spieler hat, ist es schon klar, dass man für dieses (das türkische, Anm.) Nationalteam spielt. Mert Müldür zum Beispiel spielt für die Türkei. Es ist halt auch eine Gefühlssache. Wenn es passiert, dann passiert es. Ich wüsste nicht, was ich gemacht hätte, wenn mich die Türken angerufen hätten.

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Einst gemeinsam im ÖFB-Team: Korkmaz, Kavlak und Pehlivan (v.l.).

90Minuten: Also haben sie dich nie angerufen?

Korkmaz: Nein und ich habe meine Entscheidung auch schon getroffen gehabt. Ich habe ja damals für die U21 gespielt und für mich war es klar, dass ich für Österreich spiele. Heute ist es oft so, egal ob die Kinder Migrationshintergrund haben oder nicht, dass die Eltern denken, wenn das Kind bei Rapid, Austria oder Salzburg ist, hat er es geschafft. Sie vergessen manchmal, dass weiterarbeiten, dass geduldig sein, sehr wichtig ist. Der eine sagt: ‘Warum hat mein Sohn keinen Adidas-Vertrag, warum hat mein Sohn keinen Nike-Vertrag?’. Macht mal langsam. Mein erster Schuh mit dem Namen drauf war bei Rapid 2008, im Meisterjahr. Da war ich schon drei Jahre bei Rapid.

90Minuten: Du glaubst also, dass es auch damit zu tun hat, dass sich die Ansprüche, auch von den Eltern, deutlich erhöht haben?

Korkmaz: Ja, nicht nur, aber so ungefähr kann man das sagen. Aber es ist ein seidener Faden, der leicht zerreißt. Wenn man jetzt im U18-Nationalteam ist, heißt das nicht, dass man künftig bei der EM spielt. Der Fußball ist viel schnelllebiger geworden. Andere Jungs kommen nach, du musst dich weiterentwickeln. Du musst die Schule gut absolvieren. Alles gehört dazu und manche verpassen da den Anschluss. Da gibt es schon noch ein paar (türkischstämmige Spieler, Anm.), die im ÖFB-Nachwuchs spielen, aber die haben ja noch Zeit. Und sie müssen es so mitnehmen, dass sie es zu Ende bringen.

"Viele Entscheidungen werden falsch getroffen, auch von den Familien, weil sie Panik kriegen, wenn er jetzt 18 Jahre ist und vielleicht zwei Jahre bei den Amateuren spielen muss."

Korkmaz über junge Spieler

90Minuten: Einer der bisher letzten war Yusuf Demir. Er ist ja auch ein Beispiel für das, was du beschrieben hast. Wie siehst du seine Situation?

Korkmaz: Ich habe jetzt ein paar Mal mit ihm trainieren dürfen und ihn quasi, sagen wir, ein bisschen warm gehalten. Er ist ein Klassespieler. Er ist noch immer erst 21 Jahre jung, er wird sicher wieder eine Chance bekommen. Auch eine falsche Entscheidung ist eine Entscheidung. Der Junge wollte es so und es ist so gekommen. Viele Entscheidungen werden falsch getroffen, auch von den Familien, weil sie Panik kriegen, wenn er jetzt 18 Jahre ist und vielleicht zwei Jahre bei den Amateuren spielen muss. Und dann wechselt man den Verein. Solange dich der Verein nicht wegschickt, bleib dort.

90Minuten: Du meinst also, dass da die Geduld ein bisschen verloren gegangen ist.

Korkmaz: Genau. Dann schicken sie den Jungen (Demir, Anm.) in die Türkei und in der Türkei ist es dann natürlich doppelt so schwer. Veli (Kavlak, Anm.) und ich, wir haben schon um die 200 Bundesliga-Spiele am Buckel gehabt, als wir in die Türkei gezogen sind. Da musst du schon eine gewisse Erfahrung haben. Wenn du da mit 16, 17 Jahren hingehst, dann zählst du die Bäume.

90Minuten: Abschließend noch ein wenig zu dir. Was machst du aktuell? Spielst du noch?

Korkmaz: Naja, was heißt ich spiele? (lacht) Ich gehe ab und zu zum Training bei Ostbahn XI und wenn ich gebraucht werde, haue ich mich rein. Wirklich spielen tue ich nur mehr für die Rapid-Legenden und die Copa Pele. Ich arbeite bei der VdF ("Vereinigung der Fußballer; Fußballer-Gewerkschaft, Anm.). Wir kümmern uns um die Jungs, ich betreue jetzt auch das Trainingscamp für die arbeitslosen Fußballer auf der Sportklubanlage. Das wird jetzt noch acht Wochen lang gehen. Ich versuche, die Jungs fit zu halten.

90Minuten: Was hast du abgesehen davon noch für Ziele? Ist ein Trainerjob vielleicht einmal denkbar?

Korkmaz: Ja, das kann schon sein. Ich habe ja die UEFA-B-Lizenz. Bezüglich der A-Lizenz werde ich mal schauen, wann und wo ich die machen werde. Wenn mal etwas Passendes kommt, warum nicht? Aber zurzeit bin ich bei der VdF und wir geben da schön Gas.

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