Die sechste Champions-League-Teilnahme des FC Salzburg wird immer mehr zur Horrorshow.
0:7 lautet das bisherige Torverhältnis der "Bullen" in der "Königsklasse" nach zwei Spieltagen, und das nicht nach Spielen gegen Teams namens Paris Saint-Germain oder Real Madrid, wie sie auf die Mozartstädter noch warten, sondern gegen Sparta Prag und Stade Brest.
Was sich jetzt schon sagen lässt: Die Salzburger sind defensiv nicht gewappnet für die Champions League. Am Dienstag, gegen Brest, waren sie über weite Strecken der Partie die eigentlich dominante Mannschaft, kassierten aber gleich vier Gegentore, die allesamt weniger der Klasse der Bretonen, sondern viel mehr den schweren Abwehrmängeln der Mozartstädter entsprangen.
In der 90minuten-Taktik-Analyse, die wir gemeinsam mit unserem Spielanalyse-Partner, dem Internationalen Fußball Institut (IFI), präsentieren, beleuchten wir die vielen defensiven Unzulänglichkeiten an diesem Abend etwas genauer.
Szene 1: Ein Gegentor in vier Akten
In Halbzeit eins hatten die Mozartstädter vor allem Probleme mit ihrer Restverteidigung. Brest stand bei Salzburger Ballbesitz äußerst tief und versuchte, sich über schnelles Umschalten - eine der Stärken der Bretonen - in gefährliche Abschlusspositionen zu befördern.
Erst nach 24 Minuten gelang das den Franzosen erstmals - und prompt klingelte es:
Ein Abschluss aus eigentlich recht aussichtsreicher Position von Karim Konate wurde direkt in den Lauf von Brest-Linksverteidiger Massadio Haidara abgefälscht, Adam Daghim kam nicht ins Gegenpressing und so konnte Haidara einen Steilpass der aus Brest-Sicht linken Seitenlinie entlang spielen. Dieser wäre eigentlich direkt in den Lauf von Leandro Morgalla gekommen, doch der Deutsche stellte sich gegen Hugo Magnetti ungeschickt an und ließ den Ball passieren.
Auch das hätte ohne Konsequenzen bleiben können, wäre Kamil Piatkowski dahinter doch zur Stelle und deutlich vor Ludovic Ajorque am Ball gewesen. Ajorque, der mit seiner brutalen Körperlichkeit bereits dem SK Sturm vor zwei Wochen arg in Schwierigkeiten brachte, konnte seinen polnischen Gegenspieler aber einfach wegschieben und sah dann im Augenwinkel Abdallah Sima durchstarten.
Sima, der nach Konates Abschluss aus einer ähnlichen Position wie Amar Dedic in Richtung Salzburger Tor loslief, seinem Salzburger Bewacher mittlerweile aber bereits deutlich enteilt war, wurde von Ajorque, den Piatkowski einfach gewähren ließ, sensationell per Außenrist bedient, behielt seinen Vorsprung auf Dedic und schloss schließlich etwas glücklich durch dessen Beine zum 1:0 ab.
Daghim gegen Haidara, Morgalla gegen Magnetti, Piatkowski gegen Arjoque und Dedic gegen Sima - es waren schlussendlich vier Mann-gegen-Mann-Duelle, die dem Salzburger Rückstand zuvorgingen. Hätte nur einer der vier genannten Mozartstädter sein Duell gewonnen, wäre das 0:1 so nicht passiert.
Eine Fehlerkette mit vier voneinander unabhängigen Gliedern ist in der Champions League eine zu lange.
Szene 2: Eine Kopie des 0:1, nur ohne Tor
Kurz vor der Pause war Salzburgs Restverteidigung erneut eher eine "Resterlverteidigung", diesmal konnte Sima die "Bullen" aber nicht bestrafen.
Nach einem Ballverlust von Gourna-Douath am gegnerischen Sechzehner rund um Minute 38 kam erneut Haidara an den Ball, erneut konnte er einen Konter mit einem Parallelpass zur Seitenlinie über links initiieren, indem er wieder Morgalla überspielte.
Diesmal hatte Romain Del Castillo zu viel Platz. Salzburgs Innenverteidiger hatten nur Augen für Ajorque und ließen sich von diesem zur Seite wegziehen, weshalb erneut der Raum für Sima aufging.
Der schnelle Senegalese, der direkt nach Gourna-Douaths Ballverlust im Rücken des Franzosen in den Sprint Richtung "Bullen"-Tor ging, während der Salzburger Sechser gemütlich nach hinten trabte, wurde von Del Castillo in eine noch bessere Abschlussposition als vor dem 0:1 gebracht, verzog diesmal aber.
Alleine diese beiden Szenen sind Bestägigung für eine Wahrnehmung, die wohl die meisten Salzburger Fans in der bisherigen Saison haben: Die "Bullen" haben strukturelle Probleme in der Restverteidigung.
Unter Pep Lijnders stehen die Mozartstädter noch etwas höher als in den Jahren zuvor. Die Idee dahinter ist, nach einem Ballverlust im letzten Drittel sofort ins Gegenpressing und dadurch in gefährliche Abschlusspositionen zu kommen.
