Yusuf Demir: Ein Talent an der Karrierekreuzung
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Yusuf Demir: Ein Talent an der Karrierekreuzung

Steht der 21-Jährige bei Galatasaray vor der nächsten Sackgasse? Eine Einordnung der schwierigen Situation.

Yusuf Demir hat 3.402 Minuten Fußball gespielt - nicht in der letzten Saison, oder über die zwei Jahre, sondern in seiner gesamten Profikarriere. Der Wiener ist im Juni 21 Jahre alt geworden, hat also noch viel Zeit, um sich zu etablieren. Mit nur 85 Pflichtspielen nach seinem Debüt für den SK Rapid im Dezember 2019 hat Demir im Vergleich mit anderen Talenten aber schon viel Erfahrung liegen gelassen.

Spieler

Jahrgang

Profi-Minuten

Pflichtspiele

Yusuf Demir

2003

3.402

86

Moritz Oswald

2002

5.430

97

Leopold Querfeld

2003

9.565

116

Nikolas Sattlberger

2004

5.731

78


Ja, mit renommierten Adressen wie dem FC Barcelona, dem FC Basel und Galatasaray hat das einstige Toptalent den beeindruckenderen Lebenslauf. Andererseits: Der nur 27 Tage jüngere Jude Bellingham steht nach seinem beeindruckenden Aufstieg an der Spitze des Weltfußballs, Vergleiche sind also relativ.

Ja, Querfeld, Sattlberger und Oswald haben große Teile ihrer Spielpraxis in der 2. Liga gesammelt. Dass Erfahrung auf diesem Niveau trotzdem Wert hat, zeigt die Wertschätzung Ralf Rangnicks für Matthias Seidl im Frühjahr 2023.

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Leopold Querfeld und Yusuf Demir: 2022 noch gemeinsam für die ÖFB U21

Demir hat es - wie die anderen drei - auch schon weiter gebracht, als die meisten anderen Absolventen der Hütteldorfer Akademie. Trotzdem steht seine Karriere einmal mehr an einem schwierigen Punkt.

In Istanbul nie angekommen

Rund um seinen Wechsel zu Galatasaray im September 2022 wurde Demir von den türkischen Fans gefeiert. Das fußballerische Können kann man dem 21-Jährigen nicht absprechen, der Preis von sechs Millionen Euro war nicht schlecht, für einen Spieler, der noch Entwicklung verspricht. 

Fünf Liga-Kurzeinsätze und ein Cupspiel später, findet sich das Talent heute am Rand des Kaders wieder. In der laufenden Süper Lig Saison saß Demir zweimal auf der Bank und kam zuletzt nur für acht Minuten gegen Schlusslicht Adana Demirspor zum Zug, in den Kader für die erfolglose Champions League Qualifikation wurde er nicht nominiert. 

Das, obwohl die Vorbereitung eigentlich gut gelaufen sein soll. Demir kam in mehreren Testspielen - unter anderem gegen den LASK - zum Einsatz und konnte in einzelnen Szenen aufzeigen. Er wirkt bemüht, aber nicht gut genug in die Galatasaray-Offensive eingebunden und insgesamt zu weit im Rückraum positioniert, um zu glänzen.

Legionärsstatus als Nachteil

Nach bitteren Niederlagen gegen Beşiktaş und die Young Boys Bern steht Trainer Okan Buruk unter Druck. Als großer Förderer der Jugend gilt der 50-Jährige ohnehin nicht: Das Durchschnittsalter jener Spieler, die über die Saison 2023/24 insgesamt mehr als 90 Minuten spielen durften, lag bei 26,53. Alle in der laufenden Spielzeit eingesetzten Kicker waren im Schnitt sogar 28,57 Jahre alt. 

Für Demir wird zudem eine Regel des türkischen Verbandes zum Problem, die ihm ursprünglich hätte helfen sollen. Verein in der Süper Lig ist es erlaubt, 12 Legionäre in den Spieltagskader zu nominieren, zwei weitere dürfen auf der Tribüne dabei sein. Nicht als Legionär zählt ein Spieler, wenn er bei seiner Geburt die türkische Staatsbürgerschaft erhalten, später aber auf sie verzichtet hat.

Der Verein darf einen Profi, der dieses Kriterium erfüllt, als "Blue-Card-Spieler" anmelden, dann zählt er als Inländer. Demirs Pech: Diesen Status hält bei Galatasaray jetzt Mittelfeldmann Kerem Demirbay.

