Zwischen zehn und zwölf Kilometer legt ein Fußballspieler pro Partie ungefähr zurück. Zwischen zehn und zwölf Kilometer legten Marvin Trost und Sertan Günes zurück – bevor sie überhaupt am Fußballplatz standen. Trost ist Innenverteidiger, schnürt bei Ostligist Traiskirchen die Fußballschuhe. Sertan Günes war Stürmer, wurde beim Wiener Sportklub zur Legende. Neben dem Kicken arbeiteten beide für mehrere Jahre als Parksheriffs – und waren bei weitem nicht die einzigen Fußballer, die zwischen 2012 und 2022, so ihr Geld verdienten.
Marvin Trost begann seine Arbeit als Organ der Parkraumüberwachung im April 2017, kurz zuvor war er zum FCM Traiskirchen gewechselt, wo sein Vater Sportlicher Leiter ist. Trost galt als talentierter Fußballer, er absolvierte die gesamte Rapid-Jugend bis zur U18. Der große Sprung blieb ihm aber verwehrt. Auch, weil ihm die Lust am Fußball abhandenkam.
Kurzzeitig hörte Trost ganz auf, machte die Matura, begann in der 1. Landesliga bei Vöslau doch wieder mit dem Fußball und fand auch den Spaß wieder. Eine Schambeinverletzung warf ihn zurück. Nach dem Zivildienst wollte er es aber noch einmal wissen, suchte über die Admira Juniors in der Regionalliga die zweite Chance, probierte, ob es für den Sprung ins Profitum doch noch reichte. 19 war er damals.
Wenn es mit dem Profitum nichts wird, muss du ja irgendwann in die Berufswelt einsteigen und schauen, wie das überhaupt so ist, wenn man arbeitet.
"Es hat nicht gereicht, das habe ich eingesehen", sagt Trost. "Ich wollte dann arbeiten, weil ich auch mehr Geld verdienen wollte." In der Regionalliga könne man zwar sicher gut leben, wenn man noch bei den Eltern wohne. "Aber ich bin dann auch mit meiner Freundin zusammengezogen, und ich wollte ja auch für später etwas haben", erklärt der heute 29-Jährige.
"Wenn es mit dem Profitum nichts wird, muss du ja irgendwann in die Berufswelt einsteigen und schauen, wie das überhaupt so ist, wenn man arbeitet", sagt Trost. Er weist auch darauf hin, dass sich so mancher Spieler damit schwertue. Einem Ex-Mitspieler habe der Verein damals einen Job vermittelt, "nach drei Tagen hat er aufgehört, weil es ihn nicht gefreut hat."
Der Bekannte, der bekannt war
Sein Vater habe Trost damals geraten, es doch bei einem Bekannten zu probieren. Besagter Bekannte (Name der Redaktion bekannt) war damals in einer Chefposition in der Parkraumüberwachung, er war auch Fußballfunktionär bei Würmla, Vösendorf und Traiskirchen. Nicht nur Trost, sondern auch viele andere Fußballer auf Arbeitssuche landeten über diese Connection auf den Straßen der Hauptstadt. Bevorzugung habe es beim Aufnahmeverfahren keine gegeben, betont Trost. Vorstellungsgespräch, Aufnahmetest, ein zweimonatiger Vorbereitungskurs, alles ganz normal. Nur die Arbeitszeiten waren geregelter.

Statt wöchentlich wechselnden Früh- und Spätschichten mussten die Kicker nur zwischen 08:00 Uhr und 16:00 arbeiten, pro Fußballspieler erklärte sich ein anderer Kursteilnehmer bereit, nur Spätdienste zu machen. Dass die Kicker nur die angenehmeren Schichten machten, habe sich natürlich auch bei den Kollegen herumgesprochen, allzu beliebt war man dadurch nicht, sagt Trost. Aber: "Es war eine super Arbeit. Du warst an der frischen Luft, bist spazieren gegangen. Das war voll in Ordnung." Besonders am Anfang ging es aber auch an die Substanz.
