15. August 2021. Brütende Hitze, Urlaubszeit und Auftaktwochenende der Unterhaus-Saison in Oberösterreich.
Der chronisch erfolglose SV Franckviertel empfängt in der 2. Klasse Mitte, der letztklassigen Liga des Landes, den späteren Meister ASKÖ Leonding – und erleidet das vielleicht dunkelste Kapitel seiner 124-jährigen Vereinsgeschichte.
0:22 zeigt die Anzeigetafel nach 90 Minuten an, alleine in der zweiten Halbzeit fallen 15 Treffer. Schon nach dem ersten Spieltag herrscht Ernüchterung. Im Laufe der Saison sollte es nicht sonderlich besser werden, zwei Siege und vier Remis stehen am Ende zu Buche. Ein weiteres Jahr ist der Klub damit abgeschlagener Tabellenletzter.
Von Spielabbrüchen und Handgreiflichkeiten
Vergangene Tage in der höchsten Spielklasse des Landes, magische Pokalabende und Meisterfeiern sind im kleinsten Stadtviertel von Linz längst Geschichte, am Sportplatz lässt nichts erahnen, dass hier ehemalige österreichische Nationalspieler wie Franz Viehböck und Oskar Kohlhauser einst eine Heimat fanden.
Der SV Franckviertel war am Ende der Nahrungskette angekommen und genoss zu allem Überfluss in der Liga ein schlechtes Image. Spielabbrüche, hitzige Partien und Schlägereien waren keine Seltenheit. Als sich auch noch der langjährige Trainer und Sportliche Leiter Jürgen Bachmaier zurückzog, wurden die Probleme mehr und gipfelten zu Saisonende fast in der Auflösung des Vereins.
Die Rettung kam im Februar 2022 in Form eines neuen Vorstands. Angeführt wurde dieser von Simone Rienesl, die zur neuen Obfrau gewählt wurde und von einem Team aus vier Frauen und drei Männern unterstützt wurde. Die Übernahme war für sie ein "Herzensprojekt", hatte die Freistädterin den Verein durch ihr 2018 initiiertes Projekt "Balltiger", das für Kinder zwischen drei und sechs Jahren ein kostenloses Training veranstaltet, ins Herz geschlossen.
Ein Treffpunkt für alle
Fast drei Jahre nach der Übernahme trifft 90minuten Obfrau Simone Rienesl und Schriftführerin Iva Zuljevic am Vereinsgelände. Das Gespräch findet aufgrund des regnerischen Wetters in den Innenräumen des Klubs statt, durch ein Fenster im Büro lassen sich Umrisse des Platzes erahnen. Im Hintergrund thront der Chemiepark, der eng mit der Geschichte des Klubs verwurzelt ist. Die Wände sind in einem fleckenlosen Weiß gehalten, eine davon ziert das Klublogo in den Farben Rot-Blau-Weiß. Hier wird an der Zukunft des Vereins, aber auch an jener der Kinder aus dem Stadtviertel gearbeitet.
Im oberen Stockwerk hält die Volkshilfe Nachhilfestunden, unten auf dem Fußballplatz jagen Kinder dem Ball nach. "Wir wollten ein Treffpunkt für alle fußballbegeisterten Kinder, Familien und Bewohner des Stadtteils werden", sagt Rienesl zu den Ambitionen bei ihrem Einstieg. So harmonisch war es aber auch in ihrer Amtszeit nicht immer.
Jeder Fußballverein hat auch eine soziale Verantwortung
Imagewandel und Neuausrichtung
"Am Anfang war alles sehr chaotisch. Es gab finanzielle Probleme und Unruhe, laufend kamen neue Rechnungen herein", erzählt Rienesl. "Wir waren aber geduldig und nicht auf den schnellen Erfolg aus. Stattdessen wollten wir nachhaltig agieren und langfristige Stabilität erreichen", sagt sie.
Dazu gehörte auch ein Imagewandel. Der Klub trennte sich von Spielern und Funktionären, die den neuen Weg nicht mitgehen wollten und fokussierte sich auf die Nachwuchsabteilung, aber auch auf soziale Faktoren wie Diversität, Vielfalt und Integration.
"Jeder Fußballverein hat auch eine soziale Verantwortung", sagt Rienesl. Den SV Franckviertel versteht sie als wichtigen Ort, um Integrationsarbeit zu leisten. "Wir wollen für unsere Mitglieder ein zweites Zuhause sein. Da ist kein Platz für Diskriminierung", stimmt auch Iva Zuljevic ein. Spieler und Familien werden beim Schreiben von Bewerbungen oder der Wohnungssuche unterstützt, man hilft, wo man kann. "Bei uns gibt es keine Barrieren, dadurch können wir ganz niederschwellig helfen", sagt Zuljevic, die wie Rienesl auch als Trainerin tätig ist.
