Dass Pieter Nieuwenhuis in seinem Alltag viel Zeit damit verbringt, über Fußball nachzudenken, merkt man an seiner Einstiegsfrage: "Hast du das Spiel gestern gesehen?" Er meint das Hinspiel zwischen Salzburg und Twente Enschede, das die Österreicher für sich entscheiden konnten. Sein Fazit zur Partie: "Eines können wir viel besser. Im Stadion ist immer ein Fest."
Der Niederländer Nieuwenhuis hat im Jahr 2000 das Unternehmen Hypercube gegründet, das - so beschreibt es die Website - Entscheidungsträgern beim Entscheiden helfen soll. Wenn er über den hiesigen Fußball spricht, weiß er, worum es geht: Bei der Reform der ADMIRAL Bundesliga hatten er und Hypercube eine wichtige Rolle als Berater.
Wie sieht er, der mehr weiß als die meisten, die Zukunft des österreichischen Fußballs? 90minuten hat mit ihm im Rahmen des Schwerpunkts zur Zukunft der Bundesliga gesprochen:
90minuten: Ihr Unternehmen Hypercube hat ab dem Jahr 2016 eine wichtige Rolle bei der Reform der Österreichischen Bundesliga gespielt. Wie erinnern Sie sich heute an den Prozess zurück?
Pieter Nieuwenhuis: Den ersten Kontakt mit Christian (Anm. Ebenbauer) und David (Anm. Reisenauer) hatten wir ungefähr im Oktober 2015. Damals hat es noch geheißen: 'Nein, wir sind uns sicher. Wir werden das Format nicht ändern.' Neun Monate später haben sie uns dann gefragt, ob wir nicht doch einmal vorbeikommen können. Es gab ein Problem: Österreich ist ein fantastisches Land. Es hat neun Bundesländer und damit neun Herzen im Fußball, die regional gefestigt sind. Bei zwei Mal zehn Mannschaften in den ersten beiden Ligen kann es aber keine neun Aufsteiger geben, auch keine drei Aufsteiger.
Es war deswegen sehr schwierig, die Amateur- mit der professionellen Ebene zu verbinden. Das Fundament der Entscheidung war, dass die zweite Liga auf 16 Mannschaften und die erste auf zwölf aufgestockt wird. Es wurde auch festgelegt, dass es kein Entscheidungsspiel zwischen dem Zweiten der zweiten Liga und dem Elften der ersten Liga geben soll.
90minuten: Wie genau konnten Sie dann an diesem Punkt weiterhelfen?
Nieuwenhuis: Viele Optionen sind da natürlich nicht übrig geblieben (lacht). Wir haben das als Projekt aufgemacht und alle eingeladen, dabei zu sein. Wir haben mit Amateurmannschaften und Profimannschaften geredet, auch mit Journalisten, der Bundesliga, dem ÖFB und Sponsoren. Es war damals nicht so, dass wir gesagt haben: Man soll dies oder man darf das nicht. Wir haben uns gut ausgetauscht - am Ende ist ein Format herausgekommen, das man bis heute noch spielt. Die Idee dahinter ist, mehr Spiele zwischen gleichstarken Mannschaften zu haben. Bei einer Teilung gibt es natürlich das große Risiko, dass die untere Hälfte weniger interessant ist, weil es nur ein Gefecht gegen den Abstieg ist. Deswegen haben wir eine Brücke gebaut. Ich denke, das ist der einzige Weg, wie man sich die Teilung in Qualifikationsgruppe und Meisterschaftsgruppe leisten kann. Ich glaube, dass es richtig gut funktioniert.
Es hat sich ein neuer Vorschlag entwickelt. Wir haben gesagt, dass man in der oberen Gruppe eine Teilung herbeiführt, in der unteren aber nicht mehr.
90minuten: Wie sind die Diskussionen damals abgelaufen?
