Eine taktische Aufarbeitung von Österreichs EURO-Aus
Foto © GEPA

Eine taktische Aufarbeitung von Österreichs EURO-Aus

Gegen die Türkei lief taktisch einiges richtig, einiges aber auch nicht. Die 90minuten-Taktik-Analyse:

Österreichs Sommermärchen hat am Dienstag ein jähes Ende gefunden.

Das ÖFB-Team scheiterte trotz erneut ansprechender Leistung mit 1:2 an der Türkei und kann sich nach einem insgesamt sehr starken Turnier nicht mit dem erstmaligen Viertelfinal-Einzug bei einer EURO belohnen.

Dabei lief aus taktischer Sicht erneut sehr viel richtig. Die Begegnung gegen die Türkei dominierte man fast über 90 Minuten, Chancen wären genug für zwei Viertelfinal-Aufstiege vorhanden gewesen.

In der fünften und nach Österreichs EURO-Aus vorerst letzten Ausgabe der 90minuten-Taktik-Analyse zur Europameisterschaft, die wir gemeinsam mit unserem Spielanalyse-Partner, dem Internationalen Fußball Institut (IFI), präsentieren, analysieren wir, was am Dienstag gut und was weniger gut lief und warum manchmal mangelndes Spielglück sehr wohl aus Ausrede herhalten darf.

Rangnicks Zettel

Vorneweg: Österreich ist mit Sicherheit nicht nur am Pech, sondern auch an sich selbst gescheitert.

Vor allem in Halbzeit eins ließ man sich vom frühen Nackenschlag viel zu lange verunsichern, man tat sich schwer, genug Durchschlagskraft zu erzeugen, um gegen die von Anfang an enorm tiefstehend agierenden und im Zentrum massierten Türken für Torgefahr zu sorgen.

Dies blieb freilich auch Teamchef Ralf Rangnick nicht verborgen. Wie so oft in seiner bisherigen Amtszeit griff der Deutsche noch während des Spiels taktisch von außen ein. Schon kurz vor der Halbzeit tat er das, als er einen Zettel durchgehen und das ÖFB-Team in den letzten Minuten vor der Pause mit einer Dreierkette spielen ließ.

Deswegen lief es nach der Pause besser

Zur Pause wurde das System erneut geändert. Nämlich vom anfänglichen 4-2-3-1 auf ein 4-2-2-2. Dazu wurden mit Prass statt Mwene und Gregoritsch statt Schmid zwei Spieler eingewechselt, die besser in dieses System passen.

Mit Prass war nun ein Linksverteidiger am Feld, der sich als Linksfüßer mit wenigen Berührungen in Flankenpositionen bringen kann, mit Gregoritsch ein - neben Arnautovic - weiterer zentrumsnaher Stürmer, der dem ÖFB-Offensivspiel mehr dringend benötigte Wucht verlieh.

Auf dem Spielfeld spiegelte sich die Systemänderung folgendermaßen wider: Mit Sabitzer und Baumgartner waren nun zwei Spieler auf den offensiven Halbpositionen am Werk, die gerne im Zentrum agieren, dieses bewusst überladen und dadurch Räume auf den Flügelpositionen für die Außenverteidiger schufen.

Diese fanden dadurch viel Platz nach vorne vor und konnten sich immer wieder in Flankenpositionen bringen.

Eine graphische Aufbereitung dieses taktischen Stilmittels:

Posch überzeugte erneut

Posch gelang es deutlich besser, sich auf diese Weise in die ÖFB-Offensive einzuschalten, als auf der anderen Seite Prass. Der steirische Bologna-Legionär zeigte wie schon die ganze EURO über eine starke Leistung und war als Rechtsverteidiger einer der Hauptantreiber der rot-weiß-roten Angriffsbemühungen im zweiten Durchgang.

Spannend zu beobachten war dabei, dass er es nicht ständig nur stumpf mit klassischen Flankenläufen und daran anschließenden hohen Bällen zur Mitte versuchte, sondern auch immer wieder zur Mitte zog und von dort aus flache Steckpässen verteilte. Aus einem solchen resultierte auch die größte österreichische Chance auf das 1:1 durch Arnautovic.

Durch die hohe Positionierung der österreichischen Außenverteidiger bei Ballbesitz kam auf Österreichs Innenverteidiger die schwierige Aufgabe zu, sehr aggressiv durchzuschieben, um im Falle eines Ballverlusts rasch am gegnerischen Mann zu sein und nicht in einen Konter zu laufen. Dies gelang auch in den allermeisten Phasen des Spiels.

Es lag auch am Pech

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Österreich taktisch an diesem Abend erneut vieles richtig gemacht hat. Dass die Rangnick-Truppe in Halbzeit eins, wahrscheinlich veranlasst durch das frühe 0:1, zu verhalten agierte, kann und muss man ihr anlasten, ansonsten nicht viel.

Statistisch war das ÖFB-Team in allen Belangen die bessere Mannschaft; eine Expected-Goals-Wertung von 2,74 zu 1,06 zugunsten Österreichs (alleine Baumgartners Kopfball in der Schlussminute wies einen Expected-Goals-Wert von 0,94 auf) spricht Bände.

Österreichs Überlegenheit war so deutlich, dass der (nicht österreichische) Spielanalyst, der die entscheidenden Inputs für die 90minuten-Taktik-Analyse liefert, vor allem einen Faktor als Grund für das ÖFB-Aus ausmacht: Pech.

Es sei ein "sehr unglückliches und unnötiges Ausscheiden" gewesen.

Kommentare