Die Stärken und Schwächen von Prass als Linksverteidiger
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Die Stärken und Schwächen von Prass als Linksverteidiger

Alexander Prass durfte gegen die Niederlande erstmals bei dieser EURO von Beginn an ran. Was lief gut, was weniger?

Ralf Rangnick sorgte mit seiner Aufstellung im letzten EURO-Gruppenspiel des ÖFB-Teams durchaus für einige überraschende Rotationsmanöver, um Gelbsperren im Achtelfinale zu vermeiden.

Nicht zwingend zu diesen Überraschungen zählte die Startelf-Nominierung von Alexander Prass als Linksverteidiger gegen die Niederlande. Der Sturm-Mittelfeldantreiber kam bereits in den ersten beiden Gruppenspielen als Einwechselspieler zum Einsatz und zeigte dabei gute Leistungen; gegen die Niederlande wurde Phillipp Mwene dann geschont bzw. vor einer zweiten Gelben geschützt, und Prass durfte erstmals beginnen.

Der 23-Jährige zeigte auf seiner nicht angestammten Position eine auffällige Leistung mit vielen starken Offensivaktionen, war besonders in Durchgang eins aber auch das ein oder andere Mal defensiv anfällig.

In der fünften Ausgabe der 90minuten-Taktik-Analyse, die wir gemeinsam mit unserem Spielanalyse-Partner, dem Internationalen Fußball Institut (IFI), präsentieren, analysieren wir die Leistung von Prass gegen die Niederlande, aber auch die Rolle der Außenverteidiger im momentanen ÖFB-System im Allgemeinen.

Was Prass und Mwene unterscheidet

Beginnen wir den Vergleich zwischen Alexander Prass und Phillipp Mwene in ihrer Auslegung des Linksverteidigers mit dem offensichtlichsten Unterschied: Prass ist Links-, Mwene Rechtsfuß.

In der Praxis spricht dieser Umstand für Prass. Der eigentliche Mittelfeldspieler, der technisch top ausgebildet ist, tut sich in den ersten Momenten, nachdem er an den Ball kommt, leichter als Mwene, da er sich die Kugel mit wenigen Kontakten so herrichten kann, dass er sie gefährlich in den Strafraum befördern kann.

So geschehen vor dem 1:0. Prass wird freistehend von Marko Arnautovic am linken Flügel bedient, legt sich den Ball mit zwei kurzen Kontakten zurecht, scannt währenddessen die Box und spielt mit dem dritten Kontakt einen Stangplass, der wohl zu Arnautovic durchgekommen wäre, hätte Donyell Malen zuvor nicht ein Eigentor verursacht.

Die Situation in der Spielanalyse-Grafik:

Mwene hätte den Ball womöglich nicht in dieser Geschwindigkeit und mit solch Präzision in den Sechzehner gebracht. Der Mainz-Legionär hatte in der Vergangenheit Probleme damit, den Ball mit links gefährlich in die Mitte zu flanken, legte ihn sich stattdessen zumeist lieber auf rechts und schlug den Haken zur Mitte.

Hierbei ist freilich sein wunderbarer Assist für Gernot Trauner beim Sieg über Polen ausgeklammert. Dabei bewies Mwene nämlich sehr wohl, dass er auch mit seinem schwächeren Fuß richtig gut flanken kann.

Asymmetrische Außenverteidiger-Positionierung

Egal ob Mwene oder Prass den Linksverteidiger gibt, gleich bleibt immer, dass sich die Außenverteidiger-Positionierung im ÖFB-Team momentan asymmetrisch darstellt.

Rechtsverteidiger Stefan Posch agiert zumeist einen Tick tiefer als sein linker Gegenpart, was womöglich auf seine Vergangenheit als Innenverteidiger zurückzuführen ist. Dies bedeutet aber nicht, dass sich Posch gar nicht ins ÖFB-Offensivspiel einschaltet - im Gegenteil.

Tatsächlich war es der Bologna-Legionär, der am Dienstag die meisten Ballaktionen, nämlich 66, vor Nicolas Seiwald (63), und eben Prass (55) aufwies. Dies resultiert daraus, dass sich die eigentlichen ÖFB-Flügelspieler im eigenen Ballbesitz immer sehr zentral orientieren und sich dadurch Räume für die aufrückenden Außenverteidiger ergeben.

Speziell Prass, der vom Spielerprofil sowieso eher einem Flügelspieler als einem Außenverteidiger entspricht, kommt dies aufgrund seiner technischen Versiertheit zugute.

Prass defensiv mit Problemen

Dass Prass kein gelernter Linksverteidiger ist, war am Dienstag aber auch in einigen Szenen klar zu sehen. Malen, der insgesamt keinen glücklichen Tag erwischte, ließ den Oberösterreicher bei einigen Eins-gegen-Eins-Duellen in Halbzeit eins ganz schlecht aussehen.

Da Teamchef Ralf Rangnick wohl schon im Vorfeld der Partie davon ausging, dass Prass mit den starken niederländischen Flügelspielern Probleme bekommen könnte, stellte er ihm mit Patrick Wimmer einen Vordermann an den linken Flügel, der für seine starke Defensivarbeit bekannt ist.

Tatsächlich half Wimmer viel nach hinten aus und doppelte gemeinsam mit Prass Malen bei fast jeder Gelegenheit. Darunter litt die Offensivleistung des Wolfsburg-Legionärs.

Nächste Top-Leistung von Posch

Auf der anderen Seite funktionierte die Arbeitsaufteilung ein wenig besser. Posch hatte die linke niederländische Seite rund um Cody Gakpo im Alleingang im Griff, Romano Schmid konnte sich mehr auf seine Offensivaufgaben konzentrieren.

Der Flügelflitzer vom FC Liverpool biss sich am Italien-Legionär ein ums andere Mal die Zähne aus. Bezeichnend ist, dass Gakpos einzige erfolgreiche Offensivaktion, sein Treffer zum 1:1, aus einem Ballverlust Österreichs in der gegnerischen Hälfte resultierte. Posch stand hoch und hatte aufgrund seiner Geschwindigkeitsdefizite gegenüber Gakpo keine Chance mehr, zum späteren Torschützen aufzuschließen.

Dass Posch ansonsten über rechts kaum etwas durchließ, ist insofern beeindruckend, als dass der 27-Jährige schon früh im Spiel (eine überharte) Gelbe Karte sah und sich eigentlich zurücknehmen hätte müssen, um nicht vom Feld zu fliegen.

Doch der Steirer steckte nicht zurück und war am Ende jener Österreicher, der die meisten Zweikämpfe im Spiel bestritt. 15 waren es an der Zahl, von welchen 9 an Posch gingen. Zweiter in dieser Wertung ist übrigens Prass, der 14 Zweikämpfe hinter sich brachte und exakt die Hälfte davon gewann.

Ob Prass auch im Achtelfinale die Chance von Beginn bekommen, oder doch Mwene in die Startelf zurückkommen wird, erscheint aus momentaner Sicht offen. Bei beiden gibt es viele Pro- aber auch einige Contra-Argumente.

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