Je länger die Saison andauert, desto mehr wird diese hohe Positionierung aber eine Gefahr für das eigene Tor als für jenes des Gegners. Befreit sich der Gegner einmal aus dem Gegenpressing, endet so gut wie jeder Konter mit einer Unterzahlsituation für die "Bullen" - und Salzburgs Innenverteidigern fehlt schlicht das Tempo, um solche Situationen souverän lösen zu können.
Unser "IFI"-Spielanalyst, mit dessen Zusammenarbeit dieser Artikel erscheint, hält fest: "Wenn du offensiv nach vorne verteidigen willst, musst du weite Wege nach hinten gehen können. Anders geht es nicht."
Die Szene in der Spielanalyse-Grafik:
Salzburg in Rot, Brest in Weiß
Szenen 3 bis 5: Will denn keiner die Box verteidigen?
Die letzten drei Szenen, nämlich jene vor den Gegentreffern zwei, drei und vier, fassen wir in einem Absatz zusammen, haben sie doch alle eine gewisse Ähnlichkeit.
Diese drei Tore fielen nicht nach Kontern, sondern waren viel mehr das Resultat von vermeidbaren Individualfehlern. Die sogenannte "Boxverteidigung" klappte überhaupt nicht mehr.
Das 0:2 etwa wäre so nicht passiert, hätte Dedic bei einem weiten Abschlag von Brest-Keeper Marco Bizot nicht mit einem kurzen Pass spekuliert und dadurch den Raum für Mama Balde auf rechts geöffnet. Samson Baidoo musste von seiner Innenverteidigerposition abrücken und nach außen decken, was für Unordnung im eigenen Strafraum sorgte.
Baldes Stangler landete zwar bei Morgalla, der stellte sich aber erneut ungeschickt an und avancierte zum ungewollten Assistgeber für Mahdi Camara.
Dieses 0:2 war bekanntlich der Genickbruch der Salzburger an diesem Abend. Danach waren die jungen "Bullen" sichtlich geknickt; das Interesse, die eigene Box zu verteidigen, war plötzlich auf ein sehr geringes Niveau zusammengeschrumpft.
Symbolisch dafür war die Szene vor dem 0:3, das ursprünglich aus einem Einwurf für Salzburg resultierte. Dieser wurde aber viel zu überhastet ausgeführt, so dass die Kugel sofort wieder ins Seitenaus sprang und der Gegner unmittelbar in Ballbesitz kam.
Ein weiter Einwurf auf Ajorque, der die Kugel gut abschirmte, Brest brach wieder über links durch und irgendwie kam der Ball erneut zurück auf Ajorque, der relativ unbedrängt Magnetti im Rückraum bedienen konnte.
Brests Kapitän hatte aus rund 20 Metern alle Zeit der Welt, sich die Kugel herzurichten und mit dem zweiten Touch einen Flachschuss auf Janis Blaswich zu produzieren. Der Deutsche wehrte diesen kläglich nach vorne ab, und Doppelpacker Sima bedankte sich herzlich.
Nun war Salzburgs Wille endgültig gebrochen und Brest durfte auch noch Treffer Nummer vier nachlegen. Innenverteidiger Soumaila Coulibaly ließ Dedic mit einem Pass in die Tiefe völlig ins Leere laufen, Balde dribbelte am rechten Flügel wieder relativ unbedrängt von Baidoo und ließ den ÖFB-U21-Teamspieler mit einem simplen Haken aussteigen.
Baldes Querpass auf Mathias Pereira Lage kam freilich auch problemlos an; der Joker hatte nur 45 Sekunden nach seiner Einwechslung freie Schussbahn von der Strafraumgrenze und setzte die Kugel präzise ins rechte Eck.
Auch wenn die Partie zu diesem Zeitpunkt längst verloren war, darf man seinen Strafraum in der "Königsklasse" schlicht nicht so luftig verteidigen.
Fazit: In beiden Boxen zu schlecht
"Wir sind ganz einfach zu schlecht in der gegnerischen und in der eigenen Box", sagte ein schwer frustrierter Mads Bidstrup nach Schlusspfiff.
Ein Blick auf die Expected-Goal-Wertung reicht, um die Meinung des Dänens zu bestätigen. 1,53 zu 1,76 lautete diese nach Schlusspfiff aus Salzburger Sicht, die Begegnung hätte rein nach der Statistik also mit einem Remis enden sollen.
Realität war aber, dass Brest aus ganz wenig sehr viel machte und die defensiven Unzulänglichkeiten der "Bullen" eiskalt ausnutzte. Salzburg wiederum hatte eigentlich mehr vom Spiel und auch ein paar gute Abschlüsse, diese kamen aber so gut wie alle zentral auf Keeper Bizot, der praktisch nur im Weg stehen musste.
Die im Ansatz immer wieder schön anzusehenden Offensivaktionen, vor allem über die spielstarke linke Seite mit Dedic, Bobby Clark und Oscar Gloukh, waren allesamt zu ineffizent.
In Summe ist Brest das Duell einfach deutlich intelligenter, man könnte auch sagen reifer, angegangen und hat folglich verdient, wenn auch etwas zu hoch, gesiegt.