Häusliche Gewalt im Profifußball: Kann die Liga etwas tun?
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Häusliche Gewalt im Profifußball: Kann die Liga etwas tun?

Durch verschiedene Vorfälle in den letzten Jahren ist das Thema so aktuell wie nie. Ein Bericht darüber, was getan werden könnte und was tatsächlich passieren wird.

Mitte Juli 2024 hat es für wenige Tage so ausgesehen, als ob das letzte Wort in der Causa Jérôme Boateng gesprochen wäre. Am Münchner Landesgericht wurde den LASK-Profi wegen vorsätzlicher einfacher Körperverletzung schuldig gesprochen und mittels auf Bewährung ausgesetzter Geldstrafe verwarnt. Rechtskräftig wurde das Urteil aber nicht: Die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt, der Fall geht damit in die nächste Instanz.

Thema "häusliche Gewalt" ist angekommen

Das Thema häusliche Gewalt ist auch Abseits der Vorgänge um den 35-Jährigen im Fußball angekommen.

Über die letzten Jahre und Monate wurden diverse - inhaltlich anders gelagerte - Fälle publik: Da wäre zum Beispiel Mason Greenwood. Der ehemalige englische Nationalspieler wurde im Jahr 2022 von seinem Verein Manchester United suspendiert und später wegen versuchter Vergewaltigung und Körperverletzung angeklagt. Zu einem Urteil kam es nicht, weil wichtige Zeugen ihre Zusammenarbeit mit der Justiz beendeten.

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Mason Greenwood: Nach dem Aus in Manchester zunächst bei Getafe, jetzt bei Olympique Marseille

Auch der Name Atakan Karazor ging durch die Medien. Gegen den Spieler des VfB Stuttgart läuft in Spanien seit zwei Jahren ein Verfahren wegen mutmaßlicher sexueller Nötigung. Zum aktuellen Zeitpunkt ist nicht klar, ob es zu einer Anklage kommt, oder das Verfahren wieder eingestellt wird - durch die Überlastung der spanischen Justiz zieht sich der ganze Prozess zunehmend in die Länge. Für Karazor gilt die Unschuldsvermutung, inzwischen läuft er sogar als Kapitän der Schwaben auf. 

Dazu gibt es den Fall des Mainz-Neuzuganges Kaishu Sano, der von der eigenen Anhängerschaft aktuell kritisch gesehen wird. Der Japaner wurde vor einigen Wochen in seiner Heimat Tokio nach Vergewaltigungsvorwürfen festgenommen. Nach kurzer Zeit wurden die Ermittlungen wieder eingestellt, womit der Fall für die Mainzer Fanszene aber noch nicht erledigt ist.

Es sollte für einen Verein außer Frage stehen, an einer restlosen Aufarbeitung zu arbeiten.

Mainzer Fangruppe Q-Block

Die Gruppe "Q-Block" hat ein Statement verfasst: "Die Einstellung solcher Verfahren ist nicht mit Unschuld gleichzusetzen. Diese Annahme ist ein fataler Fehler und ein Affront an Betroffene sexualisierter Gewalt! [...] Es sollte für einen Verein, der sich immer wieder öffentlich politisch positioniert, außer Frage stehen, an einer restlosen Aufarbeitung zu arbeiten."

Mehr dazu, warum der Umgang mit solchen Fällen für alle an der Aufarbeitung Beteiligten komplex ist, gibt es später zu lesen.

Die LASK-Linie

Eine Erstverantwortung im Umgang mit Vorwürfen häuslicher Gewalt kommt häufig dem Verein zu. Als Arbeitgeber hat er abseits des Ermittlungsgeschehens mehrere Optionen: Der betroffene Spieler kann durch eine freiwillige Spielpause aus der Öffentlichkeit gehalten werden, ein härteres Mittel wäre eine Suspendierung. Der Verein kann zudem eigene Untersuchungen anstellen, wie in Mainz gefordert.

Beim LASK gestaltet sich die Situation anders: Der Verein wusste bereits vor der Boateng-Verpflichtung von der aufrechten Anklage wegen Körperverletzung, muss sich seine Gedanken also bereits vorab gemacht haben. CEO Siegmund Gruber gab die Position der Linzer gegenüber den 'Oberösterreichischen Nachrichten' bekannt: "Solange das Gericht [...] keine Strafe ausspricht, die Herrn Boateng die Berufsausübung verunmöglicht, wird er bei uns Fußball spielen und seinem Beruf nachgehen. Daran wird bei uns auch nicht gerüttelt."

