Mit 35 Jahren erlebt Alexander Gorgon aktuell den nächsten Frühling seiner Karriere. Bei Pogoń Stettin absolvierte der Routinier seine statistisch beste Saison seit sieben Jahren, wohlgemerkt nach einer 421-tägigen Verletzungspause. Aktuell denkt Gorgon trotz eines Einstiegs in die ÖFB-Trainerausbildung nicht ans Aufhören und hat mit 90minuten über sein Leben in Polen und die Zukunft gesprochen.
90minuten.at: Alexander, du hast dich 2020 für einen Wechsel aus Kroatien zu Pogoń Stettin entschieden. Damals haben du und dein Berater betont, dass du gerne in dem Land spielen willst, wo deine Eltern geboren wurden. Wie blickst du auf diese Entscheidung zurück?
Alexander Gorgon: Dass es tatsächlich Polen geworden ist, war eigentlich sehr glücklich. Damals ist Corona ausgebrochen, die finanzielle Situation in Rijeka war schwierig - mit dem Trainer habe ich mich auch nicht so gut verstanden und bin weniger zum Spielen gekommen. Ich habe mir gedacht, dass ich in einem guten Alter bin und Energie habe, die ich nicht rauslassen kann. Die Info, dass ich mich nach Alternativen umschaue und zu haben wäre, ist offenbar bis nach Polen durchgedrungen. Es gab die Möglichkeit meinen Vertrag in Rijeka aufzulösen und ablösefrei zu wechseln, Pogoń Stettin hat sich gemeldet. Es war am Ende ein schöner Zufall.
90minuten.at: Wie fest war ein Wechsel nach Polen als Ziel für deine Karriere verankert?
Gorgon: Ich hätte den Wechsel nicht forciert. Eigentlich habe ich auch gar nicht genau gewusst, worauf ich mich einlasse. Als Kind war ich zu Weihnachten und zu Ostern mit meinen Eltern in Polen, um die Familie zu besuchen. Als Erwachsener mit meiner eigenen Familie ist es aber immer weniger geworden. Ich hatte keine Ahnung, wie das Leben hier so ist, wurde aber sehr positiv überrascht. Viele wissen gar nicht, wie Polen mittlerweile ausschaut, wie sich das Land entwickelt hat. Ich führe hier seit vier Jahren ein schönes Leben.
Ich werde in diesem Jahr 36, fühle mich aber viel, viel jünger.
90minuten.at: Du hast eine sehr gute Saison hinter dir, bist nach einer langen Verletzungspause wieder viel zum Spielen gekommen und hast Scorerpunkte gesammelt. Wie fit fühlst du dich noch?
Gorgon: Mir geht es sehr gut, das zeigen auch die Einsatzminuten. Allgemein ist der Drang recht groß, die Jugend zu forcieren, deswegen bin ich stolz, dass ich meinen Platz in der Mannschaft gut behaupten konnte. Die Zeit kurz nach der Verletzung war schwierig, weil man in den Rhythmus zurückfinden und den Trainer überzeugen muss. Alle anderen Spieler hatten mir gegenüber einen Vorteil, weil sie mehr gespielt haben. Ich habe eine gute Vorbereitung gebraucht, um zurück in die Spur zu finden. Ich werde in diesem Jahr 36, fühle mich aber viel, viel jünger.
90minuten.at: Deinen Vertrag hast du vor einem Jahr und kurz nach deinem Comeback verlängert, wie hat sich das ergeben?
Gorgon: Ich habe generell ein gutes Verhältnis zum Sportdirektor. Mitten in der Verletzungsphase hat er mir gesagt, dass er gerne mit mir verlängern würde - natürlich unter der Voraussetzung, dass ich wieder fit werde. In den Monaten nach meinem Comeback habe ich den Verein davon überzeugt, dass mit mir noch zu rechnen ist. Danach haben wir uns zusammengesetzt. Die Frage war: Ein oder zwei Jahre? Es wurde verhandelt, dann habe ich die Verlängerung um zwei Jahre bekommen, die ich unbedingt wollte. Der Verein hat mir viel Vertrauen entgegengebracht - ich glaube, dass ich es mit meinen Leistungen auf dem Platz schon zurückzahlen konnte.
Ich will nicht das Maskottchen sein, von dem alle Wissen, dass er die Leistungen nicht mehr bringt, aber vielleicht noch für die Stimmung dabei ist.
90minuten.at: Eine vorzeitige Verlängerung um zwei Jahre deutet darauf hin, dass ein Karriereende noch nicht in Sicht ist und du auch danach ans Weiterspielen denkst.
