Plötzlich im Militärputsch: Eine denkwürdige ÖFB-Reise nach Griechenland
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Plötzlich im Militärputsch: Eine denkwürdige ÖFB-Reise nach Griechenland

Am 21. April 1967 hätte das ÖFB-Nationalteam eigentlich ein EM-Quali-Auswärtsspiel gegen Griechenland bestreiten sollen. Stattdessen...

Eigentlich war alles angerichtet für ein spektakuläres Teamchef-Debüt: Der Vorarlberger Textilunternehmer Erwin Alge hatte das Amt im Jänner 1967 übernommen, eine erste Nagelprobe sollte das Auswärtsspiel in Griechenland im Rahmen der Qualifikation zur Europameisterschaft 1968 werden. Nach einem Unentschieden zum Auftakt im Vorjahr gegen Finnland stand das ÖFB-Team bereits früh unter Druck.

Denkbar ungünstig waren deshalb die Nachrichten im Vorfeld. Alge zog seinen Kader an einem Dienstag, dem 18. April, auf der Wiener Hohen Warte zusammen, einige Namen sind auch heute noch in lebhafter Erinnerung: Rudolf Flögel, Helmut Köglberger, Thomas Parits und Helmut Senekowitsch - später selbst Teamchef - zum Beispiel.

Nach einigen Trainingseinheiten und einem Testspiel war die rot-weiß-rote Mannschaft plötzlich geschrumpft: Mehrere Spieler mussten mit unterschiedlichen Blessuren die Heimreise antreten, übrig blieb am Ende eine Rumpftruppe mit 14 Kickern - in Zeitungen war die Rede von einem "letzten Aufgebot", das zwei Tage später im Flieger von Wien nach Athen Platz nahm.

Für den darauffolgenden Sonntag war das Spiel im Karaiskakis-Stadion vor bis zu 40.000 Zuschauer:innen angesetzt. Die griechische Nationalmannschaft war damals im Prinzip ein "Best Of" der großen Vereine Panathinaikos und Olympiakos, es wäre wohl ein Duell auf Augenhöhe geworden.

Kurz nach der ÖFB-Ankunft war aber an Fußball gar nicht mehr zu denken.

ÖFB-Teamchef Erwin Alge reiste mit einer Rumpftruppe nach Griechenland
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ÖFB-Teamchef Erwin Alge reiste mit einer Rumpftruppe nach Griechenland

Freitag 21. April 1967:

Schon in den frühen Morgenstunden gerät Athen in Unruhe. Durch mehrere Straßen rollen Panzer und Transportfahrzeuge mit bewaffneten Soldaten, die sich nach und nach über die Stadt verteilen. Auch der eine oder andere Schuss ist zu hören. Das Militär hat die Macht an sich gerissen, in den ersten Stunden ist die Situation aber vor allem unübersichtlich.

Während die am Stadtrand untergebrachte ÖFB-Abordnung am Vormittag zu einem Empfang des österreichischen Botschafters Ludwig Steiner fährt, sitzen die mitgereisten und in einem zentraler gelegenen Hotel einquartierten Journalisten dort fest. Das Warmwasser fällt zwischenzeitlich aus, zu essen gibt es Reste in Sparrationen. Per Radio wird die Bevölkerung dazu aufgerufen, in den Häusern zu bleiben, öffentliche Gebäude sind ohnehin geschlossen.

Die meisten Verbindungen sind gekappt, zwischen Wien und Athen herrschte trotz aller Bemühungen von Bundeskanzleramt und griechischer Botschaft Funkstille. Über einen amerikanischen Informationsdienst dringt schließlich die Nachricht durch: Dem Team samt Anhang geht es gut. Noch am Abend meldete sich der ÖFB bei der UEFA, um das weitere Vorgehen zu besprechen.


Samstag, 22. April 1967:

Einen Tag später dominieren die Ereignisse in Griechenland auch die österreichischen Schlagzeilen. Während in Wien niemand mehr damit rechnet, dass das Qualifikationsspiel stattfinden kann, bereitet sich die Mannschaft samt Betreuern in ihrem Quartier einigermaßen unbeirrt darauf vor. Zum Training fahren darf sie zwar nicht, stattdessen werden ein Gymnastikprogramm und ein Waldlauf absolviert. Später wagt das Team sogar einen Besuch der Akropolis.

Auch in der Stadt beruhigt sich die Lage wieder leicht. Michael Kuhn, Reporter der 'Kronen Zeitung' und später Kommentator im ORF, kann in einem Taxi sogar bis zur Nationalmannschaft fahren - er berichtet von Menschen, die in Cafés sitzen und formuliert in einem Bericht den Satz: "Die Revolution hat den Fußball weggewischt".

Trotzdem herrscht Unsicherheit, im Radio werden zwischen Militärmärschen einzelne Verfassungsgesetze für ungültig erklärt. Erst am Samstagabend wird das Spiel, wie alle anderen Großveranstaltungen an diesem Wochenende, auch offiziell abgesagt.


Sonntag, 23. April 1967: 

Ab sieben Uhr in der Früh wartet die ÖFB-Delegation am Flughafen in Athen auf eine Gelegenheit zum Rückflug in die Heimat. Rund zwei Stunden später ergibt sie sich, mehrere griechische Politiker werden laut Zeitungsberichten an der Ausreise in Richtung Zürich gehindert und verhaftet.

Ein Glücksfall für die rot-weiß-rote Reiseleitung: Statt die Gruppe auf mehrere Flüge aufteilen zu müssen, gelingt die gemeinsame Reise in die Schweiz und von dort weiter nach Wien. Wenige Tage später steigen alle Nationalspieler wieder in den Ligabetrieb bei ihren Vereinen ein.


Mit den Vorgängen des Wochenendes überfordert war auch der griechische Verband, der sofort Verhandlungen mit den rot-weiß-roten Vertretern aufnahm. Zunächst stand im Raum, das Spiel einvernehmlich abzusagen, womit der ÖFB allerdings auf seinen Kosten sitzengeblieben wäre. Dann boten die Griechen ihrerseits an, alle Kosten zu übernehmen, um die Wogen zu glätten. Der ÖFB sprach sich gegen eine Strafverifizierung aus, letztendlich wurde ein neuer Termin im Oktober 1967 gefunden. Wieder reiste das Nationalteam nach Athen, diesmal fand das Spiel statt, Österreich hatte beim 1:4 das Nachsehen.

Sieger der Qualifikationsgruppe und damit bei der EM-Endrunde 1968 in Italien dabei war die Sowjetunion. Der ÖFB unter Teamchef Alge beendete die Qualifikation auf Platz drei - hinter Griechenland und vor Finnland.

Die aus österreichischer Sicht bizarre Episode war der Auftakt für sieben Jahre Diktatur in Griechenland. Das Militär hielt sich mithilfe des Kriegsrechts, Verfassungsänderungen und umfassender Zensur an der Macht. Gegen Oppositionelle wurde mitunter brutal vorgegangen, mehrere tausend Personen wurden bereits am ersten Wochenende in Haft genommen. Erst 1974 fand das Land zurück zu einer Demokratie.


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