Am Montag (ab 20:45 Uhr im LIVE-Ticker von LAOLA1) empfängt Norwegen im Rahmen der UEFA Nations League das österreichische Nationalteam.
Obwohl man über eine Menge Stars wie Erling Haaland oder Martin Ødegaard verfügt, wartet die Nationalmannschaft seit 24 Jahren auf eine Teilnahme an einer Endrunde. Im Gegensatz dazu befindet sich Norwegens Klub-Fußball derzeit wieder im Aufschwung. Zu verdanken ist dies vor allem der Dominanz des erst vor wenigen Jahren emporgestiegenen Bodø/Glimt.
"Wir müssen einige Jahre zurückgehen, aber ja, die Spieler haben im Winter mit Eis-Spikes an ihren Schuhen trainiert", erzählt Erik vom Fanclub "J-Feltet". In der nordnorwegischen Stadt Bodø wurde Profifußball lange unter erschwerten Bedingungen gespielt. "Das Wetter kann wirklich furchtbar sein", meint Erik weiter - an einem Tag hat es trotz starker Winde Temperaturen um den Gefrierpunkt, einen Tag später zeigt das Thermometer 15 Grad Minus. Die schlimmsten Monate des Jahres verbringt die Mannschaft inzwischen im Süden.
Der Fußballklub Glimt - norwegisch für Blitz - hatte in den letzten Jahrzehnten aber nicht nur mit dem Wetter zu kämpfen. Sportlich gesehen war man eine klassische Fahrstuhlmannschaft, sieben der letzten 20 Spielzeiten hat der Verein in der zweiten Liga verbracht. Drei Abstiege stehen drei Aufstiegen gegenüber.
Dominanz gebrochen
Obenauf waren eigentlich andere: Rosenborg und Molde sind dank diverser Europacup-Duelle in Österreich bekannt und weiterhin große Namen im norwegischen Fußball. Zehn von zwölf Meistertiteln zwischen 2009 und 2020 hat man sich untereinander ausgemacht, die lange etablierte Vormachtstellung bröckelt erst seit kurzem.
"Bei uns können es einige immer noch nicht ganz glauben, dass wir das alles erleben. Vor 2020 hatten wir zwei Pokalsiege und einige Medaillen vorzuweisen. Jetzt haben wir die Liga dreimal gewonnen, Celtic, Besiktas, Alkmaar, Zürich und einige andere international geschlagen und das Viertelfinale der Conference League erreicht", fasst Erik die letzten Jahre zusammen.
Kontinuität als Erfolgsgeheimnis
Bodø/Glimt konnte sich 2018 nach einem Wiederaufstieg mit Mühe in Norwegens erster Liga Eliteserien halten. Danach gelang ein zweiter Platz, ein Jahr später der souveräne Meistertitel. Ein Vorsprung von 19 Punkten und ein Torverhältnis von 103 Treffern zu 32 Gegentreffern erinnert an die Dominanz von Red Bull Salzburg zu seinen besten Zeiten. 2021 stand man nochmals ganz oben, 2023 auch - in der laufenden Saison schaut es abermals gut aus.
Ein wirkliches Erfolgsgeheimnis gibt es nicht. Anfang 2018 wurde die sportliche Leitung des Vereins umgebaut. Trainer Aasmund Bjørkan rückte von seinem Trainerstuhl ins Büro des Sportdirektors, von ihm übernahm sein Assistent Kjetil Knutsen - er ist bis heute im Amt.
Jedes Mal, wenn sie einen Spieler verlieren, finden sie einen neuen, der perfekt passt.
"Unter ihm spielt Glimt einen aufregenden, schnellen Offensivfußball. Die Fähigkeit des Vereins, Spieler weiterzuentwickeln, ist auch herausragend - das wird in Norwegen generell oft gut gemacht. Jedes Mal, wenn sie einen Spieler verlieren, finden sie einen neuen, der perfekt passt", so die Analyse von Matthew Gurney und Anker Bugge, die gemeinsam den "X"-Kanal "Football Norway" betreiben.
Etabliertes Sprungbrett
Leverkusen-Stürmer Victor Boniface konnte bei Bodø erstmals in Europa Fuß fassen. Aus der eigenen Jugend kommen unter anderem Jens Petter Hauge, Hugo Vetlesen und Albert Gronbaek.
Man muss dazu sagen, dass einige der Exporte nicht an ihre Leistungen in Bodø anknüpfen konnten. Stürmer Erik Botheim hatte mit 15 Toren großen Anteil am Titel 2021, blieb in zwei Serie-A-Saisonen für Salernitana allerdings blass. Hauge spielt nach Stationen wie AC Mailand und Eintracht Frankfurt wieder leihweise für Glimt. Auch Philip Zinckernagel ist wieder zurück, nachdem er sich in England bei Watford und Nottingham Forest versucht hatte.
"Wir denken, dass die Spieler sich schwertun, weil sie sich für die falschen Vereine oder Ligen entscheiden. Der Niveauunterschied zu der Eliteserien ist groß, oft sitzen Talente dann nur auf der Bank und können sich nicht mehr entwickeln", so die Experten von "Football Norway".
