Da stand er, braungebrannt, bestens gelaunt, die obersten drei Knöpfe seines Kurzarmhemdes offen, das schneeweiße Brusthaar quoll heraus.
Neben ihm, mit immer noch ein wenig ungläubigem Gesichtsausdruck, hielten Austria-Sportdirektor Friedl Koncilia und Manager Markus Kraetschmer einen großen Scheck in die Kamera. Zehn Millionen Schilling. Einfach so. Geschenkt.
Das war der Moment, in dem jeder Fußball-Funktionär des Landes das ganz dringende Bedürfnis verspürte, Frank Stronach möglichst schnell kennenzulernen.
Die Austria hatte das Geld in die Rückholaktion von Michael Wagner investiert. Eine gute Investition, sieben Jahre lang war Wagner fast durchgehend Stammspieler der Veilchen, holte einen Meister- sowie je zwei Cup- und Supercup-Titel.
Aber das ist hier nicht die Story. Die Story ist, was danach passierte. Wie sich die österreichischen Profi-Klubs Stronach an den Hals warfen, wie er mit beiden Händen Geld in alle Richtungen verteilte, wie er riesengroße Pläne präsentierte, das blanke Chaos ausbrach und er letztendlich vor 25 Jahren, im Februar 1999, Präsident der Bundesliga wurde.
Europacupsieger binnen 5 Jahren
Zurück zum 1. August 1998. Bevor die Austria Vorwärts Steyr mit 4:1 abfertigte, gab Stronach seinen Einstieg als Mäzen bekannt. "Sport interessiert mich aus sozio-ökonomischen Gründen. Wir brauchen keine Reklame, mich interessiert nur, dass der Klub den Europacup holt", erklärte er.
Das wolle er bis zu seinem 70. Geburtstag geschafft haben. Wohlgemerkt, der Mann war damals schon 65 Jahre alt.
Ich kann gar nicht so viel Geld verlieren, dass ich weniger habe.
Der gebürtige Steirer war früh nach Kanada ausgewandert, hatte dort eine Cinderella-Story hingelegt und mit seinem Autoteile-Zulieferer Magna ein Milliarden-Vermögen angehäuft. "Ich kann gar nicht so viel Geld verlieren, dass ich weniger habe", sagte er einmal. Und absurderweise ergab das sogar Sinn.
Im Herbst 1998 ging es dann Schlag auf Schlag.
15. September: Rapid-Präsident Kaltenbrunner bestätigt, dass er mit Stronach über eine Zusammenarbeit bezüglich einer geplanten Akademie spreche "und natürlich auch über andere Ideen".
25. September: Salzburgs Landeshauptmann Franz Sausberger berichtet, dass Stronach einen Betrag "in die Millionen" in den Bau des neuen Stadions investieren wolle.
26. September: Stronach führt Gespräche mit Rudi Quehenberger, Präsident des SV Salzburg, über Investitionen in neue Spieler und einen Einstieg in die Marketing-Organisation des Klubs.
18. Oktober: Der nach der Riegerbank-Affäre schwer angeschlagene LASK bestätigt ein Übernahme-Angebot Stronachs.
17. November: Die Marketing-Gesellschaft des FC Tirol führt Gespräche mit Stronach über eine Beteiligung.
Währenddessen sickern langsam die übergeordneten Pläne Stronachs durch. Der Mann will den gesamten österreichischen Fußball umkrempeln.
Die Legende will es ja, dass sein Interesse am heimischen Kick am Abend des 22. April 1998 geweckt wurde, als er mit Rudolf Streicher, damals FAK-Präsident, von einer Geschäftsreise in Russland nach Wien zurückkehrte und über das hell erleuchtete Happel-Stadion flog.
In der zweiten Hälfte soll Stronach, eigentlich Pferdeliebhaber, dann schon auf der Tribüne gesessen und Augenzeuge geworden sein, wie die vor der WM in Frankreich stehende Elf von Teamchef Herbert Prohaska von den USA ein 0:3 eingeschenkt bekam.
Spätestens 2006 Weltmeister
Fußball-Akademien und Stadien wolle er bauen, ein Quasi-National-Team in die im Entstehen befindliche Euroliga – ein Vorvorläufer der Super League, die es ja auch immer noch nicht gibt – eingliedern. Er wolle bis zu 800 Millionen Schilling, inflationsbereinigt rund 100 Millionen Euro, in den österreichischen Fußball stecken.