Nieuwenhuis: Ich erinnere mich an die Diskussion über das Halbieren der Punkte. Das ist ja bis heute ein wichtiges Thema. Damals bin ich mit den 20 Präsidenten der Profivereine zusammengesessen, am Morgen habe ich in die Runde gesagt: 'Freunde, heute ist ein wichtiger Tag für den österreichischen Fußball. Denn in der einen Hand haben wir neun Millionen an zusätzlichen Einnahmen, in der anderen haben wir das Sportliche.' Wir haben lange gesprochen, am Ende waren 19 Präsidenten für neun Millionen Euro und nur einer dagegen. Damals war es finanziell eine schwierigere Situation im österreichischen Fußball als heute.
Wir haben damals entschieden, dass wir oben und unten die Punkte halbieren. Jetzt mache ich einen Schritt vorwärts: Wir haben letztes Jahr wieder miteinander geredet, es hat sich ein neuer Vorschlag entwickelt. Wir haben gesagt, dass man in der oberen Gruppe eine Teilung herbeiführt, in der unteren aber nicht mehr. Das macht auch mathematisch Sinn. Die größten Unterschiede gibt es auf der oberen Seite eines Wettbewerbs. In der unteren Hälfte sind die Kraftunterschiede kleiner, auch wenn man die Punkte nicht teilt. Es ist ein artifizielles Instrument, dass man verwenden kann, wenn man es braucht.
Das hat sich auch in anderen Ländern ähnlich entwickelt, zum Beispiel in Belgien. Über längere Zeit kann man sehen, dass sich dort die Stärke der Nummer vier, fünf und sechs vergrößert hat. Deswegen sind belgische Vereine europäisch auch sehr erfolgreich, das bringt ihnen viele Punkte für den UEFA-Koeffizienten und am Ende sehr viel Geld. Wenn man in Europa früh ein oder zwei Mannschaften verliert, ist das für alle sehr teuer.
Die Austria ist aber die fünftbeste Mannschaft in Österreich. Es gibt nichts Besseres, man muss ehrlich sein.
90minuten: In Österreich wird genau diese Brücke momentan kritisch gesehen, weil die Wiener Austria aus der Qualifikationsgruppe noch zu einem Europacup-Ticket gekommen ist, aber schnell wieder draußen war.
Nieuwenhuis: Sie sind europäisch einfach noch nicht kompetitiv genug. Vielleicht, wenn sie Losglück haben, das können wir aber nicht steuern. Die Austria ist aber die fünftbeste Mannschaft in Österreich. Es gibt nichts Besseres, man muss ehrlich sein. Österreich sollte es wichtig sein, dass die Austria stärker wird. Im Normalfall wird das mit dem Format auch erreicht.
An dieser Stelle des Interviews kommt der Mathematiker Pieter Nieuwenhuis dann auf den sogenannten "Euro Club Index" zu sprechen. Dabei handelt es sich um ein von Hypercube mitentwickeltes Internetportal, das die Spielstärke vieler europäischer Mannschaften berechnet und miteinander vergleicht. Mit 1791 Punkten ist Austria Wien aktuell Österreichs Nummer fünf, dem gegenüber steht Salzburg bei 2747. Der Vergleich mit den fünftbesten Teams aus Belgien (Royal Antwerpen, 2420), den Niederlanden (FC Twente, 2515) und beispielsweise Dänemark (AGF, 2033) untermalt sein Argument, dass es hierzulande in der Breite an Qualität fehlt.
Man sollte den Gewinner eines Playoffs mit Geld belohnen, damit sie die Spieler nicht nur halten können, sondern sich vielleicht sogar verbessern.
90minuten: Man könnte natürlich schon sagen, dass die Tickets einfach nur in der Meistergruppe vergeben werden…
Nieuwenhuis: Aber dann ist die untere Gruppe tot. Wenn der siebente schon weit weg vom Abstieg ist, geht es um nichts mehr. Dann kommen keine Fans und auch der Fernseher wird nicht eingeschaltet. Man könnte es zum Beispiel so lösen: Die Mannschaft, die sich für Europa qualifiziert, bekommt eine, zwei oder drei Millionen Euro. Denn letztendlich ist Europa so wichtig, dass es sich auszahlt. In Holland gibt es dieselbe Diskussion: Der Wert der sechsten Stelle in der Fünfjahreswertung, die man gerade hat, ist 90 Millionen Euro. Das teilen sich mehrere Teams auf.
