Wir lassen mit "Gregerl" seine verrückte Deutschland-Reise Revue passieren:
Seine Begeisterung will Michael Gregoritsch gar nicht erst verbergen. "Hätte mir vor zwölfeinhalb Jahren jemand gesagt, dass ich eines Tages mit Andreas Herzog einen der besten österreichischen Spieler aller Zeiten überholen würde, hätte ich das nie für möglich gehalten."
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Im Sommer 2012 begann für den heute 30-Jährigen eine Reise, die ihn zunächst in die 4. und 2. Liga und ab 2015 in die "bel etage" des deutschen Fußballs geführt hat. Dort absolvierte er bis heute für den HSV, FC Augsburg, Schalke 04 und SC Freiburg 263 Spiele (58 Tore). Wir sind mit ihm die Stationen seiner Reise, auf der er Höhen erklomm, aber auch mächtig viel Lehrgeld bezahlen musste, durchgegangen. Bekenntnisse eines Überzeugungstäters.
Die Anfänge in der zweiten Reihe
Als Gregoritsch 2012 zur TSG Hoffenheim wechselte, gab es erstmal einen Kulturschock. "Im Vergleich zu Kapfenberg war auf einmal alles hoch 50", erinnert er sich. "Ich war extrem naiv, das höhere Niveau hat mich mit voller Wucht getroffen. In jedem Training mit den Profis lief ich hinterher."

Er wurde in der Regionalliga Südwest (4. Liga) eingesetzt, später in die 2. Liga verliehen. Aber nicht zu irgendwelchen Vereinen, sondern zu den Kultklubs FC St. Pauli und VfL Bochum. "Ich durfte in St. Pauli mit einer Klublegende wie Fabian Boll zusammenspielen, der als Polizist nach jedem Training auf die Wache gefahren ist. Und bei Bochum war Peter Neururer mein Trainer, ein unfassbarer Typ, der mich auf einer neuen Position im linken Mittelfeld einsetzte."
Kurios: Die Bochumer zogen Ende April 2015 die Option, Leihspieler Gregoritsch zu verpflichten. Im Juni bekundete der Bundesligist Hamburger SV sein Interesse, sodass sich drei Parteien über einen Wechsel einig werden mussten. "Das waren komplizierte Verhandlungen, die für mich zu einem guten Ende kamen. Denn ich war tatsächlich als Kind HSV-Fan, es gibt Fotos von mir als 14-Jährigem, auf denen ich das Trikot mit der Raute trage." Das Abenteuer 1. Bundesliga konnte also beginnen.
Durchgestartet beim HSV
Übelgenommen haben ihm die HSV-Fans seine St.-Pauli-Vergangenheit nicht – weil "Gregerl" einen smarten Trick anwendete. "Ich habe in meinem ersten Interview gesagt, dass ich die Stadt kenne, wenn auch von der falschen Seite. Das und die Tatsache, gleich im ersten Pokalspiel getroffen zu haben, hat sicher geholfen." Überhaupt spielte sich "Gregerl" in die Herzen der Fans und erwarb sich den Ruf, Freistoß-Spezialist zu sein. "In dem Jahr hatte ich das Gefühl, so richtig in Deutschland angekommen zu sein."

58 Spiele (11 Tore) absolvierte er für den damaligen "Dino der Bundesliga", der – aus heutiger Sicht schwer vorstellbar – bis zu diesem Zeitpunkt niemals aus der Bundesliga abgestiegen war. Mittlerweile spielt der Klub in seiner achten Saison in der 2. Liga und ist dort der dienstälteste Verein. "In der Freiburger Kabine bin ich dafür bekannt, dass ich mit dem HSV nach wie vor etwas mitfiebere. Ich hoffe, dass sie dieses Jahr den Aufstieg schaffen."
Das Ende nach zwei Jahren in Hamburg verlief allerdings nicht optimal. Die Vertragsverlängerung wurde zur Hängepartie, und als ein Angebot des FC Augsburg hineinflatterte, wurde ihm der Wechsel nahegelegt. Worauf Gregoritsch in einem Interview keck meinte: "Ich hätte mich nicht abgeben." Was sagt er heute dazu? "Ich bleibe bei meiner Aussage, würde sie aber nicht mehr öffentlich tätigen. Ich war in meinem Ego gekränkt."
Prägendste Zeit in Augsburg
Sportlich stachelte ihn die Ausbootung so richtig an. In seinem ersten Jahr erzielte er 13 Tore, die für ihn bis heute meisten in einer Saison. "Wir wurden Zwölfter, aber es wäre sogar noch mehr drin gewesen", erinnert er sich. Fünf Jahre sollte er in Augsburg bleiben, 129 Bundesliga-Spiele absolvierte er für die Fuggerstädter. "Sicherlich die für mich prägendste Zeit in Deutschland." Und zwar auch deshalb, weil er mit großen Widerständen zu kämpfen hatte.
Denn im November 2019 gab er bei der Nationalmannschaft ein wenig diplomatisches Interview, in dem er seinen Wechselwunsch öffentlich deponierte – zum Missfallen des Vereins. "Das Interview war ein Fehler, es war nicht fair, nicht richtig. Ich habe damit richtig viel Lehrgeld bezahlt. Wenn ich könnte, würde ich es rückgängig machen." Es gibt aber auch noch ein großes Aber: "Die Geschichte ließ mich zu dem werden, der ich heute bin."

