Die öffentliche Wahrnehmung von Marko Arnautovic hat sich mehrmals gewandelt.
Das Supertalent mit den Flausen im Kopf. Das im Scheitern begriffene Talent mit zu vielen Flausen im Kopf. Der Star, der noch rechtzeitig die Kurve gekriegt hat. Der Superstar, der des Geldes wegen seine Karriere wegschmeißt. Der reife Star, der es doch noch einmal allen zeigt.
Der Wiener ist sich dabei selbst immer treu geblieben, die Rezeption seiner Person hat sich geändert. Die gute Nachricht für Arnautovic: Sie hat sich, obgleich Wellenbewegungen unterworfen, zum Positiven gewandelt.
Heute fast unvorstellbar, 2012 und 2014 wurde der Offensivspieler im Klagenfurter Stadion bei Länderspielen von den eigenen Landsleuten gnadenlos ausgepfiffen.
Schmähbruder und Anführer
Inzwischen können sich irgendwie alle auf ihn einigen. Weil er echt ist, weil er die Sehnsucht nach Typen, die sich von den glattgebügelten Akademie-Absolventen abheben, konsequent befriedigt.
Und weil er im Herbst seiner Karriere zu der Erkenntnis gelangt scheint, dass er sein Ego manchmal hintanstellen muss, um den Erfolg des großen Ganzen zu ermöglichen. Der Lohn dafür ist immense Wertschätzung.
Ralf Rangnick flog im Frühjahr sogar extra nach Mailand, um mit den Inter-Bossen zu besprechen, wie die gefährdet scheinende EM-Teilnahme hinzubiegen sei. Arnautovic wurde rechtzeitig fit. Dass er gebraucht wird, wurde ihm bei jeder Gelegenheit vermittelt.
Auf, aber vor allem abseits des Platzes. Der 35-Jährige schafft den Spagat, Schmähbruder wie eh und je, gleichzeitig aber auch Anführer zu sein. Der Mann nimmt sich kein Blatt vor den Mund, bei ihm weißt du immer, woran du bist.
"Ein echter Teamspieler, der enorme Anerkennung und enormen Respekt innerhalb der Mannschaft genießt"
Assistenz-Trainer Lars Kornetka sagt: "Er ist sehr offen, sehr kommunikativ, ein echter Teamspieler, der enorme Anerkennung und enormen Respekt innerhalb der Mannschaft genießt. Er ist ein Spieler, der nicht nur auf dem Platz etwas geben kann, sondern auch daneben, indem er einfach ein guter Mensch ist."
340 Spiele in der Serie A, der Premier League und der deutschen Bundesliga, 114 Länderspiele, die dritte Endrunde. Arnautovic hat im Fußball schon fast alles gesehen, diese Erfahrung ist Gold wert.
Hungrig wie eh und je
Und doch ruht sich der Stürmer nicht auf den Lorbeeren aus, das ist nicht sein Naturell. Der Wiener ist hungrig wie eh und je. Ein verlorenes Jux-Spielchen im Training kann ihn immer noch zur Weißglut bringen, da werden die Kollegen dann auch mal zusammengestaucht, wenn sie nicht mit allem, was sie haben, bei der Sache sind. Arnautovic vermittelt unbedingten Siegeswillen.
Er will spielen, immer. Als er vor der EURO 2024 gefragt wurde, ob es denn für 90 Minuten reiche, blaffte er zurück: "Ich kann auch mehr als drei Mal 90 Minuten spielen."
Nach dem Spiel gegen Polen richtete er seinen Kritikern aus: "Man hört von der Außenwelt: 'Der ist zu alt, der kann nicht mehr, der kann das Spiel nicht mehr so anziehen von Ralf Rangnick.' Ich denke, es ist nicht so. Ich kann noch immer."
Es sind die kleinen Aktionen, mit denen er immer noch den Unterschied in einem Spiel ausmachen kann. Etwa wie er vor dem 2:1 Baumgartners gegen den Polen über den Ball stieg.
"Das sind die Momente, für die Marko da ist, diese Unberechenbarkeit. Das macht ihn aus", sagt ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel.
Und da sind dann auch die Szenen, in denen sein Wert erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist. Wenn er mit einem Sprint ein, zwei Gegenspieler auf sich zieht und damit Raum für seine Mitspieler schafft.
Taktik-Analyse: Warum Arnautovic gegen Polen ein Goldgriff war >>>
"Er ist begnadet, hat ein Gefühl für Räume, er weiß, wann er am Ball zu sein hat und wann er es lassen soll"
Ex-Kollege Marc Janko schwärmt: "Er ist einfach genial. Er ist einer der besten Spieler, mit denen ich jemals zusammengespielt habe. Er ist begnadet, hat ein Gefühl für Räume, er weiß, wann er am Ball zu sein hat und wann er es lassen soll."
Der "RalleCast" mit Marc Janko >>>
Doch es gibt eben auch die Spiele, in denen das ÖFB-Team mit einem anderen Stürmer besser besetzt ist. Das gefällt Arnautovic freilich nicht, dafür ist er viel zu ehrgeizig, aber er akzeptiert es.
"Ich bin bereit, der Trainer weiß, was er an mir hat. Aber der Trainer entscheidet und ich werde seine Entscheidung respektieren", sagte er vor dem Turnier.
Was er für das Team aufzugeben bereit ist, verdeutlichte das Testspiel gegen Serbien. Gegen "das Land, das ich auch sehr liebe", wie er sagt. Eine Herzensangelegenheit.
Alles für das Team
Er führte das ÖFB-Team als Kapitän aufs Feld, hätte eigentlich länger spielen sollen, wurde aber zur Pause ausgewechselt. In der Halbzeit berichtete er nämlich Rangnick, dass der Referee ihm mitgeteilt hätte, "dass nicht mehr viel passieren darf", er sonst Gelb-Rot sehen würde.
Früher hätte er dieses Geständnis wohl nicht gemacht, wäre aufs Ganze gegangen, um gegen Serbien seine Minuten zu bekommen.
So ist er, der neue, der reife Arnautovic, der Anführer. Über Erfolg und Misserfolg eines Teams entscheiden eben nicht nur die jeweils 90 Minuten auf dem Platz.