Wo sind unsere Linksverteidiger hin?
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Wo sind unsere Linksverteidiger hin?

Österreich hat ein Linksverteidiger-Problem. Es gibt nur wenige, die richtig gut sind. Das war nicht immer so. Doch woran liegt das?

Es gab Zeiten, da wurden hierzulande gute Linksverteidiger en masse ausgebildet.

Etwa in der Frank-Stronach-Akademie. Dort wurden mit Andreas Ulmer (Jahrgang 1985), Andreas Schicker (1986) und Markus Suttner (1987) im Jahrestakt portenzielle Nationalteamspieler auf die große, weite Fußballwelt losgelassen.

Im ÖFB-Team gespielt hat, als diese drei Herren im besten Fußballeralter waren, aber zwischen 2006 und 2016 vor allem einer: Christian Fuchs.

Dabei gab es da ja noch einen anderen Linksverteidiger, der auf dieser Position zweifelsohne Weltklasse-Format hatte: David Alaba. Auch er kam aus der Stronach-Akademie, sah sich in einer frühen Phase seiner Karriere aber in erster Linie als zentraler Mittelfeldspieler. Die in Österreich lange - und mitunter heftig geführte - Positionsdebatte hat sich aber längst erledigt, Alaba hat als Innenverteidiger seine Idealposition gefunden.

Bei der Euro 2020 spielte der im Team lange nicht berücksichtigte, schon 36 Jahre alte Andreas Ulmer bzw. eben David Alaba.

Bei der Euro 2024 liefen Phillipp Mwene (als Rechstfuß) bzw. Alexander Prass (eigentlich Mittelfeldmann) als linker Verteidiger auf. Zwei Spieler, die eigentlich keine klassischen Linksverteidiger sind. Das war auch in der jüngeren Vergangenheit schon so, als mit Kevin Wimmer und später Maximilian Wöber zwei Spieler als Linksverteidiger aufgelaufen sind, die ihre Stärken definitiv eher als Innenverteidiger haben.

Wo sind sie hin, die österreichischen Linksverteidiger? Warum gibt es da niemanden mehr?

Oder braucht es ihn überhaupt noch? Inzwischen spielen sehr viele Bundesliga-Teams nicht mehr mit der klassischen Viererkette, sondern in einem 3-5-2 - doch auch da braucht es Wingbacks, die für die Defensivarbeit zuständig sind.

Wer spielt links hinten?

Die Bundesliga geizt jedenfalls mit rot-weiß-roten Außenprackern auf links. Wenn Jonathan Scherzer (29, WAC), Maximilian Ullmann (28, WAC), Benjamin Rosenberger (28, GAK), Simon Pirkl (27, BWL), Leonardo Lukacevic (26, ALT) oder Manuel Pfeifer (25, TSV) sind praktisch im besten Fußballeralter, aber de facto kein Thema für das Nationalteam (mehr).

Wer setzt auf rot-weiß-rot, wer auf ausländische Linksverteidiger? Die Grafik zeigt die Startelf-Besetzung in den Pflichtspielen der Saison 2024/25.


Im Alter zwischen 20 und 25 bleiben dann noch Jonas Auer, Benjamin Böckle (beide SCR), Thomas Geris (WSG), Raphael Hofer (TSV) und Lukas Ibertsberger (21) übrig. Übrigens: Auch bei Salzburg, das gefühlt ein unterschöpfbares Reservoir an Kickern hat, lief gegen die Autria mit Tim Trummer ein gelernter Rechtsverteidiger bzw. -fuß auf.

Es fällt auf: Vor allem die Spitzenteams der Liga setzen - mit Ausnahme von Rapid - fast durchwegs auf Legionäre auf der Linksverteidiger- bzw. linken Wingback-Position.

Rechts sieht es in Summe nicht so viel besser aus, die grundsätzliche Suche ist aber schon statistisch leichter. Denn rund neun von zehn Menschen sind nun einmal Rechtshänder bzw. -füßer. Sprich: Unter 20 Feldspielern finden sich ein, vielleicht zwei Linksfüße, das macht die Sache kompliziert. Wie soll sich das ändern? 90Minuten hat bei den Sportdirektoren der Liga nachgefragt.

"Am seltensten besetzte Position"

Dieter Elsneg vom GAK meint demzufolge auch: "Wenn man auf der Suche nach einem österreichischen Linksverteidiger ist, gibt es nicht viele. Auf der ganzen Welt ist das wohl die von der Häufigkeit her am seltensten besetzte Position."

Das bestätigt auch sein Pendant bei Austria Klagenfurt, Günther Gorenzel: "Fakt ist, dass jeder mit einer gewissen Präposition auf die Welt kommt. Dann ist es logisch, wenn man es von der Wahrscheinlichkeit her durchgespielt, dass mehr Rechtsfüßer im Profifußball ankommen." Er beziffert die sie im Nachwuchs eher auf zwei Drittel.

Jeder Zwölfjährige will immer im Zentrum spielen, als Sechser oder Zehner, jeder will den Ball am Fuß haben, keiner will mehr die Seite auf und ab rennen.