Gorgon: Auf jeden Fall. Mit meinem Alter muss man natürlich von Jahr zu Jahr beurteilen, wie sich die Belastungen auswirken - ich muss ehrlich in den Spiegel schauen. Ich will nicht das Maskottchen sein, von dem alle Wissen, dass er die Leistungen nicht mehr bringt, aber vielleicht noch für die Stimmung dabei ist. Ich möchte auf jeden Fall weiter Fußball spielen - ob hier oder woanders weiß ich nicht.
90minuten.at: Wenn du das jetzt so formulierst - ist es denkbar, dass wir dich auch noch einmal in Österreich sehen?
Gorgon: Eine Rückkehr nach Österreich könnte ich mir auch sehr gut vorstellen. Ich muss aber sagen, dass meine Familie hier wirklich glücklich ist. Meine Kinder wollen ihre Schule eigentlich nicht mehr verlassen und haben hier Freunde gefunden. Da muss ich meine Ziele unterordnen. Bei Pogoń Stettin sind die Bedingungen für mich auch tadellos. Aber schauen wir einmal, was in einem halben Jahr passiert.
90minuten.at: Deine Familie fühlt sich wohl, du fühlst dich wohl - was macht die polnische Liga denn in sportlicher Hinsicht aus? Rein oberflächlich ist sie ähnlich wie die Admiral Bundesliga - eine ähnliche Anzahl an Legionären pro Team, die Spieler sind im Schnitt ähnlich alt. Auch die österreichischen Mannschaften haben im Europacup eine ausgeglichene Bilanz gegen polnische Vereine.
Gorgon: Spannend in Polen ist zum Beispiel die Anzahl der Mannschaften. Es gibt hier 18 Teams, das heißt man spielt gegen jeden ein Hin- und Rückspiel. Man muss Gegner nicht viermal analysieren, was in Österreich bei einigen Vereinen vorkommt. Sehr cool ist die Infrastruktur, die großen Stadien und wie viele Fans bei jedem Match dabei sind. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber vor weniger als 15.000 spielt man gar nicht so oft. Vor allem in diesem Jahr war die Liga auch extrem spannend, bis kurz vor Schluss waren acht Mannschaften im Rennen um den zweiten Platz, die Meisterschaft war lange offen - auch unten ist es heiß hergegangen.
Die größten Chancen rechnet sich Polen wahrscheinlich gegen Österreich aus. Manchmal muss ich da jemanden wachrütteln, weil das nicht einfach werden wird.
90minuten.at: Jetzt steht die Euro vor der Tür, mit welcher Stimmung geht Polen in das Turnier?
Gorgon: Bei der polnischen Nationalmannschaft ging es in den letzten Jahren immer wieder Auf und Ab. Im Kader gibt es viel Qualität und sehr gute Einzelspieler, irgendein Puzzlestein fehlt aber vielleicht noch. In Österreich war das mit Teamchef Rangnick der Fall, das hat man Polen voraus. Ich lese wenige polnische Medien, glaube aber, dass die Stimmung eher verhalten ist. Ein Weiterkommen aus der Gruppe wäre ein Wunder, die größten Chancen rechnet man sich wahrscheinlich gegen Österreich aus. Manchmal muss ich da jemanden wachrütteln, weil das für Polen auch nicht einfach werden wird.
90minuten.at: Die erfahrene Generation um Robert Lewandowski, Wojciech Szczesny und andere altert langsam mehr und mehr aus dem Team heraus, es wirkt aber nicht so, als wäre man mit diesem Prozess schon fertig.
Gorgon: Ich glaube, dass es derzeit eine eher undankbare Zeit für einen Teamchef in Polen ist. Aktuell werden neue Spieler ausprobiert, auch die Formation wurde umgestellt. Österreich hat das schon alles hinter sich, dort greifen die Zahnräder.
90minuten.at: Du hast Verbindungen nach Österreich und Polen, wem drückst du beim direkten Duell in der Gruppe die Daumen?
Gorgon: Ich bin da zweigeteilt und würde mich für beide Nationalteams freuen, wenn sie weiterkommen. Weil ich in Österreich aufgewachsen bin und eine starke Verbindung zum österreichischen Fußball habe, drücke ich dem ÖFB natürlich immer die Daumen. Es war in letzter Zeit auch wirklich ein Genuss, wie sie sich auch gegen große Nationen behauptet haben. In Polen habe ich mittlerweile viele Bekannte und Freunde, denen ich auch wünschen würde, dass ihr Team gut auftritt. Ich bin da eher neutral.
90minuten.at: Das war wirklich eine sehr neutrale Antwort - anders gefragt: Wem traust du zu, bei der Euro insgesamt weiter zu kommen?
Gorgon: Wenn Österreich einen sehr guten Tag erwischt, bin ich sicher, dass man auch mit den großen Nationen mithalten kann. Ich traue mich schon zu sagen, dass Österreich in der Gruppe vor Polen landet.
Vielen Dank für das Gespräch!