15 Jahre nach Kragls Foul: "Ein riesiges Unglück – aber für beide!"
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15 Jahre nach Kragls Foul: "Ein riesiges Unglück – aber für beide!"

Nicht nur Eddie Gustafssons, sondern auch Lukas Kragls Karriere nahm am 18. April 2010 eine schicksalhafte Wendung. Wie Kragl heute über sein Horror-Foul denkt:

Niemand, der am 18. April 2010 auf der Linzer Gugl dabei war, wird diesen Tag jemals vergessen.

Eddie Gustafsson nicht, der nach seinem komplizierten Schien- und Wadenbeinbruch fast ein Jahr brauchte, um wieder das Salzburger Tor hüten zu können. Schiedsrichter Harald Lechner nicht, der es Jahre später als "bitterste Entscheidung" seiner Karriere bezeichnete, nur Gelb gezückt zu haben. Der damalige LASK-Trainer Helmut Kraft nicht, der wochenlang brauchte, um die Bilder wieder aus seinem Kopf zu bekommen.

Und natürlich Lukas Kragl nicht, der als damals 20-jähriger LASK-Stürmer in seinem erst achten Bundesligaspiel ein Foul beging, das in die Geschichte der Bundesliga eingehen sollte.

15 Jahre später spricht der heute 35-jährige Unternehmer bei 90minuten darüber, wie er die Tage rund um das Foul wahrnahm und welche Folgen es für seine Karriere hatte.

Als alles noch "ziemlich gut lief" für Lukas Kragl

Der April 2010 begann für Lukas Kragl wie ein vorgezogener Wonnemonat. So langsam gelang es der 20-jährigen Stürmer-Hoffnung, sich in die Startelf des LASK zu spielen. Er erzielte sogar sein erstes Bundesliga-Tor gegen Wr. Neustadt, nachdem ihm in den zwei Spielen zuvor schon drei Assists gelungen waren.

"Lief ziemlich gut, für mich und den LASK", erinnert er sich. Der junge Mann, der ein Jahr zuvor unter Hans Krankl bei den Profis debütierte und als Kind in LASK-Bettwäsche schlief, lebte seinen Traum.

Dementsprechend positiv war die Stimmung, als es am 18. April zum Duell mit Tabellenführer Red Bull Salzburg kam. Die Linzer waren seit fünf Spielen ungeschlagen, die Gugl mit mehr als 10.000 Zuschauern gut gefüllt. "Die Erwartungen waren hoch, wir hatten das Gefühl, an einem guten Tag gegen sie punkten zu können", sagt Kragl.

Und tatsächlich endete das Spiel 0:0, der Punkt wurde geholt. Doch daran erinnert sich heute niemand mehr.

Kragl: "Habe erst im Fernsehen gesehen, wie heftig der Zusammenstoß war"

Denn das, was kurz vor dem Halbzeitpfiff passierte, sollte die Fans lange Zeit bewegen. Der Ball rollt auf Salzburg-Keeper Gustafsson zu, Kragl hinterher, der Tormann ist zuerst am Ball und schlägt ihn weg. Kragl will den Ball blocken, dreht sich weg, springt dabei Richtung Gustafsson – und rauscht in das Standbein des Schweden. Schien- und Wadenbein brechen, die entsprechenden TV-Bilder werden mit einem Warnhinweis versehen.

WARNHINWEIS: Dieses Bild ist nichts für schwache Nerven

Dieses Foul vergisst kein Fan so schnell
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Dieses Foul vergisst kein Fan so schnell

90minuten: Hast du in dem Moment gewusst, dass etwas Schlimmes passiert ist?

Kragl: Überhaupt nicht! Ich habe erst nach dem Spiel im Fernsehen gesehen, wie heftig der Zusammenstoß war. In dem Moment selbst war mir das nicht bewusst. Christoph Leitgeb (Anm.: Spieler von Salzburg) hat später zu mir gesagt, dass es eine schwere Verletzung ist.

90minuten: Als Eddie am Boden lag, vor Schmerzen schrie und behandelt werden musste – bist du dann zu ihm hingegangen?

Kragl: Ich bin in der Halbzeit zu ihm gegangen, als er neben dem Spielfeld behandelt wurde. Ich dachte, er hätte sich den Knöchel verdreht. Als ich ihn fragte, meinte er, dass sein Bein wohl gebrochen sei und er starke Schmerzen hätte. Ich habe mich entschuldigt, er meinte, dass er weiß, dass es keine Absicht von mir war. Dann bin ich in die Kabine gegangen.