Der "Stolz des Nordens"
Kjetil Knutsen gilt jedenfalls als Vater des Erfolges. Den 55-Jährigen hätte man vor wenigen Jahren auch in Norwegen kaum gekannt, als guter Menschenführer mit modernen taktischen Ansätzen hat sich das rasch geändert. Knutsen wurde über die letzten Jahre mit Vereinen wie Brighton oder Ajax in Verbindung gebracht, will aber einfach nicht weg.
Glimts Erfolge haben einer ganzen Region Aufwind gegeben, die vorher wenig beachtet war.
Das mag auch an der Atmosphäre liegen, die ein erfolgreicher Fußballklub in einer kleineren Stadt mit rund 55.000 Einwohner:innen mit sich bringt. "Vor den erfolgreicheren Jahren haben sich Spieler oft beeilt, um direkt aus der Kabine in ein Pub zu kommen. Heute läuft das natürlich anders ab, aber wenn man das Vereinsgebäude betritt, ist man herzlich willkommen. Wenn man einen Spieler im Einkaufszentrum trifft, grüßt und lächelt er", meint Erik.
Was den Verein eint, ist die geografische Lage. Glimt hat den norwegischen Pokal im Jahr 1975 gewonnen, als erstes Team aus dem nördlichen Teil Norwegens. "Glimts Erfolge zu dieser Zeit haben einer ganzen Region Aufwind gegeben, die vorher wenig beachtet war. Wir sehen uns als den 'Stolz des Nordens'", erzählt Erik.
Kleine Stadt, großer Zusammenhalt
Vor dem Stadion Aspmyra steht eine Statue des Spielführers von 1975, Harald Berg. Sein Enkel Patrick ist seinem Weg inzwischen gefolgt und heute Kapitän von Bodø/Glimt. Der Verein wirkt familiär und wird von einem Vorstand geleitet, den wiederum die Mitglieder wählen. "Es gibt zahlreiche Sponsoren, aber keiner hält Anteile am Verein. Es gibt Pläne für ein neues Stadium, dafür wird Geld zur Seite gelegt. Der Großteil der Einnahmen fließt aber direkt in das Tagesgeschäft des Vereins zurück. Der einzige Unterschied der letzten Jahre ist, dass die Zahlen um ein vielfaches Höher sind, als davor", so Erik vom Fanclub "J-Feltet".
Mit Prämien aus den europäischen Bewerben und Spielerverkäufen alleine hat der Verein weit über 60 Millionen Euro erwirtschaftet. Das neue Stadion ist also ein realistisches Ziel. Im Aspmyra wird aktuell auf beheiztem Kunstrasen gespielt, der Europacupspiele und Training im Winter ermöglicht.
Nachdem Glimt gegen Roter Stern Belgrad aus der Champions League geflogen ist, waren viele erleichtert.
In der Liga liegt Bodø/Glimt wieder auf Titelkurs, mit dem aktuellen Vorsprung wäre er Anfang November und damit drei Runden vor Schluss amtlich. Laut den Experten von "Football Norway" hat die Mehrheit der norwegischen Fußballfans den Verein inzwischen sattgesehen: "Nachdem Glimt gegen Roter Stern Belgrad aus der Champions-League-Qualifikation geflogen ist, waren viele erleichtert. Die Befürchtung, dass Glimt mit dem vielen CL-Geld ein neues Rosenborg wird, war da."
Weite Wege
Die Europa League führt Bodø/Glimt heuer unter anderem zu Manchester United, Porto, Union Saint-Gilloise, Qarabağ, Braga, Beşiktaş und Maccabi Tel Aviv. Die Wege sind für Fans weit und teuer: "Zuerst müssen wir nach Oslo oder Bergen, der Flug dauert eineinhalb Stunden. Dann geht es weiter zum eigentlichen Ziel, nach London braucht man dann noch rund zwei Stunden. Die Verbindungen sind okay, wenn man bereit ist, dafür zu zahlen", erklärt Erik vom Fanclub "J-Feltet".
Dass trotz allem viele bei den großen Spielen dabei sein wollen, zeigen Kontingente von rund 3.000 Fans gegen Arsenal und immerhin 1.000 gegen Celtic, Alkmaar und die AS Roma. Stolze Zahlen für einen kleinen Verein mit einem Zuschauer:innenschnitt von rund 6.000 - vor fünf Jahren waren es noch halb so viele.
Underdog mit Sensationspotenzial
Laut Erik bringen die norwegischen Fans vor allem gute Stimmung: "Es ist eine große Party. Alle sind freundlich und froh, dabei zu sein. Es ist auch eine gute Mischung von Ultras und regulären Fans, Männern und Frauen. Bei einem Spiel gegen Bohemians in Prag haben wir die Ordner überrascht, weil so viele Frauen dabei waren. Sie mussten Mitarbeiterinnen von den Kiosks im Stadion holen, um sie zu überprüfen."
Mit Bodø/Glimt wird in den nächsten Monaten zu rechnen sein, auch wenn viele es noch nicht tun. "Es wird unterhaltsam mitanzusehen, wie sich Teams, die Glimt unterschätzen, bei Auswärtsspielen unter schwierigen Bedingungen zurechtfinden", kündigt "Football Norway" an. Weitere Sensationen sind alles andere als ausgeschlossen.