Österreichs Matchplan ging, zumindest wenn man ergebnisorientiert ist, nicht auf.
Gegen Vizeweltmeister Frankreich war das ÖFB-Team beim EURO-Auftakt nahe an einem Punktgewinn dran und auch leistungstechnisch nicht weit von der Weltklasse-Truppe entfernt, am Ende stehen wir nach einem 0:1 dennoch mit 0 Punkten und als Schlusslicht der Gruppe D da.
Auffällig war, dass das ÖFB-Team in Düsseldorf einen etwas anderen, nicht ganz so Red-Bull-typischen Fußball an den Tag legte. Anstatt bei jeder Gelegenheit den sofortigen Pass in die Tiefe zu suchen, wurde oftmals die Sicherheitsvariante gewählt. Die Duelle um die zweiten Bälle, bei denen Österreich normalerweise seine Stärken hat, kamen diesmal nur zu selten vor.
Warum dies so war und bis zu welchem Grad das sogar von Teamchef Ralf Rangnick so gewollt war, klären wir in der dritten Ausgabe der 90minuten-Taktik-Analyse, die wir gemeinsam mit unserem Spielanalyse-Partner, dem Internationalen Fußball Institut (IFI), präsentieren.
Viele Querpässe, wenig Vertikalität
Wie im Vorfeld der Partie spekuliert wurde, entschied sich Rangnick, zum Auftakt Florian Grillitsch an der Seite von Nicolas Seiwald in der Zentrale aufzubieten; Konrad Laimer kam über den rechten Halbraum. Grillitsch gilt als ball- und passsicher und genau Ball- und Passsicherheit hat das ÖFB-Team zu Beginn der Partie auch ausgezeichnet.
Der positive Aspekt und womöglich auch der Grund für diese Spielanlage war, dass es Frankreich nicht allzu oft gelang, nach einem österreichischen Ballverlust über ihre pfeilschnellen Angreifer umzuschalten. Allerdings litt darunter die österreichische Stärke, mit wenigen Pässen ins Offensivdrittel vorzustoßen.
Grillitsch übt Selbstkritik
Zu oft wurde an diesem Abend nach eigenem Ballgewinn abgedreht und ein Sicherheitspass gespielt. Speziell Grillitsch, der als einziger österreichischer Mittelfeldspieler nicht der "Red-Bull-Schule" entspringt, wies diesbezüglich Geschwindigkeitsprobleme bei der Entscheidungsfindung auf, übersah womöglich die ein oder andere bespielbare Lücke.
Nach dem Spiel übt der Hoffenheim-Legionär diesbezüglich Selbstkritik: "Wir müssen besser die Räume finden, wo wir aufdrehen können, auf die letzte Kette dribbeln. Ein bisschen mehr vertikal spielen."
Diese mangelnde Vertikalität im österreichischen Spiel ist womöglich auch der Belastungssteuerung geschuldet und war von Rangnick und seinem Trainerteam durchaus gewollt. Vertikale Pässe zu spielen, bedeutet nämlich auch, viele Ballverluste und daraus resultierende gegnerische Konter zu riskieren.
Rangnick sah die Räume
Hätte das ÖFB-Team über 90 Minuten seinen intensiven Red-Bull-Fußball aufgezogen, wäre man gegen Spielende womöglich von den schnellen Franzosen und ihren nicht minder flinken Ersatzspielern rund um Randal Kolo Muani oder Kingsley Coman überlaufen worden. Außerdem stehen in den kommenden acht Tagen ja noch zwei weitere nicht ganz unwichtige Spiele an, für die man all die Energie benötigt, die man bekommen kann.
Wie nahe war man also am ausgearbeiteten Matchplan dran? Nicht sehr, konstatiert Rangnick nach der Partie: "Wir waren gegenüber dem, was wir uns als Matchplan vorgenommen haben, nicht immer mutig genug, was die Anspiele auf unsere Zehnerpositionen in die Schnittstellen angeht – obwohl die Räume da waren."
Es sei allerdings menschlich, "dass die Spieler da nicht immer die richtigen Entscheidungen gewählt haben". Man dürfe nicht vergessen, unter welchem Druck dieses Match stattfand.