Außerdem, weil das ja alles auch rasch mal Früchte tragen soll, wolle er "spätestens 2006" Weltmeister werden. Weil Krankl 2004 nach dem irregulären 3:3 in Nordirland zwar "mia schlogn Polen" versprach, es aber nicht hielt, fehlten dem ÖFB-Team letztendlich neun Punkte auf die erfolgreiche Quali für die WM 2006.
Ein eigener TV-Wett- und Sportkanal
Aber das war damals Zukunftsmusik. Der erste große Tusch erfolgte Ende November 1998 im Badener Kongresshaus, wo Stronach zunächst den Bundesliga-Klubbossen, danach der Öffentlichkeit erste Details seiner Pläne präsentierte.
Der Kernpunkt: Ein eigener TV-Wett- und Sportkanal. Für die TV-Exklusivrechte der Klubs werde er jedem Erstligisten 10 Millionen Schilling pro Jahr, jedem Zweitligisten 1,8 Mio. überweisen. Und wenn das mit dem TV-Wett- und Sportkanal nicht funktioniere, dann könnten die Klubs das Geld einfach behalten.
Drei Jahre nach dem Bosman-Urteil, das Spielern ermöglichte, nach Vertragsende ablösefrei zu wechseln, klang das für die finanziell oft schwer unter Druck stehenden Klubs extrem verlockend.
Die ersten Reaktionen:
Bundesliga-Präsident Gerhard Skoff: "Es ist eine faszinierende Vision!"
Tirol-Boss Martin Kerscher: "Es ist ein Glücksfall für den österreichischen Fußball."
Bundesliga-Vizepräsident und Braunau-Boss Walter Lugmayr: "Das Konzept ist das, was wir uns seit Jahren gewünscht haben."
Ried-Präsident Wenzel Schmidt: "Das ist fast so etwas wie ein vorzeitiges Christkind!"
GAK-Präsident Peter Svetits: "Ich bin positiv gestimmt."
ÖFB-Präsident Beppo Mauhart: "Die Präsentation war wunderbar und interessant für den österreichischen Fußball."
Das blanke Chaos
Und dann brach das blanke Chaos aus. Denn noch am selben Abend erklärte Liga-Boss Skoff, er werde nicht mehr als Bundesliga-Präsident kandidieren. Er äußerte erste Bedenken, es sei nicht damit getan "wenn man drei Samenkörner in die Wüste steckt", es sei auch noch "viel Sonne und gute Bewässerung" nötig.
ÖFB-Boss Mauhart reagierte differenziert. Der Oberösterreicher stand dem Fußballbund seit 1984 vor, war ein gewiefter Wirtschaftskapitän alter Schule, hohes Tier bei Austria Tabak. Heute unvorstellbar, waren der blaue Qualm und der Fußball damals eng verbunden, nicht zuletzt durch das Sponsoring der damals Austria Memphis heißenden Veilchen. Im VIP-Klub der Violetten standen auf den Tischen Memphis-Zigaretten zur freien Entnahme.
Mauhart jedenfalls riet den Klubs, die Stronachschen Geldgeschenke möglichst schnell anzunehmen. Auch vor dem Hintergrund, dass es ob des bis 2004 laufenden TV-Vertrags mit der deutschen Agentur ISPR unwahrscheinlich erschien, dass der reiche Onkel aus Kanada seine Pläne so rasch umsetzen könne.
Doch Mauhart tat noch etwas, das ihn in weiterer Folge in die Oppositionsrolle zu Stronach drängen sollte: Er riet dem Magna-Boss aufgrund möglicher Unvereinbarkeiten davon ab, Bundesliga-Präsident zu werden.
Noch vor dem Jahreswechsel 1998/99 griffen mit der Austria, Salzburg, Tirol, Steyr und dem GAK fünf der zehn Bundesliga-Klubs in den Geldtopf, schlossen Vereinbarungen mit Stronach ab. Die Austria unterzeichnete sogar einen Betriebsführervertrag mit einer Tochterfirma Magnas, verkaufte sich mit Haut und Haaren dem Milliardär.
Skoff kandidiert doch
Gleichzeitig fand bei Skoff ein Umdenken statt, er werde doch wieder kandidieren. Eine "Probewahl" Mitte Jänner 1999 räumte ihm aber denkbar schlechte Chancen ein – sieben Stimmen für Stronach, der inzwischen auch offiziell das Amt anstrebte, zwei für Skoff, eine Enthaltung.
Skoff begann in weiterer Folge damit, den Teufel an die Wand zu malen. Aufgrund der Unvereinbarkeit von Stronachs Tätigkeiten als Quasi-Boss der Wiener Austria, wenngleich ohne offizielles Amt, potenzieller Wettkanal-Betreiber und Bundesliga-Präsident würden die Bundesliga-Klubs Gefahr laufen, von den Europacup-Bewerben ausgeschlossen zu werden.
