Seit dem 1. September 2023 ist Bernhard Seonbuchner Sportdirektor des FC Red Bull Salzburg. Der Deutsche ist seit 2010 durchgehend in verschiedenen Positionen im Verein bzw. in der Akademie und dem FC Liefering beschäftigt. Im ersten Jahr seiner Amtszeit gab es einige Highlights, aber auch Tiefschläge.
So musste er Gerhard Struber, der nach Vorbereitungsbeginn kurzfristig Matthias Jaissle ersetzt hatte, im Frühling entlassen. Es war der erste Trainerwechsel während der Saison seit 2015. Dazu kamen noch einige Troubles mit Spielern, sei es, weil so viele verletzt waren, sei es, weil einige weit weg von ihrer Leistungsgrenze waren.
Nun soll der Teller wieder an die Salzach, nachdem er das erste Mal nach zehn Titeln in Folge an die Mur gegangen war. Der Kader bleibt dabei weiterhin blutjung. Immerhin schweißen die Mühen der Champions League-Qualifikation zusammen.
90minuten: Salzburg hat sich dieses Jahr als Vizemeister durch zwei Qualifikationsrunden spielen müssen. Wie wichtig ist es für den Verein, dass das geklappt hat?
Bernhard Seonbuchner: (lacht) Grundsätzlich war mit dem Schlusspfiff nach dem letzten Spiel gegen den LASK Ende der letzten Saison klar, dass wir nicht Meister sind, obwohl das 7:1 eine ziemlich gute Partie war und wir in die Qualifikation müssen. Unser Ziel war da sofort, uns erneut für die Champions League zu qualifizieren. Das haben wir geschafft und ich finde, die Mannschaft hat es sich verdient, in diesem Bewerb zu spielen.
Unsere Analysen fallen auch immer selbstkritisch aus, gerade nach der letzten Saison war das klar. Wir wollten und mussten Dinge verändern.
90minuten: Und für Sie persönlich? Die Fußstapfen, die Christoph Freund hinterlassen hat, sind ja nicht gerade klein. Eine Saison ohne Titel ist nicht der Anspruch bei Salzburg, da wird Ihnen auch ein Stein vom Herzen gefallen sein, als es gegen Dynamo Kyiv soweit war, oder?
Seonbuchner: Es ist eine große Ehre, in der Königsklasse anzutreten. Ein erstes so großes gemeinsames Erfolgserlebnis früh in der Saison zu feiern, ist wichtig. Wir haben viel investiert, gearbeitet, dem Kader vertraut. Ich kann dem Trainerteam und der Mannschaft nur ein Kompliment aussprechen. Sie haben trotz nicht einfacher Gegner und einem dichten Programm dem Druck standgehalten.
90minuten: In der Europa League wären Sie auch noch am Posten?
Seonbuchner: Diese Gedanken treiben uns nicht an. Wir sind abgestimmt und ausgerichtet, wissen aber auch, dass die Dinge im Leistungssport eng beieinander liegen. Hätte es die Punkteteilung nicht gegeben, wären wir als Meister direkt für die Champions League qualifiziert gewesen. Am Ende geht es darum, dass wir uns auf das tägliche Geschäft und den Prozess, in dem wir uns befinden, konzentrieren. Mit dem Erreichen der Champions League haben wir das erste Etappenziel erreicht.
90minuten: Das hat sich durch die letzte Saison gezogen. Es war in der Gruppenphase der Champions League sehr knapp hinsichtlich europäischem Überwintern, wenn Baidoo beim 2:2 am 29. Spieltag einen Tick weiter hinten startet und es kein Abseitstor ist, wäre das Momentum wieder Richtung Salzburg gekippt. Umgekehrt war klar, dass man nicht in jedem Jahr Meister werden würde. Welche Lehren hat man aus der letzten Saison gezogen?
Seonbuchner: Wir analysieren fortlaufend und warten nicht erst bis zum Saisonende. Unsere Analysen fallen auch immer selbstkritisch aus, gerade nach der letzten Saison war das klar. Wir haben dafür einen neuen Slogan geschaffen: Evolution statt Revolution. Wir wollten und mussten Dinge verändern. Es fängt mit dem sehr guten Trainerteam an, wobei mir wichtig ist zu erwähnen, dass es da nicht nur um den Cheftrainer allein geht, sondern auch um die Personen drumherum.
Dann geht es weiter mit einer klaren Vorstellung, wie die Mannschaft auftreten soll. Da wollten wir ein Stück weit zurück zu den Wurzeln, näher an unsere Identität dran. Und letztlich ging es auch darum, nach klaren Spielerprofilen zu suchen und denen, die da sind, das entsprechende Vertrauen entgegenzubringen sowie ihnen im täglichen Prozess zur maximalen Leistung zu verhelfen. Das ist in der ersten Saisonphase gut gelungen.
