So denken Österreichs Schiris wirklich über den VAR
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So denken Österreichs Schiris wirklich über den VAR

Sind Österreichs Unparteiische mit dem VAR zufrieden? 90minuten hat mit drei Schiedsrichter:innen bzw. Assistent:innen gesprochen - ihre anonym gehaltenen Antworten geben einen tiefen Einblick.

Knapp hundert Personen kümmern sich als Schiedsrichter:innen, Assistent:innen oder Beobachter:innen darum, dass Österreichs Ligaspiele nach den gewohnten Fußballregeln ablaufen.

Wer mit einem oder einer von ihnen sprechen will, muss das über die Pressestelle des ÖFB abwickeln. Nur: Welche Antworten bekommt man da?

Vermutlich nicht jenes Maß an unverblümter Ehrlichkeit, die es gibt, wenn niemand weiß, wer da wirklich spricht. Also hat 90minuten den Gesprächspartnern vollste Anonymität versprochen. Alle Namen in diesem Artikel sind frei erfunden. Nicht einmal die drei Personen wissen, wer die anderen sind.

Wie schätzen Schiedsrichter:innen – nennen wir sie Anton, Bernhard und Catharina – die Sachlage ein? Wie ist es, mit dem VAR zu arbeiten?

Kein Ruhepuls

"Man muss sich die Situation eines Schiris vorstellen, etwa bei Rapid gegen Salzburg, vor 25.000 Menschen, alle schauen auf dich, wenn du hinausgehst und dir eine Szene im On-Field-Review anschaust", erzählt Bernhard, "da stehst du nicht mit Ruhepuls. Es ist ja schon ein Fehler passiert, dann hast du fünf verschiedene Einstellungen und keine ist aussagekräftig." Der VAR darf zwar nur bei vier definierten Situationen eingreifen, aber manchmal tut er das auch bei 50/50-Entscheidungen.

Anton würde den Ablauf gemeinsam mit dem TV-Partner verbessern. "Normale Fans haben ja keine Ahnung, was gecheckt wird", meint er. Man könnte das schon auch an sie kommunizieren, vielleicht so wie beim American Football. So hat es die FIFA auch schon getestet. "Von Schiriseite hätte kaum wer ein Problem, zu erklären, was gecheckt wird und was entschieden wird", ist er überzeugt.

Ich mein', im unteren Playoff geht es um Berufe, das muss man erst einmal verdauen, wenn man einen Fehler gemacht hat.

Bundesliga-Schiedsrichter

Die Qualität der Bilder ist in manchen Stadien nicht gut. Österreich hat zwar nicht das billigste Produkt, aber auch nicht das teuerste. Die Kombination führt dann zu - aus Schiri-Sicht - mangelhaften Bildern. Auch das führt zu Diskussionen rund um den VAR, wie Catharina anmerkt.

"Wenn man dann im VAR-Rückblick sieht, dass etwas schiefgelaufen ist, verstehe ich, wenn das niemand versteht." Und vor allem in einem Bereich löst das mulmige Gefühle aus: "Ich mein', im unteren Playoff geht es um Berufe, das muss man erst einmal verdauen, wenn man einen Fehler gemacht hat."

Besser mit dem VAR

Für den Schiedsrichter am Feld hat sich durch den VAR einiges verändert, insgesamt aber zum Guten. Anton betont zwar, dass er seit der Einführung nicht anders pfeift, sich aber über die Unterstützung genauso freut wie Catharina. Schließlich gibt es zusätzlich zur eigenen Wahrnehmung noch weitere Augenpaare: "Bei den wirklich wichtigen Spielen ist das schon angenehmer, etwa in der letzten Runde, wenn es um den Abstieg geht. Mir gibt es ein gutes Gefühl, dass grobe Fehlentscheidungen noch eine zweite Chance bekommen, weil ich mich ja geirrt haben könnte. "

Bernhard sieht hingegen schon Unterschiede: "Man muss die Pfeiferei in gewissen Situationen umstellen, weil man diese fertig spielen lassen muss, ob eben ein Tor daraus resultiert oder nicht. Gewöhnungsbedürftig waren am Anfang auch die langen Unterbrechungen. Das ist am Feld nirgends angenehm. Die Fans pfeifen, Spieler und Trainer werden unruhig. Sie haben mehr Zeit, versuchen einen zu beeinflussen, reden auf den vierten Offiziellen ein und wollen so Einfluss nehmen."

