"Fans haben mobilisiert": Warum Schweden noch keinen VAR hat
Foto © GEPA

"Fans haben mobilisiert": Warum Schweden noch keinen VAR hat

In Schweden werden Spiele - noch - gänzlich ohne technische Hilfe gepfiffen. Warum das so ist, erklären zwei Experten gegenüber 90minuten.

Der Video Assistant Referee (VAR) hat sich im europäischen Fußball festgesetzt. Nur in Schweden stemmt sich der Widerstand weiterhin erfolgreich gegen die Einführung. Als einzige der besten 30 Ligen Europas nützt die Allsvenskan keinerlei technische Hilfsmittel für ihre Schiedsrichter:innen.

Probiert hat man es natürlich immer wieder: Erst vor einem halben Jahr musste Verbandspräsident Fredrik Reinfeldt klein beigeben, nachdem er das System 2023 noch als "die Zukunft" gelobt hatte. Gescheitert sind er und andere Funktionäre bislang an der Demokratie.

Gelebte Demokratie

Ähnlich wie in Deutschland oder Österreich sind schwedische Vereine nach dem Prinzip "50+1" strukturiert, werden also von ihren Mitgliedern kontrolliert. In Hauptversammlungen werden grundlegende Richtungsentscheidungen gemeinsam beschlossen. So geschehen auch beim Thema VAR: "Die nationale Fanvereinigung hat sich 2020 zusammengesetzt, als der VAR im Ausland schon in Verwendung war. Gemeinsam haben sie entschieden, dass er ihnen die Freude am Fußball ein Stück weit nimmt. Diese Position haben sie dann in die Vereine getragen", erklärt Svante Samuelsson, Sportdirektor der Schwedischen Liga, die 32 Vereine umfasst.

Wir wissen nicht, wie die Mehrheit dazu steht. Die Diskussionen sind geprägt von einzelnen Abstimmungsergebnissen.

Svante Samuelsson

Samuelsson beschreibt die Situation so: Anhänger:innen verschiedener Vereine haben sich untereinander organisiert. Die Stadien in Schweden sind oft gut besucht, Hauptversammlungen weniger. Wenn jeder Fan seinen Tribünennachbarn und seine Tribünennachbarin mitnimmt, kommt schnell eine Mehrheit zusammen. "Die Fans, die eine klare Meinung gegen den VAR vertreten, haben sehr erfolgreich mobilisiert. Jene, die sich eine Einführung vorstellen könnten, sind vielleicht gar nicht ihrer Hauptversammlung gegangen", meint Samuelsson.

Durch den Erfolg der Aktion vertritt eine knappe Mehrheit - 17 Klubs nämlich - aktuell auf Basis interner Beschlüsse Stellung gegen eine VAR-Einführung. Dass eine Gegenmeinung dabei untergeht, ist klar. Samuelsson: "Ein mittelgroßer Verein in Schweden hat rund 5.000 Mitglieder, von denen tauchen vielleicht 150 bei den Hauptversammlungen auf. Wir wissen nicht, wie die Mehrheit dazu steht. Die Diskussionen sind geprägt von den einzelnen Abstimmungsergebnissen."

Fanproteste: Ein Anti-VAR-Transparent von AIK Solna im Asterix-Stil:


Und wie lautet die persönliche Meinung des Sportdirektors? "Das behalte ich für mich. Ich arbeite für die Liga, die alle 32 Vereine repräsentiert. Die Mehrheit davon hat sich gegen den VAR ausgesprochen."

Bessere Schiedsrichter?

Erinnert man sich in Österreich an eine Zeit vor Einführung des Assistenzsystems zurück, war damals keinesfalls alles in Ordnung. Fehlpfiffe wurden kritisch kommentiert, die Aussicht auf mehr Gerechtigkeit im Fußball - so das Kernversprechen des VAR - war durchaus attraktiv. Geht man in Schweden gelassener mit derartigen Situationen um oder kommt es vielleicht gar nicht oft genug dazu?