Insgesamt coachen elf Trainer und fünf Trainerinnen die sechs Teams und mehr als 150 Kinder, die im Franckviertel einen Platz zum Fußball spielen gefunden haben. Zu ihnen zählte einst auch WAC-Kicker Thierno Ballo, der beim Linzer Verein seine ersten Schritte machte und mit seinen Eltern im Stadtviertel lebte. Eine Rückkehr des Nationalteam-Anwärters anlässlich der 100-Jahr-Feier fiel der Covid-Pandemie zum Opfer, in Zukunft soll es aber ein Wiedersehen geben.
Sportliche Weiterentwicklung
Parallel zu den Erfolgen neben dem Platz hat sich der Verein auch sportlich weiterentwickelt. Die vergangene Saison schloss der SV Franckviertel auf dem fünften Platz ab, in der aktuellen Spielzeit führt er unter Neo-Coach Sercan Serbest sogar die Tabelle der 2. Liga Mitte an.
Der ehemalige Regionalligaspieler habe der Mannschaft "eine Siegermentalität" vermittelt und geht als positives Beispiel voran. Disziplinlosigkeiten oder Ausschreitungen gehören der Vergangenheit an, zu den anderen Teams pflegt man inzwischen eine gute Beziehung. "Uns war von Beginn an wichtig, zu zeigen, dass man auch miteinander arbeiten kann, obwohl man eigentlich im Wettbewerb zueinander steht", sagt Zuljevic.
Vier Jahre in der Staatsliga
Anstelle von SK Rapid, GAK und First Vienna heißen die Gegner heute Kirchberg-Thening, Pasching 16 oder Sipbachzell. Lokalderbys bestreitet man nun gegen Union Babenberg oder den SV Urfahr und nicht mehr gegen den LASK oder den SK Vöest.
Dass der Klub überhaupt zu den ältesten der Stadt zählt, ist vielen nicht bekannt. Zwischen 1960 und 1964 spielte man als "SV Stickstoff Linz" als Werksteam der benachbarten Stickstoffwerke sogar vier Saisonen in der Staatsliga, der damals höchsten Liga des Landes. Im österreichischen Pokal zogen die Linzer 1960 zudem ins Halbfinale ein, Spieler wie Theodor Wagner oder Leopold Barschandt, Nationalspieler und WM-Dritte, schnürten für den Klub ihre Schuhe.
Nach dem Abstieg 1964 trudelte der Verein aber in eine Abstiegsspirale und zog sich Jahre später aus dem Profigeschäft zurück. Nach dem freiwilligen Abstieg in die letzte Spielklasse benannte sich der Klub in Chemie Linz um und konnte von 1974 bis 1979 fünf Meistertitel in Serie feiern. Nach dem Rückzug des namensgebenden Sponsors, dem Chemiepark Linz, wurde er 1989 aber aufgelöst.
Seit der Rückkehr im Jahr 2003 spielte der Verein stets in der 2. Klasse Mitte, wo man jahrelang die rote Laterne pachtete. Seit 2017 tritt man in Anlehnung an das Stadtviertel unter dem Namen SV Franckviertel an.
Pläne für die Zukunft
In der Zukunft wollen Rienesl & Co. den Verein weiter stabilisieren, die Nachwuchsarbeit intensivieren und die Infrastruktur verbessern. Über allem steht aber weiterhin das soziale Engagement.
Beim Ligaspiel gegen Blaue Elf Wels setzte man auf Initiative von Spielertrainer Serbest gemeinsam mit Mitarbeiterinnen des Projekts "StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt" ein Zeichen gegen häusliche Gewalt. "Am Fußballplatz möchte ich immer ein Vorbild sein. Für meine Kinder und alle, die zusehen", sagte der 33-Jährige im Anschluss an die Partie. Im Rahmen des Balltiger-Projekts wurden zudem schon Müllsammelaktionen gestartet oder ein gemeinsamer Kräutergarten angelegt.
"Wir nehmen wahr, dass unsere Arbeit im Verein auch Auswirkungen auf das Viertel hat", sagt Rienesl. Es gelte zukünftig "das Potenzial weiter auszuschöpfen" und "einen positiven Beitrag zu leisten". Damit der Verein auch in der Zeit nach Rienesl & Co. auf und neben dem Platz Erfolge feiern kann.