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Bei Trainer Okan Buruk stehen andere, ältere Legionäre höher im Kurs

11 Legionäre sind gesetzt, unter ihnen prominente Kicker wie Dries Mertens, Hakim Ziyech und Mauro Icardi. Mit Ismael Jakobs wurde zuletzt ein Deutsch-Senegalese verpflichtet, der wiederum einen anderen Deutschen - Derrick Köhn - ersetzen wird.

Mit Viktor Osimhen hat der Klub dieser Tage einen weiteren Top-Stürmer verpflichtet, damit bleibt Demir nur der Platz als 13. Legionär. Viel Spielzeit ist in dieser Rolle nicht zu erwarten.

Zahl

Spieler

Nationalität

1

Davinson Sánchez

Kolumbien

2

Elias Jelert

Dänemark

3

Michy Batshuayi

Belgien

4

Mauro Icardi

Argentinien

5

Lucas Torreira

Uruguay

6

Fernando Muslera

Uruguay

7

Victor Nelsson

Dänemark

8

Dries Mertens

Belgien

9

Hakim Ziyech

Marokko

10

Gabriel Sara

Brasilien

11

Ismail Jakobs

Senegal


Offene Zukunft

Vom Spieler und seinem Management war zuletzt auch gegenüber 90minuten nur zu hören, dass man voll und ganz darauf konzentriert ist, endlich beim Istanbuler Klub Fuß zu fassen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich beispielsweise bei einer Verletzung Chancen auf Einsätze bieten. Möglich ist aber auch, dass Demir eine weitere Halbsaison als Backup verbringt, um im Frühjahr eine Leihe anzutreten. 

An der Einstellung des vierfachen ÖFB-Teamspielers soll es derzeit nicht scheitern: Trainer Buruk sprach sogar ein Sonderlob für die gute Vorbereitung aus, Demir sei als neuer Spieler zurückgekommen, habe schon im Urlaub mit dem Training angefangen.

Pokalreform als Chance

Laut türkischen Medienberichten ist eine Leihe die Wunschlösung des Vereins, dafür braucht es aber ein passendes Angebot, auf das man aktuell noch wartet. Das Transferfenster der Süper Lig ist noch bis zum 13. September geöffnet.

Ein alternativer Ausweg in einer verzwickten Situation kann der Pokal werden: Dieser wurde vom türkischen Verband vor der Saison umstrukturiert. Eine neu eingezogene Gruppenphase sorgt für mehr Spiele und ändert wohl teilweise den Stellenwert. Sollte Galatasaray es bis ins Finale schaffen, wären es insgesamt sechs Partien.

Thierno Ballo als Vorbild

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Thierno Ballo: Ein weiteres Talent, das mehrere Anläufe gebraucht hat

Wie viel ein richtiger Rückschritt zum passenden Zeitpunkt wert sein kann, zeigt das Beispiel Thierno Ballo. Der Offensivspieler galt früh als großes Talent, ging mit 16 Jahren in den Nachwuchs des FC Chelsea.

Sein Debüt im Erwachsenenfußball gab Ballo als Leihspieler beim SK Rapid im Sommer 2021, den großen Erwartungen konnte er lange nicht gerecht werden. Ein Jahr später musste er Chelsea verlassen und unterschrieb einen Vertrag beim Wolfsberger AC. Inzwischen kann Ballo 4.894 Minuten Profierfahrung vorweisen. Als vereinsinternem Leistungsträger stehen ihm die Türen in größere Ligen offen, auch ein Debüt für das ÖFB-Team winkt in näherer Zukunft.

Entscheidende Saison

Bei Galatasaray hat Yusuf Demir die Möglichkeit, Titel zu gewinnen. Nach dem Aus in der Champions League, das die Stimmung bis auf Weiteres gedämpft hat, wird es Erfolge sogar brauchen, um Ruhe einkehren zu lassen. Im Fokus des Meisters von 2022/23 und 2023/24 stehen die Europa League und eine Titelverteidigung in der Türkei. 

Sollte er sich im Saisonverlauf zumindest in einer Jokerrolle durchsetzen können, ist die Karriere wieder auf Kurs. Der jüngste Kurzeinsatz macht in dieser Hinsicht Hoffnung. Andernfalls drohen die Träume des einstigen grün-weißen Hoffnungsträgers zu platzen: Um einen 22-jährigen Offensivspieler, der wenig Spielpraxis und noch weniger Torbeteiligungen vorweisen kann, werden sich die Topklubs ein Jahr vor Ablauf seines Vertrages nicht reißen.


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