"Ich habe im Sommer begonnen, das war am Anfang enorm. Mir hat mal am Montag der Trainer freigegeben, weil ich am Wochenende beim Match so kaputt war. Da hab ich mich gar nicht ausgekannt", erzählt Trost und lacht. An einem normalen Arbeitstag habe er schon seine zehn bis zwölf Kilometer abgespult. Am Matchtag habe man aber schon geschaut, dass man sich schone. Mit etwas Erfahrung waren die Strafen-Hotspots bekannt.
Auch zahlreiche andere Fußballer zogen in den vergangenen Jahren durch die Kurzparkzonen der Stadt. "Das war eigentlich durch die Ligen verstreut", erklärt Trost. Aus dem Stegreif zählt er 15 fußballerfahrene (Ex-)Parksheriffs auf, die von der Regionalliga abwärts tätig waren, während sie als Parksheriffs arbeiteten. Einer davon ist Herbert Gager, der sogar ein Kurs-Kollege von Trost war. Der Ex-Trainer der Wiener Austria suchte nach der Entlassung in St. Pölten eine neue Aufgabe und fand sie als Organ der Parkraumüberwachung.
Mit 90minuten wollte Gager, seit 2019 Trainer von Ostligist TWL Elektra, nicht darüber reden, er sei mittlerweile nicht mehr dort tätig. "Ich wollte vom Fußball nicht abhängig sein und zu Hause auf ein neues Angebot warten", erklärte er den Berufswechsel aber gegenüber "oe24". Durch seinen Job sei er abgesichert, brauche den Fußball nicht unbedingt.
Aus Liebe zum Klub
Auch Sertan Günes, Legende beim Wiener Sport-Club und mittlerweile im Management erfolgreich, ging jahrelang auf die Jagd nach Parksündern. Der Wiener Sportklub hatte mal wieder finanzielle Probleme, Günes wurde gebeten, Abstriche beim Gehalt zu machen. "Ja, aber dann stellts mir eine Arbeit auf", habe er gesagt.
Der damalige Sportdirektor des WSK, Günter Loran, war auch bei den Parksheriffs, über ihn kam der Kontakt zu jenem Mann zustande, über den auch Marvin Trost und viele andere Arbeit in der Parkraumüberwachung fanden. "Der hat die Fußballwelt sehr gut gekannt. Und der hat gewusst, dass die Fußballer für den Job geeignet sind, weil sie Krisensituationen lösen können, sportlich sind und auch so ausschauen", erklärt Günes.
Gemeinsam mit seinem besten Freund und Sportklub-Kapitän Ingomar Szabo fing er als Parksheriff an, das war 2012. Eine Runde am Vormittag, Mittagspause, zweite Runde am Nachmittag, Feierabend. "Und danach sind wir zum Training gegangen. Dementsprechend haben wir dann verdient, das hat schon gepasst", sagt Günes. An manchen Tagen sei das schon anstrengend gewesen. "Aber ich habe das so gesehen wie ein Vormittagstraining."

Andere Fußballer habe es damals bei den Parksheriffs nicht gegeben, die seien erst nach und nach dazugekommen. Edin Salkic oder Patrick Wunderbaldinger etwa. Der Großteil der Arbeitskollegen mit Fußballhintergrund sei schon älter gewesen, ihr Profitraum vorbei. Günes selbst war 32, war Familienvater. Sein Geld verdiente er bis dahin ausschließlich mit Fußball. "In Österreich wirst du ja als Fußballer nicht reich, du musst danach sowieso irgendwas machen", sagt er.
Mit 16 spielte Günes schon in der Kampfmannschaft in der Stadtliga, nebenbei machte er die HTL-Matura. Anstrengend sei das gewesen, sagt Günes. Der eigentlich einen Ingenieurtitel machen wollte, auch bei Wien Energie hatte er sich schon erkundigt, damals Hauptsponsor beim WSK. "Das hätte ich gleich nach der Matura machen sollen. Ich hätte ein, zwei Jahre Fußball mit Job machen sollen, dann hätte ich meinen Ingenieurtitel gehabt", so Günes.
Interessiert habe ihn die Ausbildung aber nach dem Maturastress nicht. Im Nachhinein sei man immer schlauer. Und wer weiß, ob er beim Sportklub so erfolgreich gewesen wäre.