Bei der Bundesliga-Niederlage gegen Red Bull Salzburg stand die Neuverpflichtung dann erstmals für rund 10 Minuten auf dem Platz, nachdem Boateng zuvor aufgrund einer Verletzung länger pausieren musste.

Gewalt und Sport

Tagtäglich mit dem Thema häusliche Gewalt auseinandersetzen muss sich Claudia Frieben, Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings. Durch die Europameisterschaft 2024 auch vermehrt im Zusammenhang mit Sport: Während des Turniers musste die Polizei in Deutschland, aber auch in Österreich, vermehrt wegen derartiger Vorfälle ausrücken.

"Im Juni hat es eine erhöhte Zahl von Betretungs- und Annäherungsverboten gegeben, die auf häusliche Gewalt zurückzuführen sind. Im ersten Halbjahr 2024 waren es insgesamt über 7000. Das Problem ist, dass in Österreich nicht genau erhoben wird, was konkret die Ursache dafür war", meint Frieben im Gespräch mit 90minuten. Ihre Organisation fordert deshalb eine Art öffentlichen Zähler, um die Entwicklungen besser sichtbar zu machen.

Ein Zusammenhang mit dem Sport lässt sich aber nachvollziehen: "Gewalttaten und Femizide sind oft auf gekränkte Ehre zurückzuführen. Bei einer Fußball-EM sind zusätzliche Emotionen und Alkohol im Spiel, die das noch verstärken. Es braucht aber grundsätzlich keine Fußball-EM, damit jemand gewalttätig wird."

“Fußballvereine sollten Vorbildwirkung haben”

Als Reaktion auf Medienberichte über das Boateng-Urteil Mitte Juli meldete sich auch der Frauenring zu Wort.

"Für mich sollten Fußballvereine und der Sport allgemein eine Vorbildwirkung haben. Der LASK hat ja auch eine Jugendorganisation. Es hat eine Außenwirkung, wenn man jemanden engagiert, gegen den es Vorwürfe wegen Gewalt gegen Frauen gegeben hat. Dass darüber hinweggesehen wird, zeigt, wie nachlässig man mit diesem Thema umgeht", begründet Claudia Frieben gegenüber 90minuten.

Beim Täter sagt man: ‘Ja, meine Güte, das ist halt passiert.’ Aber wie es den Opfern geht, fragt niemand.

Claudia Frieben

Der Vorsitzenden zufolge herrscht in der öffentlichen Wahrnehmung ein Ungleichgewicht: "Ein Gewalterlebnis beeinträchtigt das Leben einer Frau. Beim Täter sagt man: ‘Ja, meine Güte, das ist halt passiert.’ Aber wie es den Opfern geht, die ihr Leben lang daran leiden können, fragt niemand."

In der juristischen Aufarbeitung habe man laut Frieben aufgrund der Konstellation "Aussage gegen Aussage" als Opfer zu oft das Nachsehen: "Wir haben in Österreich das Problem, dass sehr vielen Frauen nicht geglaubt wird. Acht von zehn Anzeigen werden niedergelegt."

Leumundszeugnis für Fußballer?

Für den zukünftigen Umgang mit ähnlichen Fällen hat Frieben einen Vorschlag: Man könne eine Compliance-Regelung einführen, nach der - wie in anderen Berufen - vor einer Verpflichtung ein Leumundszeugnis vorgelegt werden muss.

"Die Bundesliga und die Vereine müssen sich ihrer Vorbildwirkung bewusst sein, sonst wird sich nichts ändern. Wenn man Gewalt gegen Frauen als Kavaliersdelikt abtut, wird nie allen bewusst werden, dass es sich um ein sehr schlimmes Verbrechen handelt", meint die Vorsitzende des Frauenrings.