"Ich glaube nicht, dass schwedische Referees besser oder schlechte als andere sind. Wenn Fehler gemacht werden, gibt es dafür auch immer noch Kritik. Ich denke, dass es bei den Fans ein bisschen mehr Verständnis braucht, wie schwierig es ist, alles richtig zu entscheiden. Immerhin sprechen sie sich ja gegen Hilfsmittel aus", so Svante Samuelsson. Verzichtet wird im Übrigen nicht nur auf den klassischen Videoassistenten. Auch eine Torlinientechnik und ähnliche Systeme gibt es nicht.

Der VAR als Symbol

Aus der Berichterstattung über den VAR in Schweden ergibt sich der Eindruck, dass es bei der Diskussion auch noch um etwas anderes geht. So hat sich beispielsweise Ola Thews, stellvertretender Vorsitzender eines großen Fanklubs von AIK Solna, gegenüber Medien geäußert: "Der VAR ist das Symbol eines modernen Fußballs, der bis an den Rand der Zerstörung kommerzialisiert wird."

Für viele ist das Verhindern des VAR ein Beweis dafür, dass der schwedische Fußball immer noch demokratisch aufgestellt ist.

Viktor Asp

Der schwedische Journalist Viktor Asp von 'Fotboll STHLM' hält gegenüber 90minuten beide Argumente für relevant. "Fans im Stadion mögen den VAR nicht, weil sie das Gefühl haben, dass er den Spaß nimmt. Es ist aber auch eine übergeordnete Frage geworden, darüber wie im Fußball getroffen werden sollen. Für viele ist das Verhindern des VAR ein Beweis dafür, dass der schwedische Fußball immer noch demokratisch aufgestellt ist."

Auch Svante Samuelsson deutet in diese Richtung: "In dieser Debatte geht es auch um die Machtaufteilung im schwedischen Fußball. Für wen gibt es einen Fußballklub überhaupt? Wer sind die wichtigsten Personen? Die Fans sind sich sicher, dass ihr Heimatverein nur für sie existiert."

Pattsituation

Auch wenn keine finale Entscheidung gefallen ist, gilt die Situation aktuell als festgefahren. "Man kann nicht wirklich sagen, dass sich der schwedische Fußball gegen den VAR entschieden hat. Wir haben uns vielmehr dazu entschieden, uns noch nicht offiziell zu entscheiden", schildert Asp.

Es sieht nicht so aus, als würde es bald einen VAR im schwedischen Fußball geben.

Svante Samuelsson

Samuelsson führt weiter aus: "Damit sich daran etwas ändert, müsste sich wahrscheinlich jemand von außen einmischen. Wenn die UEFA beispielsweise festlegt, dass nur mehr jene Vereine am Europacup teilnehmen können, die in ihren heimischen Ligen mit VAR spielen".

Aktuell müssen Topteams wie Djurgårdens IF - ein Verein der in der Conference League Gruppenphase antritt - einen VAR extra für den Europacup installieren. Bei Heimspielen sind sie verpflichtet, ein System zur Verfügung zu stellen. In der Liga bleibt es ungenutzt.

Heikles Thema

Gerade die großen Vereine halten aber die Zügel in der Hand. In den zuständigen Gremien haben sie viel Einfluss, ein Beschluss gegen sie ist eigentlich ausgeschlossen. Laut Viktor Asp wurde bereits beschlossen, dass das Thema vorerst nicht auf den Tisch kommen soll. Für die kommende Saison ist eine Einführung jedenfalls ausgeschlossen.

Es sei auch gar nicht einfach, das Thema überhaupt aufzubringen. Svante Samuelsson fasst zusammen: "Den Fans ist das wirklich wichtig, sie werden nicht einfach ruhig sitzenbleiben und zuhören. Es sieht nicht so aus, als würde es bald einen VAR im schwedischen Fußball geben."

Kommentare