Die Zeit in der Parkraumüberwachung war sehr schön, meint Günes heute. "Wir waren bei Polizeimeisterschaften, dort haben uns alle gehasst, weil wir die Turniere gewonnen haben", sagt er und lacht. Am Wochenende hätten alle bei ihren Teams gespielt. "Dann bist am Montag in die Arbeit gekommen, hast die Uniform angezogen und bei der Verlautbarung unten hast du die gehäkelt, die verloren haben."
Am Montag bist du in die Arbeit gekommen, und hast du die gehäkelt, die am Wochenende verloren haben.
Immer wieder hätte ihn im Dienst auch jemand erkannt. "Die waren dann natürlich perplex, was der denn jetzt in der Uniform macht. Das musste ich dann natürlich jedes Mal erklären." Viele würden das vielleicht als Niederlage sehen, sagt Günes. "Mir war es nicht peinlich, das war halt so. Nicht jeder macht die Überdrüber-Karriere. Wir leben in Mitteleuropa, in Wien, uns geht es gut."
Transferfenster statt Falschparker
Nicht alle nehmen es so gelassen, wenn die große Karriere nicht passiert – oder zu Ende geht. "Bei den meisten dauert es schon lange, bis sie etwas finden, bei dem sie sagen, dass es passt", erklärt Günes den Realitätsschock bei vielen Fußballerkollegen. "Irgendwann checkst du, dass es vorbei ist. Wir sind ja auch oft in der Runde gesessen und haben gesagt: 'Heast, wenn uns jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, dass wir da alle in Uniform herumlaufen.'"
Gut fünf Jahre arbeitete Günes als Parksheriff, dann begann er, im Fußballmanagement zu arbeiten. Seit nunmehr acht Jahren mache er das hauptberuflich. "Es gibt Zeiten, wo es richtig stressig ist, wo das Handy nicht aufhört, zu läuten. Am Abend bist du dann kaputt im Kopf. Die Leute denken, du machst ein Foto von deinem Transfer und haust es ins Internet. Was dahinter steckt, weiß keiner."
Er erzählt von Transferfenstern, in denen es drunter und drüber geht, wie der Yusuf-Demir-Transfer zu Barcelona ihm den Familienurlaub kostete. Und von einem Ex-Mitspieler, der schon früher in der Kabine über die Zukunft nachgedacht habe, und den er letztens erst wieder im beruflichen Kontext getroffen hat – weil dieser mittlerweile Anwalt ist. "Genau der, den ich in der Kabine gehäkelt hab, weil er immer so Pläne gemacht hat!"
Neben seiner Tätigkeit als Spielerberater betreibt Günes mit WSC-Co-Trainer und Ex-Mitspieler Jürgen Csandl eine private Fußballschule. "Fußball ist mein Leben", sagt er. "Und wenn alle Stricke reißen, dann werd ich schon was finden, um wieder für die Familie da zu sein."
Das Ende einer Ära
In der Parkraumüberwachung aber eher nicht. Die Parksheriff-Connection ist mittlerweile versandet. Der fußballaffine Chef ist nicht mehr für die Abteilung zuständig. Das Magistrat störte sich lange trotzdem nicht daran, dass die Fußballer nur im Frühdienst auf Streife gingen, weil die Dienste ja besetzt waren. Erst eine neue Leitung hinterfragte die bisherige Praxis, Ausnahmen gab es für die Fußballer nicht mehr, sie sollten ebenfalls normale Spätdienste machen, was sich mit dem Kicken nur schwer vereinbaren lässt.
Viele Fußballer suchten sich ab 2023 deshalb andere Jobs, auch Marvin Trost hörte im Dezember 2022 auf. Er arbeitet seitdem im Außendienst bei einem Unternehmen, das auch den FCM Traiskirchen sponsert. Die neue Arbeit habe er sich damals zwar etwas unfreiwillig suchen müssen, aber er sei heute "vollends zufrieden", sagt Trost. "Aber ich denke immer wieder mal an die Zeit als Parksheriff, das war leiwand."