Wen interessieren die Noten? Das Entscheidende ist, dass am Ende eine richtige Entscheidung getroffen wurde.

Bundesliga-Schiedsrichter

Es sei "absolut besser", stellt wiederum Catharina klar. Die ganz großen Fehler werden vermieden, vor allem bei Abseits gibt es keine bzw. kaum Diskussionen. Allerdings kann ein On-Field-Review zu schlechteren Bewertungen der Leistung eines Referees im internen System führen.

An die Beurteilungen denkt man aber nicht, wenn man zum On-Field-Review hinausgeht – es ist ja ein Fehler passiert: "Wen interessieren die Noten? Das Entscheidende ist, dass am Ende eine richtige Entscheidung getroffen wurde. Da geht es um die korrekte Abwicklung und nicht um irgendwelche Noten, die keinen interessieren. Der Öffentlichkeit ist es ja egal, ob ich rausgehe und es umdrehe, es muss stimmen."

Was geht besser?

Früher war dann oft Robert Sedlacek, langjähriger Schiri-Boss, Wiener Landesverbandspräsident und Ex-Schiedsrichter, Zielscheibe öffentlicher Kritik. Alle drei beschreiben ihn als netten Menschen, der aber vor allem eines war: ehrenamtlich tätig. Viktor Kassai kümmert sich hauptberuflich um die Belange.

Insgesamt hat sich das Schiedsrichterwesen dadurch stark verbessert, die Professionalisierung - also per se, nicht die Person Sedlacek oder Kassai - bemerken die Schiedsrichter, wie Bernhard erzählt: "Es gibt ein eigenes VAR-Seminar, wir bekommen jede Woche 15 Clips mit der Aufarbeitung des letzten Spiels und als Vorbereitung auf unseren Einsatz mehrere Clips aus anderen Ligen vorgelegt."

Wenn einer einen zugetapten Knöchel hat, sieht ein Rotfoul vielleicht weniger arg aus. Denn: Der Kameramann ist ja für die Fans da, nicht für uns Schiedsrichter.

Bundesliga-Schiedsrichter

Doch es ist nicht alles gut. So wird etwa die lange Zeit des On-Field-Reviews oftmals kritisiert, Peter Pacult warf im 90minuten-Interview die Möglichkeit einer zeitlichen Beschränkung in den Raum. "Ich denke, ein künstlicher Zeitdruck ist schlecht", meint Anton, "wenn es da noch zusätzlich Druck gibt, bringt das nichts. Der Fehler passiert vorher." Manchmal, sagt er weiters, würden auch Situationen quasi so viel gecheckt, dass es "mit Fußball nichts mehr zu tun hat", die Kameras klären das dann nicht auf und man schaut sich die Szene x-mal an. Den Frust der Fans versteht er.

Bei schweren Fouls aber wünscht man sich umgekehrt auch mehr Wissen bei den Fans. "Es macht da schon einen Unterschied, ob einer mit voller Absicht Richtung Knöchel geht oder einer ausrutscht", stellt Catharina klar, "die Bilder zeigen nicht alles ganz genau. Wenn einer einen zugetapten Knöchel hat, sieht ein Rotfoul vielleicht weniger arg aus. Denn: Der Kameramann ist ja für die Fans da, nicht für uns Schiedsrichter."

Die Fans und das liebe Geld

Die Vorgaben, das zeigt der Rundruf, könnten besser sein, aber am Ende des Tages geht es immer darum, wie viel Geld die Klubs für den VAR abstellen. Mehr Geld bedeutet mehr Kameras und bessere Bilder. Eine Kamera auf der Gegenseite, je eine an den 16ern, das würde die Arbeit schon sehr erleichtern.

In den Gesprächen hat sich auch herauskristallisiert, dass die Kritik an den Schiedsrichtern bzw. dem VAR an sich auch vor allem dann kommt, wenn populäre Klubs "benachteiligt" werden, wohingegen der Aufschrei nach Fehlern bei Spielen zwischen – Hausnummer – Hartberg und der WSG Tirol kaum jemanden interessieren.

Da sollten sich, so die Schiedsrichter, wohl auch die Fans ein bisschen fragen, ob der VAR wirklich so schlecht ist oder ob die Vereinsbrille den Blick genauso trübt wie eine schlechte Kameraeinstellung.


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