Clevere Franzosen
Freilich lag es aber nicht am ÖFB-Team alleine, dass am Montag nicht alles aufging. Es gab noch einen Gegner, der zu den absoluten Top-Favoriten auf den Turniergewinn zählt.
Die Franzosen machten es den Österreichern extrem schwer, ihre Stärken auszuspielen, weil sie oftmals recht tief und vor allem kompakt standen. Das Zentrum wurde von "Les Bleus" bewusst dicht gemacht. Die beiden Achter, Adrien Rabiot und Antoine Griezmann, der ungewohnt defensiv unterwegs war, nahmen dabei eine enorm wichtige Rolle ein. Auf der Sechs spielte zudem ein "überragender Kante" (O-Ton Rangnick).
Österreich war daher gezwungen, in Ballbesitz das Spiel auf die Flügel auszulagern, wo die Franzosen - wohl nicht ganz zu Unrecht - Schwächen ausmachten. Stefan Posch und vor allem Philipp Mwene kamen zu vielen Freiräumen, wussten aber wenig damit anzufangen. Gefährliche Flanken fanden über die gesamte Spieldauer so gut wie keine den Weg in die französische Box.
Das ÖFB-Team hätte dieser Problematik womöglich dadurch entkommen können, hohe Bälle in die Spitze zu spielen und auf die zweiten Bälle zu gehen. Zu diesem Mittel wurde aber nur selten bis gar nicht gegriffen.
Eine Veranschaulichung der starken französischen Mittelfeld-Besetzung:
In Ballbesitz setzten die Franzosen auf eine asymmetrische Herangehensweise. Ousmane Dembele hatte auf rechts einen Freibrief und durfte sich rein darauf konzentrieren, über Dribblings für Gefahr zu sorgen, weil Jules Kounde ihm den Rücken freihielt. Auf der anderen Seite schaltete sich Linksverteidiger Theo Hernandez deutlich häufiger ins Angriffsspiel ein und war sogar einer der gefährlichsten Franzosen.
Der Vizeweltmeister versuchte, sich immer wieder spielerisch aus dem österreichischen Pressing zu lösen und verzichtete darauf, die Räume, die sich durch das hohe Pressing von Grillitsch und Seiwald ergaben, mit hohen Bällen zu bespielen. Stattdessen suchten sie immer wieder nach Wegen, ihre Außenstürmer in Aktion zu bringen. Aus diesem Grund ließ sich auch Mbappe immer wieder aus dem Zentrum nach links fallen.
Anderes Bild ab der 60. Minute
Diese Analyse gilt übrigens nur für die ersten 60 Minuten. Danach entwickelte sich - auch dem Spielstand geschuldet - eine andere Spielcharakteristik.
Durch die Auswechslung von Grillitsch und dem damit verbundenen Positionswechsel Konrad Laimers in die Zentrale, aber auch durch die Hereinnahme des passstarken Gernot Trauner ging das ÖFB-Team in der Schlussphase mehr Risiko und schaffte es dadurch, endlich mehr Vertikalität in sein Spiel zu bringen.
Speziell Nicolas Seiwald gelang es in dieser Phase einmal mehr, seine Vielseitigkeit unter Beweis zu stellen, indem er plötzlich deutlich offensiver unterwegs war, eher als Achter denn als Sechser agierte und von dort aus das Spiel gestaltete.
Plötzlich kamen deutlich mehr Bälle in die gefährliche Zone, nach Ballgewinnen wurde der sofortige Weg nach vorne gesucht. Bezeichnend dafür eine Szene in der 78. Minute:
Nachdem die Kugel nach einem vertikalen Pass von Trauner verloren geht, kommt das ÖFB-Team sofort ins Pressing, gewinnt den Ball durch Laimer, über Arnautovic kommt wieder Laimer an die Kugel und der spielt diese (etwas zu steil) in den Lauf von Baumgartner, der wiederum knapp nicht vor Keeper Mike Maignan abschließen kann. Dies alles passierte innert weniger Sekunden.