90minuten: Wenn man sich die Trainerhistorie ansieht, merkt man, dass das intensive Red-Bull-Spiel nicht erst mit Gerhard Struber etwas verloren gegangen ist.
Seonbuchner: Das kann man nicht verneinen und ist wohl auch menschlich nach so vielen aufeinanderfolgenden Erfolgen. Es war ein schleichender Prozess, der in der letzten Spielzeit seinen Höhepunkt gefunden hat. Es geht dabei nicht nur um die Taktik, sondern auch um Haltung und die Einstellung, hungrig und immer auf der Jagd zu sein. Unsere Aufgabe ist es, den Hunger wieder herzustellen.
90minuten: Über den Kader sprechen wir gleich, zunächst noch zum neuen Trainer. Wann haben Sie denn Pep Lijnders das erste Mal angerufen? Wie war der Trainerauswahlprozess?
Seonbuchner: Wir sind immer etwas zurückhaltend, zu viel über die internen Abläufe zu erzählen. Aber ich kann sagen, dass alles zielstrebig erledigt wurde. Natürlich wurde Pep Lijnders frühzeitig kontaktiert, weil es auch Weitblick braucht. Es ist notwendig, den Trainer zu haben, bevor man den Kader angeht.
90minuten: Im Frühling meinte Robert Klauß zu mir im Lichte einiger Trainerwechsel, dass der Verein schuld ist, wenn man den falschen Trainer auswählt. Bei Spielern gibt es wohl mehr messbare Parameter. Was sprach für Lijnders?
Seonbuchner: Das sieht man ja schon in den ersten Monaten. Er ist ein Fußballfachmann und hat große Erfahrung, etwa bei der Entwicklung von Spielern. Dazu bekleidete er in seiner Laufbahn verschiedene Positionen. Nimmt man die Akademie her, gibt es bei uns viele Talente, mit denen man arbeiten muss. Red Bull Salzburg ist gespickt mit Spielern, die geschliffen werden müssen.
Pep Lijnders sagt, dass das Training der wichtigste Transfer ist. Man kann Spieler ohne Ende holen, muss aber vor allem tagtäglich mit ihnen arbeiten.
Da braucht es ein Trainerteam, das bereit ist, diesen Weg zu gehen und nicht davon ausgeht, eine fertige Mannschaft zu haben. Gemeinsam mit Lijnders' Energie und Leidenschaft, die man jeden Tag im Training sieht, merkt man, dass das Feuer auf die Mannschaft überspringt. Aufgrund dessen passt er ideal zu unserem Weg.
90minuten: In einem anderen Interview erzählte mir Ihr Pendant beim SK Rapid, Markus Katzer, auf welche Details man beim Trainer achtet. Etwa, dass er im Nachwuchs tätig war, mit großen Trainernamen zusammen gearbeitet hat. Gibt es Details – über das erwähnte Offensichtliche hinaus – auf das Sie geachtet haben?
Seonbuchner: Der Trainer muss das Training an erster Stelle sehen. Pep Lijnders sagt ja klar, dass das Training der wichtigste Transfer ist. Man kann Spieler ohne Ende holen, muss aber vor allem tagtäglich mit ihnen arbeiten. Das ist für uns der Schlüssel. Liverpool ist kein ganz so schlechtes Beispiel dafür, dass er aus jungen Spielern Weltstars machen kann.
90minuten: Jetzt sind wir beim Kader. Letztes Jahr im Herbst war zeitweilig eine ganze erste Elf verletzt. Man hat Kawamura und Blaswich geholt, Spieler in dem Alter müssen sofort funktionieren. Kawamura hat sich leider verletzt, einen 24-Jährigen holt man nicht an die Salzach, um ihn auf die Bank zu setzen. Wurden im Lichte der vielen Verletzungen letztes auch Trainingssteuerung und die Altersstruktur hinterfragt?
Seonbuchner: Wir haben in den letzten Monaten viele Spieler verabschiedet, mögen es auslaufende Verträge, Leihen oder Verkäufe gewesen sein. Da ist einiges passiert. Wir wollten neue Spieler holen, die entweder sofort helfen oder das Potenzial haben, dem Klub mit der Zeit den Stempel aufzudrücken. Das ist uns wohl gut gelungen. Takumu war ein Transferziel, bedauerlicherweise ist er verletzt. Wir haben das System von zwei auf drei Spitzen umgestellt, das führte zu einem neuen Positionsprofil, welches wiederum einem Adam Daghim, Moussa Yeo oder Dorgeles Nene entgegenkommt.
