Grgic und Camara: Sind sie bereit für die Biereth-Nachfolge?
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Grgic und Camara: Sind sie bereit für die Biereth-Nachfolge?

Mika Biereth ist weg, doch Sturm hat zwei talentierte Jungstürmer in der Hinterhand. 90minuten analysiert, was die beiden draufhaben:

Wäre die Partie mit einem etwas weniger deutlichen Ergebnis ausgegangen, hätte man wohl vom Knackpunkt des Spiels gesprochen:

In Minute 11 spielt Dimitri Lavalee einen hohen Steilpass in den Lauf von Amady Camara, dieser läuft Sead Kolasinac einfach davon, lässt den routinierten Bosnier auch noch mit einem Haken ins leere laufen - und vergibt dann kläglich die beste Chance seiner Mannschaft des gesamten Spiels.

Nur 45 Sekunden später schießt sich der SK Sturm ein halbes Eigentor, und der Grundstein für das Debakel der Grazer in Runde sieben der Champions-League-Ligaphase bei Atalanta Bergamo war gelegt. Mit 0:5 verloren die "Blackies" schlussendlich die Partie vor einer Woche in der Lombardei und damit die letzte Mini-Chance auf ein Weiterkommen.

Zu gewinnen gab es im Gewiss Stadium vor allem die Gewissheit, dass die zahlreichen Winter-Abgänge rund um Mika Biereth nicht so einfach aufzufangen sind. Aber auch die Erkenntnis, dass sehr wohl Stürmer nachkommen, die eines Tages in Biereths Fußstapfen treten könnten: Der bereits angesprochene Camara sowie Eigenbauspieler Leon Grgic, der in Bergamo sein Champions-League-Debüt gab.

Beide Jungspunde werden wohl auch beim abschließenden "Königsklassen"-Spiel der "Blackies" wieder zum Einsatz kommen, da Winter-Neuzugang Fally Mayulu nicht spielberichtigt ist.

Vor der Partie der Grazer gegen RB Leipzig anaylsiert 90minuten in der aktuellen Ausgabe der 90minuten-Taktik-Analyse, die wir gemeinsam mit unserem Spielanalyse-Partner, dem Internationalen Fußball Institut (IFI), präsentieren, die beiden Stürmer-Talente anhand ihres Datenprofils.

AMADY CAMARA:

AMADY CAMARA:
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Raketenhaft - so lässt sich sowohl Camaras Spielstil als auch sein Start bei Sturm beschreiben.

Die Grazer scouteten den 19-jährigen Malier über einen längeren Zeitraum und verpflichteten ihn im Sommer 2023 eigentlich für die zweite Mannschaft. Dort legte der pfeilschnelle Linksfuß aber so dermaßen stark los, dass er bereits im vergangenen Winter zum ersten Team hochgezogen wurde.

Zwar konnte er seine Torserie dort nicht fortsetzen, zeigte aber bei seinen meist nach Einwechslungen stattfindenden Einsätzen großartige Ansätze.

Was schnell zu sehen war: Camara gehört genau zu jener Sorte Stürmer, wie sie in den letzten Jahren gerne in Graz gesehen werden und insgesamt international äußerst begehrt sind.

Durch seine herausragende Beschleunigungsfähigkeit ist er nicht nur ein enorm wertvolles Element im Grazer Gegenpressing, sondern bringt vor allem viel von dem oft zitierten Tiefgang mit, den ein Sturm-Angreifer unbedingt benötigt.

Auch mit dem Ball am Fuß stark

Dabei zeichnet Camara nicht nur seine Geschwindigkeit aus, sondern auch sein Spiel in Ballbesitz ist mehr als ordentlich. Er wird mit dem Ball am Fuß schneller als langsamer, kann aufgrund seiner Dynamik und Beweglichkeit gleich mehrere Gegenspieler auf einmal stehen lassen.

Der Linksfuß unterscheidet sich von seinen Vorgängern im Grazer Sturm in der Hinsicht, dass er - überspitzt formuliert - nicht blind bei jeder Möglichkeit in die Tiefe sprintet, sondern sich auch mit dem Rücken zum Tor wohlfühlt. Für sein Alter ist er körperlich sehr weit, er kann also auch unter hohem Gegnerdruck Bälle festmachen und an seine Mitspieler weiterleiten.

Aufgrund seiner hohen Ballsicherheit scheut er sich auch nicht davor, sich ins Mittelfeld fallen zu lassen und sich von dort die Bälle abzuholen. Insofern ähnelt Camara in seiner Auslegung der Stürmerposition eher einem William Böving als einem Mika Biereth - was uns zum großen Aber bringt: Der Torausbeute.

Potenzial ist da, aber die Tore fehlen

Im Frühjahr 2024 gelangen ihm immerhin noch zwei Tore, unter anderem jenes zum 2:0 am letzten Spieltag gegen Austria Klagenfurt, welches den Grazer Meistertraum schlussendlich endgültig wahr werden ließ. Seither ist tote Hose.