Wir haben jetzt das Problem, dass jemand wie die Go Ahead Eagles in Norwegen ausgeschieden ist, das war überhaupt nicht notwendig. Sie haben sich überraschend qualifiziert, wegen des Erfolges aber ihre Spieler verkauft. Der Trainer ist Assistent bei Manchester United geworden. Man sollte den Gewinner eines Playoffs mit Geld belohnen, damit sie die Spieler nicht nur halten können, sondern sich vielleicht sogar verbessern. Das haben wir in Österreich noch gar nicht besprochen. Über so eine Lösung könnte man aber zumindest nachdenken.
90minuten: Ein anderes Thema, über das immer wieder gesprochen wird, ist eine Aufstockung der Liga. Wäre eine Bundesliga mit 16 Teams sinnvoll?
Nieuwenhuis: Das ist ein sehr schlechter Vorschlag. Die Kraftunterschiede zwischen Nummer 1 und Nummer 16 sind viel zu groß. Es ist viel besser, wenn es zwölf sind, die richtig mitmachen, als neue dazu zu holen. In Holland haben wir 18 Millionen Einwohner, auch hier können wir keine 20 Mannschaften haben. Jetzt sind es 18, ich würde sagen 16 sind am besten. Ihr habt achteinhalb Millionen Einwohner.
Die Wirtschaft von Österreich kann es sich nicht leisten, 16 Mannschaften auf höchster Ebene zu erhalten.
90minuten: In Österreich hat man das nicht immer gut im Blick, vieles sieht man von außen besser. Welche Hürden gibt es denn, Ihrer Meinung nach?
Nieuwenhuis: In Österreich gibt es wichtigere Sachen als Fußball. Wintersport, da seid ihr Weltspitze. Für Österreicher ist das so spannend, dass für den Fußball einfach weniger übrig bleibt. Auch die Menge von Spieltagen, die man sich leisten kann, ist begrenzt - das Wetter ist ein Feind. Das ändert sich wegen des Klimawandels ein wenig, aber noch nicht in dem Maß, dass man sich mehr Spieltage erlauben kann. Die Wirtschaft von Österreich kann es sich nicht leisten, 16 Mannschaften auf höchster Ebene zu erhalten. Wenn viele Leute von außen kommen würden, wäre es eine andere Frage. Bis jetzt haben sie Österreich aber noch nicht gefunden.
90minuten: In der Bundesliga ist das Finanzierungsproblem gar nicht so groß, die meisten Vereine verdienen inzwischen gutes Geld. In der 2. Liga ist das anders, von dort wollen die meisten schnell wieder weg und sind unzufrieden.
Nieuwenhuis: Es braucht aber auch noch ein paar mehr, damit wir in der Lage sind, mit zwölf ein vernünftiges Geschäft zu machen. Es sind gerade genug, damit jemand auf und absteigen kann. Ich bin nicht derjenige, der in Österreich die Macht hat, aber wenn man mich fragt, werde ich das immer als fragwürdig bezeichnen.
90minuten: Gibt es Ideen, um die zweite Liga zu verbessern?
Nieuwenhuis: Österreich hat von Natur aus eine schwierige Aufgabe. Es gibt neun Bundesländer, daran wird nicht gerüttelt. Man könnte im Fußball auf der zweiten und dritten Ebene aber darüber nachdenken, ob es etwas zu verbessern gibt. Mit einer österreichweiten zweiten Liga sorgen wir für lange Reisen - wenn man vom Burgenland nach Vorarlberg fahren muss, ist das ja unerhört weit.
Man könnte überlegen, eine 2. Liga West mit sechs Bundesländern und eine zweite Liga Ost mit drei Bundesländern zu machen.
90minuten: Das heißt, die Lösung wäre Ihre Meinung nach, die Liga aufzuteilen?
Nieuwenhuis: Der Vertrag zwischen ÖFB und Liga läuft aus, das eröffnet die Tür für andere Lösungen. Im Osten ist man sehr zufrieden, im Rest von Österreich weniger. Wir überlegen uns gerade - ohne formellen Auftrag - ob wir helfen können. Ich sage das ohne Arroganz, aber wenn es jemand kann, sind wir es. Noch haben wir es aber auch noch nicht geknackt.