Die waren zwar schon da, wurden aber ein Stück weit neu entdeckt. Man sieht auch, dass der Trainer Spieler flexibel einsetzt. Diese Variabilität in Herangehensweise und Spielanlage waren einige unserer Prämissen. Stefan Bajcetic oder Bobby Clark haben die Qualität, sofort spielen zu können und sehr viel Potenzial.
Um auf Ihre Frage nach der Trainingssteuerung zu antworten – auch hier haben wir deutliche Veränderungen vorgenommen und machen bisher insgesamt sehr gute Erfahrungen damit. Dieses Thema gilt es allerdings über einen längeren Zeitraum umzusetzen und zu beobachten.
90minuten: Gegen Twente und Kyiv hatte man schon den Eindruck, dass ein erfahrener Mann noch helfen hätte können; auch wenn es auch junge Spieler gibt, die viel Erfahrung mitbringen. Warum wurde nicht ein Endzwanziger geholt?
Seonbuchner: Ich sehe das anders und denke da etwa an Nicolas Capaldo. Der hat mehr als die halbe Saison gefehlt. Einige Spieler sind also wie Neuzugänge, auch wenn sie schon länger da sind. Und dann denke ich an Amar Dedic. Der ist auf dem Papier jung, aber niemand würde auf die Idee kommen, dass er unerfahren ist. Wir gehen unseren Weg konsequent und da geht es nicht um das kalendarische Alter, sondern die Vorerfahrung. Stefan Bajcetic ist schon vor einiger Zeit in der Premier League positiv aufgefallen. Es geht um Qualität und dass die Spieler hungrig sind.
Aber natürlich schauen wir uns den Markt laufend an, was möglich ist und haben die von Ihnen angesprochenen Optionen entsprechend geprüft. Wir betreiben keinen Aktionismus und machen keine Dinge, die für uns am Ende nicht stimmig sind.
90minuten: Kicker wie André Ramalho oder Maximilian Wöber – erfahrene Spieler, die den Verein kennen – kann man heutzutage aufgrund der hohen Gehälter auch in den zweiten Leistungsstufen der Topligen auch schwer in eine Ausbildungsliga holen. Es gibt ja auch in Salzburg ein Gehaltsgefüge...
Cool ist, dass wir statt sechs Spielen gegen drei Gegner gleich acht verschiedene haben.
Seonbuchner: Es gibt mehrere Parameter, die stimmig sein müssen. Es geht um Kosten und Perspektiven, es geht um Ablösesummen. Und auch um die Motive der Spieler, warum sie nach Österreich gehen wollen, ob sie noch einmal durchstarten oder die Karriere ausklingen lassen möchten. Dann geht es auch darum, ob die Position strategisch passt, also wie die Talente-Pipeline bei uns aussieht. Da kommt einiges zusammen, wo unsererseits eine totale Überzeugung da sein muss, dass wir das machen wollen. Die letzten Transfers sind, glaube ich, sehr gelungen und passen zum Klub.
90minuten: Wir werden sehen, ob es besser gewesen wäre – das weiß man dann immer erst nachher. Die Champions League hat ein neues Format. Bleibt man nun beim Ziel, europäisch überwintern zu können?
Seonbuchner: Wir werden jedes Spiel genießen, das haben wir uns erarbeitet und die Jungs haben sich das verdient. Mit dieser Euphorie wollen wir Punkte sammeln. Es gibt Gegner wie Real Madrid, die könnten nicht stärker sein, gegen andere ist mehr möglich. Aber wir wollen uns in allen Spielen etwas zutrauen. Ich kann ja nicht sagen: Wir wollen 26. werden. Unser Ziel muss sein, weiterzukommen. Das sollte auch der Anspruch jeder Mannschaft sein, die teilnimmt, es ist auch unserer. Dass das nicht leicht wird und alles sehr eng sein kann, haben wir letzte Saison gesehen.
90minuten: Es weiß eh niemand, wie es wirklich sein wird, weil es neu ist.
Seobuchner: Cool ist, dass wir statt sechs Spielen gegen drei Gegner gleich acht verschiedene haben. Da ist von allem etwas dabei, auch wenn es nicht einfach wird – aber es ist ja auch die Champions League.
90minuten: Denken Sie dabei in der Gesamtplanung auch schon an die Klub-WM?
Seobuchner: Wir wissen, dass sie stattfindet. Der Klub hat sich dieses Tüpfelchen auf dem i über mehrere Jahre erarbeitet, aber es spielt momentan keine wirkliche Rolle. Wir haben ganz andere Aufgaben vor der Brust.
90minuten: Spätestens im Wintertransferfenster wird es aber interessant, die WM zieht sich ja über zwei Saisonen.
Seobuchner: Das Regulativ müssen wir noch abwarten, um vernünftige Entscheidungen zu treffen.
90minuten: Wir danken für das Gespräch!