Besonders zu Beginn des Herbsts bekam Camara eigentlich genug Chancen, mit dem Toreschießen wollte es aber einfach nicht klappen. Zu allem Überfluss bremste ihn dann auch noch ein Infekt für eine längere Zeit aus.

Der 19-Jährige schafft es einfach noch nicht, die oben erwähnten Fähigkeiten gewinnbringend einzusetzen und ihn Zählbares umzumünzen. Ihm gelingt es momentan nicht, sich häufig genug in aussichtsreiche Abschlusssituation zu bringen; taucht er doch mal vor dem Tor auf, mangelt es an Präzision.

Man kann seine Stärken und Schwächen in Worten eigentlich nicht so gut zusammenfassen, wie es die eingangs bereits beschriebene Szene im Spiel gegen Atalanta tut:

Camara macht dabei eigentlich alles richtig; er nutzt die Geschwindigkeitsvorteile gegenüber Kolasinac eiskalt aus, kreuzt den Laufweg des Bosniers im idealen Moment und macht einen flinken Haken zur Mitte. Auch wenn er schließlich mit seinem deutlich schwächeren rechten Fuß abschließt - so deutlich darf man dermaßen freistehend und aus dieser Distanz nicht vorbeischießen.

Besagte Szene ab Minute 00:08 im VIDEO:


LEON GRGIC:

LEON GRGIC:
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Wir haben bereits gelernt, dass Camara fußballerisch eigentlich sehr wenig mit einem Mika Biereth gemeinsam hat. Ganz anders sieht es bei Grgic aus.

Der seit Kurzem 19-Jährige ist in seinem Datenprofil beinahe jenem des nach Monaco abgewanderten Dänen ident. Der Steirer bringt ähnliche Physis, ähnliche Fähigkeiten und mittlerweile auch eine ähnliche Torquote mit. Letzteres war nicht immer so.

Seltenes Grazer Eigengewächs

Grgic gilt schon seit Längerem als großes Juwel der Sturm-Akademie, aus der es zuletzt nur äußerst selten jemand in die Kampfmannschaft schaffte. Der ÖFB-U21-Teamspieler, der auch vom kroatischen und bosnischen Verband umworben wird, zerschoss zu Akademie-Zeiten alles, was sich ihm in den Weg stellte, und durfte nur kurz nach seinem 17. Geburtstag in der Bundesliga debütieren.

Daraufhin riss der Faden etwas. Der großgewachsene Rechtsfuß, der trotz seines jungen Alters schon ein relativ kompletter Stürmer ist, legte sich selbst zu viel Druck auf. Das mit dem Toreschießen klappte plötzlich nicht mehr ganz so gut.

Spätestens seit dem letzten Herbst hat sich das aber wieder geändert. Grgic erzielt in dieser Saison ungefähr alle 90 Einsatzminuten ein Tor. Vor allem in der Youth League konnte er nicht nur als fünffach erfolgreicher Goalgetter, sondern auch als Kapitän und Antreiber glänzen; in der ADMIRAL Bundesliga nahm er aus vier Jokereinsätzen drei Treffer mit.

Fast identes Stürmerprofil wie Biereth

Grgic ist trotz einer Körpergröße von 1,89 Metern überdurchschnittlich schnell, kann mit dem Top-Speed von Camara und Biereth aber nicht mithalten.

Ansonsten gibt es aber erstaunlich viele Übereinstimmungen zwischen Biereths und Grgics Interpretation der Stürmerrolle. Beide legen statistisch ein ähnliches Pressingverhalten hin, beide zeichnen sich durch ihren Instinkt und ihre Verhaltensweise als Boxstürmer aus.

Beide kommen auch auf ähnlich starke Werte in Bezug auf Laufwege und Positionierung im gegnerischen Strafraum. Kombiniert mit ihrer individuellen Abschlussqualität bei aussichtsreichen Abschlussaktionen, weisen sowohl Biereth als auch Grgic herausragende Datenprofile auf.

Im Unterschied zu Camara bewegen sich beide Spieler fast ausschließlich in den höheren Ebenen der generischen Hälfte und lassen sich weniger häufig in das zentrale Mittelfeld fallen. Somit haben sie meist eine bessere Vorpositionierung und können sich dadurch schneller besser in der gegnerischen Box platzieren.

Fazit

Will man den Abgang von Biereth so schnell wie möglich vergessen werden lassen, wäre man in Graz gut darin beraten, Grgic in Zukunft noch mehr Spielminuten zu geben.

So einfach funktioniert der Fußball aber freilich nicht - abgewanderte Spieler lassen sich nie Eins zu Eins ersetzen. Neben Winter-Neuzugang Mayulu wird Seedy Jatta der Haupt-Konkurrent für Camara und Grgic im Sturm sein; Böving dürfte, wie in der Bundesliga gewohnt, wieder ins Mittelfeld zurückrücken.

Beide in diesem Artikel besprochenen Spieler werden auf ihre Chancen im Frühjahr kommen. Nun gilt es, diese auch zu nutzen.

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