Roland Kirchler

Sturms Neo-Sportchef Michael Parensen bringt eine Außenperspektive mit. "Es ist mitunter die Position, die am schwierigsten zu besetzen ist", berichtet der von Union Berlin gekommene Sportdirektor des Meisters. Das sehen übrigens auch Rouven Schröder (Salzburg) und Walter Kogler (WAC, Akademieleiter) so.

Vielleicht liegt es aber auch an etwas anderem. "Wenn ich an meine Spielerzeit denke: Linksfüßer sind meistens sehr kreative Spieler", denkt Christoph Schösswendter von Blau-Weiß Linz laut nach. Kreativität wird oft mit Intelligenz verbunden, die die linke Hand steuernde rechte Hemisphäre gilt als kreativ.

Das Gefühl lässt sich aber nicht bestätigen: Eine Meta-Studie mit über 65.000 Testpersonen kam zum Schluss, dass weder Links- noch Rechtshänder einen höheren IQ haben als die anderen.

Die Not, die Position zu besetzen ist da und dort groß, wie Schröder auch bemerkt: "Oftmals ist es so, dass der Linksfuß, wenn er ein Rechtsfuß wäre, gar nicht so 'anormal' wäre."

Lieber vorne sein

Ein Grundproblem ist ja auch, dass sich die Spieler immer lieber weiter vorne sehen. Naheliegend, die Vorbilder der Kids heißen ja auch Messi, Ronaldo und Mbappé - und seltener Otamendi, Pepe oder Pavard.

Die laut tranfermarkt.at wertvollsten Linksverteidiger Österreichs:

Name

Alter

Verein

Marktwert

Alexander Prass

23

Hoffenheim

9,00 Mio.

Jonas Auer

24

Rapid

2,00 Mio.

Phillipp Mwene

31

Mainz

1,80 Mio.

David Schnegg

26

DC United

1,20 Mio.

Manuel Pfeifer

25

Hartberg

1,00 Mio.

Maximilian Ullmann

28

WAC

700 Tsd.

Simon Pirkl

27

BW Linz

550 Tsd

Benjamin Böckle

22

Rapid

500 Tsd.

Oliver Sorg

17

Sturm

400 Tsd.

David Puczka

20

Juvenuts

400 Tsd.


"Links offensiv tun wir uns leichter, defensiv fängt es an, schwierig zu werden", bestätigt Kogler. Oder, wie es Altachs Roland Kirchler auf den Punkt bringt: "Jeder Zwölfjährige will immer im Zentrum spielen, als Sechser oder Zehner, jeder will den Ball am Fuß haben, keiner will mehr die Seite auf und ab rennen." Die Altacher schulen aktuell mit Erkin Yalcin einen jungen "Zehner" zum Linksverteidiger um.

Manuel Ortlechner berichtet ebenfalls, dass die Knirpse weiter vorne anfangen. Das sorgt in weiterer Folge für Probleme, wie Christian Gratzei berichtet: "Nach vorne attackieren können schon sehr viele, aber wenn es um das Fallenlassen geht, darum, Schnittstellen zu schließen oder wie ich mich im Eins-gegen-Eins umdrehe, wird es knapp."

Aufstiegschancen

"Vielleicht müsste man früher beginnen, diese Position für Spieler, Eltern und Berater attraktiver zu gestalten", denkt Ortlechner laut nach. Hört man den Sportdirektoren zu, gibt es schon fast eine Jobgarantie für diese Art von "Facharbeiter", von Salzburg bis Hartberg, wie es der dortige Obmann Erich Korherr formuliert: "Wer auf den Österreicher-Topf zugreifen will, sucht immer welche."

Wenigstens ist Österreich damit alles andere als alleine. "Ich kann es jetzt hauptsächlich aus Deutschland vergleichen", so Parensen, "du bildest sehr viele zentrale Mittelfeldspieler aus. Da hast du oft Tempo-Probleme, weswegen du den Spieler eher nicht auf den Außenpositionen spielen lässt."

Man greift immer wieder auf ausländische Außenverteidiger zurück, weil die anders geschult sind. Ich finde, es ist letztlich ein Ausbildungsthema.

Christian Gratzei

Wie reagiert man darauf? Oftmals, siehe Mwene, eben mit Rechtsfüßen. Oder man greift auf ausländische Linksfüße zurück, was wiederum – Österreicher-Topf, Ablösesummen – nicht immer einfach ist.

Aber jetzt?

Sportchef Markus Katzer sieht das anscheinend nicht so eng: "Es ändert sich auch von Transferperiode zu Transferperiode. Manchmal sucht man den Rechtsfuß-Innenverteidiger, dann den rechten Verteidiger."

Schösswendter stellt letztlich auch eine berechtigte Frage: Wenn irgendwer eine Lösung hätte, hätte "irgendjemand das schon längst geändert". Mit einem Achselzucken sollte man es nicht abtun, ist wiederum Gratzei überzeugt: "Man greift immer wieder auf ausländische Außenverteidiger zurück, weil die anders geschult sind. Ich finde, es ist letztlich ein Ausbildungsthema." Und das liegt nicht nur, aber auch in den Händen der Vereine.

Überspitzt formuliert: Wer will, dass der Filius weit kommt, sollte dem Sohnemann das Kicken mit dem linken Fuß und alles, was zur Außenverteidigerposition gehört, beibringen - dann klappt's wahrscheinlich mit Profivertrag und (lukrativem) Auslandstransfer.


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