Man könnte überlegen, eine 2. Liga West mit sechs Bundesländern und eine zweite Liga Ost mit drei Bundesländern zu machen. Die Reisedistanzen werden dadurch zum Beispiel geringer. Man könnte unter der zweiten Liga West immer noch eine dritte Liga West und eine dritte Liga Mitte stellen. Im Osten gibt es unterhalb eine dritte Liga Ost. Wirtschaftlich wäre das stabiler. Wir haben das noch nicht weiter besprochen, aber ich glaube, dass das eine schönere Lösung ist. Was ich nach 20 Jahren in solchen Projekten gelernt habe: Eine Lösung macht Probleme, macht Feinde. Ein Prozess macht Freunde. Wir sollten zuerst den Prozess umsetzen, in dem alle mitmachen. Die Menschen müssen Zeit haben, um sich das zu überlegen. Das muss eine Lösung sein, die aus der Mitte aller Stakeholder kommt, nicht von "den Holländern".
90minuten: Wenn wir nach Europa schauen, sehen wir, dass auch in anderen Ländern ähnliche Modelle wie in Österreich umgesetzt werden. In der Schweiz zum Beispiel.
Nieuwenhuis: Die Schweiz hat aber eine schlechtere Lösung, weil ihnen die Brücke fehlt. Die soll jetzt gebaut werden. Dort war Basel in der unteren Gruppe, das tut so niemandem gut. Die Zuschauerzahlen waren höllisch. In Europa hat inzwischen fast jedes Land ein ähnliches Modell, nur die großen Fünf nicht. Und sogar dort fängt man an, darüber nachzudenken.
Man könnte bis Weihnachten in Österreich und der Schweiz eigene Meisterschaften spielen, danach die besten Mannschaften beider Länder zusammenführen.
90minuten: Muss man sich grundsätzlich darauf einstellen, dass sich Spielmodelle in einer Liga in Zukunft immer wieder ändern?
Nieuwenhuis: Man muss sich das immer wieder anschauen, ob es noch gut ist. Wenn wir noch ein Kapitel hinzufügen wollen: Cross-Border-Fußball. Man könnte bis Weihnachten in Österreich und der Schweiz eigene Meisterschaften spielen, danach die besten Mannschaften beider Länder zusammenführen. Das würde wirtschaftlich sicherlich helfen und die Zuschauerzahlen verbessern. Momentan schaut in der Schweiz fast niemand darauf, was in Österreich passiert. In dem Moment, in dem die Mannschaften aufeinander treffen, wird das Interesse aber wachsen. Dadurch würde sich für Sponsoren ein viel größerer Bereich ergeben.
Wir arbeiten gerade an etwas in Irland: Heute haben die besten irischen und nordirischen Mannschaften in europäischen Bewerben keine Chance, teilweise haben sie nur das Niveau österreichischer Zweitligisten. Natürlich gibt es auch dort verschiedene Hürden. Das gleiche gilt für das Baltikum. Die UEFA versteht inzwischen auch, dass es keinen Zweck hat, das nicht zu machen. Früher war das anders. Wir sollten aber immer vorsichtig sein.
Man hat auch in Belgien und Holland nach einer Kombination gesucht. Die haben sich überlegt, eine Liga mit zehn Holländern und acht Belgiern zu machen. Das ist der falsche Weg. Dann gibt es zwei Aufstiegsplätze für ein Land und einen für das andere. Alle Mannschaften, die darunter existieren, haben fast nichts zu gewinnen. Dann stirbt der Rest des bezahlten Fußballs.
Es ist viel besser, eine halbe Saison in jedem Land zu spielen, damit jede Mannschaft in der Eredivisie und Pro League eine Chance hat, sich zu qualifizieren. Dann kommen die jeweils besten vier oder sechs zusammen, um am Ende gegeneinander zu spielen. Für uns ist der Startpunkt, wenn wir einen Prozess beginnen, immer, dass es sportlich funktionieren muss. Wenn es sportlich nicht klappt, wird es auch wirtschaftlich nicht funktionieren.