Expertin: "Ginge meiner Meinung nach zu weit"

Die Rechtsanwältin Christina Toth, die sich auf ihrem Portal 'Law Meets Sports' regelmäßig mit rechtlichen Fragen im Sportgeschehen auseinandersetzt, sieht ÖFB und Bundesliga in Österreich auf der Suche nach drastischen Lösungen als falsche Anlaufstelle. "Der Verband kann nur Dinge sanktionieren, die in seinem Umfeld stattfinden. Was zu Hause in den eigenen vier Wänden passiert, nicht. Das ginge meiner Meinung nach auch zu weit, das ist dem Staat vorbehalten."

Es gibt in vielen Sportverbänden Vereinbarungen mit Athleten, die Ethikkodizes unterschreiben. Darin geht es aber nicht um häusliche Gewalt.

Christina Toth

Toth führt gegenüber 90minuten weiter aus: "Es gibt in vielen Sportverbänden Vereinbarungen mit Athleten, die Ethikkodizes unterschreiben. Darin geht es zum Beispiel um schädigendes Verhalten gegenüber Sponsoren, aber nicht um häusliche Gewalt."

Wie ein Verein mit Vorwürfen gegen Spieler umgehen will, hat er letztlich alleine selbst in der Hand: "Im Fußball gibt es befristete Arbeitsverhältnisse, die nur aus wichtigen Gründen aufgelöst werden können. Dazu zählen zum Beispiel Dopingvergehen. Im Musterspielervertrag steht, dass Spieler sich im öffentlichen, aber auch im privaten Leben so verhalten müssen, dass sie das Ansehen des Vereins nicht schädigen. Vielleicht wäre es möglich, das Arbeitsverhältnis unter diesem Gesichtspunkt aufzulösen, das liegt aber jedenfalls beim Verein und nicht beim Verband."

Immer mehr Aufgaben für Sportverbände

Ob Verbände und Ligen eine entsprechende Prüfung von Zeugnissen oder gegebenenfalls Vorwürfen überhaupt leisten könnten, ist fraglich. Christina Toth zieht deshalb ein klares Fazit: "Es kommen auch in diese Richtung immer mehr Aufgaben auf Sportverbände zu. Man muss sich jedenfalls mit den Themen befassen, sich aber meines Erachtens nicht herausnehmen, in diesen Fällen die Rolle des Richters einzunehmen."

Man könnte die Situation als Anlassfall nehmen, um die Bühne entsprechenden Initiativen zur Verfügung zu stellen.

Christina Toth

Was aber nicht heißt, dass Probleme unter den Tisch gekehrt werden sollen: "Sportverbände haben eine gesellschaftliche Aufgabe. Man könnte die Situation als Anlassfall nehmen, um die Bühne entsprechenden Initiativen zur Verfügung zu stellen. Es fehlt aber die Grundlage, um das zu sanktionieren - das kann nur der unmittelbare Arbeitgeber."

Bundesliga wird Zeichen setzen

Von der Bundesliga gab es zur LASK-Verpflichtung von Jérôme Boateng öffentlich bisher kaum etwas zu hören oder lesen. Auf den diversen Kanälen - beispielsweise Social Media - kommt der Weltmeister von 2014 nicht vor, was wohl kein Zufall ist.

Dass man sich mit dem Thema häusliche Gewalt schon in den letzten Monaten und vor dem kontroversen Transfer beschäftigt hat, zeigt, dass die Bundesliga demnächst eine Kampagne präsentieren wird: Die fairplay-Aktionswochen im Oktober 2024 laufen unter dem Titel "Gewalt ist kein Spiel - Schau nicht zu bei Gewalt, Sexismus und Hass".

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Das Titelbild zu den fairplay-Aktionswochen 2024

Neben der Präsenz im Liga-Spielbetrieb werden wie in den letzten Jahren verschiedene kostenlose Workshops für Sportvereine angeboten. Die Initiative, die in Kooperation zwischen "fairplay", ÖFB, Bundesliga und Basketball Austria aufgezogen wird, erklärt: "Gewalt gegen Frauen, bzw. als Frauen gelesene Personen, ist in unserer Gesellschaft immer noch alltäglich. Sie ist kein Spiel. Und ihr Nährboden liegt in der Ansicht, dass Frauen und Mädchen weniger wert oder schlechter sind. Es liegt an jedem und jeder von uns, Gewalt zu erkennen, anzusprechen und zu verhindern."

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