Ein Schock für alle Beteiligten

Dort bot LASK-Trainer Helmut Kraft seinem jungen Stürmer an, ihn auszuwechseln. Der heute 66-Jährige: "Auch ich habe von meiner Position aus nicht wahrgenommen, wie heftig das Ganze war. Erst als ich die TV-Bilder gesehen habe, wurde mir das Ausmaß bewusst. Da wollte ich Lukas schützen."

Doch der verfolgte einen anderen Ansatz. Er erinnerte sich an den Spruch, dass ein Reiter, der stürzt, gleich wieder aufs Pferd steigen sollte. Und so wollte er gleich wieder auf das Spielfeld gehen. Nicht ahnend, was danach über ihn hereinbrechen sollte.

Kragl war einer Menge Kritik ausgesetzt. Man versuchte, ihn zu schützen
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Kragl war einer Menge Kritik ausgesetzt. Man versuchte, ihn zu schützen

90minuten: Als du nach dem Spiel die TV-Bilder gesehen hast – was ging dir da durch den Kopf?

Kragl: Ich war total irritiert von der Schwere der Verletzung. Als Fußballer hat man ja eher die Angst, dass man selber so eine Verletzung erleidet. Wenn man aber selbst derjenige ist, der einem Gegenspieler so etwas zufügt, ist es auch richtig bitter. Wer mich kennt, weiß, dass es nicht meine Spielart ist, andere zu gefährden, ich bin ein sehr fairer Spieler auf dem Platz. Deswegen war es für mich ein Schock, dass es so schwerwiegend war.

Gustafsson stärkte Kragl aus dem Krankenhaus den Rücken

Danach brach die Hölle über die Beteiligten ein. Für Gustafsson kam die niederschmetternde Diagnose, dass er auf unbestimmte Zeit ausfällt und sogar die Karriere in Gefahr ist. Schiedsrichter Lechner wurde durch Sonne und Mond geschossen, weil er das Foul nicht mit der Roten Karte ahndete. Und Kragl wurde zum Buhmann der Fußball-Nation. Die Medien überschlugen sich mit Superlativen, um das Foul zu beschreiben. Auf Social Media wurden Beleidigungen im Minutentakt abgefeuert.

"In den ersten Tagen danach hatte ich mehr als 500 Nachrichten auf meinem Facebook-Account", erzählt Kragl. Die einzige Chance: mediale Enthaltsamkeit. Kragl drehte all seine Konten zu und las auch keine Zeitungen. "Meine Familie und mein Manager meinten: 'Lass das alles nicht zu nah an dich ran.' Das war wohl die einzig richtige Entscheidung. Es war alles nicht mehr händelbar."

Wir haben miteinander telefoniert, ich wollte ihn im Krankenhaus besuchen. Er meinte aber, dass er nicht will, dass ich sehe, wie er nach der OP aussieht.

Lukas Kragl

90minuten: Helmut Kraft sagt, dass du in diesen Tagen nach außen versucht hast, gefasst zu wirken, es in dir drin aber ganz anders aussah. Wie hast du das erlebt?

Kragl: Der Trainer wollte mir helfen und hat mich für das nächste Spiel auch aus dem Kader genommen. Unser Tormann war damals Jürgen Macho, mit ihm habe ich sehr viel darüber gesprochen. Er meinte, ich soll nicht auf andere Leute hören, wichtig ist nur, was Eddie und ich miteinander sprechen und denken.

90minuten: Wie war dein Kontakt mit Eddie?

Kragl: Wir haben miteinander telefoniert, ich wollte ihn im Krankenhaus besuchen. Er meinte aber, dass er nicht will, dass ich sehe, wie er nach der OP aussieht. Das war sein expliziter Wunsch. Zu der Zeit war Eddie sehr hilfreich für mich. Er meinte, er hätte sich das Foul nochmal angeschaut und weiß, dass es keine Absicht war. Seine Botschaft war: Ich soll weiterspielen, er wird schon wieder fit! Das rechne ich ihm hoch an, er ist ein großartiger Sportsmann.

90minuten: Wie lief es im Training?