Im schlimmsten Fall kann ich die Liga auflösen.
Auch Mauharts Ton wurde rauer. Praktisch am Vorabend der Wahl erklärte er, dass er die Liga "im schlimmsten Fall auflösen" könne. "Theoretisch kann ich sogar einzelne Vereine ausschließen", sagte er. Er "verstehe nicht, warum sich Stronach das antut, warum er sich unbedingt diesen Sessel erkaufen will".
Doch nicht nur die Liga, auch die Wettanbieter und der ORF, der damals die Bundesliga ausstrahlte, waren in heller Aufregung. Der ORF startete eine Gegenoffensive und verkündete, in Zusammenarbeit mit den Lotterien längst eigene Pläne für einen TV- und Wettkanal zu schmieden.
Und dann war da noch der Grazer Sonnenkönig Hannes Kartnig. Der Präsident des SK Sturm, einer der wenigen, die von Beginn an skeptisch auf Stronachs Pläne reagiert hatten, polterte ununterbrochen gegen Stronach.
Kartnigs Sprüche:
"Stronach kennt sich vielleicht bei Pferden aus. Aber vom österreichischen Fußball hat er keine Ahnung."
"Er kann mich als Sturm-Präsident ablösen, dafür muss er aber fünf Milliarden auf den Tisch legen."
"Er schenkt ja nichts her, er macht nur Geschäfte."
"Er soll sich nicht aufspielen, als ob er der Messias wäre."
Stronach indes versprach noch mehr Geld, spekulierte mit einer Anfangsinvestition von einer Milliarde Euro. Das Thema Unvereinbarkeit wischte er mit folgendem Argument vom Tisch: "Schauen Sie doch nur, was der Skipräsident alles besitzt und dominiert. Der Unterschied: Bei uns ist alles transparent."
Und dann sprach Blatter
Als wäre das heimische Tohuwabohu nicht schon skurril genug, mischte sich dann auch noch FIFA-Präsident Sepp Blatter mit einer im Nachhinein satirisch anmutenden Aussage zu Stronachs Plänen ein: "Nach meinen ethisch-moralischen Auffassungen habe ich ein mulmiges Gefühl."
Doch all die Interventionen halfen nichts. Am Tag der Wahl zum Bundesliga-Präsident zog Amtsinhaber Gerhard Skoff seine Kandidatur zurück, Stronach wurde am 14. Februar 1999, dem Valentinstag, gewählt.
Einzig Hannes Kartnig votierte gegen Stronach, Rapid und der LASK enthielten sich.
Hannes Kartnig: "Es hat sich gezeigt, dass alle gegen Sturm sind."
LASK-Vize Campregher: "Es läuft alles auf totale Kontrolle hinaus."
Beppo Mauhart: "Ich halte mich vorerst an die Worte von Karl Farkas: Schaun wir uns das einmal an."
Innenminister erklärt Wahl für ungültig
Das als Aussprache geplante Gipfeltreffen nach der Wahl zwischen Stronach und Kartnig war nach zwei Minuten schon wieder vorbei. Die beiden blieben unversöhnlich. Fast zumindest. 2004 ließ Stronach dem SK Sturm dann nämlich doch noch Geld zukommen, 2013 in der Zeit nach Kartnig erneut.
Einen Schockmoment für Stronach gab es drei Wochen nach der Wahl dann noch. Innenminister Karl Schlögl erklärte sie aufgrund eines Problems bei einer Statutenänderung für unzulässig, erst am 24. März wurde die Berufung der Liga stattgegeben und Stronach war final ganz offiziell neuer Bundesliga-Präsident.
Bis Anfang Mai 1999 hatten 15 Klubs die TV-Rechte an Stronach abgetreten und das Geld des Milliardärs angenommen – die gesamte 2. Liga sowie Salzburg, Tirol, der GAK, Steyr und die Austria. Die Verhandlungen mit Sturm, Rapid, LASK, Ried und Lustenau wurden abgebrochen.
Sechs Jahre später, im November 2005, kündigte Stronach seinen Rückzug bei der Austria und gleichzeitig als Bundesliga-Präsident an.
Seinen TV- und Wettkanal konnte er nie realisieren, dafür gab er der Nachwuchsausbildung einen ordentlichen Anschub, nicht zuletzt mit seiner Akademie in Hollabrunn. Auch die Einführung des Österreicher-Topfes fiel in seine Amtszeit.
Sein Nachfolger wurde Mattersburg-Obmann Martin Pucher. Aber das ist eine eigene Geschichte...