Und das kam so: Zunächst wurde Gregoritsch zum FC Schalke 04 verliehen, wo er die "sportlich und mental schwerste Phase meiner Karriere" verbrachte. Und zwar nicht nur wegen der Corona-Zeit, in der niemand wusste, wie es im Leben überhaupt weitergehen würde. "Wir haben das erste Spiel gewonnen, ich habe sogar getroffen – und dann haben wir in den restlichen 16 Spiele der Saison keinen einzigen Sieg mehr eingefahren. Gefühlt wurden wir an jedem Wochenende abgeschossen!"
Eine Situation, die an ihm nagte. Und auch zurück in Augsburg hielt sich die Begeisterung über den wechselwilligen Rückkehrer zunächst in Grenzen. "Aber ich habe es geschafft, mich zurückzukämpfen, mich wieder zu integrieren und meine Leistung zu bringen. Das war eine unglaublich wertvolle Erfahrung für meine weitere Entwicklung."
Freiburg bis zum Karriereende?
2022 folgte der Wechsel zum SC Freiburg. "Mit Sicherheit der beste und wichtigste Schritt in meiner Karriere." Erstmals in seiner Laufbahn spielte Gregoritsch im Europacup, mit Christian Streich hatte er einen Trainer, der ihn zu 100 Prozent zu nehmen wusste. "Das war eine geniale Mischung: Streich als Vereinstrainer, Ralf Rangnick beim Nationalteam und mein Vater (Anm.: Werner) im Hintergrund. Einen besseren Mix kann man sich nicht vorstellen."
Vor Kurzem absolvierte der Steirer sein 100. Pflichtspiel für die Breisgauer. Geht es nach ihm, sollen noch einige dazu kommen. "Freiburg ist der perfekte Ort, um an Andreas Herzog vorbeizuziehen. Und ich würde hier auch gerne David Alaba (Anm.: steht bei 298 Bundesliga-Spielen) überholen und zum ersten Österreicher werden, der 300 Spiele in der Deutschen Bundesliga bestritten hat."
Verein | von - bis | Pflichtspiele | Tore |
---|---|---|---|
TSG Hoffenheim | 2011-2015 | - | - |
FC St. Pauli (Leihe) | 2013-2014 | 16 | 1 |
VfL Bochum (Leihe) | 2014-2015 | 27 | 7 |
Hamburger SV | 2015-2017 | 58 | 11 |
FC Augsburg | 2017-2022 | 129 | 31 |
FC Schalke 04 (Leihe) | 2020 | 16 | 1 |
SC Freiburg | 2022-heute | 100 | 29 |
Auch bei den Toren von Österreichern in Deutschland legt der Stürmer eine gewisse Phantasie an den Tag. "Auf Willi Huberts fehlen mir neun, auf Martin Harnik acht Treffer. Dann wäre ich in dieser Kategorie Zweiter." Nur Toni Polster scheint mit seinen 90 Treffern für Gladbach und Köln uneinholbar zu sein.
Klingt fast so, als würde Gregoritsch seine Karriere am liebsten in Freiburg beenden. Oder? "Das wäre aus meiner Sicht ideal, ich habe hier meine sportliche Heimat gefunden, es passt wunderbar. Aber zu einem Vertrag bis zum Karriereende gehören immer zwei Parteien."
Dass die aktuelle Saison mit Verletzungen, zuletzt einem hartnäckigen grippalen Infekt und erst einem Tor etwas schleppend verläuft, ordnet Gregoritsch so ein: "Wenn ich jetzt den Kopf in den Sand stecken würde, hätte ich aus meiner Karriere nichts gelernt. Natürlich ist es nicht meine glücklichste Saison, aber es kann sich alles rasend schnell drehen."
Wer wüsste das besser als Michael Gregoritsch.