Kragl: In den ersten Wochen war es schon unangenehm, ich hatte Angst, andere unabsichtlich zu verletzen. Immer wenn ich auf den Tormann zurannte, war die Szene im Hinterkopf. Es hat ein paar Monate gedauert, bis es wieder draußen war und ich mich darauf fokussieren konnte, dass Fußball ja auch Spaß machen sollte.

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Ein denkwürdiges Wiedersehen

Im März 2011 feierte Gustafsson sein Comeback in der Bundesliga. Und im April, fast genau ein Jahr nach dem Foul, kam es zum Duell LASK gegen Red Bull Salzburg. Und zu einer Geschichte, die auch nur der Fußball schreiben kann. Die Linzer gewannen 1:0. Schütze des Goldtores: Lukas Kragl. "Da schrieben die Zeitungen gleich wieder: 'Kragl schockt Gustafsson ein zweites Mal!", erinnert sich der Angreifer.

Viel wichtiger war aber, wie die beiden Protagonisten miteinander umgegangen sind. "Wann immer wir gegeneinander gespielt haben, haben wir uns gut unterhalten", sagt Kragl. "Von ihm kam niemals ein böses Wort. Weder mir gegenüber noch in den Medien."

Sportlich dagegen brachen für ihn harte Zeiten an. Mit dem LASK stieg er in die 2. Liga ab, es gab Verletzungen, ein Wechsel zu Rapid scheiterte am Veto des damaligen LASK-Präsidenten Peter-Michael Reichel. Er wechselte zu Austria Lustenau, kam mit St. Pölten als Zweitligist ins Cupfinale und in die Europacup-Qualifikation.

Erfolge, an die er sich gerne erinnert. So wie er generell nicht mit dem Verlauf seiner Karriere hadern mag. Doch das große Versprechen, das er als junger Stürmer darstellte, löste er nie wirklich ein.

Blockierte das Foul Kragls Entwicklung?

Helmut Kraft hat die Vermutung, dass das Foul einen nicht unwesentlichen Anteil daran hat. "Mir tat die Sache damals für Eddie irrsinnig leid", sagt der Tiroler. "Im Nachhinein tut sie mir aber auch für Lukas sehr leid. Ich denke, dass die Geschichte ein Hemmnis für ihn war, das ihn blockiert hat, sich weiterzuentwickeln. Das Ganze war ein riesiges Unglück – aber für beide!"

Vielleicht wäre meine Karriere in eine andere Richtung gegangen, wenn es das Foul nicht gegeben hätte.

Lukas Kragl

90minuten: Hat Helmut Kraft Recht?

Kragl: Das ist im Nachhinein schwer zu sagen. Wir reden von einer Sportart, in der es sich manchmal um Hundertstel dreht, wenn es darum geht, eine Entscheidung zu treffen. Vielleicht wäre meine Karriere in eine andere Richtung gegangen, wenn es das Foul nicht gegeben hätte. Ich selbst hatte aber nicht das Gefühl, dass es mich blockiert hätte.

90minuten: Wirst du heute noch auf das Foul angesprochen?

Kragl: Selten. Manchmal gehe ich ins LASK-Stadion und Fans erzählen mir, dass sie damals dabei waren. Vor zehn Jahren war das noch anders, da war das Thema größer. Und dieses Foul ist ja auch nicht das Einzige, was von meiner Karriere hängen bleibt, ich hatte ja trotzdem einige schöne Erlebnisse und Erfolge.

Neue Wege

2016 entschied sich Kragl, der großen Fußball-Bühne adieu zu sagen. Er kickte zwar noch in der Regionalliga und später in der viertklassigen Oberösterreich Liga. Priorität hatte aber sein Studium, da er sich ein zweites Standbein aufbauen wollte. Er machte seinen Bachelor in BWL und seinen Master in digitales Management. "Ich hatte immer schon diesen Unternehmergeist in mir und wollte mir etwas Eigenes aufbauen", sagt er.

Im vergangenen Jahr hörte er ganz mit dem Kicken auf und gründete sein Unternehmen ProcessONE, mit dem er administrative und Finanz-Prozesse in Firmen automatisiert und ihnen hilft, mit Einsatz von KI effizienter zu werden. Eine Branche, in der er sich in den kommenden Jahren sieht.

Auf den Fußballplätzen trifft man ihn dagegen nur noch selten. "Und wenn, dann mit einem Bier in der Hand, wenn alte Freunde von mir spielen."

VIDEO: Die Bad Boys der Bundesliga

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